Neuengamme:
Gedenken muss nicht teuer sein
Statt eines Gefängnisses steht nunmehr
eine Gedenkstätte auf dem Gelände des früheren KZ Neuengamme. Zum 60.
Jahrestag seiner Befreiung gibt es dennoch Ärger.
Von Andreas Blechschmidt
Jungle World 18 v.
04.05.2005
Die neu konzipierte Gedenkstätte für das KZ Neuengamme ist
fertig. Am 4. Mai, anlässlich des 60. Jahrestags der Befreiung des
Konzentrationslagers, hat der Hamburger Senat zur feierlichen Eröffnung
geladen. Neben dem Ersten Bürgermeister Ole von Beust, der
Kulturstaatsministerin Christina Weiss, dem ehemaligen Botschafter Israels,
Avi Primor, und dem Präsidenten der Überlebendenvereinigung Amicale
Internationale, Robert Pinçon, werden weitere hochrangige Gäste erwartet.
Damit endet der Jahrzehnte währende Skandal der Existenz einer
Justizvollzugsanstalt auf dem ehemaligen Lagergelände von Neuengamme. Im
Jahr 1948 war zunächst in zuvor von der SS genutzten Gebäuden eine
Justizvollzugsanstalt eingerichtet worden, die in den sechziger Jahren um
einen weiteren Komplex ergänzt wurde. Lange Jahre hatten die Überlebenden
des KZ für eine Verlegung des Gefängnisses gekämpft und für einen Zugang zu
den zentralen Orten des Lagers, das 1938 errichtet worden war.
Damals sollten die Inhaftierten unter der Aufsicht der SS in der dortigen
Ziegelei Klinkersteine für die ehrgeizigen Pläne der Neugestaltung Hamburgs
als "Führerstadt" produzieren. Seit Kriegsbeginn verschleppten die Nazis 100
000 Menschen aus 27 Nationen in das KZ und seine zahlreichen Außenlager. 45
000 von ihnen wurden im Rahmen des Programms "Vernichtung durch Arbeit" bis
Mai 1945 ermordet. Nach Kriegsende konnten Überlebende jahrelang das Gelände
gar nicht betreten, seit 1965 gab es immerhin im Bereich der ehemaligen
Lagergärtnerei ein größeres Mahnmal. Erst im Jahr 1989 beschloss der
damalige SPD-Senat endlich die Verlegung der Strafanstalt. Doch bis das
tatsächlich geschah, vergingen wieder Jahre.
Es war der damalige Senat aus CDU, FDP und Schill-Partei, der nach den
Bürgerschaftswahlen im Herbst 2001 im Rahmen der Koalitionsverhandlungen den
erst wenige Monate zuvor in der Bürgerschaft einstimmig gefassten Beschluss
wieder revidierte, die Strafanstalt zu verlegen. Erst internationale
Proteste und die Intervention der Amicale Internationale zwangen den damals
neuen Bürgermeister Beust, doch am Beschluss festzuhalten. "Dass man
überhaupt die JVA dort gebaut hat und es Jahrzehnte versäumt hat, eine
vernünftige Gedenkstätte zu gestalten, ist beschämend, und da haben viele
Mitschuld. Es ist wohl Zufall, dass die Umgestaltung durch den jetzt
regierenden CDU-Senat umgesetzt wird, die schon vor 30 Jahren hätte kommen
müssen", sagt Christa Goetsch, die Vorsitzende der
GAL-Bürgerschaftsfraktion.
In einer Mitteilung der zuständigen Hamburger Fachbehörde für Kultur vom
Februar dieses Jahres heißt es etwas kleinlaut: "Nach bedauerlichen
Irritationen im Herbst 2001 war und ist es dem CDU-geführten Senat ein
besonderes Anliegen, in Neuengamme einen Ort würdigen Gedenkens an die Opfer
des Nationalsozialismus zu schaffen." Folgerichtig hat der Senat in diesem
Jahr zum ersten Mal die Ausrichtung einer Gedenkfeier auf dem ehemaligen
Lagergelände übernommen, jedoch nicht, ohne erneut Irritationen auszulösen.
In den Einladungsschreiben an die über 1 000 noch lebenden ehemaligen
Häftlinge des KZ Neuengamme heißt es, dass der Senat lediglich die
Übernachtungskosten übernehmen könne. Die Reisekosten für die teilweise hoch
betagten Überlebenden und ihre Begleitpersonen sollten von ihnen selbst
getragen werden. Dass lediglich etwa 300 Überlebende ihr Kommen zusagten,
ist in den Augen von Kritikern der unwürdigen Einladungspolitik des
Hamburger Senats geschuldet, der Erinnerung und Gedenken offenbar nach
Maßgaben des Haushaltsplans organisiert. In Kreisen der Hamburger
Bürgerschaft jedenfalls gilt es als ein offenes Geheimnis, dass sich der
Senat und vor allen Dingen der für die Verlagerung der Strafanstalten
zuständige Justizsenator, Roger Kusch, "abfeiern" lassen wollen als
diejenigen, die das historische Lagergelände freigegeben haben, um einen
Schlussstrich unter das Thema Neuengamme ziehen zu können.
Den schlechten Eindruck kann auch der Sprecher der federführend
verantwortlichen Kulturbehörde, Björn Marzahn, nicht wegreden. Man habe
Opfer und Opfergruppen aus allen Ländern eingeladen und die Kosten für die
Reise und die Unterkunft zugesagt. Ein weitergehendes finanzielles
Engagement gebe der Hamburger Etat nicht her. "Das übersteigt einfach die
Möglichkeiten, die uns gegeben sind", sagt Marzahn der Jungle World.
Immerhin habe man in Einzelfällen nun doch auch im Nachhinein die Übernahme
der Kosten für Reisebegleiter zusagen können. Marzahn erwähnt allerdings
nicht, dass die vermeintlich großzügige Geste nur wegen der geringen Zahl
von Rückmeldungen möglich wurde. Und die zuvor zugesagten Reisekosten für
einige Teilnehmergruppen finanzieren sich aus einem Haushaltsposten, der
eigentlich für ein ganzjähriges Besuchsprogramm für ehemalige
Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter vorgesehen ist. Man darf davon
ausgehen, dass dieses Budget nach dem 4. Mai erschöpft sein wird.
Einige hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gedenkstätte des
neuen Ausstellungs-, Begegnungs- und Studienzentrums, das als staatliches
Museum der Hamburger Kulturbehörde angegliedert ist, üben sich derweil in
Pragmatismus. Die zuständige Referentin für Öffentlichkeitsarbeit, Karin
Schawe, erläutert, dass im Gegensatz zu den früheren Gedenkveranstaltungen,
die federführend die Amicale Internationale organisiert und bei denen die
Stadt lediglich Zuschüsse gezahlt habe, in diesem Jahr erheblich mehr Geld
zur Verfügung gestellt worden sei. Es komme auf den Blickwinkel an: »Sicher
hätte man da noch mehr Geld zur Verfügung stellen können, aber mehr Geld gab
es nun mal nicht.«
Mittlerweile ruft ein Bündnis von unabhängigen Gruppen dazu auf, die
Überlebenden am 4. Mai bei der Feierstunde nicht mit den Senatsvertretern
allein zu lassen. Die Gruppen kritisieren, dass sich die Gedenkstätte in
ihrem Selbstverständnis längst nicht mehr als Vertreterin der Interessen der
Überlebenden begreife, sondern eher zur Verwalterin der Gedenkpolitik des
Senats geworden sei. Die Gedenkfeier sei vor allem auf die Eröffnung der
neuen Ausstellung ausgerichtet, ein der Bedeutung des 60. Jahrestages der
Befreiung des Lagers angemessenes Konzept sei nicht erkennbar.
hagalil.com 06-05-2005 |