Joachim Fests Kampf:
Über Historismus und Antisemitismus
Von Clemens Heni
Das deutsche Feuilleton bzw. das, was sich
dafür hält, hyperventiliert. Da haben die Deutschen einen Film wie den
Untergang zu einem weltweiten Schlager gemacht, gleichsam der
BRD-Hitler-Welle der 70er Jahre eine noch größere folgen lassen – beides Mal
war Joachim Fest der praeceptor germaniae -, da wird ein deutscher Katholik
erster Stellvertreter in Rom und kluge englische Journalisten bringen alles
durcheinander. Auch in Ratzingers frühem Wohnort Traunstein hat es
Nazi-Verbrechen gegeben – wer hätte das gedacht?
Nun, in England ist das eine Erwähnung wert,
eine Analyse vor Ort. Es wird schnell klar, es gab ein KZAußenlager in der
Nähe, 1938 die Reichspogromnacht, polnische Sklavenarbeiter machten die
Traunsteiner Bauern froh, ein Todesmarsch führte 1945 durch den Ort. Für
ganz normale Deutsche keine Frage der Recherche sondern des Ressentiments:
Engländer haben kein Recht uns immer mit der Geschichte zu kommen.
Joachim Fest sticht nicht nur als
BILD-Ankläger gegen die englische Presse hervor. Auch an unbekannteren
Texten von Fest kann sein deutsches Weltbild, das die Ich-schwache
Persönlichkeit so gerne und obsessiv ins Gemeinschaftliche, Existentielle zu
transzendieren vermag, extrahiert werden. 1986 in "Der tanzende Tod"
versucht Fest sein eigenes gegenaufklärerisches Weltbild als der Aufklärung
verwandt zu deklarieren, indem er nicht nur der rationalistischen Aufklärung
als movens das 'Herrsein über den Tod' nachsagt, sondern insbesondere den
"Tode fürs Vaterland" predigt, da nur dieser als "Sterben für das Allgemeine
die Summe unseres Vergnügens" sei, wie Fest sich an die Worte Thomas Abbts
von 1761 mimetisch anschmiegt. Das "Vorlaufen zum Tode", das die
menschenverachtende Existentialontologie Martin Heideggers so prägnant
kennzeichnet, läßt grüßen. Fest kreiert zudem ein antiamerikanisches
Ressentiment, wenn er "die übermächtige Neigung", den Tod "zu vertreiben und
gleichsam zum 'Tod in Hollywood' umzubilden" geißelt. Schuld daran sei eine
"Weltkultur", die "neben anderen Eigenarten auch jene ‚Sympathie mit dem
Tode‘" einzuschmelzen beginne. Dieser Haß auf den melting pot hatte bereits
Henning Eichberg, der godfather der Neuen Rechten in der BRD seit den frühen
1970er Jahren, angetrieben, kulturrelativstische und antiuniversalistische
Ideologeme zu basteln.
Vom "Untergang" redete schon Fests Freund,
Verleger und HJ-Kollege Wolf Jobst Siedler, der 1986 zu Fests 60. Geburtstag
gratulierte und damit die "barocken Städte" meinte, das "leistungsstarke
Bürgertum" in Deutschland im 19. Jh. mithin, das durch Hitler "in den
Strudel gezogen wurde".
Fest trauert Hitler nach: "Zum Einzigartigen,
das mit dem Namen Hitlers verbunden ist, gehört seine unverminderte
Gegenwärtigkeit. Selbst fünfzig Jahre nach seinem Ende behauptet er eine
Zeitgenossenschaft (...) Sie äußert sich in Exorzismen". Hitler habe
versäumt, so heißt es lamentierend, "dem Feldzug gegen die Sowjetunion
europäischen Zuschnitt zu geben". In einer Art Hassliebe ist Fest in seinen
Hitler vernarrt, denn es zeigten sich anthropologische Gewißheiten in dessen
Person, die ohne ihn nicht ans Tageslicht gekommen wären, wie Fest betont.
Auschwitz gereicht Fest somit zum Beweis des Bösen, das in allen Menschen
stecke. Von den 1042 Seiten seiner Hitler-Biographie behandeln läppische 6
die Vernichtung der europäischen Juden, unter dem Titel "Endlösung", die vor
der deutschen Bevölkerung, die als reines Objekt Hitlers vorgestellt wird,
geheimgehalten worden sei. Deshalb hat Fest nicht nur eine Hitler- sondern
auch eine Albert Speer-Biographie verfasst und vor wenigen Wochen nachgelegt
mit einem Band über Speer, in dem es um 'die letzten Fragen geht', deren
Antworten auch ein Massenmörder wie Albert Speer, der die letzten gut 15
Jahre seines Lebens gar in Freiheit verbringen durfte und mit Fest die ganze
Zeit plauderte, nicht kenne. Fests Agnostizismus ist historistisches
Einverständnis mit dem Nationalsozialismus.
In diesen Tagen gab er in einer RTL
Dokumentation, für die er neben Peter Kloeppel verantwortlich zeichnet,
bekannt, dass die Deutschen Hitler eben gewählt hätten, weil er 1933
derjenige war, der ein Eisernes Kreuz aus dem I. WK vorzuweisen gehabt
hätte. Mit solchen Phantasmen lenkt Fest von der deutschen Sehnsucht nach
einem nationalen Sozialismus und völkischer Homogenität ab, deren Kern, der
eliminatorische Antisemitismus, allerdings auch von Hans Mommsen oder Götz
Aly verleugnet wird. In Kontrast zu diesen Sozialhistorikern jedoch
beschuldigt Fest nicht seinen von ihm verehrten Vorgänger als
Feuilleton-Chef der FAZ, Karl Korn, den Nationalsozialismus bestärkt zu
haben und die antisemitische Volksgemeinschaft der Deutschen tagtäglich als
Journalist mit seinem Dienst am REICH (so hieß die Zeitung, für die Korn
arbeitete, bis 1945) perpetuiert zu haben; Nein: die '68er seien die wahren
Nazis von heute, wenn sie am Begriff der "Gesellschaft" festhielten und
nicht anthropologisch und historistisch, den Blick auf die großen Männer
gerichtet – nichts "interessiere den Menschen so sehr wie der Mensch", so
Fest in Unterprimaner-Diktion 1982 - dächten: "Denn vielleicht sind es die
Söhne Adolf Eichmanns, die hier ihren Fluchtbedürfnissen nach gehen. Dieser
hatte ja, wieder und wieder, behauptet, an der moralischen Katastrophe
seines Lebens sei niemand anderes als die Gesellschaft schuld; er sei nur
immer deren Reflex gewesen. So, wörtlich, sagt das der Linke
Schicksalsglaube von heute auch," so Fest 1981 in seinem Band "Aufgehobene
Vergangenheit." Da lacht die Deutsche Stimme.
Schließlich erschien in der Berliner Zeitung
am 09. April 2005 ein Interview mit Fest, das die Deutschen in die Ecke
getrieben sieht. "Die Deutschen sind ein wunderbarer Sündenbock, und sie
spielen diese Rolle auch sehr gut." Er kramt die in rechtsextremen Kreisen,
aber durchaus auch im deutschen mainstream beliebte Figur des jüdischen
Kronzeugen hervor: Hannah Arendt, mit der Fest meint befreundet gewesen zu
sein, habe auch etwas gegen "Reue-Deutsche" gehabt. Er will nicht glauben,
dass "die Französin Simone Veiel [!] in Auschwitz sagte, sie müsse jeden Tag
beim Gedenken an die Opfer weinen". Simone Veil, Präsidentin der
französischen Stiftung Fondation pour la Mémoire de la Shoah, hatte in einer
Gedenkansprache am 27. Januar 2005 im ehemaligen Konzentrations- und
Vernichtungslager Auschwitz gesagt, dass sie immer, wenn sie an die in
Auschwitz und an anderen Orten ermordeten Millionen Kinder, Frauen und
Männer denkt, weine und sich frage: was wäre aus diesen Menschen geworden?
Welche Hoffnungen wurden da zerstört? Sie selbst wurde im April 1945 von der
Britischen Armee in Bergen-Belsen befreit. Bald wurde ihr bewußt, dass die
Deutschen nichts wissen wollten von ihren unsagbaren Leiden, von ihrer
ermordeten Familie, von den ermordeten Juden Europas. So wie der
Sozialphilosoph Hermann Lübbe 1983 sagte, dass das Beschweigen der deutschen
Verbrechen notwendig gewesen sei für die Deutschen um stabile Demokraten zu
werden, um so mehr wollen sie jetzt reden, die alten deutschen Männer und
Frauen, die ihre Ich-Schwäche allzu extrovertiert nach außen kehren im
Schwelgen ob des Reitens, Schwimmens, Wanderns und Singens bei den
gemeinschaftsorientierten Massenorganisationen des NS wie der HJ oder dem
BDM. Darüber hinaus ist, wie Esther Dischereit einmal schrieb, schon das
Bildchen auf der Wohnzimmerkommode des im II. Weltkrieg gefallenen Sohnes,
wo auf der Uniform noch das kleine Hakenkreuz oder die SS-Rune zu sehen
sind, ein allzu beredter Ausdruck der nachtrauernden Liebe zum NS. Die
(Erinnerungs)Todesanzeigen in der FAZ bestätigen das auf ihre Weise
tagtäglich.
Auf alle Fälle wollen die Deutschen 60 Jahre
nach Auschwitz ohne antifaschistische oder gar englisch-antideutsche
Kommentare ihren Untergang, ihren Hitler, ihre HJ-Generation abfeiern. Fest
bemängelt im Interview, Jugendliche wüßten zu wenig über den
Nationalsozialismus, weil sie zuviel davon erführen: "Am Tage des 60.
Jahrestages der Auschwitz-Befreiung hat ein Bekannter von mir im Fernsehen
alleine 32 Beiträge gezählt, die sich mit dem Dritten Reich beschäftigt
haben." Denn: "Auschwitz wird als eine jüdische Ikone präsentiert." Eine
Ikone ist ein Bild der Verehrung in der christlichen Malerei, dessen
Hintergründe meist in Gold gehalten werden. Man kann in Fests
ungeheuerlicher Aussage den antimammonistischen Topos der um das goldene
Kalb tanzenden Juden unschwer herauslesen. Auch hier gereicht Juden die
Verehrung einer Ikone zu Ruhm und Macht. Heute tanzen sie um Auschwitz
herum, möchte der antisemitische Deutsche insinuieren, und kriegen dafür
prompt an einem Tag 32 TV-Sendungen über 'ihre Ikone'.
Da helfen nur englische Fußball-Fans, die in
London beim Spiel Chelsea gegen München die Arme zu Flügeln ausbreiteten und
– Deutschland vor Augen - in historischer Reminiszenz Flugzeug-Fliegen
spielten. Wenigstens etwas.
hagalil.com 04-05-2005 |