Zum orthodoxen Osterfest:
Feuriger Streit im Grab Jesu
Von Ulrich W. Sahm
Vergoldete Kreuze wurden zu Schlagstöcken.
Ehe das Heilige Feuer Gottes vom Himmel herab fiel, entzündete sich am
Samstag in Jerusalem eine Massenprügelei am leeren Grab Jesu, der heiligsten
Stätte der Christenheit. Der griechische Patriarch Irineos I mit einer
goldenen Mitra auf dem Kopf raufte sich mit dem armenischen Erzbischof
Pakrad Bourjekian, während der jüdische Polizeichef Joram Halevy mit
salomonischer Weisheit sagte: "Den Streit müsst Ihr untereinander
ausbügeln."
Schon am orthodoxen Karfreitag brachten
Angestellte der Stadtverwaltung Sperrgitter. Tausend Polizisten und
Spezialeinheiten in blauer oder grauer Uniform bezogen Stellung auf Dächern
und in den engen Gassen rund um die Grabeskirche. Tausende Gläubige aus
Äthiopien, Russland und Polen sollten auf Distanz gehalten werden. Nur
10.0000 mit Sondergenehmigung wurden durchgelassen. Denn wegen uralter
Streitigkeiten hat die Grabeskirche nicht einmal einen Notausgang. Der
Haupteingang ist zudem seit Jahrhunderten zur Hälfte zugemauert. Keine der
sechs in der Grabeskirche vertretenen christlichen Konfessionen gönnt der
"Konkurrenz" neue Anrechte durch das Öffnen eines versiegelten Tores. Und
weil sie sich alle streiten, darf nur ein Moslem das Haupttor bedienen.
Schon vor dem höchsten Freudenfest der
Auferstehung Jesu war die Stimmung düster im Christenviertel der ummauerten
Altstadt. Arabische Christen demonstrierten gegen ihren griechischen
Patriarchen Irineos I, wegen des von ihm wenig glaubhaft dementierten
"Verkaufs" kostbarer Grundstücke an jüdische Investoren einer auf den
Bahamas registrierten Briefkastenfirma. Nikos Papadimas, seit Wochen spurlos
verschwunden, hat jetzt einer israelischen Zeitung bestätigt, im Auftrag des
Patriarchen Grundstücke und zwei historische Hotels beim Jaffator für 1,5
Millionen Dollar an die jüdischen Käufer für 99 Jahre verpachtet zu haben.
Das Geschäft kam 2004 zustande. "Zufällig" ratifizierte der Staat Israel mit
zweijähriger Verspätung fast zeitgleich die Wahl des griechischen
Patriarchen. Irineos I war von Israel der Nähe zu Arafat verdächtigt worden.
Das mysteriöse Geschäft mit den kirchlichen Grundstücken beschwichtigte
Israel, verwandelte aber den Patriarchen bei seinen arabischen
Gemeindegliedern in einen "Verräter".
Am Samstag nahmen die gewalttätigen
Gottesdienste ihren traditionellen Lauf. Brüllende Jugendliche, getragen auf
den Schultern ihrer Freunde, erschienen als "Prozession" mit wirbelnden
Schwertern. Wie üblich sammelten israelische Polizisten die Waffen ein.
Weiter ging es in das Gotteshaus, wo die Jugendlichen mit Trommeln und
lautem Geschrei um das leere Grab Jesu zogen. Irineos I erschien, umringt
von "Messknaben" im besten Mannesalter mit kurzgeschorenen Haaren und dem
drahtigem Auftreten durchtrainierter Sicherheitsagenten.
Gegen Mittag drohte die Stimmung zu
explodieren. Das von einem Moslem angebrachte Wachssiegel an der Tür des
Grabes Jesu war von wachhabenden Bischöfen der Griechen und Armenier
entfernt worden, während ein katholischer Fanziskaner mit brauner Kutte und
barfuß in "Jesuslatschen" (Sandalen) aufpasste. Israelische Polizisten
zückten ihre Schlagstöcke. Die Feuer-Zeremonie, von Bernhard dem Weisen,
einem Zeitgenossen Karls des Großen, erstmals beschrieben, von den Osmanen
1852 im Rahmen eines "status quo" detailliert festgelegt, konnte beginnen.
Doch als der griechische Patriarch das Grab betreten wollte, brachen Tumulte
aus. Die Gottesmänner tauschten Faustschläge aus. Die Menge brüllte.
Polizisten versuchten, die Kampfhähne in schwarzen Kutten oder
brokatbestickten Messkleidern auseinander zu halten.
Die Armenier glaubten, dass der Grieche dem
armenischen Erzbischof Pakrad den Zugang zum Grab verweigern wollte.
Armenier und Griechen hatten zuvor schon das Oberste Gericht Israels
angerufen. Jerusalem-Minister Natan Scharansky versuchte erfolglos in der
Frage zu schlichten, ob allein der Grieche oder auch der Armenier im Grab
Jesu das göttliche Feuer empfangen dürfe. Als der Armenier doch das "Edikül"
(Grabhaus) betrat, beruhigte sich die aufgeheizte Stimmung. Erzbischof
Pakrad musste aber in der Engelskammer warten. Im eigentlichen Grab dahinter
empfing der Grieche das Feuer Gottes (wie das vor sich geht, ist ein nie
gelüftetes Geheimnis). In der Engelskammer entzündete der Armenier nun sein
Kerzenbündel am Gottesfeuer, das ihm der Grieche reichte. Der Grieche wollte
hinausrennen, um seinen Gläubigen als Erster das göttliche Feuer zu
überbringen, das dann wie ein Flächenbrand innerhalb von Sekunden das
Gotteshaus mit tausenden Kerzen der Gläubigen in Licht und Rußschwaden
hüllen würde.
Doch der Liebe Gott war dem griechischen
Patriarchen nicht wohl gesonnen. Irineos I stolperte mitsamt dem brennenden
Kerzenbündel in der Hand. Die Flammen erlöschten. Erstmals seit
Jahrhunderten reichte zuerst der Armenier das göttliche Licht der
Auferstehung an die Gläubigen. Der Patriarch stürzte zurück ins Grab, um
seine Kerzen erneut zu entzünden.
Wie aus einer Kehle riefen die zehntausend
Pilger freudig: "Jesus ist auferstanden."
hagalil.com 01-05-2005 |