"Prophet und Prinzessin":
Peter Hille und Else Lasker-Schüler
Kulturgut Haus Nottbeck
In Vorträgen, Workshops, Gesprächen und zwei
Abendveranstaltungen geht das Museum für Westfälische Literatur am 8. und 9.
April 2005 im Rahmen einer zweitägigen Tagung der ebenso faszinierenden wie
irritierenden Künstlerfreundschaft zwischen Peter Hille und Else
Lasker-Schüler nach.
Sie waren eines der eigentümlichsten Paare der deutschen
Literaturgeschichte: Der "Literaturzigeuner", "Weltpilgrim", "Prophet" und
"Apostel" Peter Hille (1854-1904) und die exaltierte Else Lasker-Schüler
(1869-1945), für viele die bedeutendste deutsche Lyrikerin überhaupt. In der
Tagung am 8. und. 9. April auf dem Kulturgut Haus Nottbeck in
Oelde-Stromberg wird neben wissenschaftlichen Vorträgen zur heutigen
Peter-Hille-Forschung und zur Beziehung zwischen Hille und Else
Lasker-Schüler auch dem literarischen Text selbst Aufmerksamkeit geschenkt.
Damit soll nicht nur ein wissenschaftliches, sondern auch ein allgemein
kulturinteressiertes Publikum angesprochen werden. Initiatoren des
zweitägigen Workshops sind die Literaturkommission für Westfalen und die
Peter-Hille-Forschungsstelle der Universität Paderborn, die im Herbst
vergangenen Jahres eingerichtet wurde.
In
der alten Reichshauptstadt Berlin waren sie Stadtgespräch – Hille mit
Rauschebart und Bettlerkleidung, sie ausstaffiert wie eine orientalische
Prinzessin. Gemeinsam versuchten Hille und Lasker-Schüler, die Fesseln der
bürgerlichen Lebensweise abzustreifen und ihre literarisch-künstlerische
Existenz radikal auszuleben. Peter Hille war Else Lasker-Schülers erster
Mentor. Sie vergötterte ihn wie einen Guru und verklärte ihn in ihrem
"Peter-Hille-Buch" (1906). Ein Werk, das auch ihre literarische
Selbstfindung dokumentiert, denn unter dem Einfluss Hilles fand die
ursprünglich malende Künstlerin zum Schreiben, das immer radikalere Züge
annahm. Neben mehreren Gedichtbänden und Romanen veröffentlichte sie auch
Theaterstücke. Seit 1903 war Lasker-Schüler in zweiter Ehe mit Herwarth
Walden verheiratet, dem Herausgeber der legendären Künstlerzeitschrift "Der
Sturm". Zu ihrem Freundeskreis zählte neben Gottfried Benn auch Franz Marc.
Kristallisationspunkte solcher Beziehungen innerhalb der Künstlerszene waren
die Berliner Kaffeehäuser wie das "Café des Westens". Hier vertiefte sich
auch Else Lasker-Schülers Bekanntschaft zu dem ewig mittellosen Peter Hille,
der als Inkarnation der Berliner Boheme um 1900 gilt. Nach Wanderungen durch
Europa und den erfolglosen Versuchen, eine selbständige literarische
Existenz als Redakteur und Autor aufzubauen, lebte er seit 1895 in Berlin.
Hier schloss er sich der Künstlerkommune "Die neue Gemeinschaft" an und
unterhielt seit 1903 in dem Künstlerlokal "Dalbelli" ein eigenes
literarisches Kabarett, in dem unter anderen Lasker-Schüler auftrat.
Hille war ein Verfechter des Geniegedankens. Er sah sich
selbst als Messias, der seinen Mitmenschen reine Wahrheit einschenkte. In
seinen Briefen präsentierte er sich wie ein Abenteurer: kühnste Pläne
beflügelten ihn. Daneben stehen, ausgelöst durch jahrzehntelange
Erfolglosigkeit, Phasen tiefster Depression. Das Charakteristische seines
Oeuvres ist nicht im Vollendeten, sondern im Entwurf, in der Momentaufnahme
zu finden. Seine bevorzugte Gattung war die aus dem Moment geborene
Kleinform des Aphorismus. Seine größtenteils unausgeführten Manuskripte
führte der Dichter in Seesäcken mit sich herum. Der Hauptteil seines Werks
ging verloren oder ist nur durch Zufall überliefert. Als Unikum wurde Hille
selbst Gegenstand von Dichtung, von Gerhard Hauptmann bis Wolf Biermann.
Erich Mühsam, der Hille wie kaum ein anderer verehrte, urteilte über ihn:
"Über Peter Hille etwas zu sagen, ist sehr schwer... Peter Hille ist Peter
Hille. ...Er dichtet den Himmel auf die Erde. Was für ein weises Kind muss
dieser Dichter sein!"
Mit thematischen Schwerpunkten wie "Die Boheme",
"Textwerkstatt" und "Literaturbühne" eröffnet die Tagung verschiedene
Möglichkeiten und Perspektiven, sich dem Propheten Hille und seiner
Prinzessin Else Lasker-Schüler zu nähern. So werden u.a. Vorträge gehalten
zum literarischen Leben in Berlin um 1900, zu Hilles Prosagedichten und zur
Rezeption seines Werkes heute. Auch die literarische und persönliche
Beziehung der beiden rückt ins Blickfeld, etwa in Vorträgen zu Else
Lasker-Schülers "Peter-Hille-Buch" oder in Walter Göddens Textcollage
"Tagebuch einer Künstlerfreundschaft", die von der Studiobühne der
Universität Paderborn aufgeführt wird. Die Abendveranstaltung am 8. April
(Beginn19.30 Uhr) "Ich muss Euch alles sagen, liebet mich dafür" wirft in
unterschiedlichen Texten, vorgetragen von den Schauspielern Nina West, David
Nathan und Erwin Schastok, facettenreiche Schlaglichter auf Lasker-Schülers
Freundschaften im Berliner "Café Größenwahn". Am 9. April um 19.30 Uhr heißt
es dann zum Abschluss "Und heute geh’n wir ins... Cabarett zum Peter Hille".
Das Chansontheater "fortepiano" bietet eine heitere Revue mit Texten und
Chansons aus den Sternstunden des deutschen Kabaretts.
Bereichert wird die Tagung durch ein Rahmenprogramm mit einer
Ausstellung von Theresia Schüllner, die sich künstlerisch mit Autographen
von Else Lasker-Schüler und Peter Hille auseinandersetzt, und einer
Video-Installation von Heinrich Schürmann, die Texte, Fotos und Gemälde
Lasker-Schülers zur Anschauung bringt. Zudem werden Original-Handschriften
und Erstausgaben Peters Hilles gezeigt und Texte des "Literaturzigeuners" an
drei Hörinseln im Park des Museums zu Gehör gebracht.
Die Tagung wird am Freitag, 8. April um 15 Uhr auf dem
Kulturgut Haus Nottbeck – Museum für Westfälische Literatur in
Oelde-Stromberg eröffnet. Am Samstag, 9. April, beginnt das Programm um 9.30
Uhr. Die Teilnahmegebühr beträgt für zwei Tage 25,- EUR (inklusive
Verpflegung). Die Eintrittspreise für die Abendveranstaltungen betragen
jeweils 10,- EUR, ermäßigt 8,- EUR. Informationen und Anmeldung im Museum
für Westfälische Literatur.
Museum für Westfälische Literatur - Kulturgut Haus
Nottbeck
Landrat-Predeick-Allee 1
59302 Oelde-Stromberg
Öffnungszeiten:
Dienstag – Freitag: 14.00 – 18.00 Uhr
Samstag, Sonntag und an Feiertagen: 11.00 – 18.00 Uhr
Weitere Informationen:
www.kulturgut-nottbeck.de
hagalil.com 04-04-2005 |