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Rechter Marxismus:
Diskurspiraterie

oder Wie Alain de Benoist mit Costanzo Preve Marx vom Marxismus befreit

Von Alfred Schobert

"Befreien wir Marx vom Marxismus!" prangte zum Jahreswechsel als Parole auf der Titelseite der Zeitschrift "Éléments - Pour la civilisation européenne". Ein merkwürdiger Anblick in Buchläden, deren Zeitschriftenständer gefüllt sind mit Kampfblättern französischer und belgischer Jungfaschisten, Strategieorganen in die Jahre gekommener europäischer Geopolitiker, Geschichtsmagazinen von Identitätsfanatikern der Gattungen "regional", "national" und "indoeuropäisch" sowie Druckwerken von bis zur Schreibfähigkeit alphabetisierten Anhängern des Front National. "Libérons Marx du marxisme!" auf einem bei Andy Warhol abgekupferten Cover, in der Buchhandlung eines kürzlich erst wegen Rassismus zu einer Haftstrafe verurteilten Antisemitica-Dealers: Verkehrte Welt? Jenseits von links und rechts?

Es wäre zu einfach, das Marx/ismus-Dossier der "Éléments" als jüngsten Werbe-Gimmick der Nouvelle Droite abzutun. Bliebe der Autorenkreis dieser Ausgabe der "Elemente - Für eine europäische Zivilisation" auf das übliche Personal der "Neuen" Rechten beschränkt, könnte man sich mit dem Spaß begnügen, die Reaktionen der weniger innovativen rechten Kameraden zu simulieren und später die tatsächliche Resonanz im Abgleich mit den Prognosen zu beobachten. Wer wird behaupten, dass er doch schon immer gesagt habe, Alain de Benoist sei ein U-Boot der internationalen Freimaurerei? Und wer, er habe schon länger geahnt, dass dieser heidnische Okkultist mit den Mächten der Zersetzung im Bunde stehe? Die Operation, Marx vom Marxismus zu befreien, bekommt ihren speziellen Drive erst durch den erfolgreichen Brückenschlag zur Linken. Dazu machte sich der italienische marxistische Philosoph Costanzo Preve erbötig. Ein langes Gespräch zwischen ihm und de Benoist rundet das Dossier ab. Damit manifestiert sich nun auch in der französischen Debatte, was Preve in Italien vor einiger Zeit schon vollzogen hat: eine Kooperation mit der "Neuen" Rechten, die sich in Italien auch in manchen Aktionen am Rande der Antikriegsbewegung niederschlug – mit einigen Ablegern auch in Deutschland. (1)

Die ostentative Inbesitznahme von Marx ist nicht der erste Versuch der Nouvelle Droite, eine genuin linke Theorietradition zu kapern. Diskurspiraterie ist eine durchgängige Praxis in der Weltanschauungsproduktion Alain de Benoists und seiner Mitstreiter vom Groupement de  Recherche et d'Étude pour la Civilisation Européenne (GRECE), seit sie als "Neue" Rechte in Erscheinung treten. Die Beutestücke werden dann als Halbfabrikat im Diskursmix untergebracht. Viel mediales Getöse erzeugte bereits ihre deklarierte Vereinnahmung Antonio Gramscis. "Für einen Gramscianismus von rechts" lautete der Titel eines Kolloquiums des GRECE. Die proklamierte "Kulturrevolution von rechts" machte als Slogan international die Runde. (2) Zu den frühen Importeuren gehörte, was in den zahllosen Publikationen der von der vermeintlichen "Intellektualisierung" der Rechten gebannten Rechtsextremismus-Forschung zumeist übersehen wurde, ein wahrlich nicht wegen seiner Intellektualität berüchtigter deutscher Nazi: Michael Kühnen propagierte eine "Deutsche Kulturrevolution" gegen Materialismus und Amerikanismus, wobei ihm die USA als eine Marionette Israels und des Judentums galten. (3)

Zu den medialen Erfolgsbedingungen dieses Coups der "Neuen" Rechten gehörte allerdings die große Ahnungslosigkeit der Kommentatoren und des Publikums, die sich einreden ließen, es handle sich um eine durchdachte Rezeption Gramscis. Bei genauerem Hinsehen war zu erkennen, dass das neurechte Gerede von "kultureller Hegemonie", "Metapolitik" und "Kulturrevolution von rechts" zumeist auf eine seltsame Spiritualisierung von Gramscis materialistischem Konzept hinauslief. Armin Mohler, einflussreicher Importeur de Benoists, plauderte dies unfreiwillig aus, als er die "fatale Tatsache" benannte, dass "der Geist die Welt regiert" und hinzufügte: "Wer es Gramsci nicht glaubt, sollte es wenigstens dem Meister Eckhart glauben." Der frühere Adlatus de Benoists, Guillaume Faye, gab in seiner Abrechnung mit dem GRECE dann auch zu, man habe Gramsci nicht gelesen.

Die aktuelle Operation, Marx durch die Mühle neurechter Weltanschauungsproduktion zu drehen, unterscheidet sich vom proklamierten "Gramscianismus von rechts" allerdings darin, dass bei Gramsci lediglich Methodisches abgekupfert werden sollte. Der Umgang mit Marx zielt indes auf den Gehalt seiner Kapitalismuskritik, und das mag auch altgediente Adepten de Benoists doch vor den Kopf stoßen. Ein älterer Text de Benoists, der unter dem beschaulichen Titel "Der Konflikt der antiken Kultur mit dem Urchristentum" 1981 im ersten, "Alternativen zum Prinzip der Gleichheit" präsentierenden Sammelband des Thule-Seminars erschien, wurde Marx auf der Seite des Feindes situiert. Der Chefideologe der Nouvelle Droite schloss sich hier Louis Rougiers Behauptung an, "daß die revolutionäre Ideologie, der Sozialismus, die Diktatur des Proletariats aus dem Pauperismus der Propheten Israels stammten. In der Kritik der Mißbräuche des Ancien régimes durch die Redner der Französischen Revolution, in den Prozessen, die die Kommunisten unserer Tage den kapitalistischen Religionen machen, erschallt das Echo der wilden Schmähungen von Amos und Hosea gegen das Leben dieser Welt, wo die Reichen frech den Gerechten unterdrücken und den Armen erpressen, in derselben Weise wie früher der bittere Tadel der jüdischen und christlichen Apokalypsen am römischen Imperium.

Da gehörte Marx also in die Tradition jüdischer Propheten und (früh)christlicher Zersetzer des Römischen Reiches, war also, wie es im frischgeprägten Jargon hieß, Prophet des im "Judäo-Christentums" begründeten "Egalitarismus". Der französische Originaltitel dieses Textes, "Der ›Bolschewismus der Antike‹", ruft unvermeidlich Dietrich Eckarts Titel "Der Bolschewismus von Moses bis Lenin in Erinnerung"; das war - so der Untertitel - ein "Zwiegespräch zwischen Adolf Hitler" und dem Autor, der dann in "Mein Kampf" als Märtyrer der Bewegung gefeiert wurde. Der Buchversand der "Éléments" bietet bis heute de Benoists Aufsatzsammlung mit der Juden-Christen-Bolschewisten-Schelte sowie seinen Referenztext, Louis Rougiers Buch "Celse contre les chrétiens", an. Das Editorial der "Éléments" lässt offen, wie de Benoist und seine Anhänger heute zu dieser Marx-Schelte stehen. Da heisst es nur unverbindlich, man habe Marx vieles vorgeworfen, neben Ökonomismus und anderen Dingen auch Topoi christlicher Verheißung, nämlich Paradies und Parusie. "Viele dieser Vorwürfe waren zweifellos begründet", heißt es weiter, ohne zu präzisieren, welche gemeint sind. So läßt sich der rechte Diskursmix anreichern, ohne dass er entrümpelt werden muss – intellektuelle Kohärenz spielt bei solcher Weltanschauungsproduktion nur eine untergeordnete Rolle.

In zwei Beiträgen des Dossiers steigt James Becht, zuvor kaum als Autor auffällig geworden, ins Kostüm des wahren Marx-Interpreten. Als solcher verteidigt er nun die wahre Lehre gegen Abweichungen. Marxisten mögen sich die Augen reiben, wenn sie das lesen, doch es ist so: Der Hauptautor des Dossiers der "Éléments" hält die Fahne der Werttheorie hoch und geht mit Marxisten, die von ihr (d.h. selbstverständlich von seiner Interpretation der Werttheorie) abweichen, hart ins Gericht. Die Ziele seiner Kritik sind, nicht ungeschickt, international ausgewählt: die "revolutionäre Kabbala" der Zeitschrift "Tiqqun", die Nürnberger Krisisgruppe und die Autorinnen der französischen Zeitschrift "Actuel Marx". Ersparen wir uns hier die scholastische Übung zu erklären, wer wo wie gegen wen Recht behält und warum, wenn beispielsweise Becht mal eben die Krisisgruppe, deren "Manifest gegen die Arbeit" er an anderer Stelle kritisiert, gegen "Actuel Marx" in Anschlag bringt. Bechts Beiträge sind allerdings nur die Pflichtübung für die Kür: den Paarlauf des neurechten Chefideologen mit einem "kritischen Kommunisten".

Costanzo Preve (Jahrgang 1943) ist in der europäischen marxistischen Diskussion kein Unbekannter. Nicht nur in Italien hat er sich mit philosophiehistorischen und theoretischen Werken sowie aktualitätsbezogenen Interventionen, so einer harschen Kritik des "ethischen Bombardements" gegen Jugoslawien, einen Namen gemacht. Auch über die Landesgrenzen hinaus: In der französischen marxistischen Diskussion ist Preve durch einige Aufsätze in Sammelbänden und Zeitschriften präsent. Seine deutschsprachige Rezeption beschränkt sich indes zumeist ausgerechnet auf die problematischen Seiten seiner politischen Interventionen.

Einige Aufsätze und Interviews Preves erschienen in der österreichischen Zeitschrift "Bruchlinien" sowie der Berliner Tageszeitung "Junge Welt". So wurde er auch zu einem der wenigen Referenzautoren im Antiamerikaner-Katechismus, den Wilhelm Langthaler und Werner Pirker unter dem Titel "Ami go home" vorlegten. Preve dient den beiden österreichischen Volkswiderstands-Ideologen als philosophischer Gewährsmann. Er kommt zum Einsatz, um missliebigen Antifaschismus abzuwatschen, Antifaschismus nämlich, der Antisemitismus nicht auf ein bloßes Epiphänomen der offen-terroristischen-Diktatur-der-reaktionärsten-chauvinistischsten-am-meisten-imperialistischen-Elemente-des-Finanzkapitals reduziert, der daher für sein (Wieder-) Erstarken auch in Gestalt des Antizionismus innerhalb der Linken sensibel ist und der Antisemitismus auch in der Mélange mit ideologischem Antiamerikanismus erkennt. Wobei, wie gegen so manche schrecklichen Vereinfacher sowohl unter Kriegsbefürwortern in der Linken als auch in der Antikriegsbewegung betont werden muss, ideologischer Antiamerikanismus etwas anderes ist als sachlich begründete Kritik an imperialer US-Kriegspolitik.

Preve ebnet nicht nur diesen Unterschied ein, sondern geht in seiner Publikationspraxis gleich den nächsten Schritt. Der führt ihn zur extremen Rechten. Zwei neuere italienische Publikationen Preves erschienen im Verlag Settimo Sigilo ("Das siebte Siegel"). Wer den Verlagsnamen mit den Anfangsbuchstaben abkürzen will, liegt so völlig falsch nicht. Preve reiht sich hier ein zwischen Größen wie dem faschistischen Philosophen Julius Evola und dem Hitler-Apologeten David Irving. Preves Aufsatzsammlung "L'ideocrazia imperiale americana. Una resistenza possibile" ("Die imperiale amerikanische Ideokratie. Ein möglicher Widerstand") erschien als erster Band der "Reihe Anamericana" ("Collana Anamericana"). Der zweite Band der Reihe ist eine Sammlung jüngerer Texte Alain de Benoists; deutsche Übersetzungen einiger der dortigen Aufsätze erschienen in Bänden im Hause Grabert und im Verlag der "Jungen Freiheit". Diese Texte bildeten den theoretischen Hintergrund für de Benoists Terrorerklärung vom 20. März 2003. (4)

Zeitgleich mit dem Erscheinen der "Éléments" wurde die Publikation eines weiteren Buches aus Preves Produktion angekündigt: "Filosofia del presente. Un mondo alla rovescia da interpretare" ("Philosophie der Gegenwart. Eine Welt im Umsturz, die der Interpretation bedarf"), wiederum im Verlag Settimo Sigilo. Dessen Titelillustration stammt sehr passend von A. Paul Weber. Weber und seine Anhänger strickten sich nach 1945 eine "Widerstands"-Legende, auf die bis heute viele reinfallen. (5) Ironischerweise könnten die hiesigen Weber-Verharmloser an dem Punkt denn doch aus de Benoists Texten lernen:  Der konnte es in seinem Nachruf auf Weber nicht lassen, ein wenig Klartext zu reden, denn was nützte die metapolitische historische Kulturarbeit, wenn - bei Stillschweigen über zu deftig Nazistisches - nicht doch der stramm rechte politische Gehalt durchkäme? Ernst Niekischs "Widerstands"-Publikationen, für die Weber Illustrationen geliefert hatte, war zuerst und vor allem Widerstand gegen die Weimarer Republik. Niekischs Großraumvorstellungen konnten mit dem Größenwahn nazistischer Geopolitiker durchaus mithalten, und sein Antisemitismus unterschied sich von dem der Nazis nur darin, daß er auf dem Papier blieb.

Die Edizioni all'insegna del veltro des zum Islam konvertierten Faschisten Claudio Mutti in Parma kündigten derweil in der neuesten Ausgabe des dem Eurasianismus verschriebenen Internet-Bulletins "La Nazione Eurasia" die Vorbereitung eines weiteren Bandes von Preve an: "Geopolitica e filosofia. Eurocentrismo, euroatlantismo, eurasiatismo".

Kommen wir vom Publikationskontext Preves zum Text, seinen Behauptungen und Argumenten. Viele der einzelnen Aussagen Preves im Gespräch mit de Benoist wären innerhalb des intern ausdifferenzierten und faktisch trotz der Hitze mancher Gefechte pluralistischen Feldes marxistischer Diskussion nicht sonderlich auffällig. In einer marxistischen Debatte ohne Großen Steuermann, Zentralkomitees, die über Machtmittel verfügen, und sanktionsbefugte Chefideologen müsste es Routine sein, sie mit Gründen zu bestreiten, zu modifizieren oder gutzuheißen. Einige seiner Positionen aber sind, zumal im Publikationskontext der "Éléments", bemerkenswert und anstößig.

Über den so nötigen wie unvermeidlichen theoretischen Streit um Thesen des Buches Empire geht Preves Polemik gegen Michael Hardt und Antonio Negri hinaus. "Wenn ich die drei grundlegenden Bücher zur Apologie des Kapitalismus nennen müsste, die in den letzten Jahren erschienen sind, würde ich auf Fukuyamas Das Ende der Geschichte, Huntingtons Kampf der Kulturen und Empire von Negri und Hardt verweisen." Hardts und Negris antinationale Position niederzumachen und "nationale Befreiung" und den "Befreiungskampf der Völker" gegen den Hauptfeind, den US-amerikanischen Imperialismus, zu wenden, war schon 2003 Preves Thema beim Campo Antiimperialista in Assissi, das getragen wurde von Gruppen, die nun "10 Euro für das irakische Volk im Widerstand" sammeln. Diese Haltung Preves kommt de Benoist und seinen Kameraden sehr entgegen; hier trifft sich Preves auf die "Befreiung der Völker" zielender Antiimperialismus mit der Völkerbefreiungs-Ideologie de Benoists. Während nämlich Negri und Hardt die Versuche einer (beispielsweise nationalstaatlichen) Wiederverortung ("Reterritorialisierung") als Basis des Widerstands gegen die kapitalistische Globalisierung kritisieren, setzt de Benoist auf "Verwurzelung".

Wo die Wurzeln zu schlagen sind, wo die "Heimat" liegt, macht de Benoist im Editorial deutlich: "Von Marx zu Heidegger" ist der mit seinem Pseudonym Robert de Herte gezeichnete Text überschrieben. Die Wegmarkierung des Titels ist eindeutig. Marx wird über einen Heideggerschen Leisten gezogen: "Was Marx 'Kapital' nennt, nennt Heidegger 'Ge-stell': die Unterwerfung alles Seienden unter dem Gesichtspunkt der verallgemeinerten Produktion, das heißt die planetarische Ausbreitung des Uneigentlichen (im Original l'inauthentique; A. S.). (...) Die beiden Denkwege kritisieren den Kapitalismus von unterschiedlichen Prämissen her, treffen sich aber im selben Aufruf, sich vom Uneigentlichen (Selbstentfremdung) zu befreien." Wenn de Benoist an dieser Stelle Marx in Heidegger hinein-"liest" (oder umgekehrt), wie man zwei Dias übereinanderprojiziert, kommen ihm Übersetzungsprobleme der deutschen Originale ins Französische zupaß. Die Übersetzung der Heideggerschen Entgegensetzung von Eigentlichem und Uneigentlichem mit "authentique" und "inauthentique" nimmt den Worten nicht nur den Muff des Jargons – man denke daran, dass Adorno, der Kritiker des "Jargons der Eigentlichkeit", der Authentizität als "Wort aus der Fremde" die "Sprengkraft der Aufklärung" zuschrieb. Sie erleichtert auch die Annäherung an Marx' Begriff der "Selbstentfremdung", den de Benoist in deutsch anfügt und ebenfalls mit "l'inauthentique" übersetzt.

Bezugspunkt für de Herte/de Benoist ist Heideggers strategisch geschickte Verbeugung vor Marx im "Brief über den 'Humanismus'": "Was Marx in einem wesentlichen und bedeutenden Sinne von Hegel her als die Entfremdung des Menschen erkannt hat, reicht mit seinen Wurzeln in die Heimatlosigkeit des neuzeitlichen Menschen zurück. Diese wird, und zwar aus dem Geschick des Seins in der Gestalt der Metaphysik hervorgerufen, durch sie verfestigt und zugleich von ihr als Heimatlosigkeit verdeckt. Weil Marx, indem er die Entfremdung erfährt, in eine wesentliche Dimension der Geschichte hineinreicht, deshalb ist die marxistische Anschauung von der Geschichte der übrigen Historie überlegen." So spielte Heidegger auf eine "Dimension" an, innerhalb derer "ein produktives Gespräch mit dem Marxismus möglich" werde.

Auf dieses "produktive Gespräch" beruft sich das Editorial der "Éléments", als finde es nun im Dossier statt: de Benoist und Preve im von Heidegger vorprogrammierten Gespräch. Dem sei hier nicht widersprochen, doch sei, um im Jargon zu bleiben, ein "Wink" hinzugefügt. Heidegger situiert im "Humanismus"-Brief dieses "Gespräch" in einer geschichtlichen Sendung Europas, in Abgrenzung zu Kommunismus und Amerikanismus. Das ist nichts anderes als die der Niederlage Deutschlands geschuldete leichte Reformulierung seines Programms von 1935. In seiner Freiburger Vorlesung "Einführung in die Metaphysik" hatte Heidegger dem Deutschen Reich und den Deutschen als Volk der "Mitte" jene historische Mission zugesprochen, die er später auf Europa übertrug. (6) Da knüpft de Benoist an. Mag bei Heidegger das Ausweichen auf "Europa" vor allem der Diskreditierung des deutschen Anspruchs infolge der militärischen Zerschlagung des Nazismus geschuldet gewesen sein, kommt de Benoist die großräumige Konzeption insofern entgegen, als er lange schon den Nationalstaat als zu kleinen Rahmen im Kampf gegen "Entwurzelung" und "Entortung" durch Globalisierung erkannt hat. Sein Zauberwort für die Organisation Europas bleibt, wie er es in den vergangenen Jahrzehnten an verschiedenen historischen Vorbildern vom Karolinger-Mythos bis zum imperialen Mythos Arthur Moeller van den Brucks und den Großraumvorstellungen Carl Schmitts durchgespielt hat, das Reich. Und darüber lässt sich, wie man sieht, mittlerweile auch mit Antiimperialisten reden.

Eine etwas kürzere Fassung erschien unter dem Titel "...und fette Beute" in Konkret 3/2005.

Anmerkungen:
(1) V
gl. zu den kruden Allianzen in Italien Alfred Schobert: Wurzeln finden, Reich erneuern, "Ami go home!" – Die Europa-Vorstellung Alain de Benoists. In: ders./Siegfried Jäger (Hg.): Mythos Identität. Fiktion mit Folgen. Münster: Unrast 2004, S. 31-60, hier S. 52-56.
(2)
Vgl. Alfred Schobert: Kulturrevolution, völkisch und (neo)nationalistisch. aus der Diskursgeschichte eines vormals verpönten Signifikanten. In: kultuRRevolution – Zeitschrift für angewandte Diskurstheorie H. 45/46 (Mai 2003), S. 154-162.
(3)
Vgl. Alfred Schobert: Ein Wunschfeindbild für die Kriegs-Legitimierung. Die "deutsche Kulturrevolution" gegen "Amerikanismus". In: Graswurzelrevolution H. 276 (Feb. 2003), S. 7 (http://www.graswurzel.net/276/nazi.shtml).
(4)
Vgl. den Wortlaut des Communiqués und die Darstellung seiner internationalen Rezeption in Martin Dietzsch/Siegfried Jäger/Helmut Kellershohn/Alfred Schobert.: Nation statt Demokratie. Sein und Design der "Jungen Freiheit". Münster: Unrast 2. Aufl. 2004, S. 141-155.
(5)
Vgl. zu einem jüngeren Fall Alfred Schobert: auf rechts gehen? Warum A. Paul Weber kein Vorbild für eine emanzipatorische Bewegung sein kann. In: Graswurzelrevolution H. 261 (Sept. 2001), S. 17 (http://www.graswurzel.net/261/weber.shtml).
(6)
Vgl. zu Heideggers "Mitte"-Lehre Alfred Schobert: Mitte und Normalität. Zur Gleichzeitigkeit von moderner Kollektivsymbolik und tradioneller institutionalistischer Symbolik. In: Ernst Schulte-Holtey (Hg.): Grenzmarkierungen. Normalisierung und diskursive Ausgrenzung. Duisburg: DISS 1995, S. 53-73, hier S. 61-65.

hagalil.com 01-04-2005

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