Nazareth:
Das erste arabische Holocaustmuseum
Von Ulrich W. Sahm
"Meine Frau hat Angst. Sie glaubt, dass ich umgebracht
würde. Aber meine Kinder unterstützen mich voll." Khaled Kasab Mahameed, 43,
von Beruf Anwalt, hat mitten in Nazareth, nahe dem Marienbrunnen, das erste
"Holocaust-Museum" in der arabischen Welt eröffnet. In einem Saal und einem
Flur stellt er achtzig von der Gedenkstätte Yad Vaschem erworbene Fotos des
europäischen Massenmordes an den Juden aus. "Wenn Araber mit Bildern des
Holocaust konfrontiert werden, tendieren sie dazu, den Genozid zu leugnen
und jenen, der ihnen die Bilder vorhält, für einen Verräter zu halten", sagt
Mahameed.
Ohne jede Zeremonie öffnete er sein Museum ausgerechnet am
15. März, als 40 Staatspräsidenten, Regierungschefs und Minister, darunter
auch Bundesaußenminister Joschka Fischer, nach Jerusalem gekommen waren, um
das neue Museum in Yad Vaschem zu eröffnen. Mahameed fürchtete Widerstand
gegen seine Privatinitiative, in die er 4000 Euro aus eigener Tasche
investiert hat.
Mahameed hat in Jerusalem an der Hebräischen Universität Jura
studiert und stieß so auf den Holocaust. Durch die Begegnung mit jüdischen
Israelis wurde ihm klar, dass "das Wissen um den Holocaust ganz tief im
Herzen eines jeden Juden steckt". Aber erst im vergangenen November kam er
auf die Idee, diese Erfahrung umzusetzen. " Der Holocaust ist für mich der
Schlüssel zum Frieden. Die Araber und besonders die Palästinenser müssen die
Bedeutung des Holocaust verstehen. Erst wenn die Juden bemerken, dass sie
den Holocaust auch durch die Augen der Palästinenser erkennen können, werden
beide Völker zueinander finden." Der Holocaust stehe im Mittelpunkt der
arabischen und palästinensischen Tragödie. Jeder, der die Politik in Israel
oder in der Welt beeinflussen will, muss über den Holocaust bescheid wissen,
denn das ist die Grundlage für die internationale Politik gegenüber Israel
und dem Nahen Osten. Mahameed sagt: "Israel wurde auf der Asche des
Holocaust errichtet. Die Juden in aller Welt sehen Israel so. Wenn ich das
als Araber nicht verstehe, unterliege ich falschen Kalkulationen und das
führt mich zu Fehlschlüssen."
Die amerikanische Anti-Diffamation-League (ADL) begrüßte die
Initiative als einen "ersten Schritt, die arabische Welt über den
einzigartigen Horror der Vernichtung des europäischen Judentums" zu
erziehen. Gleichwohl stört es diese gegen Rassismus kämpfende Organisation,
dass Mahameed auf seiner Homepage behauptet: "Die Palästinenser zahlten den
Preis für den Holocaust." ADL behauptet, dass diese Ansicht die Grundlage
für arabischen Antisemitismus und des Wunsches sei, Israel zu zerstören.
Mahameed weist diese Kritik als "völlig unbegründet" zurück.
Nur wenn die Araber durch Kenntnis und Verstehen des
Holocaust jüdische Ängste zerstäuben könnten, werde das "Klima für einen
echten Dialog" entstehen. Erst dann könnten die Araber auch mit Verständnis
für das palästinensische Leiden durch die Juden rechnen. So könne
"hoffentlich" auf eine friedliche Lösung des Konflikts hingearbeitet werden
und auf ein Ende der Diskriminierung als Minderheit.
Mahameed habe sein Projekt ohne jede Hilfe von Außen
aufgebaut. Jetzt wolle er sich an den deutschen Botschafter in Tel Aviv
wenden, ist aber ungewiss, wie der wohl reagieren werde. "Denn ich habe auch
für die Deutschen eine wichtige Botschaft. Erst wenn die Deutschen die volle
Bedeutung des Holocaust verinnerlichen, werden sie sich ihrer Schuldgefühle
entledigen können."
Auf seiner Homepage
www.alkaritha.org
(alkaritha bedeutet auf Arabisch "Holocaust") veröffentlicht er Pläne für
die Zukunft, "die ich mangels Zeit noch nicht umsetzen konnte". Immerhin hat
er schon eine arabische Broschüre über den Holocaust in einer Auflage von
2000 Exemplaren veröffentlicht. Künftig will er auf Vortragsreise durch
arabische Städte und Dörfer gehen und seine Ausstellung in arabische Schulen
in Israel bringen. Er will eine Stiftung gründen, die Araber bei der
Erforschung des Holocaust fördern soll. Schließlich plant er einen
Dokumentarfilm über sein Projekt und seine Aktivitäten.
Mahameed, der sich als Palästinenser, Araber und israelischer
Staatsbürger definiert, versteht die israelischen Behörden nicht. So werde
in arabisch-israelischen Schulen der Holocaust "überhaupt nicht gelehrt.
Arabische Geschichtsbücher, vom israelischen Erziehungsministerium
herausgegeben, widmen dem Thema nur eine halbe Seite". Dabei, so Mahameed,
gebe es doch kaum einen Aspekt in den arabisch-israelischen Beziehungen, der
nicht irgendwie vom Holocaust überschattet sei.
Mahameed geht sogar noch einen Schritt weiter und versteht
nicht, weshalb zwanzig Prozent der israelischen Staatsbürger, die arabische
Minderheit, automatisch vom Militärdienst ausgeschlossen bleibe. Eine volle
Beteiligung der Araber am Leben in der israelischen Gesellschaft hält
Mahameed ebenfalls für einen notwendigen "Schlüssel zum Frieden" zwischen
Israel und der arabischen Welt sowie zwischen der jüdischen Gesellschaft und
der arabischen Minderheit Israels.
Mahameed ist freilich nicht der erste israelische Araber mit
dem Bewusstsein, nur durch Verständnis des Holocaust eine Verständigung
zwischen Juden und Arabern für möglich zu halten. Schon im Jahr 2003 reisten
jüdische und arabische Israelis gemeinsam nach Auschwitz. Die Initiative
dazu ging von Archimandrit Emil Schufani aus Nazareth aus. Schon vor der
Intifada initiierte Henning Niederhoff, damals Leiter der Konrad Adenauer
Stiftung in Ramallah, Besuche von Palästinensern aus Ramallah in der
Jerusalemer Gedenkstätte Yad Vaschem. Doch die Mehrheit der Araber leugnet
weiterhin die Verbrechen der Nazis an den Juden, was sie nicht daran
hindert, die heutigen Israelis "schlimmerer Verbrechen als die Nazis" zu
bezichtigen. Darauf angesprochen, lacht Mahameed laut: "Das ist in der Tat
ein absurder Widerspruch. Das zeigt nur, wie wir Araber die Wirklichkeit
falsch interpretieren."
hagalil.com 21-03-2005 |