Wer den Rechtsextremismus wirksam
bekämpfen will, sollte nicht nur die Politik der Rechten ächten. Wichtig ist
auch, die bestehenden Initiativen gegen rechts zu fördern
Von Heike Kleffner
Den Sonntagsreden gegen rechts und dem aufgeregten Streit
über ein NPD-Verbot fehlt es politisch und materiell an Substanz. Politisch,
weil weder den Rechtsextremisten noch ihren WählerInnen auf ideologisch
umkämpftem Terrain Grenzen gesetzt werden. Und materiell, weil die
existierenden Projekte gegen rechts in den neuen Bundesländern finanziell
über das Jahresende 2005 nicht abgesichert sind.
Wollte man den Rechtsextremismus wirksam bekämpfen, müsste man
deren Antisemitismus, Rassismus, Nationalismus und Autoritarismus politisch
ächten. Dazu bedarf es des Mutes, bundesweit gut 10 Prozent der WählerInnen
nicht zu bedienen, die inzwischen bereit sind, die extreme Rechte zu wählen.
Für diese Haltung ist es notwendig, sich vor Augen zu führen, dass neben
linken und alternativ orientierten Jugendlichen vor allem MigrantInnen und
Flüchtlinge Opfer rechter Gewalt werden. Alltägliche Diskriminierung und das
Verwehren von gleichen Rechten gehen Hand in Hand mit rechter Gewalt.
In Magdeburg etwa waren im vergangenen Jahr zwei Drittel der
Opfer rechter Gewalt MigrantInnen und Asylsuchende. Die meisten von ihnen
wurden im öffentlichen Raum angegriffen. So wie Christopher D. aus Sierra
Leone: Im Januar 2004 pöbelten drei junge Männer den Asylsuchenden zunächst
an und warfen ihm dann eine Flasche an den Kopf. Oder wie die Exilirakerin
Alija D.: Im Juni 2004 bedrohte ein stadtbekannter Rechtsextremist sie,
ihren Mann und ihr kleines Kind in Quedlinburg mit einer Bierflasche, weil
sie ein Kopftuch trug.
Alijah D. und Christopher D wurden jetzt von den
Ausländerbehörden aufgefordert, Deutschland zu verlassen. Alijah D. soll in
den seit kurzem als sicher deklarierten Irak zurückkehren; Christopher D. in
das Bürgerkriegsland Sierra Leone. Die Täter, die Christopher D. und Alijah
D. angriffen, dürfen davon ausgehen, sie hätten den Willen eines immer
größer werdenden Teils der deutschen Gesellschaft vollstreckt.
In seiner jüngsten Studie
"Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" stellt der Bielefelder
Soziologe Wilhelm Heitmeyer fest, dass über 30 Prozent der Befragten der
Aussage "Es leben zu viele Ausländer in Deutschland" zustimmen. Für die
Rechten ist die Ausweisungsandrohung der Ausländerbehörden nachträgliche
Bestätigung ihres gewaltsamen Vorgehens.
An diesem Punkt können Politiker die Verantwortung nicht auf
die Zivilgesellschaft abschieben. Hier geht es nicht um "vorpolitische
Initiativen", sondern um politisches Handeln. Den Tätern, ihren Freunden und
klammheimlichen oder offenen Sympathisanten müssen Grenzen gesetzt werden.
Dafür braucht man keine NPD-Verbotsdebatte zu führen oder das
Strafgesetzbuch zu verschärfen. Es bedarf nur einer schlichten Erkenntnis:
Deutschland ist zu einem Einwanderungsland geworden. Diese Einsicht muss
gerade jetzt gegen den rechten Mainstream durchgesetzt werden.
Was muss praktisch passieren? In einem ersten Schritt durch
einen Innenminister-Erlass sollten Opfer rechter, rassistischer und
antisemitischer Gewalt ein Bleiberecht in Deutschland erhalten. Und in einem
zweiten Schritt rund eine Millionen MigrantInnen ohne Aufenthaltsrecht ein
legaler Aufenthaltsstatus angeboten werden. Dass dies möglich ist, hat das
sozialdemokratisch regierte Spanien gerade vorgemacht.
Offenkundig ist: Rassisten zu belohnen und gleichzeitig
rechtsextreme Parteien zu verbieten, stärkt nur die Rechten. Das ist die
wesentliche Lehre aus den politischen Reaktion auf die erste Welle
rassistischer Gewalt im wiedervereinigten Deutschland Anfang der
1990er-Jahre. Mit dem Verbot von Neonazi-Organisationen wie der
Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) und der Nationalistischen
Front (NF) wurde das Fundament für das Wiedererstarken der NPD gelegt. Das
zeigt der beachtliche FAP- und NF-Kaderstamm in der heutigen NPD.
Gleichzeitig schafften CDU/CSU, FDP und SPD mit dem so
genannten Asylkompromiss das Grundrecht auf Asyl de facto ab und machten
damit letztlich die Forderungen der rassistischen Brandstifter zur
Regierungspolitik. Heute ist die Zahl der Asylsuchenden auf den niedrigsten
Stand seit Mitte der 80er-Jahre gesunken. Die Zahl der rechten Gewalttaten
dagegen hat sich auf hohem Niveau stabilisiert. Auch die Mobilisierung
rassistischer Ressentiments gehört noch immer zu den Kernelementen
rechtsextremer und rechtspopulistischer Kampagnen. Derzeit geschieht das
unter dem Deckmantel des Protests gegen Arbeitslosigkeit unter dem Motto
"Deutsche Arbeitsplätze nur für Deutsche" oder als Kampf der Kulturen.
Spätestens seit der sächsischen Landtagswahl müsste den
Volksparteien eigentlich aufgefallen sein, dass es sich wirklich nicht mehr
rechnet, rassistische WählerInnen integrieren zu wollen. Denn die wählen
längst die Parteien, denen sie die unverfälschte Umsetzung ihrer
Einstellungen zutrauen.
An Konsequenz mangelt es auch an anderer Stelle: bei der
finanziellen Absicherung der existierenden Projekte gegen rechts. Je lauter
der Ruf nach der Zivilgesellschaft, desto weniger will man in den Ländern
offenbar dafür investieren. Null Geld für null Toleranz gegen rechts - das
scheint der gemeinsame Nenner gerade im Osten: In Brandenburg etwa wurde
bekannt, dass die rot-schwarze Landesregierung die Fördermittel für ihr
eigenes Handlungskonzept "Tolerantes Brandenburg" drastisch kürzen will. Der
Verein "Opferperspektive", der seit Ende der 90er-Jahre Betroffene
rechtsextremer Gewalt in Brandenburg unterstützt, soll überhaupt kein Geld
mehr vom Land erhalten.
In Sachsen plant die schwarz-rote Koalition ein Landesprogramm
für mehr Weltoffenheit. Von den 2 Millionen Euro Budget, sind knapp 40
Prozent für Öffentlichkeitsarbeit, sprich Imageberatung gegen rechts,
eingeplant; eine halbe Million Euro sollen Experten von außen erhalten. Man
darf gespannt sein, mit welchen Brosamen die existierenden Initiativen und
Vereine am Ende abgespeist werden.
In Sachsen-Anhalt will Ministerpräsident Manfred Böhmer (CDU)
"Initiativen im vorpolitischen Raum" installieren. Von deren Finanzierung
spricht hier noch niemand. Doch selbst auf eine Einladung des
Ministerpräsidenten zu einem Gespräch warten die schon aktiven Vereine gegen
rechts bislang vergeblich.
Über Verbote Fakten schaffen und Überzeugungsarbeit leisten -
dieses derzeit oft propagierte Programm der Politik offenbart vor allem
Hilflosigkeit und Inkonsequenz. Überzeugend ist nur das Gegenteil: die Idee
einer offenen Gesellschaft mit gleichen Rechten und Pflichten für alle, die
in Deutschland leben. Wer Bündnisse gegen rechts fordert, der muss auch
bereit sein, den Preis dafür zu zahlen. Materiell, indem die existierenden
Projekte gegen rechts abgesichert werden; immateriell mit einem Bekenntnis
zu einer offenen Gesellschaft.