Harald Neuber 13.02.2005
Wurde der Eklat im Dresdner Landtag von der neofaschistischen Partei
bewusst inszeniert?
Ein Telepolis-Interview mit Klaus Parker, Mitarbeiter des jüdischen
Onlinemagazins hagalil.com
Nachdem
NPD-Abgeordnete im Landtag von Sachsen behaupteten, im Februar 1945 habe in
Dresden ein "Bombenholocaust" stattgefunden, gab es aufgeregte Reaktionen
von Vertretern demokratischer Parteien auf Landes- und Bundesebene. War das
der Situation angemessen?
Klaus Parker: Keineswegs. Die Äußerungen der NPD
kamen schließlich nicht überraschend. Der Parteivorsitzende Uwe Voigt hat
schon vor geraumer Zeit sein so genanntes Drei-Säulen-Konzept vorgestellt:
Er plädiert darin für den Kampf um die Straße, den Kampf um die Köpfe und
den Kampf um das Parlament. Letzteres bedeutet aber keineswegs eine
Hinwendung zur politischen Auseinandersetzung, sondern die Besetzung von
Machtpositionen. Mit der demokratischen Auseinandersetzung im Parlament, wie
sie andere Parteien pflegen, hatte die NPD von Anfang an nichts am Hut. Von
daher waren die Reaktionen von Politikern und Journalisten so erstaunlich
wie unnötig: Es ist eben das geschehen, was von der NPD bei ihrem Einzug in
den Landtag zu erwarten war.
In einem Artikel
[1] bezeichnen Sie die Forderungen nach einer strafrechtlichen Verfolgung
als unsinnig. Weshalb?
Klaus Parker: Im Fall der NPD greift das Prinzip
der Indemnität [2], das die absolute Straflosigkeit von parlamentarischen
Äußerungen auch über die Amtszeit hinaus verankert. Es gibt zwar eine
Ausnahme bei verleumderischer Beleidigung. Die käme aber weder für die
Aussagen des NPD-Abgeordneten Gansel, noch die des Fraktionsvorsitzenden
Apfel zur Geltung.
Bundesinnenminister
Otto Schily will nun sowohl die Indemnität als auch das Versammlungsrecht
einschränken. Könnte man den Neofaschisten damit beigekommen?
Klaus Parker: Indemnität ist
eine Errungenschaft des Parlamentarismus gegen außerparlamentarische
Machtträger. Wenn solche bewährten Rechtinstitutionen nun ohne eine
weiterführende Debatte geopfert würden, bedeutete dies, dass durch das
zielgerichtete Verhalten der NPD deren Angriff auf die demokratischen
Grundlagen des Rechtsstaates nur noch weiter forciert würde.
Wohlkalkulierte Strategie
Neben
einem erwartungsgerechten Verhalten der politischen Entscheidungsträger
scheinen aber auch die Medien in die Falle getappt zu sein. Immerhin wurde
in den vergangenen Wochen kaum einer Partei soviel Aufmerksamkeit zuteil wie
der NPD.
Klaus Parker:
Selbstverständlich. Im Dresdener Landtag ist niemandem aus Unaufmerksamkeit
ein falsches Wort herausgerutscht. Wir wurden in und nach der besagten
Landtagsdebatte Ende Januar Zeugen eines durchaus wohlkalkulierten Vorgehens
...
... das darauf
abzielte, bestimmte Begriffe in den politischen Diskurs einzubringen. Die
Bezeichnung "Bombenholocaust" dürfte inzwischen jedem bekannt sein, der auch
nur sporadisch Nachrichten verfolgt.
Klaus Parker: Ja, obwohl der Begriff an sich
nicht neu ist. Seit etwa zwei Jahren taucht die Bezeichnung
"Bombenholocaust" verstärkt in der rechten Szene auf. Es geht dabei
offensichtlich darum, Begriffe und Darstellungen zu verwenden, die eine
deutsche "Opferrolle" suggerieren. Die wird dann wiederum auf die rechte
Szene projiziert. Ein Beispiel ist das Bild eines Naziskins, der an ein
Kreuz genagelt ist. "Wir Nazis", so die Aussage, "werden verfolgt, wie einst
Jesus von den Römern." Es gibt andere Aussagen, die sich hart an der Grenze
zur Strafbarkeit bewegen. Wenn es etwa heißt, dass Nationalisten in
Deutschland heute verfolgt würden "wie Juden in den dreißiger Jahren". Zwei
Ziele stehen im Zentrum dieses Vorgehens: Der Opferbonus soll genutzt und
die Shoa relativiert werden.
Die rechtsextreme
Zeitung "Junge Freiheit" versucht derweil, an den offiziellen Diskurs
anzuknüpfen. In Artikeln über die Bombardierung von Dresden berichtet sie
von der Zerstörung einer "Kulturstadt", einer "Residenzstadt" oder einer
"glänzenden Stadt". Die logistische, industrielle und politische Bedeutung
Dresdens für das faschistische Regime findet keine Erwähnung. Ist dahinter
eine politische Medienstrategie auszumachen?
Klaus Parker: Es wird eines verschleiert: Es gab
in Dresden für die Alliierten bei ihren Bombardements - auch bei den
Flächenbombardements - durchaus strategische Ziele. Zum einen sollte die
Rüstungsindustrie Nazideutschlands gestört, zum anderen Transportlogistik
ausgeschaltet werden. Beides war nicht anders zu bewerkstelligen, als durch
Angriffe auf die Verkehrsknotenpunkte - und die lagen nun einmal mitten in
der Stadt.
Der totale Krieg ist von Deutschland ausgerufen worden - und er fand
schließlich auch in Deutschland statt
Weshalb wurden die
Rüstungsbetriebe aber nicht gezielt angegriffen?
Klaus Parker: Ab dem Jahr 1942 waren die
militärisch wichtigen Unternehmen gegen Bombenangriffe geschützt. Teilweise
wurden sie in Bunkern, teilweise in unterirdischen Stollen versteckt. So
zynisch das klingt: Die Rüstungsproduktion des Naziregimes konnte nachhaltig
nur gestört werden, indem man die Arbeiter daran hinderte, in die Fabriken
zu gelangen. Deswegen wurden zum einen die Verkehrswege, zum anderen die
Wohngebiete angegriffen. Andere Möglichkeiten hatten die Alliierten mit den
damaligen technischen Möglichkeiten nicht. Es gab schließlich nicht die
Mittel, zielgenaue Angriffe zu fliegen. Dieser Kontext wird in der aktuellen
Debatte völlig verdrängt. Stattdessen heißt es, der Krieg sei "fast
beendet", die Bombardierung deswegen "sinnlos" gewesen. Ich halte das für
eine Position, die im Nachhinein entwickelt wurde. Geschichte wird nun
einmal vorwärts gelebt und rückwärts betrachtet. Im Februar 1945 war aber
noch nicht absehbar, wann und wie dieser Krieg zu Ende geht.
Vergleicht man nun
die Berichte in der "Jungen Freiheit" mit denen des Deutschen Historischen
Museums (DHM [3]), so fallen erstaunliche Parallelen auf. Auch dort heißt
es: "Binnen Stunden wurde die Kunststadt Dresden im Februar 1945
ausgelöscht, als Symbol sinnloser Zerstörung." Auf der Internetseite des DHM
ist vom "Massaker von Dresden" die Rede, von "bis zur Unkenntlichkeit
verkohlten Toten" - Darstellungen [4], die in den Museumsberichten über die
deutschen V2-Angriffe auf London nicht zu finden sind. Wird die historische
Realität auch hier verfälscht?
Klaus Parker: Das massenhafte und brutale Sterben
in Dresden ist geschehen. Es lagen verkohlte Leichen auf den Straßen.
Verfälscht wird die geschichtliche Realität erst durch Verschweigen der
Hintergründe des Geschehens und der Ziele der Alliierten. Die deutschen
Verbrechen werden relativiert, indem der Kontext ausgeblendet wird, etwa die
vorherige deutsche Bombardierung von Coventry und Rotterdam. Verfälscht wird
das Bild auch, wenn nicht erwähnt wird, dass es 1945 kein verbindliches
Luftkriegsrecht gab. Aus der Zeit des Völkerbundes gab es zwar noch eine
Absichtserklärung, die Zivilbevölkerung bei solchen Angriffen zu schonen.
Diese Erklärung ist aber durch die Wehrmacht schon 1939 durch die
Bombardierung von Warschau de facto aufgekündigt worden. Der totale Krieg
ist von Deutschland ausgerufen worden - und er fand schließlich auch in
Deutschland statt.
Wo bleibt also die
geschichtswissenschaftliche Sachlichkeit in der aktuellen Debatte?
Klaus Parker: Die bleibt sicherlich auf der
Strecke. Ein wesentlicher Punkt in der rechtsextremistischen Propaganda ist
daher auch die Höhe der Opferzahlen in Dresden 1945. Die ersten Schätzungen,
noch unter dem Naziregime, bewegten sich zwischen 35.000 bis 36.000 Opfern.
Wegen der vielen Flüchtlinge aus dem Osten gab es Unsicherheiten, aber die
Zahl der Toten wird von Rechtsextremisten heute um mindestens das Zehnfache
überhöht. Erst jetzt hat sich die Stadtverwaltung in Dresden zu einer
wissenschaftlicher Studie entschlossen. Weil solche seriöse Forschung bisher
nicht berieben wurde, konnten viele Legenden gebildet werden, die den
Rechten bei ihrer Propaganda halfen. Dazu gehört die Mär vom "Phosphorregen"
oder Darstellungen von Tieffliegerangriffen auf Zivilisten. Alle diese
falschen Darstellungen und bewussten Lügen, die der Rechten Vorschub
leisten, können nur durch eine seriöse Aufarbeitung der Geschichte
ausgeräumt werden.
Links
[1]
http://www.hagalil.com/archiv/2005/01/npd-sachsen.htm
[2]
http://www.bundestag.de/interakt/glossar/181513.html
[3] http://www.dhm.de/
[4]
http://www.dhm.de/lemo/html/wk2/kriegsverlauf/dresden
Telepolis Artikel-URL:
telepolis.de/r4/artikel/19/19448/1.html