Von Ronny Ziller
Wer hinter dem Begriff "Weiße Rose" bislang eine Münchner
Widerstandsgruppe um die Geschwister Hans und Sophie Scholl kannte – es war
einmal. Ab sofort ist eine weiße Rose ein "Zeichen zum Gedenken an die Opfer
des Krieges". Unterschiedslos. Tausende Dresdnerinnen und Dresdner werden
sie am 13. Februar 2005 tragen. Und die NPD ist dabei, wie deren sächsischer
Fraktionssprecher Peter Marx im Vorfeld verkündete.
Dresden erwartet am Sonntag den größten Naziaufmarsch seit dem
Ende des Hitler-Regimes. Probleme hat die Stadt damit nicht, hatte sie auch
in den letzten Jahren nicht. Parallel zum bürgerlichen Opfereintopf wird in
diesem Jahr erneut die Junge Landsmannschaft Ostpreußen (JLO)
aufmarschieren, diesmal unter der Schirmherrschaft von Holger Apfel, dem
Fraktionschef der sächsischen NPD.
Es drängt sich der Gedanke auf, daß der ganze Schlamassel mit
dem Wiederaufbau der Frauenkirche angefangen hat. Die Ruine stand – so
erinnere ich mich an meine Klassenfahrten aus DDR-Zeiten – als mahnendes
Symbol für den vom deutschen Faschismus und seinen Millionen Helfern
angezettelten Zweiten Weltkrieg. Dresden wurde immer im Zusammenhang mit den
deutschen Luftangriffen auf die alte City der englischen Stadt Coventry
gesehen. Aber so ist es heute mit der Ruine: Aus den Augen – aus dem Sinn.
Nach dem Wahlerfolg der NPD vom 19. September 2004 in Sachsen
gab sich die Öffentlichkeit überrascht. Kenner der Szene schätzen jedoch
ein, daß mit 9,2 Prozent der Wählerstimmen sich nunmehr die
gesellschaftliche Realität im Freistaat auch im Landesparlament
widerspiegelt. Dafür gibt es Gründe, die nicht allein in der Arbeits- und
Perspektivlosigkeit der sächsischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen
liegen. Die NPD hat eine über zehnjährige Aufbauarbeit in Sachsen hinter
sich. Es ist ihr gelungen – und das nicht erst seit dem vor dem
Bundesverfassungsgericht gescheiterten Verbotsantrag – fest im Freistaat Fuß
zu fassen, vor allem in den Kommunen. Das Problem wird also nicht mit dem
derzeit herrschenden Aktionismus der etablierten Politik aus der Welt zu
schaffen sein. Vor allem nicht kurzfristig. Neuerlicher Verbotsantrag hin
oder her, Änderung des Versammlungsrechts hin oder her. Auch administrative
Beschränkungen von Landtagspräsidenten werden nur die NPD stärken. Es ist
ihr doch ein leichtes, gerade aus einer Ungleichbehandlung einen Opfermythos
weiter um sich auszubauen und daraus politisch Kapital zu schlagen.
Ach ja, der Aktionismus: Der herrscht überall in der Republik.
Die NPD am Holocaust-Mahnmal: undenkbar. Nur in Sachsen herrscht drückendes
Schweigen. Ist Dresden schon verloren? Ist die CDU dazu verdammt,
stillzuhalten? Wegen des U-Bootes. Oder mehrerer? Wir erinnern uns, daß
parlamentarische Absprachen der sächsischen Anti-NPD-Koalition brühwarm bei
der Fraktion der Neofaschisten landen. Von den Abstimmungspannen ganz zu
schweigen. Vielleicht hat sich die CDU in ihrer Passivität auch ganz gut
eingerichtet. In 15 Jahren Alleinherrschaft hat sie ganze Arbeit geleistet.
Im Januar 2004 hat der Zentralrat der Juden in Deutschland seine Mitarbeit
in den Gremien der "Stiftung Sächsische Gedenkstätten" beendet. In seiner
Begründung hieß es: "Angebote der kritischen und konstruktiven
Auseinandersetzung über die sich abzeichnende Analogisierung und
Relativierung von NS-Verbrechen gegenüber denen des Stalinismus und der
Staatssicherheit der DDR wurden bis zuletzt mit einem durch die
Landesregierung verordneten Neubeginn der Gedenkstättenarbeit vom Tisch
gewischt." Auf Relativierung deutscher Geschichte hält in Sachsen die NPD
wahrlich nicht das Monopol. Auch die sächsische VVN-BdA ist aus der Stiftung
ausgestiegen.
Für Sonntag, 13. Februar 2005, sind in Sachsen die Feindbilder
klar. Der Innenminister des Freistaates, Thomas de Maizière (CDU), erklärte
gegenüber der Berliner Zeitung: "Die Linkschaoten planen auch gewaltsame
Aktionen gegen das Gedenken der Dresdner.". Und weiter: "Für sie ist die
trauernde Erinnerung Geschichtsrevisionismus." Für die Antifa wird es ein
schwerer Tag in Elbflorenz, vielleicht schafft sie es ja dennoch, die
Nazikränze wieder feierlich in der Elbe zu versenken.
Viel gestritten wird in diesen Tagen über Sinn und Unsinn oder
die militärische Notwendigkeit der alliierten Bombenangriffe auf Dresden.
Vor Dresden hat es zerstörerische deutsche Luftangriffe auf Warschau,
Rotterdam, London und Coventry gegeben – mit dem Ziel der Demoralisierung
der Bevölkerung. Vor Dresden gab es Bath, Exeter, Canterbury, Norwich und
York. Vor Dresden gab es auch Oradour, Lidice, Zamosc, Leningrad und
Distomo. Und Treblinka, Majdanek und – Auschwitz.
Die Bombardierung Dresdens war auch Terror, nämlich der
grausame Terror des Krieges. Installiert hat diesen Terror das "Dritte
Reich".
Erschienen in:
Junge Welt, 12.
Febr. 2005
Der Autor ist stellvertretender Vorsitzender und Sprecher der Vereinigung
der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und
Antifaschisten (VVN-BdA), Landesvereinigung Berlin (im Internet:
http://berlin.vvn-bda.org)