Von Schimschi Zahubi
Wie geht man mit einem Trauerfall in der Familie um? Als
praktizierender Jude hat man ein umfangreiches Paket an Maßnahmen zur
Verfügung. Es gibt das Kadisch-Gebet, welches man im Rahmen der drei
Tagesgebete aufsagt, sofern zehn "vollwertige" Juden anwesend sind.
Unmittelbar nach der Beerdigung erhält man Besuch von Freunden und
Verwandten, die in den eigenen Räumen dafür sorgen, daß man nicht in
einsamer Trauer versinkt.
Sofern zehn Mann dabei sind, kann man auch die drei Tagesgebete
mit dem eingefügten Kadisch aufsagen. Andernfalls begibt man sich zur
nächsten Synagoge, was in Israel kein Problem darstellt. Eine Woche nach dem
Trauerfall erhebt man sich aus der erniedrigten Sitzposition, beendet damit
die "Schiwa", und verweilt nunmehr in den Schloschim, nach deren Ablauf man
das erste Mal nach der Beerdigung ans Grab gehen darf. Nunmehr laufen die
nächsten zehn Monate mit dem tagtäglichen Kadischgebet in einem Minjan ab.
Die Trauerarbeit in dieser Form hilft über den Schmerz des Verlustes eines
nahen Angehörigen hinweg.
Ein ernstes Problem hat man jedoch als Frau in der Orthodoxie.
In der Regel ist man zum Aufsagen des Kadisch nicht berechtigt. Es wird zwar
immer wieder von Ausnahmen gesprochen, ausschlaggebend ist jedoch die
praktizierte Vorschrift, wonach nur Männer im Verbund eines Minjan zum
Kadischsagen berechtigt sind.
Die konservative Gemeinde hat dieses Problem nicht. Dort sind
die Frauen gleichberechtigt- ein anderes Problem wiegt jedoch schwer:
Regelmäßig wird eher nur am Shabat und zu Feiertagen gebetet. Unter der
Woche ist man auf die orthodoxen Gemeinden angewiesen. Konservative
Gemeinden, die Wochentags einen Minjan aufbringen, sind zu suchen wie der
Brilliantring am Strand von Haifa.
Die Tradition, die Frauen vom Kadischgebet ausschließt, kommt
noch aus der Zeit ,als die Fronten klar definiert waren. Der Mann ging zur
Arbeit, die Frau kümmerte sich um die zahlreichen Kinder und den Haushalt.
Eine Steigerung erlebte diese Einteilung zu den Zeiten des Chassidismus und
der Dominanz der Orthodoxie im Alltag. Damals sollte der Ehemann mit dem
Thorastudium seine Lebenszeit verbringen, die Ehefrau hatte sich um den
Broterwerb zu kümmern, um die Kinder und den Haushalt. In der Regel wurde
deswegen für fromme Männer eine Tochter aus wohlhabendem Hause gesucht, um
mit Hilfe der reichhaltigen Mitgift den kostspieligen Lebenswandel zu
ermöglichen. Das tragische Elend jedoch wurde gelebt, wenn immer zu wenig
zum Leben da war, aber die Bereitschaft einen geregelten Beruf auszuüben
beim Ehemann gegenüber dem Thorastudium zurückzutreten hatte.
Als Thorastudierender befand sich der Mann bereits in der
Synagoge, verrichtete dort seine täglichen Gebete und sah dabei keine
Schwierigkeit, in diesem Rahmen sein Kadisch aufzusagen. Die psychologisch
wertvolle Aufarbeitung des seelischen Schmerzes nach einem Trauerfall in der
Familie war also dem Ehemann überlassen. Sollte dieser das Zeitliche
gesegnet haben, so standen dessen Söhne in der Synagoge und sprachen das
Kadisch.
Die Tradition, elf Monate lang Kadisch zu sagen, wurde
normalerweise nach dem Ableben eines männlichen Familienmitgliedes beachtet.
Nach dem Dahinscheiden einer Frau war es jedoch nicht nur die Ausnahme, wenn
man sich mit dreißig Tagen beschied und dann sein Leben lang immer am
Todestag, am Tag der "Jahrzeit", das Totengebet rezitierte.
In unserer Zeit ist es jedoch schwer nachvollziehbar, daß den
Frauen als Hinterbliebenen das Recht am Aufsagen des Kadisch streitig
gemacht wird. Bestenfalls könnte man sich die Fortsetzung dieser Tradition
damit erklären, daß sich die meisten Frauen dieser Regelung fügen, um
familiäre Auseinandersetzungen zu vermeiden- aber auch, weil sie ihre
Trauerarbeit in anderer Form abzuleisten gelernt haben.
Das gruppenweise Aufsagen des Kadisch in den Gemeinden der
liberalen Juden nimmt dem Trauernden die Möglichkeit mit klarer Stimme
seinen Schmerz zu artikulieren, hier ist jedoch eine Toleranz gegeben, die
auf Wunsch den Einzelvortrag gestattet. Man sollte anerkennen, daß das
Bedürfnis, die Trauerarbeit durch das Aufsagen des Totengebetes abzuleisten,
eine sympatische Tradition darstellt, die es in dieser Form nur im Judentum
gibt.