Ulrich W. Sahm, Jerusalem, 21. Januar 2005
Der zwölf Jahre alte Salah A-Din Abu Muhsein hatte sich als
Kämpfer mit Tarnuniform verkleidet. Das Opferfest Id el Fidr ist Anlass zum
Feiern. Passend zum Karnevalskostüm trug Salah ein Plastikgewehr.
Eine Einheit des "Orthodoxen Nachal" kam nach Tubas im
nördlichen Westjordanland wegen einer "Menschenansammlung". Salah richtete
das Plastikgewehr auf die Soldaten. Ein Schuss fiel aus 200 Metern
Entfernung. Salah erlag seinen Verletzungen. "Ein bewaffneter Terrorist
versteckte sich in einer Menschengruppe. Die Soldaten fühlten sich bedroht,
als die Waffe auf sie gerichtet wurde", verlautbarte lakonisch der
Militärsprecher.
Auch im israelischen Sderot nahe dem Gazastreifen makabre
Routine. Am Freitag wurde die 17 Jahre alte Ajala Abuxis zu Grabe getragen.
Auf der Straße vor ihrem Heim war eine palästinensische Kassam Rakete
explodiert.
Zwei unschuldige tote Kinder. Der frisch gewählte
Autonomiepräsident Mahmoud Abbas tut erste Schritte, um das zu verhindern.
Ob seine Verhandlungen mit Extremistengruppen erfolgreich sind, wagt niemand
vorherzusagen. Und ob er jede Räuberbande, jeden bis an die Zähne
bewaffneten Warlord im chaotischen Gazastreifen erreichen kann, will niemand
garantieren. Auch interne Fehden wurden durch Raketen auf Israel oder
Schüsse auf Siedlerautos ausgetragen, alles unter dem Deckmantel einer
selbstmörderischen Ideologie. Das israelische Militär reagierte nicht
zimperlich. Als Soldaten zwei im Sand robbende Männer im Todesstreifen vor
der Termit-Stellung bei der Grenze zu Ägypten entdeckten, schossen sie. Die
"Warnschüsse" trafen den 13 Jahre alten Salah Abu Scheich in seinem Heim im
Javne Flüchtlingslager.
Am Freitag befahl Abbas den ersten konkreten Schritt. 700
bewaffnete palästinensische Polizisten wurden nach Beth Hanoun und in andere
Orte geschickt, um weiteren Beschuss Israels zu verhindern. Vor vier Jahren
hatte Jassir Arafat die Extremisten der Hamas aus den Gefängnissen entlassen
und seine Sicherheitskräfte nach Hause geschickt hatte, wenn sie sich nicht
auch am "Freiheitskampf" gegen Israel beteiligten.
Israelische Panzer stehen rund um den Gazastreifen zum
Einmarsch bereit. Das ist politischer Druck auf Abbas. Offiziere beider
Seiten koordinieren das Vorrücken der Polizei. Denn die Palästinenser wollen
nicht, dass ihre eigenen Truppen getroffen werden, wenn die Israelis wie
bisher auf jeden "bewaffneten Mann" schießen. Und die Israelis wollen nach
Ajala Abuxis keine weiteren Kinder zu Grabe tragen. Eine israelische Zeitung
meldete eine Sensation: "Ein Tag ohne Kassam-Raketen in Sderot".
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