Von Schimschi Zahubi
Wieder ist es soweit! Die Schwarzseher gewinnen Oberwasser. Nein, hier
wird nicht derjenigen gedacht, die fernsehen, ohne ihre Gebühr zu
entrichten. Die Titelzeile hat es vorweggenommen. Hier geht es um die
Bevölkerungsminderheit in Deutschland, die der Meinung ist, dem Judentum
zugerechnet werden zu müssen. Deutschlands Antisemiten schaffen es einfach
nicht, die benötigte Kraft aufzubringen, um bei den zerstrittenen Juden im
Lande Gemeinschaftsgefühle zu erwecken.
Der Zusammenhalt jüdischer Minderheiten in zahlreichen Gastländern der
Diaspora war immer ein Produkt ihrer Verfolgung. Nach dem größten Aderlass
ihrer Geschichte fühlen sich Juden in Deutschland sicher vor Verfolgung. Was
auf den ersten Blick die beruhigende Aura des friedlichen Zusammenlebens
trägt, birgt die Gefahr der völligen Auflösung. Als Weltmeister der
Anpassung geht die Eigenheit dieser Minderheit mit dem göttlichen Auftrag,
die Menschheit zu bereichern, im Opportunismus auf, der dem Weg des
geringsten Widerstandes folgt. Sich an die Diskriminierung als Minderheit
erinnernd, verfolgt ein großer Teil deutscher Juden den umgekehrten Weg und
beginnt Sympathien für die dominante Mehrheit der Deutschen zu empfinden.
Es mag zwar nicht der ehrenvolle Herrenmensch sein, in den man sich gerne
verwandeln will, es geht auch eine Nummer kleiner. Es ist der unauffällige
"Normalo", der uns vorschwebt. Der soll sich nun um die Anfeindungen
kümmern, die das Mitglied der Minderheit seit dem Verlassen des
Mutterschoßes begleiten. Ein solcher zu werden ist nicht leicht, sich mit
einem solchen zu verbinden scheint jedoch auch seinen Reiz zu haben. Das
normale Leben innerhalb der Gruppe der Mehrheit sieht aus der Perspektive
des ehemals verfolgten, sich minderwertig fühlenden Juden aus, wie das Leben
nach der Rückkehr ins Paradies. Zur mixed marriage, altdeutsch "Mischehe",
ist es kein weiter Weg mehr. Mit der neuen Verwandtschaft und dem
Akzeptiertwerden in der Gemeinschaft der "Normalos" scheint das begehrte
Ziel, das "normale Leben", erreicht.
Solange es funktioniert, ist man hurtig der Meinung, endlich alles
richtig gemacht zu haben. Doch schnell, schneller als einem lieb ist, stößt
einen die neue Gesellschaft in das alte Judentum zurück. Immer wieder
tröpfelt eine Situation ins frisch gemalte Bild, die die klare Linie
unscharf scheinen lässt. Eine Erzählung vom Onkel, der als SS-Offizier, in
Bierlaune, einige Jahre nach Kriegsende von seinen "Heldentaten" berichtet,
reißt unsanft zurück in die Gruppe, die der Assimilant so gerne hinter sich
gelassen hätte. Das fremde Gefühl kann übler nicht aufstoßen, doch es ist zu
spät! Nun muss der steinige Weg weiter gegangen werden, bis zum kühlen Grab
auf dem katholischen Friedhof, und keiner wird jemals das Kaddisch sagen.
Muss das denn sein? Gibt es keine Alternative?
Nun, da hätten wir das streng orthodoxe Judentum in Deutschland. Aber,
was hat es hier verloren? Spielt es die Rettungsinsel in der Flut, auf die
sich möglichst viele zurückziehen sollten, solange es noch geht? Oder wird
hier ein schwer verständliches Heldenspiel gespielt, welches aus irgend
einer entfernt verständlichen Auslegung eines Torahabschnittes abzuleiten
sei?
Das Theater in der Einheitsgemeinde ist nur wenigen zuzumuten, die es mit
ihrem Judentum ernst meinen. Am Sabbat ist es nicht immer gewährleistet,
dass ein Minjan zustande kommt, es sei denn, man rettet sich in eine große
Gemeinde und sucht in dieser die Hauptsynagoge auf. Gleichzeitig versammeln
sich Reformjuden in angemieteten Gewerberäumen, um über ihre mangelnde
Akzeptanz zu lamentieren, sowohl innerhalb der jüdischen Gemeinden, als auch
innerhalb der deutschen, nichtjüdischen Gesellschaft. Der gangbare
Mittelweg, die Gemeinde im Ritus des konservativen Judentums, ist beinahe
nirgendwo zu finden.
Zu fremd sind dem polnischen Stetl-Abkömmling die Abläufe der liberalen
Liturgie und zu rückständig sind dem Liberalen die Anwandlungen, deren sich
die Orthodoxen bedienen. So blickt der Reformjude irritiert auf den
Frömmling, der sein Auto am Sabbat etwas weiter entfernt von der Synagoge
abgestellt hat, während der Pseudoorthodoxling erschauert beim Gedanken,
während dem Gebet neben einer Frau zu wippen, die ihr Haupt mit einer Kippa
bedeckt und ihren Oberkörper unter einem Tallit verbirgt.
Es wäre alles doch so schrecklich einfach, eigentlich viel zu einfach,
als daß es funktionieren könnte: Eine eingehende Aussprache unter
kompetenten Zeitgenossen, die die Torah so verstehen, wie sie dem
Weiterleben des Judentums in der Diaspora aber auch im Staate Israel am
ehesten zu dienen vermag.
Die Thora als "Software", der Jude als "Hardware" und die Auseinandersetzung
mit konträren Meinungen als produktiver Diskurs, wie weiland der
vierzigjährige Marsch durch die Wüste, um schließlich doch noch, und zwar
gemeinsam, das versprochene Land wo "Milch und Honig fließen" zu erreichen.
Unerheblich, ob unterwegs eine gesamte Generation auf der Strecke geblieben
ist. Unerheblich ob einige Streitköpfe nicht mehr mitziehen wollten,
letztlich jedoch ausschlaggebend, dass das große Ganze den Weg zum
gemeinsamen Weiterleben als Juden im Rahmen ihrer Aufgabe gefunden hat. Also
gilt es den weiteren Diskurs darauf zu konzentrieren, Aufgabe und Art, ihm
gerecht zu werden, am Leben zu erhalten.
Der Rahmen der jüdischen Gemeinschaft im heutigen Deutschland ist an
vielen Stellen brüchig. Soll man die russischen Zuwanderer akzeptieren, auch
wenn sie großenteils erst ins Judentum eingearbeitet werden müssen? Soll man
anerkennen, dass sich die Zahl der Juden in Deutschland mit ihrer Hilfe
vervielfacht, mit dem Preis, bei der nichtjüdischen Mehrheit Unmut
auszulösen, weil auch sie die Kosten für deren Integration zu tragen hat?
Soll man ignorieren, dass diese Leute eigentlich in Israel gebraucht werden,
aber hier in Deutschland gleichfalls eine tragende Funktion übernehmen,
indem sie die bislang beinahe aussterbende Minderheit erheblich verstärken?
Soll man anerkennen, dass mit der Entstehung des Staates Israel kein Platz
mehr für ein jüdisches Leben ist, welches sich ständig neue Rechtfertigungen
für das Leben in der Diaspora im Allgemeinen und in Deutschland im
Besonderen ausdenken muss? Machen wir uns alle an der nächsten Generation
schuldig, die nicht die Möglichkeit bekommt, im eigenen Land aufzuwachsen,
sondern dort, wo Juden zu Seife verarbeitet wurden?
Mit der Veränderung in Deutschlands Asylgesetzgebung und der heftigen
Reaktion des Zentralratspräsidenten darauf, keine Reduzierung russischer
Einwanderer nach Deutschland im Rahmen jüdischer Kontingentflüchtlinge
hinzunehmen, verschlechtert sich die Lage der deutschen Juden. Beinahe
sollte man froh darüber sein, denn demnächst werden deutsche Stimmen Juden
in Deutschland auffordern, zum Leben der Juden in Israel Stellung zu nehmen.
Dann Farbe zu bekennen wird uns schwer fallen, nachdem für die weitere
Einführung von Juden nach Deutschland plädiert wurde, obwohl keine konkrete
Verfolgung von Juden in den GUS-Staaten nachzuweisen ist, also auch keine
jüdischen Asylanten existieren. Was bleibt ist schließlich der Vorwurf, auf
dem Umweg des Asylrechtsmissbrauches, weitere Reparationen für an den Juden
begangenes Unrecht zu fordern, nachdem bisherige Verfahren offensichtlich
nicht ausreichend schienen.
Mit der Wiedergutmachung ist selbstverständlich nicht alles bezahlt
worden, was im Dritten Reich den Juden angetan wurde - nur, mit dieser
Methode, das Asylrecht umzumodeln, um auf diese Weise weitere Finanzmittel
aus dem deutschen Steuersäckel zu ziehen, macht man sich wohl derart
unbeliebt in Deutschland, dass es bald angeraten scheint, die Koffer zu
packen und nach Eretz Israel zu "alliieren".
In Deutschland beliebt sein, das wollten Deutschlands Juden nach 1945
eigentlich nie. Aber was machen sie denn dann noch hier? Nur damit
Deutschland nicht judenrein sei, damit Hitler nicht Recht bekäme, nur dafür
hier zu verharren, das scheint zu wenig. Vielleicht kann man das mit viel
Geduld und wahrscheinlich noch mehr Geld, den russischen Neueinwanderern
klar machen?
Den Alteingesessenen jedoch sollte es seit langem klar gewesen sein:
Dieses deutsche Judentum steht schon jahrelang vor dem Abgrund, dank der
jüngsten Entwicklung in der hier angesprochenen Angelegenheit hat es endlich
einen großen Schritt nach vorne getan.