Einstein-Jahr:
Der Autonome
Albert Einstein lehnte jede Form von
Patriotismus ab. Über sein Verhältnis zu Deutschland und Deutschlands
Verhältnis zu ihm.
Von Ferdinand Muggenthaler
Jungle World 3 v.
19.01.2005
Es ist Einsteinjahr, diesen Mittwoch wird es anlässlich
seines 50. Todestags und des 100. Geburtstags der Relativitätstheorie
feierlich ausgerufen vom Bundeskanzler und der Bildungsministerin. Albert
Einstein ist der bekannteste Physiker überhaupt, da soll auch ein wenig
Glanz auf unseren Wissenschaftsstandort fallen.
Es ist freilich nicht einfach, Einstein für Deutschland zu
vereinnahmen. Nicht nur weil es zu dreist wäre, den 1933 zum zweiten Mal
emigrierten als deutschen Wissenschaftler zu bezeichnen. Auch auf seine tief
sitzende Abneigung gegen jegliche "Vaterländerei" im Allgemeinen und gegen
die deutsche im Besonderen war schon vor 1933 Verlass. Das lässt sich an
seiner Haltung zur eigenen Staatsbürgerschaft, aber auch an seinem
ambivalenten Verhältnis zum Zionismus illustrieren.
Widerwillen gegen Deutschland zeigte Einstein spätestens mit
15. Damals besucht er das Münchener Luitpold-Gymnasium und seine Lehrer
scheinen ihm "überwiegend dem Leutnantscharakter zugewendet". Er bricht die
Schule ab und macht in der Schweiz sein Abitur. Aus der deutschen
Staatsbürgerschaft lässt er sich rechtzeitig entlassen, um den echten
deutschen Leutnants zu entgehen. Damit ist er zunächst staatenlos. Als es
1902 für seinen Job im Berner Patentamt nötig ist, beantragt er die
Schweizer Staatsbürgerschaft.
Als Einstein 1913 an die preußische Akademie der
Wissenschaften berufen wird, besteht er darauf, Schweizer zu bleiben. Zwar
spiele der Staat, dem er als Bürger angehöre, "in meinem Gemütsleben nicht
die geringste Rolle", und Staatsbürgerschaft vergleicht er mit der
"Beziehung zu einer Lebensversicherung". Doch ausgerechnet beim deutschen
Staat möchte er keine Lebensversicherung abschließen.
Dass er doch einen solchen Vertrag abgeschlossen hat, stellt
er erst fest, als er 1922 den Nobelpreis erhält. Einstein fehlt bei der
Preisverleihung, er bereist gerade Japan. Im Fall der Abwesenheit des
Laureaten, so sieht es das Zeremoniell vor, soll der Gesandte des jeweiligen
Staates die Auszeichnung entgegennehmen. Im Fall Einsteins erheben nun der
Schweizer und der deutsche Gesandte Anspruch auf diese Ehre. Aus der
Akademie in Berlin kommt die forsche Auskunft: "Einstein ist
Reichsdeutscher." Und so bekommt der Vertreter Deutschlands die Urkunde
ausgehändigt. Als das Auswärtige Amt erklärt, Einstein besitze doch nur die
Schweizer Staatsangehörigkeit, retten die Juristen der Akademie mit einem
Gutachten den Nobelpreis für Deutschland. Demnach war Einstein mit seiner
Berufung in die Akademie "mittelbarer Staatsbeamter" und damit automatisch
Deutscher geworden, weil er nicht ausdrücklich widersprochen habe.
Genau das sei geschehen, erklärt Einstein. Bei seiner
Berufung habe er Wert darauf gelegt, dass hinsichtlich seiner
Staatsangehörigkeit keinerlei Änderung eintrete. Leider bleiben die Akten,
die das belegen könnten, unauffindbar, und Einstein muss akzeptieren, dass
er schon 1914 Deutscher geworden ist.
Sein Abscheu gegen das Deutschtum hatte sicherlich mit dem
spezifisch deutschen Antisemitismus zu tun. Im Unterschied zu vielen anderen
hielt er diesen für unheilbar, und in Assimilationsbemühungen sah er eine
unwürdige Anbiederung. Deshalb lehnte er 1920 eine Einladung des
"Central-Vereins Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" zu einer Sitzung
über die Bekämpfung des Antisemitismus in akademischen Kreisen ab: "Wenn ich
zu lesen kriege ›Deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens‹, so kann ich
mich eines schmerzlichen Lächelns nicht erwehren. (…) In jener Bezeichnung
stecken aber zwei Geständnisse schöner Seelen, nämlich: 1. Ich will nichts
zu tun haben mit meinen armen ostjüdischen Brüdern. 2. Ich will nicht als
Kind meines Volkes angesehen werden, sondern nur als Mitglied einer
religiösen Gemeinschaft. Ist das aufrichtig? Kann der ›Arier‹ vor solchen
Leisetretern Respekt haben? Ich bin weder deutscher Staatsbürger, noch ist
irgendetwas in mir, was man als ›jüdischen Glauben‹ bezeichnen kann. Aber
ich freue mich, dem jüdischen Volke anzugehören, wenn ich dasselbe auch
nicht für das auserwählte halte. Lassen wir doch ruhig dem Goj seinen
Antisemitismus und bewahren wir uns die Liebe zu unseresgleichen."
Einstein ist kein gläubiger Jude, und auch ein positiver
Bezug zu einer irgendwie gearteten "jüdischen Kultur" fehlt ihm. Von den
Juden spricht er als Stammesgenossen, Schicksalsgemeinschaft oder Rasse, die
sich nur auf Grund des Antisemitismus erhalten habe. Entsprechend kann er
dem Zionismus als einer Art kollektiver Lebensversicherung etwas abgewinnen,
trotzdem ist ihm auch dort der Nationalismus suspekt.
So tourt er 1921 mit dem Präsidenten der Zionistischen
Weltorganisation, Chaim Weizman, zum Spendensammeln durch die USA. Die Rolle
als "Renommierbonze und Lockvogel" ist ihm unangenehm. "Andererseits tue
ich, was ich kann, für meine Stammesbrüder, die überall so gemein behandelt
werden". Gegenüber einem Freund entschuldigt er sich fast für sein
zionistisches Engagement: "Ich bin auch kein Vaterländer und glaube
zuversichtlich, dass die Juden durch die Kleinheit und Abhängigkeit ihrer
Palästina-Kolonie vom Machtkoller zurückgehalten werden."
Einsteins öffentliche Ablehnung jeglichen Patriotismus wollen
viele allerdings nicht zur Kenntnis nehmen. So schreibt 1919, als eine
experimentelle Bestätigung der Relativitätstheorie den Physiker weltberühmt
macht, der Psychologieprofessor und Akademiekollege Carl Stumpf: "Wir (…)
sind stolz darauf, daß nach dem militärisch-politischen Zusammenbruch die
deutsche Wissenschaft einen solchen Sieg erringen konnte."
Andere stolze Deutsche erkannten im berühmten und scheinbar
schrulligen Professor zu Recht ihren Feind. Bald fanden sich auch Physiker,
die ihre Ablehnung der Relativitätstheorie mit ihrer Ablehnung alles
"Jüdischen" in Verbindung brachten. Es bildete sich eine "deutsche Physik",
die Einsteins Theorie als jüdisch-abstrakte Hypothese ohne Wert bekämpfte.
Die Unvereinbarkeit von Einsteins Ansichten mit dem gesunden
Menschenverstand machte ihn freilich auch anderswo unbeliebt. Als er 1932 in
die USA reisen wollte, forderte das Woman Patriotic Council die
Visa-Abteilung des State Department auf, die Einreise zu verweigern.
Zutreffend warf es Einstein vor, kommunistische Vereinigungen wie die
Internationale Arbeiterhilfe zu unterstützen, tatsächlich eine Organisation
der Komintern. Daneben legten ihm die patriotischen Frauen die angeblich
zersetzende Wirkung der Relativitätstheorie auf Kirche, Staat und
Wissenschaft zur Last. Einstein wurde zum Konsul bestellt. Der Vertreter der
USA verlangte von Einstein die Versicherung, dass er keiner radikalen
Organisation angehöre.
Einstein unterschrieb eine entsprechende Erklärung und
erhielt ein Visum. Am 10. Dezember 1932 bestieg er die "Belgenland" Richtung
New York. Im März 1933 kehrte er noch einmal nach Europa zurück, um der
Gesandtschaft des Reichs in Brüssel seinen deutschen Pass zurückzugeben.
Deutschland hat er nie wieder betreten.
Bei einem gemeinsamen Auftritt soll Charlie Chaplin zu
Einstein gesagt haben: "Mir applaudieren sie, weil mich alle verstehen, und
Ihnen, weil niemand Sie versteht." Das Unverständnis galt und gilt der
politischen Haltung des Physikers fast ebenso wie seinem wissenschaftlichen
Werk. Und sicher wird dieses Unverständnis auch im Einsteinjahr noch einige
Blüten treiben.
hagalil.com
20-01-2005 |