"Peres-Gesetz":
Demokratie auf dem Prüfstein
Von Andrea Livnat
Eine Lehrstunde Demokratie ist es nicht gerade, was
Israel auf dem Weg zur neuen Regierung Scharon vorführt. Im Gegenteil,
Postengeschacher, Gesetzesänderungen und öffentliches gegenseitiges
Beschimpfen erinnern eher an ein Polit-Kabarett als an
Koalitionsverhandlungen. Entscheidend ist jedoch das Ergebnis, und das kann
sich sehen lassen: Ministerpräsident Scharon wird einer neuen Regierung
vorstehen, die ihm stabile Arbeitsbedingungen ermöglicht und dabei hilft,
sein derzeitiges schwerstes Gefecht zu gewinnen, die Umsetzung des Rückzugs
aus dem Gazastreifen.
Nachdem sich die Likudzentrale in einer Abstimmung für die
Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Arbeitspartei ausgesprochen
hatte, schien der Weg zur großen Koalition geebnet. Man werde sich schnell
einigen, hieß es, Verhandlungen waren ja bereits seit August geführt worden,
alle strittigen Punkte seien bereits geklärt.
Aber da war ja noch Schimon Peres. Peres hätte statt dem
Nobelpreis besser einen Sonderpreis für das hartnäckigste Stehaufmännchen
bekommen sollen. Mit seinen 81 Jahren hat Peres schon so gut wie jeden
möglichen Posten in einer Regierung besetzt. Er war Ministerpräsident,
Außenminister, Innenminister, Finanzminister, Verteidigungsminister,
stellvertretender Verteidigungsminister, Minister für religiöse
Angelegenheiten, Minister für Einwanderung und noch viel mehr. Wie sich nun
zeigt, möchte er auch die "unmöglichen" Posten besetzen. Auf jeden Fall muss
es irgendein Posten sein, soviel ist klar.
Nachdem er um des Koalitionsfriedens willens schon auf das
Außenministerium verzichtet habe, so Peres, sei es nur legitim, dass er
Scharons Vertreter sein wolle. Doch auch diese Forderung hat einen Haken,
der Posten des stellvertretenden Ministerpräsidenten ist ebenfalls bereits
besetzt, von Ehud Olmert, der natürlich nicht daran denkt, seinen Stuhl für
Peres zu räumen und den Scharon nicht einfach abservieren kann, will er sich
den Frieden in der eigenen Partei erhalten.
Also kam den Verhandlungsführern die tolle Idee, Peres zum
zweiten stellvertretenden Ministerpräsidenten zu machen. Auch wenn es diesen
Posten nicht gibt und er durch eine Gesetzesänderung erst geschaffen werden
muss. Diese Gesetzesänderung wird als "Peres-Gesetz" bezeichnet. Was Peres
übrigens gar nicht gut findet, "es gibt kein sog. Peres-Gesetz" echauffierte
er sich.
Wie man es auch bezeichnen mag, die Gesetzesänderung wurde
mittlerweile von der Knesseth angenommen. In der Debatte im Plenum gab es
einen derben Schlagabtausch. Der Schinui-Vorsitzende Tommi Lapid, dessen
Partei vor zwei Wochen aus der Koalition geflogen ist, warf Peres vor, er
habe die Stimmen der ultraorthodoxen Partei SchaS gekauft: "Sagen Sie der
Knesset doch, wieviel Sie für jede Stimme bar gezahlt haben? Was für ein
schmutziges Geschäft!" Peres schoss scharf zurück und spielte auf die
Tatsache an, dass Schinui nun, kaum zurück in den Oppositionsbänken, wieder
gegen die religiösen Parteien propagiert: "Sie leisten sich wohl jede
Frechheit? Wovon sprechen Sie denn überhaupt? Suchen Sie sich einen Spiegel
und schauen Sie sich ganz gut an…Sie behaupten, säkular zu sein? Und wie
kommt das zum Ausdruck? Dass Sie mit der Nationalreligiösen Partei und mit
Avigdor Liebermann zusammensitzen und auf ihre Forderung hin 200 Millionen
Schekel für die Siedlungen bewilligen? Welchen Beitrag haben Sie denn
überhaupt geleistet, mit Ihrem Frommenhass?"
Noch amüsanter wurden die Meinungsverschiedenheiten am
Dienstag. Bei einer Debatte der Verfassungskommission über die
Gesetzesänderung, gerieten der Vorsitzende der Kommission Rony Bar-On
(Likud) und Knessetabgeordneten Reshef Chen (Shinui) aneinander. Bar-On
fegte Chen an: "Du bist abscheulich, klein und abscheulich", Chen darauf:
"DU bist abscheulich." Bar-On: "Du bist ein jämmerlicher Heuchler." Hen: "Du
bist ein Wurm." Unter dem Lachen der Kommissionsmitglieder fügte Bar-On noch
hinzu: "Und eine Amöbe." Beide Politiker baten später darum, die Worte aus
dem Protokoll zu streichen. Zum Glück hatten Kameras das Ganze aufgezeichnet
und so konnte man sich später bei den Abendnachrichten über die
Volksvertreter erfreuen.
Ein anderen lustiges Demokratie-Spiel findet heute in Tel
Aviv statt. Die Arbeitspartei wählt die Minister für die neue Regierung. 13
Kandidaten gibt es, sieben Posten können besetzt werden. Die Parteizentrale
beschloss, dass die Minister nach der "Hitparade-Methode" gewählt werden.
Jedes Mitglied wählt fünf der 13 Kandidaten. Der Kandidat mit den meisten
Stimmen kann sich als erster sein Ministerium aussuchen, derjenige mit den
zweit meisten Stimmen wählt als nächster, der siebte muss nehmen, was übrig
bleibt und die anderen haben Pech gehabt.
Fachliche Qualifikation und Posten stehen also nicht in
unbedingter Korrelation. Schade, einige Kandidaten haben klare Präferenzen,
die sehr zu begrüßen sind. So brennen beispielsweise Ofir Pines und Itzhak
Herzog beide darauf, das Stiefkind Umweltministerium zu bekommen. Das
Hitparaden-System könnte jedoch auch dafür sorgen, dass sie beide keinen
Posten erhalten und die Umwelt wiederum in die Hände von jemandem gelegt
wird, der eigentlich nach etwas Prestige-trächtigerem auf der Suche war und
dem das Thema eigentlich egal ist. Gerade der Umweltbereich wurde in der
Vergangenheit sträflich vernachlässigt, bis Scharon mit Jehudit Naot von
Schinui eine engagierte und kompetente Politikerin mit dem Posten der
Umweltministerin betraute. Naot erkrankte jedoch an Kehlkopfkrebs und konnte
ihre Arbeit nicht fortsetzen. Sie verstarb vor einer Woche.
Die Arbeitspartei kann mit ihrem lustigen Wahlverfahren
folgende Posten besetzen: Inneres, Nationale Infrastruktur, Wohnen,
Kommunikation, Umwelt, sowie zwei Minister ohne Portfolio. Die Vereidigung
könnte bereits in zwei Wochen stattfinden. Für Peres könnte sein extra
geschaffener Posten die letzte Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung
werden, auch wenn er mit seinen 81 Jahren noch sehr rüstig ist. Das schon
zwanghaft wirkende Hineindrängen in die Regierung bringt Peres in Israel
viel Kritik ein. "Es tut weh zu sehen, wie Shimon Peres, ein Mann mit
enormen Erfolgen und hohem internationalen Ansehen, immer wieder darauf
besteht, sich zu blamieren und sein doppeltes Gesicht zu zeigen", urteilte
ein Kommentator in der Tageszeitung Maariv.
In der Welt ist Schimon Peres als großer Staatsmann
angesehen, mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Zu Hause sieht es ganz
anders aus. Seit Jahrzehnten steht er in der Kritik, wird angegriffen, ins
Lächerliche gezogen, auch innerhalb der eigenen Partei. Aber dennoch ist es
immer wieder Peres, der die Partei neu zusammenkittet, der in einer Stunde
der Not in die Bresche springt, der wieder Vorsitzender ist, der wieder
Verhandlungen führt. Es scheint nicht ohne ihn zu gehen. Peres ist ein
Visionär, aber aus vielen seiner Visionen wurde nichts. Seine Vorstellung
von einem "Neuen Nahen Osten" ist sehr schön, praktisch jedoch in weiter
Ferne. Aber Peres sieht sich selbst in der Tradition von Theodor Herzl, und
dessen Vision wurde ja auch erst nach 50 Jahren verwirklicht. Ein bisschen
länger kann Peres an seiner Vision in der neuen Regierung arbeiten.
hagalil.com
23-12-2004 |