Leugnung und Relativierung:
Der Missbrauch von Auschwitz in der aktuellen Politik
Von Gerd Wiegel
Für die Erinnerung an den Faschismus in Deutschland gibt es kein
bedeutenderes Signum als das, welches sich mit dem Namen "Auschwitz"
verbindet. Das von vielen, insbesondere konservativen Historikern beklagte
"nicht Vergehen der Vergangenheit" hängt hauptsächlich mit der Erinnerung an
zwei im negativen Sinne herausragenden Ereignissen des deutschen Faschismus
zusammen: der Ermordung der europäischen Juden und dem Raub- und
Vernichtungskrieg der Wehrmacht im Osten.
Diese beiden Punkte mit einer stärkeren Bedeutung für die Ermordung der
Juden verhindern maßgeblich bis heute, dass die Erinnerung an den
Nationalsozialismus auf ein Normalmaß negativer nationaler Erinnerung
herabsinkt und machen die deutsche Spielart des Faschismus weltweit zum
Beispiel einer bis heute einzigartigen verbrecherischen Politik eines
politischen Regimes.
Kein Wunder also, dass für all diejenigen, die an einem ungebrochen
deutsch-völkischen Nationalismus festhalten oder gar im Faschismus ein
positives Politikmodell sehen, die mit dem Namen "Auschwitz" verbundene
Ermordung der europäischen Juden und auch der Vernichtungskrieg der
Wehrmacht im Osten eine besondere Herausforderung darstellen. Der Weg zur
Selbstfindung der Deutschen geht über die Trümmer der KZ-Gedenkstätten, -
diese martialische Formulierung der "Deutschen Monatshefte" aus den
80er-Jahren verdeutlicht trefflich die geschichtspolitische Zielsetzung
einer extremen Rechten bezüglich des Umgangs mit der faschistischen
deutschen Vergangenheit.
Die Holocaustleugnung, also die Leugnung oder Relativierung dessen, was
mit dem Wort Holocaust bezeichnet wird, spielt in der politischen
Auseinandersetzung eine Rolle, seit die Verbrechen der Nazis der Welt
bekannt wurden, also spätestens seit dem 8. Mai 1945. Es handelt sich hier
nicht um einen berechtigten Streit um Umfang und Genese des schlimmsten
Verbrechens der deutschen Faschisten, sondern um eine
nicht-wissenschaftliche politische Argumentation mit dem Ziel, das NS-Regime
und die deutsche Bevölkerung von diesen Taten freizusprechen.
Klassische Holocaustleugnung
Keineswegs spielte die Holocaustleugnung nach 1945 nur in Deutschland
eine Rolle, vielmehr waren es vor allem französische, britische und
US-amerikanische Publizisten, die die Tatsachen des Holocaust leugneten
indem sie die Aussagen der überlebenden Zeugen bezweifelten und die
vorhandenen Dokumente als Fälschungen abtaten. Mit dieser immunisierenden
Strategie entziehen sich die Holocaustleugner bis heute jedem rationalen
Diskurs, da es ihnen nicht um die historischen Tatsachen sondern um die
politische Absicht geht.
Verschiedene Tatsachen der NS-Vernichtungspolitik wurden von den
Holocaustleugnern ins Visier genommen, um einen generellen Zweifel am
historischen Geschehen zu untermauern: die Zahl der Ermordeten, die Technik
der Ermordung, einzelne Dokumente und Abbildungen, die Orte der
Vernichtungsstätten, die Existenz der Gaskammern. Da das Wissen um die
Mordpolitik der Nazis erst aus den Akten und durch Zeugenaussagen erarbeitet
werden musste, gab es hier selbstverständlich Veränderungen.
Diese stetige Präzisierung durch die Wissenschaft wurde von den Leugnern
dazu genutzt, die Tatsache des Holocaust generell in Frage zu stellen. So
gab es beispielsweise in Auschwitz bis 1990 eine Gedenktafel, auf der von
vier Millionen Todesopfern die Rede war. Die Präzisierung, dass in Auschwitz
zwischen 700.000 und 1.200.000 Menschen ermordet wurden, wurde als Anlass
genommen, die Opferzahl weiter herunterzurechnen und die Planmäßigkeit des
Vorgehens zu bestreiten.
Wilhelm Stäglich, Germar Rudolf oder Paul Rassinier sind Autoren, die vor
allem über die Zahl der Opfer Zweifel am gesamten Vorgang wecken wollen. Mit
dem "Leuchter-Report" präsentierte die extreme Rechte in den 90er-Jahren
einen "Experten", Fred Leuchter, der behauptete, nachweisen zu können, dass
es in Auschwitz nie Gaskammern gegeben habe. Prominentester Vertreter der
Holocaustleugner ist der britische Historiker David Irving, der es zumindest
zeitweilig geschafft hatte, auch von seriösen Historikern ernst genommen zu
werden. Hier liegt, bezogen auf die Frage nach der Wirksamkeit der
rechtsextremen Holocaustleugnung, der entscheidende Punkt.
Leugnung oder Relativierung
Mit Ernst Nolte entdeckte in den 90er-Jahren ein zwar eindeutig
konservativer und randständiger, aber dennoch zum etablierten Spektrum
zählender Historiker sein Interesse für die Holocaustleugner. War Nolte
schon im Historikerstreit darum bemüht, den Juden eine Mitschuld an ihrer
Verfolgung zuzuweisen, so ging es ihm in den 90er-Jahren darum, die
Argumente der Holocaustleugner als diskutable und wissenschaftlich redliche
Ansichten zu erörtern.
Zum "Leuchter-Report" antwortet Nolte auf die Frage im
"Spiegel"-Interview, ob er Zweifel an der gezielten Massenvernichtung der
Juden durch Gas habe: "Das ist ein besonders heikler Punkt. Ich kann nicht
ausschließen, dass die meisten Opfer nicht in den Gaskammern gestorben sind,
sondern dass die Zahl derer vergleichsweise größer ist, die durch Seuchen zu
Grunde gingen oder durch schlechte Behandlung und Massenerschießungen. Ich
kann nicht ausschließen, dass die Untersuchung der Gaskammern auf
Blausäurespuren, die der amerikanische Ingenieur Fred Leuchter als erster
vorgenommen hat, wichtig ist." Hier zeigt sich eine reale Gefahr, die von
den Holocaustleugnern ausgehen kann, wenn es ihnen gelingt, ihre Ansichten
zu akzeptablen, wissenschaftlichen Meinungen zu stilisieren. Demgegenüber
kommt es darauf an, die politischen Implikationen dieser Leute zu entlarven,
denen es bis heute um eine Rechtfertigung des Faschismus geht.
Lehre aus oder Missbrauch der Vergangenheit?
Für die extreme Rechte ist die hier beschriebene Form der
Holocaustleugnung von einiger Bedeutung, gesamtgesellschaftlich hat sie
jedoch eine nur geringe Bedeutung. Zu klar und verbreitet ist weltweit das
Wissen um die Verbrechen des NS-Regimes. Während man in Deutschland heute
gerne auch die eigene Opferrolle (Stichworte: Bombenkrieg, Vertreibung)
betont und sogar anerkannte Schriftsteller des Landes von Auschwitz als
"Moralkeule" sprechen, unter der man zu leiden habe, gibt es daneben eine
neue Entwicklung. Sehr viel umstrittener ist in den letzten Jahren die
Frage, welche Lehren aus der Tatsache des Holocaust gezogen werden müssen.
"Alles zu tun, damit Auschwitz nicht sich wiederhole", dieses Diktum von
Theodor W. Adorno gilt bis heute; seine Interpretation dagegen kann ganz
unterschiedlich aussehen. Während Holocaust und Vernichtungskrieg bis 1990
entscheidende Gründe für eine machtpolitische Zurückhaltung der alten
Bundesrepublik waren, änderte sich dies in den folgenden Jahren.
Ging es im Historikerstreit und den nachfolgenden Relativierungsversuchen
konservativer Geschichtspolitiker immer auch um die Beseitigung der
NS-Vergangenheit als Hemmnis einer neuen deutschen Machtpolitik, so bildete
sich in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre eine Variante im Umgang mit der
NS-Vergangenheit heraus, die die Verbrechen nicht länger zu relativieren,
sondern für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren suchte.
Zum bekanntesten Beispiel dieses Missbrauchs oder auch Gebrauchs der
Vergangenheit wurde der Jugoslawienkrieg, an dem die Bundesrepublik sich
beteiligte. Hier wurde von der rot-grünen Bundesregierung explizit die
Erinnerung an Auschwitz mobilisiert, um den Kriegseinsatz gegen Jugoslawien
zu rechtfertigen. Die Vertreibung der Albaner durch die Serben wurde mit dem
Geschehen des Genozids an den Juden gleichgesetzt und Deutschland habe,
gerade auf Grund seiner Vergangenheit, hier eine besondere Pflicht des
Eingreifens.
Die mit dieser falschen Parallelisierung verbundene Verharmlosung von
Auschwitz lag sicherlich nicht in der Absicht von Rot-Grün. Vielmehr schloss
man sich einem internationalen Diskurs an, der Politik vor allem vor dem
Hintergrund moralischer Maßstäbe beurteilen wollte und zur Legitimation der
zahlreichen "humanitären Einsätze" im Namen der Menschenrechte wurde.
Die Verbrechen des deutschen Faschismus und vor allem der Holocaust sind
in diesem Diskurs zu einem weltweiten Negativmaßstab der Politik geworden,
mit dem aktuelles politisches Handeln legitimiert wird. Hier könnte man eine
gelungene Lehre aus der Vergangenheit sehen, ginge es nicht, allzu
offensichtlich, um die moralische Legitimation westlicher Machtpolitik unter
Rückgriff auf Auschwitz. Dennoch bleibt das Dilemma, wer begründen und
entscheiden kann, wann eine Berufung auf die Lehren der Vergangenheit
legitim ist und wann nicht. Es kann schließlich nicht darum gehen, jede Form
der Nutzung der Erinnerung als Missbrauch abzutun. Politik mit der
Geschichte wird von allen Seiten betrieben.
Hier liegt nicht das Problem. Wenn jedoch Auschwitz zu einer leeren und
entkonkretisierten moralischen Worthülse wird, dann verändert sich die
Erinnerung daran auch qualitativ. Der Historiker Ulrich Herbert äußerte in
einem Interview die Befürchtung, dass die "Erinnerung an den Holocaust, an
Auschwitz und an die Judenvernichtung zur kleinen Münze geworden ist, zum
jederzeit und von jedermann einsetzbaren Gebrauchsartikel." Dieser Art des
Missbrauchs gilt es sich entgegenzustellen.
Dr. Gerd Wiegel ist Politikwissenschaftler an der Universität Marburg.
Der Beitrag erscheint in: antifa - Magazin für
antifaschistische Politik und Kultur
Ausgabe Dezember 2004 / Januar 2005"
Konservativer Geschichtsdiskurs:
Die
Zukunft der Vergangenheit
Setzt man einen weitgehenden Einfluß von Wissenschaft im allgemeinen und
Historikern im besonderen auf die kollektiven Geschichts- und
Vergangenheitsbilder einer Gesellschaft voraus, muß man auch eine
entscheidende Bedeutung für das Bild der faschistischen Vergangenheit in
Deutschland annehmen...
Die Aufwertung der NS-Gewaltherrschaft:
Revisionismus
Der Revisionismus, der die Geschichtsschreibung über die Zeit des Dritten
Reichs ändern will, ist zu einem Bindeglied zwischen den unterschiedlichsten
rechtsextremistischen Strömungen geworden...
hagalil.com
01-12-2004 |