Von Max Brym
Seit 10. November ist Georg Milbradt wieder Ministerpräsident des
"Freistaates Sachsen". Der CDU-Politiker wurde jedoch nicht im ersten
Wahlgang gewählt, sondern erst im zweiten. In beiden Wahlgängen erhielt der
Kandidat der nazistischen NPD 14 Stimmen. Damit hatte der NPD-Kandidat
jeweils um zwei Stimmen mehr, als die NPD Abgeordnete im Landtag stellt. Mit
Eifer suchen die Schreiber in den Gazetten nach den zwei "Verrätern", die
doch tatsächlich einen nazistischen Kandidaten unterstützten.
Die "Bild Zeitung" spricht von einem Skandal. Damit liegt sie wieder
einmal voll daneben. Das Wort Skandal ist zu übersetzen mit ungewöhnlich
oder außerhalb der Norm liegend. Natürlich ist es nicht ganz normal, wenn
Abgeordnete, vermutlich aus dem Unionslager, einen Nazi im Parlament
unterstützen. Ein solches Verhalten ist allerdings der normale Ausdruck für
die gesellschaftliche Akzeptanz, die den Nazis gegenwärtig seitens des
politischen Establishments und der staatlichen Bürokratie widerfährt.
Die Nazis werden häufig von Unionswählern mit der Zweitstimme gewählt.
Anläßlich der Landtagswahlen bekam die NPD in Sachsen 190.909 Zweitstimmen,
bei den Erststimmen hingegen nur 100.765. Der NPD-Wähler stimmt nicht nur
für die NPD, sondern er wählt nebenbei, wenn kein Erststimmenkandidat der
NPD zur Verfügung steht, eine "normale" bürgerliche Partei. Das dialektische
Wechselverhältnis zwischen Basis und Überbau machte sich auch bei der
Ministerpräsidentenwahl bemerkbar. Neonazis sind zunehmend in breiten
gesellschaftlichen Schichten salonfähig, das politische Establishment
bestätigt und verfestigt dies im Überbau.
"Die NPD und DVU entzaubern"
Nach den rechten Wahlerfolgen im Saarland, in Brandenburg und in Sachsen,
verbogen sich viele Politiker vor den Kameras in seltsame Richtungen.
"Entzaubern" wolle man "die Rechtsradikalen" und der Nachweiß soll geführt
werden, dass diese nicht kompetent seien. Damit wird den Nazis unterstellt,
doch irgendwie an einer sachlichen Debatte interessiert zu sein. Durch diese
an den Haaren herbeigezogene Unterstellung wird suggeriert, "dass sind
irgendwie inkompetente Menschen, denen es einiges klarzumachen gelte". Der
Nazi, den es zu ächten und auszugrenzen gilt, gibt es in diesem Diskurs
nicht mehr. In Wahrheit ist die NPD und die DVU extrem nationalistisch,
rassistisch und antisemitisch. Soll ihnen vielleicht nachgewiesen werden,
dass sie das nicht sind? Oder besteht die "Entzauberungsstrategie"
vielleicht darin, über die "Sachfrage Kanalisation", den Wähler der Nazis zu
überzeugen: "Davon haben die keine Ahnung".
Dabei wird großzügig übersehen, dass die Wähler der Nazis größtenteils
Überzeugungstäter sind. Die NPD wurde von 9,2% der Wähler in Sachsen
gewählt, weil sie antisemitisch, rassistisch und nationalistisch ist. An
"Flurdebatten" im Landtag ist die NPD wie ihre Wählerschaft nur auf der
Basis des nazistischen Programms interessiert. Genau das ignoriert die
bürgerliche Mitte und landet damit gezwungenermaßen bei der Verharmlosung
der NPD und ihrer Wählerschaft. Nazis werden normal, warum dann nicht einen
wählen, um meinen "geliebten" Parteifreund Milbradt (Parteifreund ist
oftmals die Steigerungsform von Feind) eine mitzugeben? Durch die
Entzauberungsstrategie entblödet sich die bürgerliche Kaste selbst.
Der Staat und die Parteien normalisieren ihr Verhältnis zur NPD
In Dresden fanden bis vor kurzem Montagsdemonstrationen gegen die Hartz
IV-Gesetze statt. Die Demonstrationen beruhten auf einem antirassistischen
und antifaschistischen Konsens. Jede Teilnahme von Nazis wurde seitens der
Anmelder der Demonstration und ihrer Ordnungskräfte unterbunden. Dieses
Verhalten und dieser Konsens gefällt dem Ordnungsamt der Stadt Dresden
nicht. Das Ordnungsamt besteht auf der gleichberechtigten Teilnahme der
"braunen Kameraden" an den Demonstrationen. Weil die Veranstaltungsleiter
der Dresdner Montagsdemonstration bis dato das Versammlungsrecht der Nazis
nicht im Sinn des Ordnungsamtes duldeten, werden sie nicht mehr als Anmelder
der Demonstration akzeptiert. "Die Sorge" um die Versammlungsfreiheit der
Neonazis dominiert die Gehirne der Dresdner Stadtverwaltung und der
polizeilichen Einsatzleitung. Sie möchten konsequenterweise die deutschen
Faschisten auf der Straße haben und in diesem Zusammenhang erklären sie
jeden Antifaschisten, der das anders sieht, zum Antidemokraten. Herr Voigt
(NPD-Vorsitzender) und Herr Apfel sind mit den Dresdner Stadtorganen
zufrieden.
"Was erlauben Strunz"
Auf N24 läuft eine Sendung unter diesem scheinbar witzigen Titel. Auf dem
Sender ereignete sich Anfang Oktober ein neue Willkommensfrequenz zu Gunsten
des Naziführers Udo Voigt. Herr Voigt meint zwar, dass "Hitler ein großer
Staatsmann gewesen sei" und das die Bundesrepublik ein "illegitimes System"
ist (welches System für ihn legitim ist, dürfte klar sein), dennoch durfte
sich dieser Herr am 11. Oktober 04 in der genannten Sendung einer völlig
legitimierten Debatte stellen. Claus Strunz, hauptberuflich Chefredakteur
bei "Bild am Sonntag", leitete die Debatte zwischen Udo Voigt und dem
"einstigen SPD-Vordenker" Peter Glotz.
Als Strunz den früheren SPD-Politiker fragte, ob "man Rechtsextremisten
im Fernsehen ein Forum geben sollte", antwortete Peter Glotz mit hochrotem
Kopf, "wenn mir etwas auf den Hammer geht, dann Journalisten die sagen, dass
dürfe man nicht. Journalisten sollen das Zeitgespräch der Gesellschaft
moderieren." Ergo, Glotz will von einer Ausgrenzung der Rechtsextremisten
nichts wissen, er will das Zeitgespräch mit ihnen gesellschaftlich moderiert
haben. Der Dialogspezialist Peter Glotz rechtfertigte seine Legitimierung
der Nazis mit einem absurden, beleidigenden und gefährlichen Vergleich.
Glotz erklärte, er habe schon heikle Debatten geführt, unter anderem mit
Franz Schönhuber und Ernest Mandel. Der Unterschied zwischen einem
REP-Gründer und einem jüdischen Widerstandskämpfer, dem bekannten
marxistischen Theoretiker Mandel, interessiert Glotz nicht im geringsten.
Offensichtlich sind die Nazis in der "Mitte der Gesellschaft" angekommen.
Staatsorgane machen sich für ihr Demonstrationsrecht stark, Abgeordnete aus
dem bürgerlichen Spektrum wählen einen NPD-Kandidaten und Herr Glotz
diskutiert mit dem Naziführer, zudem noch auf eine sehr ungeschickte Art.
Der Vergleich Schönhuber mit Mandel ist eine Ungeheuerlichkeit, folgt
allerdings dem Schema links = rechts, mit dem Ziel die Rechten zu
verharmlosen, zu legitimieren und nach links zu schlagen.