Frauen im Irak:
Das Erbe der Diktatur
WADI e.V.
Die Aufgabe, die den irakischen Frauen unter dem Ba'thstaat zukam, beschrieb
1991 die staatseigene Zeitung "Al-Jumhurriyah" folgendermaßen: "Jede
irakische Mutter muss ihrem Säugling beibringen, wie man schießt, kämpft und
heldenhaft stirbt." Der radikale Nationalismus der Ba'thpartei war - vom
Bild des "gütigen Vaters" Saddam Hussein und dem des Volkes als "unschuldig
und rein" bis zur Kennzeichnung westlich-liberaler Demokratie als "Hure" -
vollständig von einer männlichen Vorstellungswelt geprägt.
In der alltäglichen Praxis hatten Frauen praktisch keinerlei Möglichkeiten,
an politischen Entscheidungen zu partizipieren. Im Gegenteil: Obwohl der
irakische Staat gerne damit warb, Schutz und Gleichberechtigung von Frauen
rechtlich zu garantieren, wurden die Rechte irakischer Frauen stark
eingeschränkt. Frauen durften nicht ohne männliche Begleitung das Land
verlassen; innerfamiliäre Gewalt gegen Frauen aus "Gründen der persönlichen
Ehre" bis hin zum Mord waren per Gesetz ausdrücklich erlaubt (die UN
Frauenorganisation UNIFEM schätzt, dass mehr als 4.000 Frauen im Rahmen
dieser Gesetzgebung legal ermordet wurden); Vergewaltigungen und Folter
weiblicher Angehöriger wurden regelhaft eingesetzt, um Aussagen Inhaftierter
zu erpressen; Frauen, der Prostitution beschuldigt, wurden öffentlich
enthauptet. Gewalt und Angst prägte das Verhältnis von Bürger und Staat.
Terror und Ausnahmezustand
Islamistische und nationalistische Rebellengruppen setzen diese Gewalt fort.
Islamische Milizen zwingen Frauen zur Verhüllung, halten Mädchen vom
Schulbesuch ab und bedrohen Frauen, die sich ihrem Zwangsregime widersetzen.
Im September 2003 wurde Aqila al-Hashimi, eine der damals drei Frauen im
Regierungsrat, ermordet, im März 2004 starb die amerikanische
Frauenrechtlerin Fern L. Holland bei einem gezielten Anschlag.
Frauenaktivistinnen, Richterinnen und Anwältinnen, Journalistinnen und
Lehrerinnen, die in der Öffentlichkeit auftreten, werden regelmäßig bedroht.
Zu Opfern der Gewalt werden auch Frauen, die mit der Koalitionsverwaltung
"kollaborieren", wie vier Wäscherinnen, die in Bagdad im Januar 2004
ermordet wurden. Das Klima allgemeiner Angst und Gewalt in den
Unruheregionen trifft Frauen auf vielfältige Weise. Frauen und Mädchen
trauen sich in diesen Gebieten vielfach nicht, das Haus zu verlassen, weil
"Aufständische" - die sich zum großen Teil aus den ehemaligen Mitarbeitern
der Armee und der Sicherheitskräfte der gestürzten Diktatur, aus
perspektivlosen jungen Männern und Kriminellen rekrutieren - rücksichtslos
gegen Zivilistinnen vorgehen. Human Rights Watch berichtet von einer hohen
Zahl an Vergewaltigungen, Entführungen und Morden an Frauen.
Häusliche Gewalt und gesellschaftlicher Ausschluss
Äußere Gewalt und Bedrohung werden regelhaft nach Innen weitergeleitet. Die
Legalisierung häuslicher Gewalt gegen Frauen unter Saddam Hussein hat zu
einer vollständigen Verfügungsgewalt der Männer über ihre weiblichen
Angehörigen geführt. Frauen, die vermeintlich die Ehre der Familie verletzt
haben, werden nicht selten grausam ermordet oder in den Selbstmord
getrieben. Zwangsehen und Genitalverstümmlungen sind in ländlichen Gebieten
nach wie vor verbreitet.
Frauen werden vielfach daran gehindert, Schulen zu besuchen oder eine
Ausbildung zu absolvieren. Über 40 % der irakischen Frauen, schätzt die
Weltbank, sind Analphabetinnen. Vor dem Irakkrieg besuchten in den von der
Hussein-Regierung kontrollierten Gebieten lediglich 35 % der Mädchen eine
Schule. Frauen sind in besonderem Maße auch von der ökonomischen Situation
des Landes getroffen. Nur etwa 10 % der Frauen gingen der UN
Entwicklungsorganisation UNDP zufolge vor dem Krieg einer "wirtschaftlichen
Tätigkeit" nach, während die Zahl der weiblich geführten Haushalte in Folge
von Kriegen und Säuberungskampagnen, bei denen Männer verschleppt oder
getötet wurden, enorm angestiegen ist.
Der Human Development Report der Vereinten Nationen listete den Irak 2002
auf Platz 126 von insgesamt 174 Staaten ein, was Gleichberechtigung und
Frauenrechte betrifft.
Fraueninitiativen und demokratischer Wiederaufbau
Etwa 60 % der irakischen Bevölkerung sind weiblich. Mit dem Sturz Saddam
Husseins sind im gesamten Land Fraueninitiativen entstanden, die für mehr
Rechte und eine stärkere Beteiligung von Frauen an politischen
Entscheidungen eintreten. Anlaufstellen wurden eröffnet, in denen Frauen in
Krisensituationen und Opfer männlicher Gewalt professionelle Hilfe finden,
aber auch Frauenzentren mit Ausbildungskursen, Internetcafés und
Frauenbibliotheken.
Auf mehreren Konferenzen haben sich irakische Frauen für eine stärkere
Repräsentation in der Übergangsregierung eingesetzt und verhindert, dass
Regelungen aus der Scharia im Familien- und Zivilrecht übernommen wurden,
wie es islamische Parteien im Regierungsrat durchgesetzt hatten. Im
25-köpfigen Übergangsrat befand sich bis Juni 2004 lediglich eine Frau. Von
den 30 Ministern der jetzigen Übergangsregierung sind sechs weiblich. Die
Übergangsverfassung legt für die Nationalversammlung eine Quote von 25 %
weiblicher Abgeordneter fest. In allen Teilen des Landes engagieren sich
Frauenrechtlerinnen gegen die "Geschlechterapartheid" im Irak.