Von Thomas Uwer und Thomas von der Osten-Sacken
Der Konflikt zwischen dem Westen und der so genannten islamischen
Welt, erklärte der niederländische Schriftsteller Cees Nootebom
angelegentlich der Frankfurter Buchmesse, "beruht hauptsächlich auf
Unwissenheit und Vorurteilen". Die Lösung der "größten Krise des 21.
Jahrhunderts" könne daher nur darin liegen, Unwissenheit und
Missverständnisse zu bekämpfen, die zwischen der "islamischen und westlichen
Kultur" herrschten. Zumindest was die Unwissenheit angeht, dürfte er Recht
haben. Denn wer auch nur ein halbes Dutzend der in Frankfurt anwesenden
arabischen Schriftsteller aus dem Kopf zu nennen in der Lage ist, die auf
der diesjährigen mit der "Arabischen Liga" ausgerichteten Buchmesse die
"arabische Welt" repräsentierten, darf sich bereits Experte nennen.
Wem sagte etwa der Name Mohammad Salmawy etwas, bevor dieser gemeinsam
mit Bundeskanzler Gerhard Schröder die Buchmesse eröffnete und eine
Grußbotschaft des greisen Literaturnobelpreisträgers Nagib Machfus aus
Ägypten verlas? Wohl niemandem, sonst wäre Salmawy wohl schwerlich auf der
Rednerliste gelandet. Denn der Herausgeber der französischsprachigen Ausgabe
der staatseigenen ägyptischen Zeitung Al Ahram Hebdo, ist ein passionierter
Holocaustleugner, der anhand der Größe der Krematorien von Auschwitz
nachzuweisen glaubt, dass der deutsche Judenmord niemals das bekannte Ausmaß
erreicht haben konnte. Und er ist einer jener engagierten Schriftsteller,
die ihre Kritik besonders pointiert gegen einen Feind richten, in dem sich
die eigene Regierung und ihre Zensoren auf gar keinen Fall wieder erkennen.
2002 erschien sein Roman "Wafa Idris und andere palästinensische
Geschichten", mit dem er die erste weibliche Suicide Bomberin, Wafa Idris,
ehrte, die sich in Israel in die Luft sprengte.
"Der demokratische Reformprozess unter Präsident Chatami
bietet eine große Chance für Menschenrechte, Demokratie, Frieden und
Stabilität. ...Die Reaktivierung des Kulturaustauschs ist von überragender
Bedeutung für unsere gegenseitigen Beziehungen. Der Kulturaustausch wird
immer wichtiger, auch unter dem Gesichtspunkt demokratischer Grundwerte, der
Herrschaft des Rechts – das ist ja nicht gebunden an die westliche Kultur."
Bundesaußenminister Josef Fischer
|
Während Salmawy das eher panarbisch ausgerichtete ägyptische
Establishment repräsentierte, stand Tariq Ramadan, der mit Daniel Cohn
Bendit und anderen über den Dialog zwischen Orient und Okzident parlierte,
für den Dialogpartner „Islam“. Auch Dr Mohammed Saeed Ramadan Al Bouti war
geladen, sich zum Thema "Zukunft des Islam in einer sich verändernden Welt"
auszulassen. Al Bouti, Anhänger der besonders rigiden salafitischen Richtung
des Islam, preist Selbstmordattentate als Märtyrertum und fordert die
Zerstörung Israels. Während Salmawy es eher mit Roger Garaudy hält, bezieht
Al Bouti sich positiv auf antisemitische Auslassungen des amerikanischen
Rechtsradikalen Lyndon LaRouche. Und er weiß, wer neben Israel und den USA
der Feind des Islam ist: Musik, Kino und "die schönste Gesangsstimme, für
die Köpfe in Kunstsoireen und Nachtclubs sich verzückt schütteln".
Ist es nur ein Missverständnis, all diesen Figuren ein Forum zu bieten
und Bücher auszustellen, die dezidiert die Zerstörung Israels fordern und
den Hamas-Gründer Skeikh Yassin lobpreisen? Sicher, Nootebom und die anderen
Fürsprecher eines Dialogs mit der "arabischen und islamischen Welt" haben
andere kulturelle Schätze im Sinne als Salmawys oder Al Boutis Lob des
Terrors. Dass sie dennoch immer wieder bei dem landen, was sie für ein
Missverständnis vom Orient halten, liegt nicht alleine in der Realität des
arabischen Nahen Ostens begründet, sondern vielmehr in der Logik des
Dialogs, den sie suchen. Wo dieser mit Regimes geführt wird, die unter
anderem dadurch sich auszeichnen, dass sie Literatur und Kunst, wo sie sich
nicht entweder staatlichen Vorgaben unterwirft oder aber sich in
kunsthandwerkliche Harmlosigkeit flüchtet, erfolgreich unterdrückt haben,
wird man kaum mehr erwarten können. Es ist kein Zufall, dass Schriftsteller
wie der syrische Exilschriftsteller Adonis, der zu den herausragenden
arabischen Literaten zählt, an diesem Dialog wenig Interesse zeigen. Er sei
in erster Linie Schriftsteller, erklärte Adonis vor der Buchmesse, und nicht
Araber. Als Schriftsteller könne er sich mit anderen Schriftstellern
unterhalten, einen Dialog als Araber zu führen aber stehe ihm nicht zu. So
produziert der "Dialog der Kulturen", der Missverständnisse und Unwissenheit
aus der Welt zu schaffen angetreten ist, selbst beständig neue
Missverständnisse, die weit schwerer wiegen als jener kleine Missgriff der
Tagesspiegel-Redaktion, die das Cover ihrer Buchmesse-Beilage mit einer
Karawane bebilderte, nur dass es sich offensichtlich um Kamele in der Wüste
Gobi und nicht Dromedare in Arabien handelte. Denn fraglos besteht auch der
arabische Nahe Osten aus mehr als orientalisierendem Kitsch und jenen
Berufsarabern, die so genannte islamische Welt aus mehr als verschiedenen
Interpreten des Korans.
"Es ist möglich, dass unter bestimmten Bedingungen taktische Mittel
in der Außenpolitik eingesetzt werden, aber der Geist und das Wesen der
Außenpolitik der islamischen Ordnung hat sich keineswegs verändert und wird
sich auch nicht verändern ... Täglich wächst der Widerstand der
Weltöffentlichkeit gegen die liberale Demokratie des Westens. Der Hass der
Welt auf Amerika wächst so stark, dass die faktisch isolierte Regierung
dieses Landes vor einer politischen Niederlage steht ... In bezug auf Fragen
wie Menschenrechte, Minderheitenrechte, Kampf gegen den Terrorismus,
Frauenrechte, das Verbot der Nutzung von Massenvernichtungswaffen ... sind
wir es, die Forderungen zu stellen haben und nicht die Westler."
Ayatollah Ali Khamenei |
Das erste und zentrale Missverständnis aber ist, dass es sich bei den
politischen Konflikten im und mit dem arabischen Nahen Osten überhaupt um
ein Missverständnis handelt. Bereits der Begriff des Dialogs – und nicht nur
des kulturellen – legt nahe, dass im Nahen Osten nicht in erster Linie ein
politisches Problem besteht, bei dem es um reale Macht sowie handfeste
ökonomische und strategische Interessen geht, sondern um ein
Kommunikationsproblem. Stillschweigend vorausgesetzt wird, dass es sich bei
dem "größten Konflikt des 21. Jahrhunderts" um eine Auseinandersetzung
zwischen Orient und Okzident handelt, dass also Osama Bin Ladin, der
sogenannte irakische Widerstand und der suizidale Terror palästinensischer
Organisationen nicht Ausdruck der politischen Krise einer Region sind, deren
Staaten sich seit Jahrzehnten auf einem ungebremsten ökonomischen und
politischen Abstieg befinden, sondern der eines kulturell und religiös
fundierten Konflikts zwischen zwei Welten. Wer diesen Konflikt verstehen
wolle, der müsse erst einmal die islamische und arabische Kultur verstehen.
Dieses Ansinnen negiert nicht nur, dass bereits die Vorstellung eines
exklusiven Arabertums, genau wie die der "islamischen Kultur", einen
wesentlichen Teil des politischen Konflikts in einer Region darstellt, die
weder rein arabisch, noch rein muslimisch ist, die zugleich aber von
Regierungen kontrolliert wird, die Arabertum und Islam zum ideologischen
Kernbestand ihrer Herrschaft erklärt haben. Gezeichnet wird zugleich das
Bild eines arabischen und islamischen Nahen Ostens, dessen Bewohner nicht in
erster Linie von nachvollziehbaren individuellen Interessen und gesundem
Menschenverstand, sondern von kulturellen und religiösen Determinanten, von
Ehre, Stolz und Tradition geleitet werden. Diesem essentialistischen
Verständnis der Gesellschaften des Nahen Ostens liegt dieselbe letztlich
rassistische Projektion zugrunde, die im Bild der ständig zitierten
"arabischen Straße" wirksam wird und deren Ursprung keineswegs in einem
Mangel an Wissen über die Besonderheiten der islamischen Kultur liegt. Dem
deutschen Buchhandel jedenfalls ist längst klar geworden, dass sich Bücher
besser verkaufen, wenn sie von Kopftuch und Koran handeln. Über kaum eine
andere Region sind derart viele populäre Bücher geschrieben worden wie über
den Nahen Osten. Islam verkauft sich in Deutschland beinahe so gut wie die
USA unter George W. Bush.
Man muss andererseits nicht im Beduinenzelt gesessen und Ibn Khaldoun im
Original gelesen haben, um zu wissen, dass es den Menschen in Saudi-Arabien,
Syrien und dem Irak besser ginge, wenn sie ihre Regierung frei wählen
könnten und ihre Kinder Schulen besuchten, in denen etwas anderes als
Staatspropaganda oder der Koran gelehrt würden. Man mag sich für
Kaligraphie, osmanische Architektur und die arabische Sprache begeistern, im
Hinblick auf die gesellschaftlichen Möglichkeiten und Freiheiten der
Menschen, sich zu entfalten und unter einigermaßen würdigen Bedingungen zu
leben, sagen auch die herausragendsten Zeugnisse nahöstlicher Kultur wenig
aus. Das verzerrte Bild vom Orient, Wunschprojektion und Gruselmärchen
zugleich, ist nicht die Folge von Unwissenheit, sondern all jener Bücher und
Fernsehsendungen, in denen die "islamische Kultur" erläutert und politische
Ereignisse als Ausdruck kultureller und religiöser Sitten gedeutet werden.
Die Wahrnehmung vom Nahen Osten ist auf eigentümliche Weise kenntnisreich
und blind zugleich.
"Der DFB sieht in dem Länderspiel auch die Gelegenheit zur
kulturellen Verständigung. Zudem kommen die Erlöse aus der Partie
wohltätigen Zwecken zugute, nämlich den Erdbebenopfern der Katastrophe in
Bam im Jahre 2003. Wir denken, dass es sich dafür lohnt, im Iran zu
spielen!"
Antwort der Pressestelle des Deutschen Fußballbunds auf die Frage, warum man
nicht dagegen protestiert hat, dass iranischen Frauen der Besuch des
Länderspiels Deutschland/Iran verboten wurde (7/10/2004)
|
Da der "kulturelle Dialog" die Anerkennung des Gegenübers als akzeptabel
und bestehende Differenzen als duldbar voraussetzt, erscheinen Äußerungen
diskutabel, die selbst bürgerliche Mindeststandards denunzieren und in einer
extrem gewalttätigen Sprache die Vernichtung zumindest Israels, wenn nicht
der Juden überhaupt fordern. Wenn aber das Problem der arabischen oder
islamischen Welt nicht der dort herrschenden Repression, staatlicher
Kontrolle, Unterdrückung von Frauen, gleichgeschalteter Presse und
Verherrlichung von Gewalt – kurz: der politischen Organisation von
Herrschaft - geschuldet ist, sondern lediglich einem von bürgerlicher
Vergesellschaftung verschiedenen kulturellen Verständnis, dann werden
einerseits die als universell angenommenen Mindeststandards bürgerlicher
Gesellschaft selbst zu politischen Ausformungen "christlich-abendländischer
Kultur" und damit disponibel. Über Menschenrechte, die universell sind, kann
kein Dialog geführt werden. Andererseits wird der politische Zustand
despotischer Herrschaft in den Ländern des Nahen Ostens verewigt, da jede
erreichbare politische Veränderung als äußerlich gegenüber der kulturellen
Disposition erscheint. Dabei wird beständig so getan, als würden die
Parteien, Gruppen und Regierungen, mit denen man den Dialog sucht, letztlich
doch etwas anderes wollen, als das, was sie öffentlich propagieren, obwohl
weder Hizbollah noch Hamas, weder die iranische noch die syrische Regierung
und auch nicht die deutschen Dialogpartner des Islam mit ihren politischen
Vorstellungen hinterm Berg halten.
Meidet man es außenpolitisch geflissentlich, sich mit Oppositionellen aus
den jeweiligen Ländern zu treffen und sie entsprechend zu legitimieren, so
sucht man auch innenpolitisch den Kontakt zu Islamisten, die in der Regel
kein Hehl aus ihren Zielen machen. So ist ein gern gesehener Partner für den
"Dialog mit dem Islam" beispielsweise der syrische Muslimbruder Amir Zaidan,
der lange Zeit der "islamischen Religionsgemeinschaft in Hessen" vorstand.
Zu Gast war Zaidan etwa bei der Rot-Grünen Ausländerbeauftragten Marieluise
Beck oder auf dem Kirchentag, wo er passenderweise zum Thema "Menschenrechte
in säkularen Gesellschaften" sprach - völlig ungeachtet dessen, dass er
einer der Autoren der sogenannten "Kamelfatwa" ist, die muslimischen Frauen
verbietet, sich unbegleitet weiter von zuhause weg zu entfernen, als ein
Kamel an einem Tag laufen kann. Sinn dieser Fatwa war es, muslimische
Schülerinnen davon abzuhalten an Klassenfahrten teilzunehmen.
So bot auch die Frankfurter Buchmesse nur eine neuerliche Gelegenheit zu
konstatieren, dass der "kulturelle Dialog" wie auch sein außenpolitisches
Vorbild in einer Krise steckt. Das wird schon lange behauptet, aber es ist
noch nicht so lange her, dass diese Krise derart offensichtlich wurde. Sie
liegt nicht mehr nur darin, dass mit dem Dialog die gewünschten Ziele
offensichtlich nicht erreicht werden konnten, sondern darin, dass überhaupt
ein Ziel zu haben, offenkundig abhanden gekommen ist. Dialog aber macht nur
dann Sinn, wenn man ein Ziel hat, das man erreichen möchte. An die Wand
fährt der kulturelle Dialog, wenn er nicht einmal mehr den Anschein zu
wahren die Mühe wert erscheint, dass eine Veränderung im Kleinen wenigstens
erreichbar ist. So fand sich auf der Liste der ursprünglich eingeladenen
Autoren zur Frankfurter Buchmesse der saudi-arabische Dichter Ali al
Dumaini, der in seinem Heimatland im Gefängnis sitzt, weil er die saudische
Klerikaldiktatur kritisierte. Doch kein Günter Grass wollte sich finden, dem
das Leben eines Kollegen in Riad wichtiger schien, als die Reform der
deutschen Rechtschreibung. Anstatt sich also für die Freilassung des
Dichters einzusetzen, ein paar Unterschriften zu sammeln und das wenige zu
tun, das der Dialog mit Rücksichtnahme auf das Gegenüber erlaubt, wurde sein
Name kurzerhand von der Liste der Teilnehmer gestrichen. Damit hat der
Dialog der Kulturen lediglich nachvollzogen, was seinem außenpolitischen
Vorbild längst widerfahren ist.
Unter Klaus Kinkel als "kritischer" eingeführt und von der rot-grünen
Regierung als "konstruktiver" fortgesetzt zielte der außenpolitische Dialog
mit dem iranischen Mullahregime und den arabischen Diktaturen des Nahen
Ostens darauf, die bestehenden Verhältnisse vor Ort so weit wie möglich mit
den eigenen Interessen in Einklang zu bringen. Die Voraussetzung dafür, dass
man ernsthaft glaubte, mittels eines kritischen oder konstruktiven Dialogs
einen Wandel herbeizuführen und geringfügige Kontrolle wenigstens zu
gewinnen, war, dass eine andere Alternative sich nicht bot. Dialog und
Anerkennung dienten in erster Linie dazu, Staaten einerseits vertragsfähig
und also wirtschaftlich erschließbar zu machen, die dem eigenen politischen
und wirtschaftlichen System offen feindselig gegenüberstehen und dadurch
andererseits die von ihnen ausgehende außenpolitische Gefahr einzudämmen.
Angelehnt an das Konzept des "Wandels durch Annäherung" ging man davon aus,
dass eine tendenziell feindliche Regierung, mit der man spricht, weniger
gefährlich ist, als ein Feind, dem man droht. Langfristige Kontakte und
Verhandlungen sollen dazu dienen, das Gegenüber schrittweise zu
domestizieren, anstatt den Druck zu erhöhen und den Konflikt zuzuspitzen.
Gegenstand der Verhandlungen außerhalb wirtschaftlicher Kontakte waren
Bereiche, die Grundsätzliches nicht berührten und zugleich den Unterschied
zu gleichberechtigten Verbündeten aufrecht erhielten: Menschenrechte und
kulturelle Freiheiten. Anstatt also die politischen Bedingungen zu ändern,
unter denen Menschen aufgrund reiner Meinungsäußerung bereits mit grausamen
Strafen bedroht werden, setzte der kritische Dialog darauf, unter Wahrung
der bestehenden Herrschaftsverhältnisse für eine graduelle Verbesserung zu
sorgen, die zwangsnotwenig immer begrenzt sein muss. Regimes, die schlimm
sind, aber unveränderbar erscheinen, sollen dazu gebracht werden, wenigstens
ein bißchen weniger schlimm zu sein. Etwas zugespitzter formuliert besteht
der Wandel darin, dass eine 16jährige Ehebrecherin nicht mehr gesteinigt,
sondern gehängt wird, wie kürzlich im Iran geschehen.
Der kritische Dialog ist damit ein politisches Instrument, das einzig
unter der Bedingung der Alternativlosigkeit Sinn ergibt. Dies war, ähnlich
wie zu Zeiten des Kalten Krieges, über Jahrzehnte im arabischen Nahen Osten
der Fall. Dass sich dort bis zum April 2003 seit nunmehr drei Jahrzehnten
mit nur sehr wenigen Ausnahmen praktisch nichts geändert hat, liegt nicht
daran, dass westliche Regierungen das Königshaus Saud oder die Assad-Familie
wirklich mögen oder dass das Öl schneller und billiger in Ländern fließt, in
denen Frauen nicht Auto fahren dürfen. Und auch die These, dass sich mit den
iranischen Mullahs besser Geschäfte machen ließe, als mit einer
demokratischen Regierung, leuchtet angesichts der erheblichen Hürden, die
Unternehmen selbst bei Geschäften mit diesem wirtschaftlich vergleichsweise
liberalen Land nehmen müssen, kaum ein. Nicht einer besonderen Vorliebe für
diese Regimes war also geschuldet, dass sich die arabischen und islamischen
Staaten unter Duldung und freundlicher Förderung zu aggressiven Diktaturen
und Brutstätten des islamistischen Terrors verhärtet haben, sondern vor
allem der Tatsache, dass jede sich bietende Alternative als noch
abträglicher eingestuft wurde, als der ohnehin schon nicht erfreuliche
Zustand. In dem Augenblick aber, in dem mit dem Sturz Saddam Husseins die
Verhältnisse vor Ort von außen umgestoßen wurden, musste sich der Dialog an
einem neuen Maßstab messen. Er wird entweder überflüssig oder ganz
offensichtlich zu dem, was er kritisch betrachtet ohnehin seit Jahren war:
Ein Instrument zur Legitimierung und damit Perpetuierung diktatorischer
Herrschaft. Völlig unabhängig davon, was man von dem Programm eines "Greater
Middle East" hält und welche Chancen man einer demokratischen Entwicklung im
Irak einräumt – mit der militärischen Offensive der US-Nahostpolitik hat
sich auch die Rolle des europäischen Dialogs mit den arabisch/islamischen
Staaten gewandelt. Die europäische Politik, die gemeinsame Ziele lediglich
auf einem anderen Weg erreichen zu wollen schien, gibt sich als
grundsätzliches Gegenmodell zum Programm der USA zu erkennen.
Auf den Punkt gebracht hat dieses Alternativmodell die Leitung der
Frankfurter Buchmesse, deren Pressestelle erklärte, gerade angesichts der
amerikanischen Bomben auf islamische Länder sei der Dialog wichtiger denn
je. Je sinnleerer und affirmativer der Dialog in Wahrheit wird, desto mehr
politische Bedeutung wird ihm angedichtet. Längst geht es dabei nur noch um
eine offen praktizierte Rückendeckung der herrschenden Regimes im Nahen
Osten gegen mögliche Veränderung, selbst da, wo ursprünglich noch anderes
intendiert gewesen sein mag. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass
die von Khatami geführte Regierung im Iran, die als Partner Europas
gegenüber den vermeintlichen religiösen Hardlinern galt, nunmehr offen
eingesteht, an der Atombombe zu arbeiten. Noch vor einem knappen Jahr hat
der deutsche Außenminister es als Erfolg des Dialogs gegenüber der
us-amerikanischen Konfrontation verbucht, dass der Iran der Europäischen
Union einen Stopp der atomaren Entwicklung zugestand und Zusammenarbeit mit
der Internationalen Atomenergiebehörde versprach. Mittlerweile kann kein
Zweifel daran bestehen, dass die Arbeiten am iranischen Atomprogramm niemals
eingestellt wurden. Die iranische Regierung will die Bombe und sie hat alle
Chancen, sie auch ohne große Geheimhaltung zu bekommen – nicht gegen Europa,
sondern mit Europa gegen die USA.
Der Dialog heute kann nur noch geführt werden mit denen, die ihn auch
intensiv suchen, Islamisten und Diktatoren, denn einzig sie wissen, dass sie
jenseits des ganzen verständnissinnigen Getues, ihren Zielen damit Schritt
für Schritt näher kommen. Es ist kein Zufall, dass nunmehr Michael
Dauderstädt, Leiter der Abteilung Internationale Politikanalyse der
Friedrich-Ebert-Stiftung, laut über die Notwendigkeit von „Verhandlungen mit
Terroristen“ nachdenkt, gemeint sind Al Qaida und der „irakische
Widerstand“, und die französische Regierung fordert, dass die „irakischen
Insurgenten“ – also die Killertrupps etwa Abu Musab al-Zarqawis – zur
Teilnahme an einer Konferenz über die Zukunft der Demokratie im Irak geladen
werden müssten.
Erschienen in: Konkret
11/2004