Anhörung zu Antisemitismus:
Verbote allein reichen nicht
Im Bundestag ergründeten Experten,
was die Berliner Antisemitismuskonferenz der OSZE gebracht hat. Bald
soll es einen Beauftragten für das Thema geben
Von Philipp Gessler
Bald wird es also einen Mister oder eine Misses
Anti-Antisemitismus geben. Das ist eines der Ergebnisse der großen
OSZE-Konferenz gegen Antisemitismus, die Ende April in Berlin
stattfand. Das sagte der Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Klaus
Scharioth, bei einer Anhörung im Bundestag zum Thema Antisemitismus.
Organisiert hatte dieses öffentliche Expertengespräch die deutsche
Delegation in der Parlamentarischen Versammlung der OSZE, in deren
Auftrag der oder die Antisemitismus-Sonderbeauftragte handeln soll.
Aller Voraussicht nach wird die OSZE-Ministerkonferenz schon Anfang
Dezember die Schaffung dieses Postens beschließen, wie Scharioth für
das Außenamt erklärte.
Zur der OSZE-Konferenz gegen Antisemitismus waren Ende April im
Auswärtigen Amt etwa 900 Experten von 55 Staaten und 150
Nichtregierungsorganisationen zusammengekommen. Eine "Berliner
Erklärung" war verabschiedet worden, die erstmals auf einer
internationalen und völkerrechtlich verbindlichen Ebene Judenhass
verurteilt hatte. Auch konkrete Maßnahmen hatte diese Erklärung
angemahnt. Die gestrige Anhörung im Bundestag sollte klären, wie
diese Abschlusserklärung in konkrete Politik umgesetzt worden ist.
Hat die OSZE-Konferenz also etwas gebracht außer großen Worten?
Die Fachleute waren sich weitgehend einig, dass die Konferenz
tatsächlich "ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung" war,
wie Juliane Wetzel vom Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung
es formulierte. Die politische Klasse müsse in den
OSZE-Mitgliedstaaten nun jedoch verstärkt Projekte unterstützen, die
gegen Antisemitismus kämpften. Die Regierungen im OSZE-Raum müssten
auch verbale antisemitische Entgleisungen oder Hetze bekämpfen -
etwa wenn öffentlich das Existenzrecht Israels in Frage gestellt
werde oder alle Juden in den Mitgliedstaaten für die Politik Israels
verantwortlich gemacht würden.
Zudem forderten die Experten auch, dass - wie auf der Konferenz
beschlossen - möglichst schnell einheitliche Kriterien und ein
umfassendes System zum Erfassen antisemitischer Straftaten im ganzen
OSZE-Raum erarbeitet werden müsse. Vor allem aber bei der Grundfrage
"Was ist Antisemitismus?" gab es auf der Anhörung trotz der
vorherigen Konferenz zum Thema nach wie vor unterschiedliche
Meinungen. So betonte etwa Brian Klug von der Saint Xavier
University in Chicago, dass es nach wie vor keine allgemein
akzeptierte Definition von Antisemitismus gebe. Er beispielsweise
halte auch "unfaire" und "überzogene" Kritik an Israel nicht für
antisemitisch - während die Mehrheit der anwesenden Experten das
Dämonisieren des jüdischen Staates als in der Regel antisemitisch
konnotiert einstufte.
Zu einem mittleren Eklat kam es, als der Politologe und Publizist
Alfred Grosser aus Paris bemängelte, dass jüdische Organisationen
und die israelische Regierung das Leid von Nichtjuden zu wenig
anerkennen würden. Grosser, selbst jüdischer Herkunft, wurde
daraufhin von mehreren Fachleuten kritisiert. So betonte etwa
Stephan Kramer, Generalsekretär des Zentralrats der Juden, dass
seine Organisation sich aktiv auch für nichtjüdische Gruppen
einsetze - auch wenn der Zentralrat dies selten an die große Glocke
hänge. Klar sei jedenfalls, dass gegen Antisemitismus "Verbote
allein nicht reichen".
Auch hier gab es einen Konsens. Ob es allerdings, wie es der
Bundestagsabgeordnete Gerd Weisskirchen (SPD) zum Abschluss der
Anhörung forderte, einen nationalen Aktionsplan gegen Antisemitismus
geben wird, ist noch offen.
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24-11-2004 |