Freund & Feind:
Modell Querfront
Welterklärungsformeln mit simplem
Feindbild haben Konjunktur: Wie sich Rechte, Linke und Islamisten
über Antisemitismus und den Hass auf Amerika einander annähern
Von Philipp Gessler
Es ist die Flucht aus der Komplexität der Moderne,
die Rechte, Muslime und Linke in Antiamerikanismus, Antizionismus
und Antisemitismus treibt und zugleich alle drei Phänomene
miteinander verbindet. Und es ist kein Zufall, dass die
Globalisierung ihr gemeinsamer Feind (und Freund) ist.
Fangen wir mit der Linken und dem Antiamerikanismus
an: Wie nahe sich Antiamerikanismus und Antisemitismus sind, hat
schon der Philosoph Max Horkheimer vor ein paar Jahrzehnten deutlich
gemacht mit seinem Diktum, "dass überall dort, wo der
Antiamerikanismus sich findet, auch der Antisemitismus sich breit
macht".
Die Wurzeln dieses antisemitisch fundierten
Antiamerikanismus gehen mindestens zurück bis zum Kriegseintritt der
USA in den Ersten Weltkrieg 1917, als "Rechte wie Linke begannen,
über das ,Finanzkapital' zu phantasieren, das ,hinter den Kulissen
der Weltpolitik' die tatsächlichen Abläufe bestimme", so der
Berliner Historiker Martin Kloke. In der Nazizeit erlebte dieses
Denken eine böse Blüte, doch auch in der DDR und der alten
Bundesrepublik war diese allzu billige Welterklärung bei Linken
häufiger anzutreffen.
Einen Höhepunkt erreichte der als Antizionismus
verbrämte Antisemitismus in der deutschen Linken 1976, als die
linken "Revolutionären Zellen" mit ihren palästinensischen
Terrorkollegen von der PFLP jüdische Passagiere eines entführten
Flugzeugs im ugandischen Entebbe selektierten, um sie gegebenenfalls
als Erste umzubringen, sollten ihre Forderungen nicht erfüllt
werden. Einer dieser Selektierer war der Deutsche Wilfried Böse.
Die israelische Armee befreite die Geiseln. Eine
nichtisraelische Jüdin starb schon vor der Befreiungsaktion. Die
Flugzeugentführung führte bei vielen Linken zum Überdenken ihrer
"antizionistischen" Position. Joschka Fischer etwa, der damals seine
aktive Zeit im Frankfurter Straßenkampf gerade beendet hatte,
erklärte später: "Ich fragte mich, wo führt das alles hin? Es war
einfach nur entsetzlich! Wir erkannten allmählich, dass diejenigen,
die mit der Abkehr von der Elterngeneration als Antifaschisten
begonnen hatten, bei den Taten und der Sprache des
Nationalsozialismus gelandet waren." Aber offenbar waren es nur die
Klügeren, die umzudenken begannen. Noch Anfang der 80er-Jahre fanden
Demonstrationen gegen den Libanon-Krieg vor Synagogen statt.
Der erste Golfkrieg 1991 hat zu einem Umdenken
einiger Linker über Antiamerikanismus und Antisemitismus in ihren
Reihen geführt. Der Historiker Dan Diner schrieb schon damals den
Linken ins Stammbuch: "Und gerade die selbstbewusst zur Schau
getragene Überheblichkeit, von Spurenelementen antisemitischer
Traditionsbestände frei zu sein, mag indes das Gegenteil indizieren.
Die rechte linke Gesinnung schützt vor Falschem nicht. Verborgene,
sich antiantisemitisch aufspreizende Antisemiten immunisieren sich
mittels humanistischer Prinzipien."
Nach dem 11. September 2001 gab es den alten Reflex
bei vielen Linken: dass irgendwie die USA und die Juden und die
Zionisten an allem schuld seien. Die "Antiimperialistische
Koordination" (AIK) in Wien, die für das antiimperialistische
Spektrum auch in Deutschland eine wichtige Rolle spielt, erklärte
etwa, mit den Anschlägen in den USA hätten die "heuchlerischen
Führer der USA" geerntet, was sie selbst gesät hätten, um zugleich
ein klassisches antisemitisches Klischee anzuschließen: "Die
gefährlichsten Terroristen sind jene, die die Fäden der Weltpolitik
ziehen."
Dass dies auch dem Weltbild muslimischer Extremisten
entspricht, kann nicht verwundern: "Wo immer sich Amerikaner und
Juden befinden, werden sie zum Ziel", jubelte die Terrororganisation
al-Qaida kurz nach den Anschlägen vom 11. September. Tatsächlich
scheint es im Sinne dieses Terroristen-Schlachtrufs in dem von den
USA angeführten "Krieg gegen den Terror" zu völlig neuen Allianzen
zwischen Rechten, Linken und Muslimen zu kommen - und Antisemitismus
ist auch in Deutschland häufig mit dabei. Etwa wenn die Massenmorde
in New York und Washington als Konsequenz aus der
amerikanisch-jüdisch-israelischen Politik gesehen werden: "Weil", so
erklärt Martin Kloke diese zynische Logik, "Israel eine repressive
Besatzungspolitik in Palästina praktiziert, bekommen die USA als
Israels engste Verbündete die Rechnung für ihre Freundschaft zu dem
weltweit ungeliebten Pariastaat."
Auch Rechten missfällt die Globalisierung, und sie
verbinden dies, wie manche Linke, mit antisemitischen Klischees -
weshalb auch Neonazis schon einmal bei einer Attac-Demo als
Mit-Protestler auftauchten. Tatsächlich werfen solche Leute der
Globalisierung einiges vor, wofür Judenfeinde früher Juden
fälschlicherweise verantwortlich gemacht haben: eine scheinbare
internationale Verschwörung, eine Internationalisierung über die
Köpfe der Völker hinweg, der Vorrang des Kapitals vor der Arbeit und
die Ausbreitung einer irgendwie künstlichen Welt, bei der Vielfalt
verloren gehe und Kulturen zerstört würden.
So kommt es, dass plötzlich auch uralte christliche
antijudaistische Klischees an unerwarteter Stelle wieder auftauchen:
Da appelliert ausgerechnet die meist religionskritische PDS nach den
Anschlägen an die USA, nicht "alttestamentarisch" - also jüdisch -
auf die Anschläge zu reagieren. Zudem ist Antiamerikanismus offenbar
in einer Zeit, da Europa eine neue Identität sucht, ein billiges
Mittel, um durch Abgrenzung diese Identitätsstiftung voranzutreiben.
"Für seine Feinde", so schreibt der Tel Aviver
Soziologe Natan Sznaider spitz, "ist Amerika vor dem Hintergrund des
derzeitigen Stadiums der Globalisierung ein Repräsentant des
'Kosmopolitischen', das einst mit den Juden assoziiert wurde. Um
dies zu erkennen, genügt ein Blick auf die Ähnlichkeiten zwischen
Antiamerikanismus und Antisemitismus, die häufig beide vereint im
Diskurs der Globalisierungsgegnerschaft anzutreffen sind." Sznaider
sieht noch einen anderen Grund für die Nähe von Antisemitismus und
Antiamerikanismus: "Antisemitismus verneint das Recht, flexible
Identitäten zu haben. So, wie es in den USA der Fall ist. Deshalb
hassen die Antisemiten ja Amerika gleich mit."
"Linke ,Antiimperialisten'", so bindet der Berliner
Politologe Lars Rensmann in einer fulminanten neuen Studie die
Extreme zusammen, kämpften "wie die heutige extreme Rechte oft
gleichzeitig gegen den 'US-Imperialismus', Globalisierung und im
Besonderen den 'zionistischen Terror', während islamistischer Terror
bagatellisiert oder gerechtfertigt wird." So forderte die linke
Zeitschrift Kalaschnikow, zu der Ex-DKPler und linke Nationalisten
gehören, eine Querfront-Strategie mit den Rechten ein - ein
Lieblingsthema auch des ehemaligen RAF-, späteren NPD-Anwalts Horst
Mahler, der allerdings bisher damit nicht viel Erfolg hatte.
Die Berliner Antisemitismusforscherin Juliane Wetzel
sieht ähnliche Entwicklungen: "Nach den Ereignissen vom 11.
September 2001 zeigte sich immer deutlicher, dass sich nicht nur
antisemitische Stereotypen fanatisierter Islamisten und
Rechtsextremisten ähneln, sondern dass sie noch weitere gemeinsame
Feindbilder haben: Sie lehnen die Moderne ab und wenden sich gegen
eine mit ,jüdischer Fremdherrschaft' gleichgesetzte Globalisierung,
für die nach ihrer Vorstellung das New Yorker World Trade Center als
Symbol stand. Nicht zuletzt zeigen sich hier auch Anknüpfungspunkte
zu Teilen der Antiglobalisierungsbewegung aus dem linksextremen
Spektrum."
Ist es nur Pech, dass der antisemitisch geprägte
Möllemann-Günstling und frühere Grünen-Politiker Jamal Karsli neben
dem ehemals linken, jetzt rechten Publizisten Alfred Mechtersheimer
auf der Unterstützerliste der großen Anti-Irakkriegs-Demonstration
am 15. Februar 2003 in Berlin auftauchte? In der Hauptstadt
organisierten "Linksruck"-Aktivisten übrigens nach der Tötung von
Scheich Jassin im Frühjahr 2004 gemeinsam mit Islamisten eine
Demonstration, zu der etwa dreihundert Menschen kamen. Offenbar
verdichten sich die Kontakte.
Warum aber erscheinen Antiamerikanismus,
Antisemitismus und Antizionismus vielen so verlockend? Weil nicht
wenige, einer Art "mentaler Landkarte" folgend, von den "Gedanken
und Reaktionen geleitet werden: 'Gib immer zuerst Amerika die
Schuld' - oder 'Israel' - oder 'den Juden'", analysiert Kloke. "Ohne
diese Karte fühlen sich nicht wenige Linke orientierungslos; die
Landkarte vermittelt Sicherheit, weil sie eine unübersichtliche
Komplexität auf eine überschaubare Grundstruktur zu reduzieren
vermag."
"Antisemitismus war stets auch eine Reaktion auf die
Modernisierung - das ist heute nicht anders", bilanziert der
Berliner Antisemitismusforscher Wolfgang Benz. Der US-Politologe
Andrei S. Markovits präzisierte diese Aussage noch vor dem Irakkrieg
2003 mit der Analyse: "Rechts sah man in den Juden, also in Israel,
jene seelenlose, zersetzende Modernität, das Gegenteil eines
bodenständigen Volkstums, das den Rechten so am Herzen liegt. Und
für die Linken verkörperten Amerika und die Juden einen ungezügelten
Kapitalismus, der überall schlecht ist, aber seine reinste
Ausprägung in diesen verwandten Gemeinschaften findet. Das gesamte
20. Jahrhundert hindurch und vielleicht schon zuvor galten Amerika
und die Juden der europäischen Rechten wie der Linken als negative,
Furcht einflößende und besonders ablehnungswürdige Protagonisten der
Moderne."
Vielleicht sieht man außerhalb Deutschlands die neue
rechts-muslimisch-linke Nähe besser, urteilt härter. Die
Antisemitismusforscher vom Stephen-Roth-Institute an der Universität
Tel Aviv beschreiben in recht blumigen Worten die geistige
Brüderschaft von rechtem, muslimischem und linkem Antisemitismus
derzeit: "In diesem Zusammenhang kann tatsächlich gesagt werden,
dass es der Nahe Osten war, der das Streichholz entzündete, welches
das gegenwärtige Feuer entfachte. Aber was dieses Feuer antreibt,
sind die Berührungspunkte zwischen den Interessen der radikalen
Islamisten, verschiedenen Fraktionen der europäischen Linken und der
extremen Rechten: antiamerikanische und tief sitzende Emotionen der
Antiglobalisierung, üblicherweise gerichtet gegen Israel und Juden,
der ,postkoloniale Diskurs', der Wunsch, die Wirkung des Holocaust
zu begrenzen und seine historischen Implikationen zu verzerren."
Polemisch, aber treffend analysiert der leitende
Redakteur der Zeitschrift Foreign Policy, Mark Strauss, die Lage:
"Der neue Antisemitismus ist einzigartig, da er die verschiedenen
Formen des alten Antisemitismus nahtlos zusammennäht: Das
rechtsextreme Verständnis der Juden (eine fünfte Kolonne, loyal nur
zu sich selbst, die wirtschaftliche Souveränität und die nationale
Kultur zersetzend), die linksextreme Konzeption der Juden
(Kapitalisten und Wucherer, die das internationale Wirtschaftssystem
kontrollieren) und die 'Blutopfer'-Juden (Mörder und moderne
koloniale Unterdrücker)."
"Der globalisierte Antisemitismus", so fasst Daniel
Goldhagen zusammen, "ist Teil der Vorurteilsstruktur der Welt
geworden. Er schwebt frei, ist in vielen Ländern und Subkulturen
beheimatet und in vielen Variationen erhältlich - und zwar für
jeden, der Einflüsse aus dem Ausland, die Globalisierung oder die
Vereinigten Staaten nicht mag."
Es gibt also Überschneidungen zwischen
Antisemitismus, Antiamerikanismus und mancher Globalisierungskritik:
"Amerikaner" und "Juden" werden als Protagonisten einer modernen
Welt verteufelt, die ihre Gegner als oberflächlich, heimatlos, rein
profitorientiert et cetera ablehnen. Die gemeinsame Ablehnung der
Moderne, vor allem in Form der Globalisierung, ist es auch, die
einige Rechte, Linke und Muslime in ihrem Antisemitismus und
Antiamerikanismus verbindet.
Organisatorisch sind solche "Querfrontstrategien" für
diese Judenfeinde und Amerikahasser bisher eher Wunsch einiger
Aktivisten als Wirklichkeit. Und auch wenn der Antiamerikanismus in
Deutschland nie so gewalttätig geworden ist wie der hiesige
Antisemitismus: Eine Gefahr besteht hier dennoch.
PHILIPP GESSLER, 37, ist Berlin-Redakteur
der taz. Sein Text resümiert ein Kapitel seines soeben erschienenen
Buches "Der neue Antisemitismus. Hinter den Kulissen der Normalität"
(Herder Verlag, 160 Seiten, 9,90 Euro). Am Montag, 4. Oktober, um 20
Uhr stellt er sein Buch in der Berliner Heinrich-Böll-Stiftung vor
und diskutiert mit Bettina Gaus, Ralf Fuecks und dem
Islamwissenschaftler Michael Kiefer
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04-10-2004 |