Fussball:
Palästina ist überall
Die palästinensische
Fußballnationalmannschaft sucht sich ihre Spieler auf der ganzen Welt
zusammen. Mit Erfolg.
Von Martin Krauss
Jungle World 45 v.
27.10.2004
Die Bilanz des laufenden Jahres kann sich sehen lassen. Im
Februar erreichte Palästinas Fußballnationalteam einen 8:0-Sieg über Taiwan,
kurz danach ein 1:1 gegen Irak, zuletzt Mitte Oktober wieder einen Sieg über
Taiwan. 1:0, auswärts.
Zum sportlichen kommt sogar noch ein kleiner ökonomischer Erfolg. Seit
vergangenem Jahr gibt es nämlich den "PFA Merchandise Store", der via
Internet Kappen, Trikots und Aufnäher der "Palestine Football Association"
vertreibt. Was da verkauft werde, heißt es auf Nachfrage, laufe gut und
werde in Gaza produziert. Also eine Art Wirtschaftsförderung.
Die Trikots der palästinensischen Nationalmannschaft sind bekannter als die
Spieler, die sie seit 1994 offiziell tragen. Viele Spieler waren noch nie im
Gazastreifen oder der Westbank, wo seit 1994 die von Yassir Arafat geleitete
Autonomiebehörde mehr oder weniger regiert.
Der Star der Auswahl – die zur Zeit auf Platz 129 der Fifa-Bestenliste
steht, immerhin vor Malta und den Färoer Inseln – ist Pablo Andres Abdullah.
Der Mittelfeldspieler ist Chilene, trägt eine sehr nach südamerikanischem
Fußballprofi ausschauende Lockenpracht und spielt beim chilenischen
Erstligisten Temuco. "Ich habe in der Nationalelf angefangen, weil es eine
gute Möglichkeit für mich war", sagte Abdullah der englischsprachigen
Al-Ahram Weekly. "Aber nach zwei Jahren mit der Mannschaft mache ich es
auch, um dem palästinensischen Volk Freude zu bringen."
Fünf der aktuellen Stammspieler Palästinas stammen aus Südamerika. Chile,
das Land, aus dem Abdullah stammt, beherbergt 300 000 Palästinenser. Zudem
gibt es seit den Zwanzigerjahren mit dem FC Palestino einen von der dortigen
Community gegründeten Club. Trainiert wird die palästinensische
Nationalmannschaft von Alfred Riedl, einem 54jährigen Österreicher, der als
Spieler viermal für die Nationalmannschaft spielte und als Trainer schon die
Wiener Austria, die österreichische, die Liechtensteiner und die
vietnamesische Nationalelf betreute.
Riedls jetzige Mannschaft ist ein Gemischtwarenladen. Al-Ahram Weekly
beschreibt die Gründe für ausländische Profis, sich von dem Österreicher
anheuern zu lassen, so: "Karrierechancen, Geld, Rückkehr zu den Wurzeln oder
weil sie es kurios finden." Der linke Verteidiger Francisco Alam, der auch
aus Chile stammt, sagt: "Letztes Jahr kamen wir zu neunt aus Südamerika am
Flughafen in Katar an, und die Leute haben uns gefragt, warum wir nicht
arabisch sprechen, wenn wir doch die palästinensische Nationalmannschaft
sein wollen."
Al-Ahram Weekly hat sich den Trainingsbetrieb angeschaut. "Wenn Riedl auf
Englisch die nächste Trainingsübung erklärt, übersetzt einer seiner aus
Hebron stammenden Assistenten ins Arabische, während der chilenische Stürmer
Roberto Kettlun seinen Kollegen eine spanische Version vorträgt", heißt es
in dem Blatt. "Dann, ein paar Minuten später, hört man einen perfekten
amerikanischen Westküstenslang. 'Guys, you have to follow! You have to step
up, man!' Es ist der Mittelfeldspieler Murad Farid, der schreit." Er stammt
aus New York, von Al-Ahram Weekly an die Westküste verlegt.
Riedls Suche nach fußballbegabten Enkeln palästinensischer Großeltern trägt
den Namen "Project Palestine National Team". Jüngst hat Riedl einen Spieler
des englischen FC Fulham ausfindig gemacht, den er gerne hätte. Finanziell
steht das Projekt gar nicht so schlecht da. Von der Fifa gibt es jährlich
250 000 Dollar, auch etliche arabische Regierungen überweisen Geld. Ägypten
unterhält das ständige Trainingsquartier in Ismailia, Katar, wo die
Mannschaft aufgrund der Sicherheitsbedenken ihre Heimspiele austrägt, und
finanziert die Flugtickets der Spieler. Kleinsponsoring kommt von Coca-Cola
und Diadora. "Außerdem haben sich 15 Geschäftsleute aus Dubai
zusammengefunden, um uns zu unterstützen", sagt Riedl.
Außer dem Österreicher stehen noch vier weitere Trainer unter Vertrag,
Riedls erster Cotrainer ist ein Ungar. "Im Prinzip arbeite ich wie ein
Vereinstrainer", erläuterte Riedl jüngst dem Onlinedienst Fifaworldcup.com,
wie er sein Team auf die WM-Qualifikation vorbereitet. "Das Training findet
elfmal pro Woche statt. Darüber hinaus werden auch regelmäßig
Freundschaftsspiele ausgetragen."
Erst seit 1998 darf Palästina an WM-Qualifikationen teilnehmen, aber bereits
1993 trat nach langer Pause zum ersten Mal wieder eine palästinensische
Fußballnationalmannschaft an. Sie schlug in Jericho mit 1:0 eine
französische Altherrenmannschaft, bei der immerhin Michel Platini und Alain
Giresse aufliefen. In den Jahren davor gab es eine PLO-Mannschaft, bestehend
aus begeisterten, aber nicht unbedingt talentierten Spielern, die sich
sporadisch trafen, aber keine Länderspiele austragen durften.
Der erste palästinensische Fußballverein wurde 1908 in Jerusalem gegründet,
und 1928 gründeten 14 jüdische und ein arabischer Vertreter die "Palestine
Football Association" (PFA), die auch eine Nationalliga aufbaute und 1929
von der Fifa anerkannt wurde. 1934 kam es zum Bruch im Verband, die
arabischen Clubs riefen die "General Palestinian Sports Federation" ins
Leben, während die jüdischen Vereine weiterhin die PFA unterhielten. Zur
Qualifikation für die Weltmeisterschaften 1934 und 1938 trat jeweils ein von
der PFA gestelltes Team Palästina an. Dort spielten aufgrund des
vorangegangenen Bruchs nur jüdische Spieler, das Team kann und muss somit –
14 Jahre vor der Staatsgründung – als erste israelische Nationalmannschaft
gelten. Allerdings wurde aus der Qualifikation nichts: 1934 gewann Ägypten
7:1 und 1:4, 1938 verlor das Team gegen Griechenland 1:3 und 0:1, im Jahr
1940 kam es noch zu einem Freundschaftsspiel gegen den Libanon, dass das
Team Palästina mit 5:1 gewann.
1948 wurde dann die überwiegend von Juden getragene PFA in "Israel Football
Association" umbenannt. Auf palästinensischer Seite wurde die PFA erst 1994
wieder gegründet, es erfolgte auch bald die Aufnahme in die Fifa und den
asiatischen Verband. Der erste große Erfolg war die Bronzemedaille bei den
Panarabischen Spielen 1999 in Jordanien. 2001 wurde das Team in der
WM-Qualifikation für 2002 Gruppenzweiter.
Mit Fußball in den palästinensischen Gebieten haben die Erfolge der
palästinensischen Nationalmannschaft aber nicht viel zu tun. Dort gibt es
kaum noch intakte Plätze und der Ligabetrieb ruht völlig. Manchmal gibt es
lokale Turniere, die schon mal die Namen von Selbstmordattentätern tragen.
Das erhöht – nicht nur auf israelischer Seite – das Misstrauen, dass es hier
wirklich um friedliche Völkerverständigung geht. Aber auch von
Freundschaftsspielen zwischen israelischen Soldaten und palästinensischen
Jugendlichen wird berichtet. Die wenigen palästinensischen Nationalspieler,
die im Gazastreifen oder in der Westbank leben, haben immer wieder Probleme,
zum Trainingslager nach Ägypten auszureisen.
Anfang September dieses Jahres versammelte Trainer Riedl mal wieder seine
Mannschaft im ständigen Camp Ismailia, 120 Kilometer von Kairo entfernt, um
sich auf das WM-Qualifikationsspiel gegen Usbekistan vorzubereiten. "Aber
dieses Trainingslager begann nur mit zehn Spielern", sagt Riedl. "Die Grenze
zu Israel war geschlossen, und die meisten Spieler konnten nicht zu uns
kommen. Dann hat es einer nach dem anderen geschafft."
Damit ihm so etwas nicht wieder passiert, ist Riedl sehr kreativ. So
startete er eine Initiative, um an neue Spieler zu gelangen, die in
politisch weniger brisanten Gegenden leben. Unter anderem ließ er im
deutschen Kicker Anzeigen schalten, in denen palästinensische Spieler
aufgefordert wurden, sich zu melden. Die PFA beschloss, dass ein Spieler
"entweder ein Bürger Palästinas sein muss oder eine Verbindung zu Palästina
durch ein Eltern- oder Großelternteil haben muss". Das erinnert an die
erfolgreiche Art, wie in den achtziger und neunziger Jahren Jack Charlton
das irische Nationalteam zusammenstellte.
Die PFA hat noch festgelegt, dass ein Spieler, der sich für das
palästinensische Team meldet, in dem Land, in dem er lebt, in einer Erst-
oder Zweitligamannschaft spielen muss. Der letzte Punkt war Riedl wichtig,
denn seine erste Suchaktion war nicht nur erfolgreich. "Ich hatte einen
Jungen, der mir aus Schweden eine E-Mail geschickt hatte", sagt Riedl,
"darin schrieb er mir, dass er der Star seines Teams ist und dass ihn in
Schweden jeder kennt. Ich fand dann heraus, dass er 16 ist."
Die Karriere des jungen Mannes wird also weiterhin in den Niederungen des
schwedischen Jugendfußballs vorbereitet werden müssen, nicht in den
Qualifikationsspielen zur WM 2006. Zwar verlor Palästina jüngst gegen
Usbekistan mit 0:3, aber immerhin Taiwan liegt Riedls Mannschaft. Und am 17.
November geht’s wieder gegen den Irak.
hagalil.com
28-10-2004 |