In einer Welt der immer schneller schwindenden Erinnerung, in einer
Welt, die nur mehr auf Produkte im Stil "benützen und wegwerfen" aufgebaut
ist, wäre es für die israelischen Staatsmänner günstig, sich nicht mehr auf
Europas Geschichtsbewusstsein zu verlassen.
Seit vielen Jahren genießen wir die bitteren Früchte der Erinnerung an
den Holocaust in Deutschland, der kollektiven Schuld des Antisemitismus in
Europa. Ein Kongress, der am vergangenen Wochenende in Paris mit
Journalisten aus Frankreich und Israel stattfand, zeigte erneut, wie diese
Erinnerung auf immer schwächeren Beinen steht.
Nehmen wir zum Beispiel die französische Fernsehreporterin Agnès
Varamian. Während wir ihr vorjammern, wie Frankreich uns im Jahr 1967
hintergangen hat, erinnert sie uns daran, dies sei genau ihr Geburtsjahr und
es falle ihr schwer, die intensiven Gefühle dieser Zeit nachzuvollziehen.
Ihre ehrlichen Worte sind die beste Konkretisierung für den Abgrund, der
zwischen großen Teilen der europäischen Öffentlichkeit, vor allem der
Jugend, und den Israelis klafft. Während wir in einer konstanten Seifenblase
des Existenzkampfes leben, fährt Europa zügig vorwärts. Die junge
Generation, der es schon schwer fällt, sich an die Videoclips aus den
gestrigen Sendungen von MTV zu erinnern, kann sich einfach nicht mit
erdrückenden Sorgen jener Art identifizieren, wie wir sie schon zum
Frühstück - allmorgendlich - vorgesetzt bekommen.
Spontan ist man versucht, darauf zu bestehen, dass, wenn Europa schon
einen allgemeinen Erlass historischer Schulden anstrebt, dieser auch unsere
Schuld gegenüber all denjenigen Bewohnern des Nahen Ostens umfassen sollte,
die durch unsere Gegenwart hier zu leiden hatten. Doch das kann natürlich
nicht funktionieren, und es ist gut, dass es nicht funktionieren kann, denn
eine Schuld ist eine Schuld, die man zur Gänze tilgen muss.
Deutschland unternimmt nach wie vor beeindruckende Bemühungen, um die
Erinnerung an den Holocaust zu bewahren. Doch das ist ein besonderer Fall.
Die Dreifuss Affäre, die schon über hundert Jahre alt ist, und die Ohrfeige,
die wir 1967 von General De Gaulle eingesteckt haben, sind bei den jungen
Franzosen nichtmal als trübe Erinnerung vorhanden. Es gibt sie einfach
nicht. Das kollektive Frankreich musste sich seit dem Ende der Nazi
Besatzung nicht mehr mit einer nationalen Todesgefahr auseinandersetzen; ihr
letztes Nationaltrauma fand Anfang der 60er Jahre in Algerien statt. Daher
besitzt Frankreich, als Organismus, nicht wirklich die Fähigkeit, sich mit
den Gefühlen vertraut zu machen, aus denen sich die wichtigsten Ebenen
unseres Lebens in Israel zusammensetzen.
Französische Beamte sind nicht verlegen, wenn sie sagen, sie wünschten
sich den Tag herbei, an dem das Ansehen Frankreichs bei den Israelis, das in
allen Umfragen der letzten Jahre konsequent von tiefer Abneigung geprägt
war, endlich dasselbe Niveau erreichen würde, wie das Ansehen der Deutschen
in der israelischen Öffentlichkeit.
Ja, das muss man erst mal begreifen: 60 Jahre nach dem Holocaust ist das
deutsche Volk bei den Israelis beliebter als die Franzosen.
Das Problem der Beziehungen der Franzosen zu den Israelis ist viel
stärker durch den Umgangston getrübt, als durch wesentliche inhaltliche
Fragen. Die Pariser Nahost Politik unterscheidet sich nämlich nicht
wesentlich von der Berlins. Doch in Berlin – wie unüberraschend – versteht
man die Ängste des Juden viel besser als in Frankreich.
Der französische Außenminister täte daher gut daran, wenn er auf die
Melodie, mit der er seine Botschaften begleitet, mindestens genauso
sorgfältig abwägt, wie seine Worte. C'est le ton, qui fait la musique!
Zunehmend schlecht für Israel:
Kollisionskurs mit der EU
Ein nicht-öffentlicher Bericht des Außenministeriums warnt vor der
Gefahr einer zunehmenden Isolierung Israels - je länger der Konflikt mit den
Palästinensern anhält...
Europas
Außenminister:
Lasst uns
mitspielen
Der französische Außenminister will "nicht nur zustimmen, und
Schecks auszustellen", Moratino will überhaupt erst mal eingeladen werden...