"Ich möchte seine Politik nicht mit dem Holocaust
vergleichen, aber...":
Kaplan Sieder und "Aug um Aug"
Von Karl Pfeifer
Wenn wir Kaplan Sieders Rede bei der Demonstration "Weg
mit der Mauer in Palästina! Truppen raus aus dem Irak!" am 25. September
2004 bei der Wiener Oper lesen, dann entsteht zunächst der Eindruck die
Juden und "die Israelis" hätten keinen besseren Freund in Österreich:
"Ich war im vergangenen Juli in Auschwitz. Was sich dort
ereignet hat, gehört vielleicht überhaupt zu den größten Verbrechen der
Menschheitsgeschichte. Millionen von Menschen umzubringen, nur deshalb weil
sie Juden und Jüdinnen sind, das hat eigentlich auch mit Krieg nichts mehr
zu tun." Wie soll man diese Worte "das hat eigentlich auch mit Krieg nichts
mehr zu tun" verstehen?
Und: "Dem Volk der Juden und Jüdinnen wurde
himmelschreiendes Unrecht angetan. Wir sollen also mit dem jüdischen Volk
besonders sensibel umgehen, weil wir an ihnen viel gutzumachen haben."
Der Kaplan profiliert sich nun als besonders mutiger und
moralischer Mann und zeigt, was er unter "besonders sensibel umgehen"
versteht: "Die Sensibilität kann aber nicht so weit gehen, dass ich
schweigen muss zur Politik von Ministerpräsident Ariel Sharon."
Hier unterstellt der Kaplan implizit, die Juden wären doch
so mächtig und es gäbe eine Verpflichtung und einen Druck zu schweigen über
die Politik Israels, obwohl man ständig Kritik an Sharon hören und lesen
kann.
Kaplan Sieder: "Ich möchte seine Politik nicht mit dem
Holocaust vergleichen, aber ein Verbrechen ist auch seine Politik gegenüber
den Palästinserinnen und Palästinensern."
Das ist der Trick eines raffinierten Redners. Mit dieser
Behauptung ist es ihm gelungen einerseits den Holocaust mit der Politik
Sharons gegenüber den Palästinensern in Verbindung zu bringen, andererseits
nicht die Verbrechen der deutsch-österreichischen Volksgemeinschaft an den
Juden zu leugnen, um dann eins draufzusetzen: "aber ein Verbrechen ist auch
seine [Sharons] Politik gegenüber den Palästinenserinnen und
Palästinensern." Wenn der Kaplan den Holocaust mit nichts vergleichen
wollte, warum kommen ihm diese Worte überhaupt über die Zunge?
Wahrscheinlich befriedigt er damit ein tiefes
psychologisches Bedürfnis vieler seiner Zuhörer, endlich anders als die
Väter, Groß- und Urgroßväter, auf der Seite der "Opfer" zu stehen und das
was die Vorfahren seinerzeit versäumt haben, jetzt auf billige und absolut
gefahrlose Art zu tun, die "Verbrechen" Israels zu verurteilen. Das nennt
man Umschuldung.
Allerdings erkennt der Geistliche an: "Auch wenn ich auf
ein Unrecht hinweisen möchte und wenn ich bereit bin, dafür mein Leben
hinzugeben, so habe ich dennoch nicht das Recht, unschuldige Menschen mit in
den Tod zu reißen. Das gilt für die tschetschenischen
SelbstmordattentäterInnen und das gilt auch für die palästinensischen
SelbstmordattentäterInnen."
Macht er das, um doch noch Verständnis zu wecken für
Terroristen?
"Für mich sind diese tausenden Menschen, die in
Tschetschenien, Afghanistan, Irak und Palästina durch die Waffen der
Militärs ermordet wurden, auch Opfer eines Terrorismus." Merken wir uns die
Sprache Sieders. Die Selbstmordattentäter reißen "unschuldige Menschen mit
in den Tod" andererseits werden Tausende "durch die Waffen der Militärs
ermordet"!
Wenn es also nach diesem katholischen Priester gehen
würde, dann würde er einen Mann, der einen Autounfall verursacht hat und
unglücklicherweise einen Menschen tötete mit der gleichen Strenge
beurteilen, wie einen Mörder, der vorsätzlich und geplant einen Mord
durchführt. Hier lässt sich Herr Sieder von seinem moralischen Nihilismus
oder/und politischer Befangenheit und nicht von den Prinzipien seiner Kirche
leiten.
Kaplan Sieder: "Mit Gewalt können und dürfen die Konflikte
nicht gelöst werden. Gewalt führt immer zur Gegengewalt und eskaliert zu
einer Spirale der Gewalt."
Er nimmt also an, dass der Terrorismus emotional motiviert
ist, von Menschen, die durch Rachegelüste motiviert sind und von
frustrierten Individuen durchgeführt wird, die keine andere Wahl haben. Doch
im Fall des antiisraelischen Terrorismus – das zeigt die Geschichte – haben
wir es zu tun mit einer rationalen Taktik, die von den palästinensischen
Führern eingesetzt wurde, weil sie effektiv war.
Einige der Selbstmordattentäter können durchaus frustriert
gewesen sein. Aber sie haben sich nicht selbst in den Tod geschickt. Sie
wurden von rational denkenden Anführern geschickt, die durchaus Kosten und
Nutzen solcher Operationen ausrechnen. Die Kosten sind ziemlich niedrig,
denn sie profitieren sowohl von israelischen als auch von palästinensischen
Opfern.
Erstens wollen sie soviel Israelis wie möglich töten um
Israel zu demoralisieren. Sie wollen damit der arabischen Straße
Befriedigung verschaffen, schlussendlich wurde Palästinensern in ihren
Schulen, Moscheen und von den Medien gelehrt, dass das Vergießen jüdischen
Blutes eine Verpflichtung sei. Die Selbstmörder werden als Märtyrer
behandelt und ihre Familien erhalten eine reichliche Entschädigung. Eines
der Ziele ist es, eine unangemessen heftige israelische Reaktion auszulösen.
Das war auch eine der wichtigsten Motivationen Arafats, die Angebote Baraks
in Camp David und in Taba (2000-2001) abzulehnen.
Ein anderes Motiv, insbesondere von Hamas ist es die
israelischen Wähler nach rechts zu drängen, und so die Chancen auf einen
Verhandlungsfrieden mit Israel zu reduzieren. Es gab eine wahre Eskalation
der Selbstmordattentate, die dazu beigetragen haben, dass Sharon gewählt
wurde.
Israel sollte mit Mäßigung auf den Terrorismus reagieren
und das ist auch die Regel. Aber zu glauben, dass israelische Zurückhaltung
allein den Terrorismus reduzieren würde, beruht auf der falschen Annahme,
dass der Terrorismus Teil einer "Spirale der Gewalt" sei und nicht eine
bewusste Einsetzung einer Taktik, die in der Vergangenheit den
palästinensischen Führern genützt hat.
"Ich spreche hier als katholischer Priester. In der
Bergpredigt werden wir aufgerufen zur Feindesliebe. Ich gebe zu, dass auch
die Katholische Kirche nicht immer im Geist der Gewaltlosigkeit und im Geist
der Feindesliebe gehandelt hat."
Damit hat Kaplan Sieder die böse Vergangenheit
abgehandelt. Aber wie schaut es mit der unmittelbaren Vergangenheit und
Gegenwart in unserer Nähe aus. Wie war denn das als vor ein paar Jahren
christliche Serben und christliche Kroaten sich an die Gurgel gingen? Aber
den Balken im eigenen Auge nimmt der katholische Priester anscheinend nicht
wahr, und er bemüht dann noch das abgedroschene antisemitischen Stereotyp:
"Nur ein Aug-um-Aug-, Zahn-um-Zahn-Denken, ein gegenseitiges Vergelten kann
zu keinem
Frieden führen."
Der österreichische Katholik Adolf Hitler deklarierte in
seiner Rede am 30. Jänner 1942:
"Wir sind uns im klaren, daß dieser Krieg ja nur damit enden könnte, daß
entweder die germanischen Völker ausgerottet werden, oder das Judentum aus
Europa verschwindet. Ich habe am 1. September 1939 im Deutschen Reichstag es
schon ausgesprochen. . . daß dieser Krieg nicht so ausgehen wird, wie die
Juden sich es vorstellen, nämlich daß die europäischen arischen Völker
ausgerottet werden, sondern daß das Ergebnis dieses Krieges die Vernichtung
des Judentums ist. Zum erstenmal werden nicht andere allein verbluten,
sondern zum erstenmal wird diesesmal das echt altjüdische Gesetz angewendet:
Aug' um Aug', Zahn um Zahn!"
Und im Land, in dem dieser Adolf Hitler erzogen wurde und
wo er die Grundlagen zu seiner Ideologie gelegt hat, glaubt Kaplan Sieder
den Israelis die Gesinnung der deutsch-österreichischen Volksgemeinschaft
unterstellen zu müssen:
"Es muss aber gesagt werden, dass ein wirklicher Friede
nur auf der Basis der Gerechtigkeit möglich ist. Und es ist einfach
ungerecht und unfair, wenn die Israelis glauben, dass sie in dieser Gegend
die Herrenmenschen sind, weil sie die Unterstützung der USA haben und sie
ein starkes Militär haben und die Menschen in Palästina - besonders in den
Lagern - sollen wie Untermenschen dahinvegetieren."
Der Geistliche beschuldigt "die Israelis" pauschal, sie
würden daran glauben, woran so viele Österreicher und Deutsche bis 1945
geglaubt haben, nämlich dass sie "Herrenmenschen" seien. Und das wird auch
der – bewusste oder unbewusste – Grund für seine Unterstellung sein. Denn
wenn auch "die Israeli" dies glauben, dann unterscheidet sie doch nichts von
den Vorfahren, die hier Juden demütigten, beraubten, absonderten und zum
Schluss deportierten oder die zuschauten als dies geschah. All das schwingt
natürlich implizit mit bei diesem Mann, das ist was er unter "besonders
sensibel umgehen" mit Juden versteht.
Wenn dann Kaplan Sieder aus dem Sicherheitszaun eine Mauer
macht obwohl nur fünf Prozent davon eine Mauer sind, dann entspricht das dem
üblichen antiisraelischen Diskurs, doch er besteht noch darauf seinen
moralischen Nihilismus zu bestärken: "Der Kampf gegen den Terror ist auch
Terror und führt wieder zu neuem Terror."
Absolut heuchlerisch klingen die Abschlussworte von Kaplan
Sieder, Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Christinnen und Christen für
die Friedensbewegung: "Ich träume davon, dass die kleinen palästinensischen
Jungen und Mädchen mit den kleinen israelischen Jungen und Mädchen die Hände
reichen und dass sie gemeinsam das Lied der Freiheit und des Friedens
singen."
Wie bitte kann es zum Durchbruch dieser geschwisterlichen
Liebe kommen, wenn in den palästinensischen Medien und Schulen gegen
jüdische Israelis und gegen Juden im allgemeinen gehetzt wird und nach einem
erfolgreichen Attentat die palästinensischen Massen jubelnd auf die Straße
gehen?
hagalil.com
30-09-2004 |