Wahldebakel im Saarland:
Ist Oskar wirklich schuld?Max
Brym
Nach den Landtagswahlen im Saarland am 5. September gab
es neben betroffenen Gesichtern die seltsamsten und abwegigsten Kommentare.
Schuld an der niedrigen Wahlbeteiligung (sie lag bei 55%),
dem Wahlerfolg der neonazistischen NPD (Resultat erschreckende 4%) und dem
Wahldesaster der SPD (die SPD verlor 14%) war angeblich der ehemalige SPD
Parteivorsitzende Oskar Lafontaine.
Die Mär “Oskar war Schuld“ wird seit den Wahlen
facettenreich breitgetreten. Am weitesten ging Ministerpräsident Peter
Müller von der CDU. Auch Müller hat, in absoluten Zahlen gerechnet,
erheblich Stimmen verloren. Müller bezichtigte am Wahlabend Oskar
Lafontaine, für den Wahlerfolg der NPD verantwortlich zu sein. Der Grund für
die Angriffe gegen Lafontaine ist dessen Gegnerschaft zur Sozialpolitik
unter Bundeskanzler Gerhard Schröder. Lafontaine hat sich gegen Hartz IV
ausgesprochen und beklagt eine soziale “Gerechtigkeitslücke“.
Egal wie man zu den Argumenten von Oskar Lafontaine und zu seinen Ansichten
und Absichten steht: Neonazistisch sind seine Positionen nicht. Er hat auch
keine Haltungen, die mit faschistischem Gedankengut kompatibel sind.
Lafontaine spricht wie viele Montagsdemonstranten gegen das Arbeitslosengeld
II und die neuen 1 bis 2 Euro Jobs. Viele Kritiker der Bundesregierung
verweisen auf den Fakt, dass ab Januar 2005 neuerlich der Spitzensteuersatz
von jetzt 45 auf 42% gesenkt wird. Dadurch entgehen dem Fiskus rund 4
Milliarden Steuern pro Jahr. In etwa die gleiche Summe wird bei steigender
Arbeitslosenzahl den Langzeitarbeitslosen weggenommen. Das schafft Unmut und
Protest.
Selbstverständlich versuchen neonazistische Trittbrettfahrer die Ablehnung
der Regierungspolitik für sich zu vereinnahmen. Sie kombinieren
nationalistische und rassistische Demagogie mit sozialen Phrasen. Das ist
keine neue Erfahrung, sondern kann historisch nachvollzogen werden. Nach dem
Gründerkrach 1873 gab es in Deutschland eine breite antisemitische
Massenagitation, die es nicht der Sozialdemokratie überlassen wollte, das
vom Börsenkrach getroffene Kleinbürgertum anzusprechen. Die Figur Hitler
benützte die unsoziale Politik unter Heinrich Brüning ab 1930, um den weit
verbreiteten antisemitischen Konsens in den kleinbürgerlichen Massen,
verbunden mit sozialer Demagogie, politisch in der Nazipartei zu bündeln.
Heute benützen die Nazis, die von vielen als unsozial empfundene Politik
Schröders, um Menschen einzufangen. Die Unzufriedenheit schafft nicht der
freie Publizist Oskar Lafontaine und nicht der Montagsdemonstrant gegen
Hartz IV. Die Unzufriedenheit schafft das Gesetz Hartz IV. Nazis
versuchen, die Proteste gegen Hartz IV gegen Ausländer und partiell gegen
Juden zu wenden. Linke Unzufriedenheit ist etwas völlig anderes, der linke
Protest wendet sich gegen die soziale Umverteilung von unten nach oben.
Den Protest hat Oskar Lafontaine nicht initiiert, er scheint sich nur mit
den von den sozialen Kürzungen betroffenen Menschen zu solidarisieren.
Ihn deswegen in Verbindung mit nazistischen Wahlerfolgen zu bringen, ist
haltlos und demagogisch. Dahinter scheint die Absicht zu stecken, jeden
sozialen Widerstand zu ächten und ihn mit dem Nazismus in Verbindung zu
bringen.
Dadurch wird der Nazismus verharmlost und der rechte Demagoge erst recht
salonfähig gemacht, denn wen zwischen ihm und den Menschen auf den
Montagsdemonstrationen kein wesentlicher Unterschied sein soll, dann ist der
braune Barbar eine halbwegs respektable Erscheinung.
hagalil.com
10-09-2004 |