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Wie ein einsamer Komet am Himmel:
Yeshayahu Leibowitz zur Erinnerung

Heute stimmt jeder darin überein, dass seine Gerichtsprophetie über die Schädlichkeit der Besatzung wahr geworden ist. Der größte Teil der Öffentlichkeit versteht nun, was Leibowitz vom ersten Augenblick an verstanden hatte: dass die Siedlungen für Israel ein Unglück seien.

Uri Avnery, Haaretz, 15.09.2004

Eines bedaure ich: der Anlass gewesen zu sein, dass er nicht den Israel-Preis erhielt. „Der Rat für israelisch-palästinensischen Frieden“, den ich mitgegründet hatte, hielt in einem großen Saal eine öffentliche Diskussionsveranstaltung. Ich fürchtete, dass ein Kolloquium über Frieden nicht all zu viele Leute anziehen würde, drum schlug ich vor, Prof. Yeshayahu Leibowitz noch dazu einzuladen. Ich wusste, wenn sein Name auf dem Programm erscheint, dann wird jeder Saal voll werden. Außerdem hatten die Juroren gerade ihre Entscheidung verkündet, ihn mit dem Israel-Preis auszuzeichnen. Er sagte zu, stellte aber eine Bedingung. Er wolle nur über ein Thema sprechen: Die moralische Verpflichtung der Israelis, keinen Militärdienst in den besetzten Gebieten zu leisten. Ich war damit einverstanden, auch wenn dies nicht der Gegenstand der Diskussion sein sollte. Leibowitz war der erste Sprecher. Die Halle war zum Bersten voll. Die Zuhörerschaft, vor allem Hochschulstudenten, füllten sogar die Gänge und saßen auf den Fenstersimsen.

Leibowitz ließ sofort eine Tirade gegen die Operationen des israelischen Militärs im Gazastreifen und in der Westbank los. Er verglich ihre Aktionen mit denen der Nazi-SS. Die Medien, die gewöhnlich Veranstaltungen vom „radikalen“ Friedenslager ignorierten, stürzten sich auf sie wie auf eine Goldmine. Leibowitz’ Bemerkungen machten Schlagzeilen auf der Titeleite und verursachten heiligen Zorn. Das Preiskomitee wurde aufgefordert, die Nominierung zurückzuziehen. Als diese Auseinandersetzung ihren Höhepunkt erreichte, verkündete Leibowitz, dass er die Annahme des Preises ablehnt. Ich denke, es tat ihm nicht sehr leid. Im Gegenteil, er liebte es, sich auf provokative Weise zu äußern. Er tat es absichtlich. So erreichte er die Öffentlichkeit, und die Medien wurden aufmerksam. Die gewöhnlichen Meinungen sind langweilig. Leibowitz wollte seine Zuhörer schockieren, aus ihrer Gleichgültigkeit hochschrecken und zum Nachdenken anregen. Er freute sich daran. Viele seiner verbalen Seitenhiebe wird man nicht vergessen: „Die Klagemauer ist Gottes Diskothek“, „ die Religion als Mätresse der Regierung“, „ die Anbetung des Staates führt zu Faschismus“. Für das Ober-Rabbinat hatte er nichts als Verachtung übrig.

Nebenbei, war es nicht zufällig, dass er an jenem Abend der erste Sprecher war – und bei jeder anderen Debatte, die ich organisierte. Ich machte die Erfahrung, dass Leibowitz aus jedem Redner, der vor ihm sprach, Kleinholz machte – egal welche Meinung er vertrat, ob eine linke, rechte, moderate oder extreme. Leibowitz legte jeden auf den Seziertisch und zerlegte ihn mit seinem kühnen, analytischen Geist und beißenden Sarkasmus. Nichts wurde ganz gelassen. Um dies zu umgehen, machte ich ihn zum ersten Redner und so konnten die anderen auf das reagieren, was er sagte, was immer eine Menge Stoff für Gedanken ergab. Ich pflegte ihn „Jesaja III.“ zu nennen (nach der Theorie, es gäbe in der Bibel zwei verschiedene Propheten mit dem Namen Jesaja) Das machte ihn gewöhnlich wütend. „Ich bin kein Prophet“ sagte er dann, „und jeder der so etwas sagt, weiß nicht, was ein Prophet ist.“ Als religiöser Jude, der eine Kippah trug und alle Gebote beachtete, glaubte er, dass die Propheten direkt Gottes Wort sprachen. Sie waren für ihn nicht nur Menschen mit Weitblick.

Für mich war Leibowitz ein Prophet im letzteren Sinne. Er war der 1., der nach dem 6-Tage-Krieg voraussagte, die Besetzung der Gebiete werde Israel von innen zerstören. In ein paar Jahren werde es ein Volk von Aufsehern und Sicherheitsbeamten sein“, prophezeite er – in anderen Worten, eine Nation von Ausbeutern und Unterdrückern. Auch ich schlug zu jener Zeit vor, dass wir die Besatzung möglichst schnell beenden sollten, wenn auch aus einem anderen Grund. Am 5. Kriegstag appellierte ich an Levi Eshkol - in einem Brief und persönlich - den Palästinensern zu ermöglichen, einen eigenen Staat in den eben eroberten Gebieten zu errichten. Ich glaubte (und glaube es noch) , dass dies eine einmalige historische Gelegenheit gewesen wäre, Frieden zu machen.

Nun, Leibowitz glaubte überhaupt nicht an Frieden. Er hatte auch keine Ahnung, wie das Leben der Palästinenser aussah; vielleicht war er auch gar nicht daran interessiert. Er dachte, es gäbe keine Lösung für den Konflikt. Er wollte die besetzten Gebiete nur deshalb zurückgeben, um die Seele Israels zu retten – nicht, um einen Kompromiss mit der arabischen Welt zu erreichen. Dies hing mit seiner religiösen Überzeugung zusammen. Für eine säkulare Person wie mich, war es sehr schwierig, diese Seite seiner Persönlichkeit zu verstehen. Er war auf Grund seiner Ausbildung ein Wissenschaftler. Er hatte ein unglaubliches Wissen, er war ein Mann von höchstem Verstand. Aber seine religiöse Auffassung war Lichtjahre von seiner wissenschaftlichen Logik entfernt. Er versuchte nicht, diese beiden mit einander zu verbinden. Schon allein die Idee, dass dies möglich sei, verwarf er. Religion – so erklärte er – hat nichts mit Logik zu tun. Das existiert auf verschiedenen Ebenen. Juden sollten die religiösen Gebote (Mitzvot) halten – nicht, um irgendetwas dafür zurückzuerhalten, nicht um Gott zu bestechen und seine Hilfe zu gewinnen, sondern nur „einfach so“. Die Mitzvot benötigen keine Erklärung und können nicht erklärt werden.

Einmal sagte er zu mir, dass die jüdische Religion vor 200 Jahren gestorben sei. Sie hätte seitdem nichts Produktives mehr geschaffen oder nur einen bedeutenden Denker hervorgebracht.
Der ganze Rest - so sagte er - sind trockene Texte, die die Leute auswendig lernen.
Wie konnte ein Mensch, so religiös wie Leibowitz, und ein Mensch, so unreligiös wie ich, mit einander auskommen? Wir waren wie zwei Leute, die von entgegengesetzten Seiten zu einem Fluss kamen und sich in der Mitte auf einer Insel trafen. Die Insel war unser gemeinsamer Wunsch, die Besatzung zu beenden – eine moralisch-religiöse Forderung von seiner Seite und eine moral-politische von meiner Seite.

Leibowitz konnte nicht innerhalb einer Gruppe wirken. Er war wie ein Komet, der allein am Himmel hochzog. Er gehörte zu Oved Hadati, die eine religiöse Abzweigung der Mapai war, löste sich dann von ihr. Er ging zusammen mit Shmuel Tamir, als er 1959 die Neue Regime-Bewegung gründete, aber stritt sich mit ihm und ging weg, bevor sie sich zur extremen Rechten wandte. Er bildete eine anti-nukleare Gesellschaft mit Eliezer Livneh, kam mit ihm aber nicht zurecht. Für Leibowitz war es am besten, wenn er allein war.

Wenn er irgendwie Einfluss hatte, war es wegen seiner Persönlichkeit. Seine Waffe: eine kalte, berechnende Logik, zusammen mit klarer Ausdrucksweise, Leidenschaft und eine rasiermesserscharfe Zunge zog seine Bewunderer an. Er war bereit, überall und zu jeder Zeit zu sprechen, in jedem gottverlassenen Nest, egal wie klein die Zuhörerschaft war. Einmal sagte er mir, dass es für ihn eine Sache des Prinzips sei, zu jedem zu reden, der bereit sei, ihm zuzuhören, selbst in einer Telefonzelle. Wenn er eingeladen wurde, um in der Universität eine Vorlesung zu halten, kam er in einem zu ihm geschickten Taxi, wartete an der Seite und las in seiner kleinen Bibel. Er lebte asketisch. Sein einziges Vergnügen im Leben schienen die Dinge der Seele und des Geistes zu sein.

Heute stimmt jeder darin überein, dass seine Gerichtsprophetie über die Schädlichkeit der Besatzung wahr geworden ist. Der größte Teil der Öffentlichkeit versteht nun, was Leibowitz vom ersten Augenblick an verstanden hatte: dass die Siedlungen für Israel ein Unglück seien. Für Leibowitz waren die Leute von Gush Emunin (Block der Getreuen/ Siedler) Götzendiener. Ihr Glaube hat nichts mit dem Judentum zu tun. Der Klagemauer, den Grabstätten und Hügeln Heiligkeit zuzuschreiben, war in seinen Augen ein Gräuel.

„Als die Wahabiten Mekka eroberten“, so sagte er einmal zu mir, „ war es das erste, was sie taten, das Grab des Propheten Mohammed völlig zu zertrümmern. Nicht eine Spur ließen sie davon übrig. Eine Grabstätte in einen heiligen Platz zu verwandeln, war für sie eine Entweihung von Mohammeds Lehren. Dasselbe gilt auch für das Judentum.“

Niemand weiß, wo Moses beerdigt liegt – und das aus gutem Grund. Genau darum besuche ich das Grab von Yeshayahu Leibowitz nicht. Für mich ist und bleibt er - trotz seines Protestes - ein Prophet. Er ist nicht mehr – und seit seinem Tod ist niemand da, der ihn ersetzt.

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)

Zur 10.Jahrzeit:
Jeschajahu Leibowitz

Der Religionsphilosoph und Biochemiker. geb. 1903 in Riga, starb vor 10 Jahren in Jerusalem...

hagalil.com 20-09-2004

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