Siedler gegen Siedler
In den israelischen Siedlungen im Gazastreifen werden
Bewohner bedroht, die zum Rückzug bereit sind.
von stefan gilles, tel aviv
Bisher schienen die Fronten klar. Die Mehrheit der
Israelis unterstützt den Plan von Ministerpräsident Ariel Sharon, alle
Siedlungen im Gaza-Streifen zu räumen. Die Siedler selbst jedoch, so
verkündeten ihre Sprecher immer wieder, würden sich mit wenigen Ausnahmen
weigern, ihre Häuser zu verlassen.
Doch nach Angaben der Tageszeitung Jediot Acharonot sind bereits jetzt über
2000 der 7 500 jüdischen Siedler im Gaza-Streifen bereit, ihre Wohnorte zu
verlassen, auch in Erwartung der von der Regierung zugesagten
Entschädigungszahlungen. Und in Rafiah Yam, einer Ortschaft im
Siedlungsblock Gush Katif, planen einige Siedler die Gründung einer
Ortsgruppe von Shuvi (übersetzt etwa: zurück zu mir, zurück nach Hause),
einer Organisation, die sich für die sofortige Räumung aller jüdischen
Ortschaften im Gazastreifen engagiert. Die Shuvi-Gruppe in Rafiah Yam wäre
die erste Organisation in allen Westbank- und Gaza-Siedlungen, die sich
offen für den Rückzug ausspricht.
Der ungewöhnliche Schritt war auch die Folge sich verschärfender Konflikte
zwischen radikalen und gemäßigten Siedlern. Und durch die Ereignisse bei
einem ersten Treffen in Rafiah Yam fühlen sich die Aktivisten nur bestärkt.
Im Wohnzimmer von Avishai Nativ, dem zukünftigen Vorsitzenden der lokalen
Shuvi-Gruppe, trafen sich am 19. August sechs Shuvi-Vertreter und neun
Familien aus den Gaza-Siedlungen Neve Dekalim, Shalev und Bdolah. Während
noch Gäste ankamen, überfielen einer an Shuvi-Aktivisten verteilten
Erklärung zufolge Vertreter der Regionalverwaltung und andere Siedler das
Treffen, drohten den Anwesenden und fotografierten die Nummernschilder ihrer
Autos.
Als die Shuvi-Sympathisanten den Ort verlassen wollten, verbarrikadierten
radikalere Siedler den Eingang von Rafiah Yam. Es begann ein Handgemenge,
bis die Polizei die Kontrahenten trennte. Nativ erklärte der Tageszeitung
Jerusalem Post: »Die Drohungen der Regionalverwaltung und unsere Bezeichnung
als Verräter haben mir nur bewiesen, dass wir eine aktive Rolle beim
Verlassen dieses Ortes spielen müssen.«
Eran Shternberg, der Sprecher der Gaza-Regionalverwaltung, behauptet in
derselben Zeitung: »Ihre Behauptungen gegen uns wurden von Channel 2
inszeniert.« Der Fernsehsender hatte die Auseinandersetzungen in Nativs Haus
aufgezeichnet. »Die daran beteiligten Einwohner von Rafiah Yam sind der
Abschaum dieser Gemeinde, die alle anderen Einwohner besudeln.«
Manche jüdischen Einwohner des Gaza-Streifens und der Westbank haben Angst,
abweichende Meinungen in den Medien zu äußern. In Rafiah Yam herrsche »eine
Atmosphäre der Bedrohung«, sagte Shuvi-Sprecher Tom Wegner der Jewish Week.
»Es ist eine kleine Siedlung. Jeder kennt jeden. Jeder ist entweder direkt
oder indirekt bei der Regionalverwaltung angestellt.«
Israelische Medien berichteten unter Berufung auf Regierungskreise, dass
sich mittlerweile sogar ganze Siedlungen zur Evakuierung bereit erklärt
hätten. Bereits in der ersten Phase der Räumung könnten 40 Prozent der
Bevölkerung evakuiert werden. Die Namen der Siedlungen würden allerdings aus
Furcht vor dem Druck radikalerer Siedler geheim gehalten. Jediot Acharonot
zitiert einen hochrangigen Mitarbeiter in Sharons Büro: »Es handelt sich
dabei um echte Lebensgefahr, deshalb wird die ganze Sache ruhig und
vertraulich behandelt.«
Auch im Gush Katif sind inzwischen Flugblätter aufgetaucht, die den
Auszugswilligen drohen und die Namen von Personen veröffentlichen, die sich
nicht gegen Israels Rückzug stellen. Avishai Nativ und sein Pizzaladen in
Rafiah Yam werden boykottiert. Am ersten Tag des Boykotts bestellten dort
nur Soldaten eine Pizza.
hagalil.com
07-09-2004 |