Panorama bringt Themaverfehlung:
Berichtigte Kritik oder Antisemitismus?
Von Andrea Livnat
"Wo ist die Trennlinie zwischen kritischer
Berichterstattung und Antisemitismus?" Dieser ausgesprochen wichtigen und
derzeit hoch im Kurs stehenden Frage wollte ein Panorama Bericht vom
gestrigen Donnerstag nachgehen. Doch bereits im Ankündigungstext konnte man
lesen, wo der Hase hinläuft: "Tatsächlich wird der Begriff oft missbraucht,
um Journalisten und Politiker einzuschüchtern. PANORAMA über die
leichtfertige Verwendung des Wortes Antisemitismus."
Wo wittert also Panorama leichtfertige Verwendung des
Wortes Antisemitismus? Zuerst einmal bei der Initiative
Honestly Concerned, die für eine "Kampagne" gegen SZ-Autor Hans
Leyendecker angeprangert wird, dann natürlich Michael Wolffsohn und
schließlich Israel selbst, allesamt in einen Topf geworfen und des
leichtfertigen Antisemitismus-Vorwurfes vorgeführt.
Tatsächlich sind die ausgewählten Fälle Beispiele für eine
überzogene Reaktion, vor allem Michael Wolffsohns Äußerungen, die seinen
unsäglichen "J'accuse"-Artikel noch
übertreffen, sind haarsträubend. Besonders scharf wirkt die Kritik an
Honestly Concerned, nicht zuletzt dadurch, dass die Auszüge aus dem Gespräch
mit Sascha Stawski offensichtlich aus dem Zusammenhang gerissen sind. Mögen
im Falle Hans Leyendeckers ungerechtfertige Vorwürfe erhoben worden seien,
ich habe weder besagten Artikel, noch die dazugehörige Diskussion gelesen
und verfolgt, so legt Honestly Concerned doch oft das Augenmerk auf wichtige
Details, die sich in der Presse finden.
Von Panorama wird als Beispiel angeführt, dass sich
Honestly Concerned an der Bildberichterstattung zu den letzten Wahlen in
Israel störte. Tatsächlich eine fatale Art und Weise das Land Israel
darzustellen: auf den allermeisten Bildern sind ultraorthodoxe Juden zu
sehen. Anstatt dass sich Panorama darüber Gedanken macht, wie diese
Erscheinung zustande kommt, sucht man sich lieber einen "Kronzeugen", Brian
Klug, Philosoph aus Oxford, der dies als unrelevant bescheinigt. Nur weil
religiös gekleidete Juden von den Nazis als Symbol des bösen Juden verwendet
wurden, ist die Darstellung heute nicht antisemitisch, so Klug.
Da hat er recht, aber erstens lebt Brian Klug in England
und nicht in Deutschland und hat damit eine vollkommen andere politische
Kultur in seinem Umfeld als hierzulande. Und zweitens geht es doch auch
darum, dass Israel als fatalistisch und extremistischen Staat gezeigt wird,
in dem nur Orthodoxe und Siedler leben. Panorama hätte dabei jeden
Israelreisenden fragen können, der sich zu Hause in Deutschland mit der
Frage konfrontiert sieht: "Was, in Israel warst Du? Kann man da überhaupt
ein normales Leben führen?" Das Bild Israels in den deutschen Medien ist
geprägt durch Orthodoxe und brennende Straßen in den besetzten Gebieten.
Selbstverständlich kann man das einerseits nachvollziehen, warum sollten die
Abendnachrichten einen ganz normalen Tag in Tel Aviv zeigen? Wieso jedoch
müssen ständig Ultraorthodoxe gezeigt werden, man sieht in Tel Aviv
auch nicht mehr orthodox gekleidete Juden als im Straßenbild von London,
Paris oder Zürich.
Mit solchen Details gibt sich Panorama jedoch nicht ab und
bezieht eindeutig Stellung. Die Juden sind die Aufhetzer, die
"Antisemitismus" kreischen. Israel macht es ihnen vor, Panorama berichtet
von einer diplomatischen Verstimmung mit dem britischen Fernsehsender BBC.
Was das mit den aktuellen Diskussionen in Deutschland zu tun hat, bleibt mir
ein Rätsel. Offenbar hat mal wieder jemand außer Acht gelassen, dass
deutsche Juden nicht für die Politik Israels verantwortlich sind. Ach, wie
liebe ich die Frage: "Ja sag mal, was macht den der Scharon da unten?" Ja,
keine Ahnung, hab ich ihn etwa gewählt? Bin ich für ihn verantwortlich, nur
weil ich Jüdin bin? Ist Honestly Concerned in einen Topf zu werfen mit der
Politik des Staates Israel?
Besonders ärgerlich, oder besser gesagt, das Ärgerlichste
an dem Panorama-Beitrag ist die Tatsache, dass einzelne Beispiele genommen
und als absolut gesetzt werden. Die andere Seite der Frage, wo die
Trennlinie ist, also die vielen Fälle, wo durchaus offensichtliche Fälle von
Antisemitismus vorliegen, kommen überhaupt nicht zu Wort. Kein Walser,
Möllemann, Hohmann, kein Wort über antisemitische Übergriffe in Berlin, kein
Kommentar zu teilweise skandalösen Zeitungsberichten, den Nahostkonflikt
betreffend.
Der Vorwurf des Antisemitismus bleibt wie ein Hirngespinst
in der Luft stehen. Die Juden halt wieder! Panorama hat es leider versäumt,
in diesem so komplizierten Themenbereich das nötige Maß an Sorgfalt walten
zu lassen. Schade, es wäre eine große Chance gewesen, das wichtige Thema der
angemessenen Israelkritik zu diskutieren. Als damals die Hohmann-Affäre
anrollte, schaffte es das Magazin "Frontal21" einen sehr guten und
differenzierten Beitrag über die feine Linie zum Antisemitismus
beizusteuern. Offensichtlich war bei Panorama die Motivation eine andere.
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hagalil.com
06-08-2004 |