Neue Art der Judenfeindschaft:
Antisemitismus in Österreich nach dem Holocaust
Von Karl Pfeifer
Gab es noch vor dem "Anschluss" erfolgreiche
Antisemitenvereine in Österreich und war Antisemitismus eines der
Hauptmerkmale der Volksgemeinschaft in den Jahren 1938 – 1945, so bekennt
sich seither mit wenigen Ausnahmen – z.B. Leopold Kunschak, der sich noch
nach der Befreiung Österreichs stolz als lebenslanger Antisemit bekannte –
niemand mehr dazu. Trotzdem wurden viele Bücher über die verschiedenen
Formen des Antisemitismus in der Zweiten Republik veröffentlicht, der auch
ausgiebig dokumentiert wurde.
In den letzten Jahren bemerken wir eine neue Art der
Judenfeindschaft, die sich doch vom alten "gemütlichen" Antisemitismus
unterscheidet.
Am 30. Juli 2004 veröffentlichte das in Knittelfeld
(Steiermark) erscheinende Wochenblatt "Obersteirische Nachrichten mit
illustrierter Tauernpost" unter dem sinnigen Titel "Kropfjodler" folgendes:
"Die Franzosen werden mir immer sympathischer. Weil die
machen sich net gleich, wie unsere Politika, in die Hosen, wenn in Tel Aviv
dem Axelschweiß oder dem Afterduft ein Rülpser auskommt!"
Das ist ein Beispiel für den alten Antisemitismus, der
sich über jüdische Namen – die Juden erhalten haben, die nicht in der Lage
waren seinerzeit bei der Namensgebung an Juden die österreichischen Beamten
zu bestechen – lustig macht. Doch mit "Tel Aviv" wird die Brücke geschlagen
zum postmodernen Antisemitismus.
Vorausgeschickt sei, dass postmoderner Antisemitismus sich
ebenfalls nicht dazu bekennt, sondern hinter der Maske einer
Menschenfreundlichkeit und manchmal sogar des Philosemitismus auftritt.
In der linksliberalen Wiener Tageszeitung "Der Standard"
erschien (10.8.04) ein Kommentar des als "neutral" angepriesenen
Rechtsexperten Manfred Rotter unter dem Titel "Die Schutzwall-Ideologen".
Der Autor ist Vorstand des Instituts für Völkerrecht und internationale
Beziehungen an der Universität Linz.
Keinesfalls möchte ich darüber diskutieren, weshalb denn
die Palästinenser die Vorschläge von Barak und Clinton nicht akzeptiert und
eine Terrorwelle ausgelöst haben. Auch soll hier nicht die berechtigte Frage
der Kompetenz dieses internationalen Gerichtshofes gestellt werden. Denn
darüber kann man streiten. Und es soll auch hier nicht auf die Frage
eingegangen werden, wieso die UNO und die EU derartig scharf den Verlauf des
Schutzzauns beobachten und gleichzeitig mit der selben Intensität den
Völkermord, der seit einiger Zeit im Sudan stattfindet, negieren.
Nein ich begnüge mich mit dem letzten Absatz des
Rotter-Kommentars, der so lautet:
"Und noch eine letzte Anmerkung: Israel hat es bisher
verstanden, die fragwürdigen rechtlichen Implikationen seiner Politik in der
Region und vor allem gegenüber den Palästinensern in den besetzten Gebieten
durch Instrumentalisierung seiner Opferrolle zu verdecken. Eine Opferrolle,
welche mit Hekatomben von Gründen belegt ist. Aber sollte nicht gerade diese
vor und nicht zuletzt auch nach der Staatsgründung gesellschaftlich
verdichtete Erfahrung unermesslichen Leides und allgegenwärtiger Angst Quell
für Mitgefühl oder doch wenigstens Respekt für die Opferrolle der
Palästinenser sein?"
Rotter wirft dem Staat Israel vor, mit
"Instrumentalisierung seiner Opferrolle" etwas zu verdecken. Nur wollen zwar
einige "gutmeinende" Europäer – vielleicht auch Manfred Rotter – Israel eine
Opferrolle spielen sehen. Doch die "Opferrolle" hatten wirklich die Juden zu
erleiden, die dem Rassenwahn der deutsch-österreichischen Volksgemeinschaft
zum Opfer fielen, bzw. diesen Wahn – der auch in den Hirnen und Herzen
mancher Mitglieder dieser Volksgemeinschaft noch ganz oder zum Teil da sein
mag – überlebten.
Rotter leugnet nicht den Völkermord an den Juden, meint
aber das der Holocaust und die Konzentrations- sowie Vernichtungslager eine
"gesellschaftlich verdichtete Erfahrung unermesslichen Leides" seien. Auf
deutsch, die Juden, die so viel gelitten haben, sollten doch einsehen, dass
die Unbequemlichkeit und das Leiden, dem Palästinenser ausgesetzt sind, weil
sie eine Terrorwelle begonnen haben, wenigstens so wichtig sind, wie der
Schutz des Lebens von israelischen Bürgern.
Gerade Manfred Rotter müsste als Experte für
internationales Recht den Unterschied kennen zwischen einem Staat, der
politisch handelt (was auch sachlich kritisiert werden kann ohne den von der
Volksgemeinschaft begangenen Völkermord zu bemühen) und den europäischen
Juden, die seinerzeit schutzlos dieser Volksgemeinschaft ausgeliefert waren.
Das schlimme an diesem Vergleich Rotters ist, dass er suggeriert, die Juden
hätten durch den Holocaust zu besseren Menschen werden müssen und man müsse
deswegen von ihnen eine Moral einfordern, die man sonst von keinem Staat
oder Volk – selbstverständlich auch nicht von Österreich und Österreichern –
einfordert.
Das werte ich als ein Musterbeispiel für postmodernen
Antisemitismus.
hagalil.com
10-08-2004 |