Überzogene Erklärungen:
Israel ein "kolonialistisches Gebilde" oder eine
"weltoffene Demokratie"?Von Karl Pfeifer
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat keinen guten
Ruf bei Linken. Sie gilt als die Zeitung der Unternehmer und rechten
Bildungsbürger. Doch wer genau hinschaut, der merkt wie hohl dieser Vorwurf
ist, wie doch gerade diese Leserschicht interessiert ist, was sich am
äußersten linken Rand der israelischen Gesellschaft tut.
Wäre das nicht der Fall, dann würde die FAZ nicht Joseph Croitorus (27.8.04)
Bericht unter dem Titel „Größtes Ghetto“ veröffentlichen, den er großspurig
mit folgenden Satz beginnt: „Die israelischen Linken wollen ihre Wortführer
jetzt stärken.“ Wer glaubt, da seien ein paar tausend Anhänger der
Arbeitspartei oder der linksliberalen Meretz zusammengekommen, der wird
enttäuscht. „In der neuen Erklärung, die von rund hundert israelischen
Intellektuellen unterzeichnet wurde – unter ihnen vor allem Hochschullehrer,
aber auch freie Publizisten und Künstler –, wird ein besonders kritischer
Ton angeschlagen.“
Wer sich diese bereits im Juli veröffentlichte Erklärung anschaut, wird die
übliche antizionistischen „Argumente“ finden, die gebetsmühlenartig immer
gleich bleiben. „Statt der angestrebten weltoffenen Demokratie habe sich
Israel zu einem kolonialistischen Gebilde entwickelt.“
Nun - unter allen Staaten und Gesellschaften des Nahen Ostens ist Israel
noch immer eine weltoffene Demokratie. Wäre dem nicht so, dann könnten diese
Intellektuellen nicht seelenruhig ihre „Erklärung“ veröffentlichen, sondern
müssten mit sehr ernsten Konsequenzen rechnen. Doch die einzige Konsequenz,
mit der diese Leute rechnen müssen ist, dass sie in den erlauchten Kreis
derjenigen geraten (das gilt für diejenigen, die noch nicht drin sind), die
zu internationalen Symposien nach Europa eingeladen werden, in denen die
Juden doch ermahnt werden, die nötigen Lehren aus dem Holocaust zu ziehen
und in denen man mit Stolz auf diese jüdischen-israelischen Intellektuellen
zeigen, die ja selbst bestätigen, ihr Staat ist ein kolonialistisches
Gebilde.
Dazu kann man nur Prof. Yoav Gelber zitieren: „Anders als europäische
Kolonialisten anderswo in der Welt kamen die jüdischen Einwanderer, die seit
den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts in das „Land von Israel“ strömten,
nicht bewaffnet bis an die Zähne, um das Land mit Gewalt von den
Einheimischen zu nehmen. Versucht man es mit einem semiotischen Ansatz, so
zeigt sich, dass das hebräische Wort Kibbush (Besetzung, Eroberung) bis 1948
eine friedliche Bedeutung hatte, die sich auf die Kultivierung der Wildnis,
auf das Arbeiten mit den Händen oder das Weiden bezog, allenfalls war noch
der eigenständige Schutz jüdischer Siedlungen gemeint, statt Araber dafür
anzuheuern. Andere militärische Begriffe wie gdud (Bataillon) oder plugah
(Kompanie) bezogen sich ebenfalls auf Arbeit und nicht auf militärische
Einheiten.
Postkolonialistische Wirtschaftstheorien über Ausbeutung und soziologische
Theorien über Wanderungsbewegungen sind, angewandt auf den Zionismus,
ebenfalls nicht valide oder zumindest unzureichend. Palästina unterschied
sich von den typischen Einwanderungsländern vor allem durch seine
Unterentwicklung und seine Armut. Im Gegensatz zu den europäischen
Zeitgenossen, die in Länder auswanderten, welche reich an natürlichen
Ressourcen und arm an Arbeitskräften zu deren Ausbeutung waren, kamen die
jüdischen Immigranten in ein Land, das nicht einmal seine eingeborene
Bevölkerung ernähren konnte. Palästinenser wanderten gegen Ende des
Osmanischen Reiches nach Amerika und Australien aus. Die zionistische
Ideologie und der Import von privatem und nationalem jüdischen Kapital
glichen den Mangel an natürlichen Ressourcen aus und beschleunigten die
Modernisierung. Ideologie und Kapitalimport sind zwei Faktoren, die anderen
Kolonialbewegungen völlig fehlen. Imperialistische Mächte beuteten ihre ihre
Kolonien in der Regel zum Vorteil des eigenen Vaterlandes aus und
investierten nicht über das zur Ausbeutung notwendige hinaus. Im Gegensatz
dazu floss aus Palästina keinerlei materieller Vorteil an das jüdische Volk
oder Großbritannien.
Zu der Tatsache, dass die Zionisten bis 1948 Land in Palästina kauften und
nicht eroberten, gibt es ebenfalls keine Parallele in kolonialen Bewegungen.
Auf der Liste der Verkäufer steht jeder bekannte Clan der
palästinensisch-arabischen Elite, die trotz ihrer radikal antijüdischen
politischen Haltung der Versuchung steigender Grundstückspreise im Gefolge
der jüdischen Einwanderung nicht widerstehen konnte. Die Palästinenser
machten für gewöhnlich ausländische Grundbesitzer für die Vertreibung der
Pächter verantwortlich und verschleierten die Rolle der einheimischen
Oberschicht bei den Grundstücktransaktionen mit den Zionisten. Nach der
Staatsgründung wurde staatliches Land beschlagnahmt und privates Land wurde
manchmal enteignet. Dennoch, der jüdische Staat entschädigte private
Besitzer, und bis heute werden größere Flächen von einzelnen Arabern
gekauft, die entweder in Israel oder im Ausland wohnen.
Ebenso konkurrierten die jüdischen Immigranten in der Mandatszeit und den
frühen Jahren israelischer Staatlichkeit auf den städtischen und ländlichen
Arbeitmarkt mit den (arabischen) Einheimischen – ein Wettbewerb, der in
Kolonien unvorstellbar wäre. Die Juden bauten keine Kolonialwirtschaft auf
wie die Briten in Südafrika oder Rhodesien, und sie wurden nicht von der
bestehenden Wirtschaft aufgesogen wie in den Vereinigten Staaten, Kanada
oder Argentinien. Sie entwickelten eine separate Wirtschaft, parallel zur
bestehenden arabischen und jede Welle von Immigranten legte die Fundamente
für die Absorption der nächsten Einwanderungswelle.
Eine Untersuchung der Kultur schließt der Zionismus ebenfalls von
postkolonialistischen Verhaltensmuster aus. Im Gegensatz zum üblichen
kolonialistischen Stereotyp ließen die jüdischen Immigranten ihre
Zugehörigkeit zu ihren Ursprungsländern und deren Kulturen hinter sich
zurück. Stattdessen belebten sie eine alte Sprache neu und schufen auf der
Basis des Hebräischen eine neue Kultur, die sich in alle Lebenssphären
ausdehnte. Außerdem: Alle kolonialen Auswanderer in der Welt versuchten
entweder aus einer düsteren Gegenwart zu fliehen, oder sie suchten eine
lukrative Zukunft. Die Juden, die in das Land von Israel auswanderten,
reagierten zwar auf die gleichen Auslöser, wurden jedoch getrieben von einer
einzigartigen Motivation, die sie von allen anderen kolonialen Bewegungen
unterscheidet: der Widerbelebung eines uralten Erbes.
Diese Belege sollten ausreichen, um eine Identifikation des Zionismus mit
dem Kolonialismus zurückzuweisen. Die scheinbar historischen Argumente
ziehen sich bis in die Gegenwart. Nachdem nahezu alle nationalen
Befreiungsbewegungen ihre Ziele erreicht und den Kolonialismus vor langer
Zeit abgeschüttelt haben, treten die Palästinenser – die während der ganzen
Zeit sehr viel umfangreichere internationale Unterstützung erfahren haben –
noch immer auf der Stelle, wenn sich ihre Situation nicht sogar
verschlechtert hat. Allein diese Tatsache hätte sie zu einer neuerlichen
Überprüfung ihres traditionellen Paradigmas führen müssen. Die Kultivierung
der Verknüpfung von Zionismus und Kolonialismus ist nur ein Vorwand, um
einer solchen erneuten Untersuchung auszuweichen und auf einem Weg
weiterzugehen, der offensichtlich in eine Sackgasse führt.“ (Yoav Gelber:
Ist Frieden zwischen Israelis und Palästinensern möglich? Aus Politik und
Zeitgeschichte, 20/2004 ISSN 0479-611 X)
Schon deswegen können die palästinensischen Politiker und Propagandisten
dieses Dokument gut gebrauchen. Werden doch ihre Theorien und Begründungen
ihres Scheitern von diesen israelischen Intellektuellen vollinhaltlich
bestätigt.
Croitoru erwähnt auch den Vorwurf der Unterzeichner Israel hätte
unverkennbar Elemente eines Apartheidregimes. Wieder einmal wird ein Begriff
strapaziert der wenig mit der israelischen Wirklichkeit zu tun hat.
Apartheid, war eine Politik der Rassentrennung, welche die Beziehungen
zwischen der weißen Minderheit und der nichtweißen Mehrheit in Südafrika
regelte und auf der Rassentrennung und wirtschaftlichen Diskriminierung von
Nichtweißen gründete. Die Südafrikaner wurden entweder als Bantu (alle
schwarzen Afrikaner), Farbig („gemischter Rasse) oder als Weiß
klassifiziert. Eine vierte Kategorie – Asiate (Inder und Pakistani) – wurde
später dazugefügt.
Bereits mit früheren Gesetzen sorgte man dafür dass mehr als 80 Prozent von
Südafrika für Weiße bestimmt war. Es wurde vom Apartheidregime das
„Passgesetz“ verschärft, dass Nichtweiße dazu verpflichtete Dokumente bei
sich zu tragen, die ihren Aufenthalt autorisierten. Die meisten sozialen –
insbesondere sexuellen – Kontakte zwischen den Rassen wurden verboten. Die
öffentlichen Räume wurden getrennt, das gleiche geschah auf dem Gebiet der
Erziehung. Auch die Arbeitsmöglichkeiten und Gewerkschaften der Nichtweißen
wurden eingeschränkt.
Es gibt in Israel kein Gesetz und keine Praxis einer „Rassentrennung“. Im
öffentlichen Verkehr, im Kino oder Theater gibt es keine für Araber nicht
zugängliche Räume. Und wenn es doch in der Gesellschaft zu Diskriminierung
kommt, dann gibt es einen öffentlichen Aufschrei und die Medien berichten
darüber ausgiebig. Nicht zu vergessen ist dabei der Kriegszustand in dem
sich Israel jahrzehntelang befand und zum Teil noch befindet. Croitoru
zitiert auch einen Kommentator der Abendzeitung „Maariv“, der zurecht
bemerkte, der postkoloniale Diskurs der Intellektuellen kranke daran, „dass
sie selbst die Araber bevormundeten, die sie für ihre Fehler nicht
verantwortlich machten und den Schwarzen Peter immer nur den Israelis und
dem Westen zuschöben.“
Tatsächlich werden solche überzogene Erklärungen, die wenig mit der Realität
des Landes zu tun haben, in Israel nicht ernst genommen. Es ist zu
durchsichtig, wessen Propaganda damit bestärkt wird. Die Tatsache, dass
einige Professoren und Lehrbeauftragte diese Erklärung unterschrieben haben
zeigt auf, dass die akademische Freiheit in Israel respektiert wird, dass
Israel – trotz Terrorangriffe – eine weltoffene Demokratie bleibt.
hagalil.com
30-08-2004 |