Sadr-Miliz:
Der Feind im Land
Im Südirak sind erneut Kämpfe mit der
Sadr-Miliz ausgebrochen. Viele Iraker machen den Iran dafür verantwortlich.
Von Thomas von der Osten-Sacken
Jungle World 34 v.
11.08.2004
Meldungen verschiedener Pressagenturen, nach der
Machtübernahme durch die neue irakische Regierung habe sich die
Sicherheitslage im Irak merklich verbessert, erwiesen sich als verfrüht.
Denn offenbar haben im Irak die erwarteten Herbstoffensiven sowohl der
Koalitionstruppen als auch ihrer Feinde begonnen. Mit koordinierten
landesweiten Anschlägen auf Kirchen haben radikale Islamisten der
christlichen Minderheit im Irak den Krieg erklärt, während verheerende
Selbstmordanschläge auf Polizeistationen Hunderte das Leben kosteten.
Im Süden des Landes brach zudem ein im Mai ausgehandelter
Waffenstillstand zwischen den so genannten Mahdi-Milizen des
khomeinistischen Geistlichen Muqtada al-Sadr und den Koalitionstruppen und
der irakischen Regierung zusammen. In Najaf, Kufa und anderen Städten kam es
zu heftigen Kämpfen, bei denen nach Angaben von US-Militärs bislang hunderte
von al-Sadrs Milizionären umgekommen sein sollen. Bislang scheint der
Aufstand allerdings erfolglos zu verlaufen. Insgesamt 1 200 Kämpfer hätten
sich ergeben, erklärte der Gouverneur von Najaf, Adnan al-Sorfi, während
Koalitionstruppen und irakische Einheiten strategische Stellungen in Najaf
zurückeroberten.
Al-Sadr rief zu den Waffen, nur wenige Tage nachdem Ayatollah Ali
al-Sistani, die oberste schiitische Autorität im Irak, nach Großbritannien
ausgeflogen wurde, wie es hieß, zur Behandlung eines Herzleidens. Im Irak
wird seitdem heftig diskutiert, ob Sistani mit diesem Schritt den USA grünes
Licht gegeben habe, die vom Iran unterstützte Sadr-Bewegung endgültig zu
zerschlagen, oder ob der angeschlagene Sadr nun die Gunst der Stunde zu
nutzen versuche, um seine politische Position zu stärken.
Al-Sadr gilt im Irak bei vielen als direkter Befehlsempfänger Teherans, die
neuen Zusammenstöße könnten deshalb im Zusammenhang mit den sich
verschlechternden Beziehungen zwischen Irak und Iran stehen. Im Mai noch
hatten die im Iran regierenden Kleriker gehofft, die USA seien angesichts
des Widerstandes im sunnitischen Zentralirak gezwungen, ihr Bündnis mit den
irakischen Schiiten so weit ausbauen, dass die neue Übergangsregierung unter
direktem iranischem Einfluss stehen würde. Mit Premierminister Iyad Allawi
übernahm allerdings ein säkularer Schiit die Regierunsgeschäfte in Bagdad,
und spätestens als der irakische Verteidigungsminister Hasim al-Shaalan den
Iran als eine »feindliche Nation« bezeichnete, die gemeinsam mit Syrien den
Terrorismus im Irak unterstütze, dürfte in Teheran klar geworden sein, dass
im Nachbarland keineswegs eine der Islamischen Republik besonders wohl
gesonnene Regierung die Macht übernommen hat.
Im Gegenteil: Seit Anfang August findet an der syrischen Grenze eine
amerikanisch-irakische Großoffensive statt. Dem mit dem Iran verbündeten
Ba’ath-Regime in Damaskus wird vorgeworfen, den »irakischen Widerstand« mit
Kämpfern, Geld und Waffen zu unterstützen. Zugleich hat die Regierung in
Bagdad strenge Visaregelungen ausgegeben und ihre Grenzkontrollen verstärkt.
Während Saudi-Arabien, Ägypten und Jordanien in den vergangenen Wochen den
USA ein verstärktes Interesse an einer Befriedung des Irak signalisiert
haben, fürchten die Regimes in Iran und Syrien mehr denn je, dass ein mit
den USA alliierter und stabilisierter Irak ihren Machterhalt gefährden
könnte. Die offenen Drohungen der irakischen Regierung gegen die
Nachbarländer wurden zweifelsohne nach Absprache mit Washington geäußert.
Ohne zumindest eine Duldung seitens des einflussreichen schiitischen Klerus
im Irak aber könnte keine Regierung in Bagdad sich so offen mit dem Iran
anlegen. Sollte al-Sadr in den kommenden Wochen endgültig besiegt werden,
wäre dies ein schwerer Rückschlag für den Iran, während ihm im Irak die
wenigsten eine Träne nachweinen dürften.
hagalil.com
21-05-2004 |