Matschepampe spielen in andrer Leute Hirn:
Hitler im Netz
Von Bov Bjerg
Erschienen in: Jungle World
28 - 30. Juni 2004
Alles aufzeichnen zu können, was die Leute so plappern,
ohne Unterschied Weisheit und Scheiße, das war immer mein Traum. Eine
Archivierungsmaschine, die alles so Dahingesagte sammelt, die Material
produziert, produziert, produziert.
Sodass man nachlesen kann, was den Leuten im Kopf herum geht
und vor allem wie: wie sie wirklich reden, mit all den Verkürzungen,
willkürlich eingepflanzten Konjunktionen, den mäandernden Begründungen.
Nachlesen, wie der Gedanke beim Reden allmählich zerfällt. Die Sätze nehmen,
neu sortieren, Matschepampe spielen in andrer Leute Hirn.
Diese Maschine gibt es heute, fast. Klar, das Internet
verwandelt keine Laute in Schrift. Doch wie ins Netz geschrieben wird, das
ist oft dem Mündlichen nah. Und, auch klar, nicht jeder kann einen Computer
bedienen, nicht jeder kann überhaupt schreiben, nicht jeder kann sich einen
Internetzugang leisten.
Es ist kaum zu glauben, aber: Die wirklich unbedarften Leute,
die sind noch gar nicht im Netz. Was im Netz steht, sind die Äußerungen
einer Elite, von Leuten mit überdurchschnittlich viel Bildung, Ahnung von
Technik und Geld.
Warum Hitler? Walter Kempowski stellte Anfang der Siebziger
die Frage: "Haben Sie Hitler gesehen?" Das war etliche Jahre, bevor die
"Oral History" zur Mode wurde, diese Borderline-Geschichtsschreibung an der
Grenze zur akzeptierenden Sozialarbeit. Kempowski machte aus den Antworten
eines der interessantesten Bücher zum Thema.
Sebastian Haffner schrieb damals im Nachwort: "Dabei kam es
natürlich nicht auf das Ja oder Nein an, sondern auf den Ton der Antworten,
mehr noch auf die Unter- und Zwischentöne, das scheinbare Nebenher. Das ist
mit Tonband und Stenografie festgehalten, genauso wie es herauskam, in
seiner ganzen unkorrigierten Unschuld und Unbedachtheit, und das kann man
jetzt nachschmecken."
Dreißig Jahre später lebt kaum noch jemand, der sich an eine
Begegnung mit Hitler persönlich erinnern könnte. Im Netz reden jetzt die
Enkel und Urenkel. Aber immer noch heißt der Schnaps, der ihre Zunge
lockert, Hitler. Er reizt sie zum Plappern, Mutmaßen, Schwadronieren. Wieder
und wieder müssen sie ihn deuten, denn von seiner Person hängt alles ab. Wer
Hitler richtig auslegt, wer den Faschismus richtig verknoppt, der hat die
Geschichte verstanden.
Zu Hitler hat jeder eine Meinung, die wird im Brustton
geäußert, egal wie trivial, bizarr oder offenkundig bescheuert sie ist.
Jedes Wahnsystem hat ein Plätzchen für ihn: Hitler war ein Abgesandter
Gottes, abtrünniger Dämon, achtel jude, alien. Doch wer sich traut, war ein
Arschloch hinzuschreiben, ist schon fast ein Gerechter der Völker.
Beliebte Klischees lassen sich übrigens mit den
Suchergebnissen nicht bestätigen. Wer im Zusammenhang mit Hitler die
Autobahnen erwähnt, referiert das Klischee nur im Scherz. (Denn auch die
Groß- und Urgroßeltern, die ernsthaft "aber die Autobahnen" raunten,
schrieben nicht im Netz.)
Positive Sätze über Hitler stehen hauptsächlich auf
Webseiten, die der politischen Aufklärung Jugendlicher dienen. Man führt sie
dort nur auf, um sie anschließend zu widerlegen. Im Rest vom Netz sind diese
Sprüche praktisch nicht zu finden, wenn man mit dem deutschen Google sucht.
Die schönsten Aussagen? Am hellsten leuchten sie eigentlich
zwischen den andern, den grauen, banalen. Aber gut. Weit vorn auf meiner
privaten Dada-Skala: war ein Luftfahrt-Narr, und Fliegen war damals eine
unsichere Sache. Dieses »und«, was bedeutet es? Oder: war ein Zerstörer all
dessen, für das der Adel einstand. Oder: war ein Paradebeispiel für die
Strategie bindungstraumatisierter Kinder, andere Menschen durch Reden in
eine Beziehung zu sich zu zwingen – das hat seinen eigenen Charme, gerade in
der Nähe zum doch eher unterkomplexen: war ein pubertierendes Schwein.
Und wenn ein Schüler schreibt, wollte alle Länder erobern
(auch Luxemburg), und so kam es zu einem gewaltigen Krieg, dann meint man
herauszuhören, wie sehr der luxemburgische Gemeinschaftskundelehrer sich ins
Zeug gelegt hat, das Thema seinen Kindern ganz persönlich nahe zu bringen.
Sag was zu Hitler, dann sag ich dir, wer du bist.
Die Sätze, die hier gelistet sind, sind nach Gutdünken
zusammengestrichen. Manchmal brechen Sätze einfach ab, unvollständig, das
stand dann so auf der Suchergebnisseite, und es ist in diesem allgemeinen
Behaupten ja eh wurscht. Der Klang des Rauschens, dazwischen ein paar
schrille Töne, syntaktische Stolperer, hie und da ein krudes Witzchen, das
ist alles, die Information ist nichts.
Die Sammlung für dieses Dossier begann bereits im Mai. Die
Suchergebnisse können inzwischen deutlich abweichen – Seiten verschwinden,
neue kommen dazu. Gesucht wurde mit der deutschen Google-Version. Bei der
Suche mit einer anderen, etwa der amerikanischen Version, können die
Ergebnisse ebenfalls abweichen. Zum Beispiel können, gerade bei dem hier
relevanten Suchwort, Seiten auftauchen, die Google Deutschland fürsorglich
ignoriert.
Hitler gegoogelt:
Was Anfänger, Fortgeschrittene und Profis wissen
hagalil.com
08-07-2004 |