Kampf gegen Antisemitismus muss Außenpolitik prägen:
Bei Judenhass hört die Diplomatie auf
Von Philipp Gessler
Derzeit fällt es leicht, nach Frankreich zu
blicken und dann erleichtert festzustellen, dass es hierzulande in
Sachen Antisemitismus noch nicht ganz so schlimm zu sein scheint -
noch nicht. Umso lobenswerter ist es, dass gerade jetzt die
Heinrich-Böll-Stiftung und das American Jewish Committee ein "Policy
Paper" für Maßnahmen gegen Antisemitismus in Deutschland vorlegen.
Denn Prävention ist gegen diesen ältesten Hass Europas die
zuverlässigste Waffe, wenn auch nicht die einzige.
Der Maßnahmenkatalog, den die beiden
zivilgesellschaftlichen Organisationen empfehlen, ist umfangreich
und komplex, und wie könnte es anders sein bei einem Phänomen, das
so tief verwurzelt und weit verzweigt ist wie die Judenfeindschaft
zwischen Rhein und Oder? Die Empfehlungen sind zudem deshalb
weiterführend, da sie bisher eher schwach beleuchtete Themen im
Antisemitismus-Diskurs beleuchten: etwa die deutsche "Opferdebatte",
die den Boden für eine Relativierung des Holocaust bereiten kann,
das Einsickern des Antisemitismus in die guten - auch linken -
Kreise oder eine neue Anti-Antisemitismus-Pädagogik, die nötig ist,
weil Holocaust-Erziehung nicht genug leistet und Migrantenkinder
speziell angesprochen werden müssen.
Was das gemeinsame Vorgehen von American Jewish
Committee und Böll-Stiftung aber besonders wertvoll macht, ist die
klare Kritik an einer Bundesregierung, die im Kontakt mit
offiziellen Vertretern aus der arabisch-muslimischen Welt viel zu
wenig gegen antisemitische Propaganda in diesen Ländern protestiert.
Daran krankt etwa der "kritische Dialog" Berlins mit den Mullahs in
Teheran, wo "Antizionismus" kaum den dort weit verbreiteten
Judenhass kaschiert. Das gilt ebenfalls für Syrien und Ägypten, die
in den vergangenen Jahren die Judenfeindlichkeit der Straße durch
antisemitische Machwerke in ihren halbstaatlichen TV-Sendern
regelrecht geschürt haben.
Die - löblichen - Appelle Berlins gegen
Antisemitismus dürfen eben nicht dort enden, wo diplomatische oder
wirtschaftliche Beziehungen dadurch eingetrübt werden könnten. Zwei
Beispiele, wie es laufen kann, sind China und die Türkei: Die Kritik
an deren Menschenrechtspolitik hat zwar die Stimmung in den
Beziehungen zur Bundesrepublik nicht immer verbessert. Hier hat sich
aber gezeigt, dass Druck von deutscher Seite durchaus etwas bringt,
ohne dass das Geschäftemachen mit diesen Partnern eine Ende findet.
Der Kampf gegen Antisemitismus braucht ähnlichen Nachdruck. Er ist
kein nachrangiges Politikfeld.
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26-07-2004 |