Satirisches zum Wochenende:
Deutschland sucht das Superland
oder
Schiller wurde nicht erlöst
Von Robert Cohn
Dieses Land ist saturiert. Nein. Nicht so, wie der selige
Bismarck sagte. Nach der klein-deutschen Lösung - die wirklich so hieß, wie
sie hieß und nicht mal ein Schimpfwort war und Ernst gemeint war sie auch -
also nachdem er die bismarcksche kleindeutsche Lösung gelöst hatte, stellte
Bismarck sich hin und knarrte ziemlich mittelselig, Deutschland sei nun
saturiert. Aber endgültig war das nicht. Er wusste ja nichts über diese
Kategorie Saturiertheit des späten Stefan Raab, von Fußgängerzonen,
Kaufhallen oder von Ulrich Wickert oder vom prachtvollen neuen Kanzleramt
oder von Das Wunder Von Bern.
Er meinte auch nicht die in anderem Sinne kleindeutsche Erika
Steinbach - von der ich nicht weiß, ob Sie sie kennen oder ob sie am
Feierabend nach oder vor den Tagesthemen einen mittelgroßen oder weniger
großen sterblichen Saturiertheitsschub verspürt - jedenfalls meint Frau
Steinbach vor ihrem Feierabend immer: Die Deutschen seien erst saturiert, so
bald Denkmäler von ihrem Leiden kündeten, viele Denkmäler für viele deutsche
Leiden der Deutschen. Wer weiß; ob sich die erlösende Saturiertheit dann
einstellt? Aber die Sehnsucht, die ist da, im Busen bang. Und wie sie da
ist. Vor den Tagesthemen kann man in letzter Zeit manchmal zuschauen, wie
die Deutschen unter und an den Bomben gelitten haben. An den Bomben der
Anderen.
Ja, die Deutschen leiden regelmäßig. Zwischendurch sind sie
saturiert, aber ihr Leiden schimmert immer wieder durch. Auch 'ne Kunst,
saturiert zu leben und in den Pausen des Lebens zu leiden. Nicht an sich
selber, immer an den Anderen. "Der Platz an der Sonne", sagte Bismarck. Den
bräuchten die Deutschen. Natürlich hatten sie vorher einen Platz im
Schatten. Und danach auch. Wenn überhaupt einen Platz. Haben die Deutschen
jetzt, hundert kleindeutsche Jahre oder so später, einen Sonnenplatz auf
Mallorca? Falls nicht, leiden sie. Falls doch, in El Arenal, leiden sie
daran. Keine Erlösung in Sicht. Die deutsche Saturiertheit ist mit dem
Leiden engstens verbandelt oder das Selbe, wer weiß. Übrigens litten die
Deutschen durchaus immer weiter, nachdem sie sich zusammengefunden und
-gerottet hatten, um sich gegen die Verursacher ihrer Leiden 'zu wehren'.
Und damals gab es nicht mal Fernsehen. Grund für Leiden, so oder so. -
Wussten Sie, dass Saturiertheit und Saturday sprachlich zusammenhängen? Der
Saturday ist der Shabat. Zu Zeiten war das deutsche Leiden an den Anderen,
die ihnen keinen Platz an der Sonne gönnten usw. usf. so groß und größer und
riesenhaft, dass als Bedingung für deutsche Erlösung und Saturiertheit
unbedingt kein Einziger nirgendwo in Deutschland und anderswo mehr den
Saturday feiern oder überhaupt da sein sollte. Unvorstellbar, dass die
Deutschen vorher erlöst wären. Erlösung käme erst mit der Endlösung vom
Saturday. Also mussten die anderen Deutschen, die ihn feierten, weggeholt
werden von ihrem Platz an der Sonne, wo sie saßen und den Deutschen, die ihn
nicht feierten, immer Alles und die Sonne wegnahmen. - Kompliziert, nicht?
Und Alles nur wegen der Saturiertheit. Die sich bis heute
nicht eingestellt hat. Für die Deutschen. Trotz Big Brother und Fußball und
trotz siebenundzwanzig Jahren Ulrich Wickert. Und obwohl hier und dort jetzt
ein Deutscher an und in der Sonne sitzen mag und obwohl sogar der Saturday
wieder hier und dort gefeiert wird. Von den Anderen. Aber die Deutschen
werden erst saturiert sein, endgültig und vollständig saturiert, so bald
diese Denkmäler für ihre Leiden stehen werden. Ist ja klar. Vorher wird kein
Mensch saturiert sein. Vorher leiden die Deutschen weiter und sind nicht
saturiert. Jaja, manchmal schon - aber halt nicht richtig. Schiller sagte,
dass "keinem Sterblichen jemals ungeteilte Freude zuteil ward". Schiller war
nie im Fernsehen. Eben. Frau Steinbach, die ich vorhin erwähnt habe (aber
Sie müssen sie nicht kennen), will aber diese ungeteilte Freude haaaben.
Obwohl Schiller gesagt hat, dass nicht. Also, eine aufrechte Deutsche, die
ihrem Schiller widerspricht, die kriegt keinen Platz an der Sonne und will
ihn haaaben und kriegt ihn nicht.
Saturiertheit? Was ist das überhaupt für ein Wort. Ist das
wenigstens deutsch? Nein. Kommt von satis, lateinisch genug. Klar, die
Deutschen und ein lateinischer Zustand, das geht nicht zusammen. "Saturn"
steckt auch drin im Wort, der ist nicht in Deutschland und hat einen Ring,
der nur um sich selber kreist, also doch etwas Deutsches, einen 4 Milliarden
Jahre alten Nibelungenring gewissermaßen, der Saturn hat kein Magnetfeld,
nichts Elektrisierendes also, wir sind ja hier nicht in London oder in Tel
Aviv am Strand oder mitten in Paris, der Saturn hat bloß immer gleichförmig
wabernden Dunst und er hängt ganz am Ende der Fahnenstange im Schatten ohne
Sonne, weiter weg als Hinterpommern. In der Alchemie ist er mit Blei
verschwistert - bleierner Saturn, oh schwäääre Lassst, rumsitzende
Saturiertheit, die nicht aus'm Gelsenkirchener Barock-Ikeasessel hochkommt.
Und Saturn hat seine Kinder gefressen und steht allein und alt und
bewegungslos rum.
Er ist der große Schweiger, aber treue stille Wasser sind
nicht tief sondern öööde, und Uranus oder Neptun, die verrückte Sachen
machen und schief sind und andersrum kreisen und mit komischen Geysiren
herumbrodeln, die sieht er nicht, denn die sind in seinem Rücken und da gibt
es nichts und da hat es nichts zu geben und der Platz an der Sonne ist daaa
ganz hinten und viel weiter hinten und nie wird er da hinkommen und hat's
aber immer vor Augen und Bismarck hörte Gassenhauer und Schmachtfetzen und
der Saturn frisst zwischendurch seine Kinder und lauscht Wagners
Geigengedonner und lullt sich in seinen Ring ein und ist nie saturiert und
will aber dass Roy Black lebt, und er hört Beethovens verzweifelten Jubel
und Schillers Sehnsucht nach der ungeteilten Freude und liest Stuckrad-Barre
und Frau Steinbach legt Tony Marshall auf obwohl er so undeutsch heißt und
der Saturn denkt an Bockwürste die aber nicht gar werden denn die Sonne ist
viel zu weit weg und das ist doof und er will wieder einen fressen weil das
Alles so doof ist und so ist das eben und im Fernsehen ist er auch nie.
hagalil.com 07-07-2004 |