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Stolpersteine:
Persönliche Eindrücke und Erfahrungen aus Berlin

Von Iris Noah

Mit großer Mehrheit hat der Münchener Stadtrat - abgesehen von einigen Gegenstimmen der Grünen und PDS - die Verlegung von Stolpersteinen abgelehnt. Stolpersteine sind quadratische Messingplättchen, auf denen biografische Daten von Deportierten eingraviert sind und die in 43 Städten vor den Häusern von Ermordeten in den Straßenboden verlegt werden. Das Konzept stammt vom Kölner Künstler Günter Demnig, der bis jetzt 3600 dieser Steine, davon über 600 in Berlin, verlegt hat. Eine Person oder eine Gruppe übernimmt die Patenschaft für einen solchen Stein, dessen Herstellung und Verlegung 95 Euro kostet. Meist recherchieren Schulklassen oder Jugendgruppen zu den Biografien derer, an die erinnert wird und tragen ihre Arbeitsergebnisse bei der Verlegung der Steine vor.

In Berlin wurde vor einigen Jahren die ersten Stolpersteine in Kreuzberg verlegt. Inzwischen haben auch andere Bezirke das Konzept übernommen.

Personale Form des Erinnerns an Alltagsorten
Die Stolpersteine geben Ermordeten (Juden, Sinti, Roma, Behinderte, Homosexuelle, politisch Verfolgte) - so wird von den Befürwortern argumentiert - ihre Individualität zurück und stellen eine alltagsnahe Form des Erinnerns dar, weil sie an Lebensorten der Opfer verlegt werden und nicht zentralisiert sind, wie etwa das Holocaustdenkmal in Berlin. Das ist zweifellos richtig, dennoch ist zu fragen, ob die Nachteile, die mit dieser künstlerischen Ausdrucksform verbunden sind, die Vorteile aufwiegen. Über die Emotionen, welche durch die Möglichkeit auf die Stolpersteine zu laufen, ausgelöst werden, ist schon viel geschrieben worden.

Verschmutzung
Die Steine, die bereits seit längerer Zeit verlegt sind, sind meist dunkel angelaufen und verschmutzt. Ob dies eine Form ehrenden Gedenkens ist, muß jeder selbst entscheiden. Die Verantwortung der "Stolpersteinpaten" sowie der verantwortlichen Gruppen endet mit der Verlegung.

Wahrnehmung
Wer sich einige Stunden vor den Eingangsbereich der Hackeschen Höfe stellt, wo mehrere Stolpersteine verlegt sind, wird beobachten, daß die meisten Passanten auf die Steine treten und nicht ausweichen, obwohl dies vom Platz her möglich wäre. Bei meinen Stadtrundgängen erlebe ich, daß die meisten Menschen die Stolpersteine erst dann wahrnehmen, wenn sie explizit darauf hingewiesen werden. Das trifft auch für Bewohner von Häusern zu, vor denen seit Jahren Stolpersteine verlegt sind.

Engagierte Recherchearbeit
Als großes Plus für die Stolpersteine wird das Argument ins Feld geführt, Jugendliche würden sich sehr viel mehr als bei anderen Formen der Geschichtsvermittlung engagieren. Bei der Stolpersteinverlegung am 4. Juni 2004 in Berlin habe ich Jugendliche erlebt, deren Recherche sich darauf beschränkt hatte, zusammenzuschreiben, was den Vermögensverwertungsakten zu entnehmen ist. Die meisten der am Projekt beteiligten Jugendlichen benahmen sich auf den Wegstrecken zwischen den einzelnen Orten der Verlegung sehr ausgelassen und alberten herum.

Anonymisierung der Täter
Ein Erwachsener, der zu homosexuellen Verfolgten forscht, stellte seine ausführlichen Recherchen zu Herbert Budzislawski, der Mitglied in der Widerstandsgruppe um Herbert Baum war, vor und bezog sich auf Protokolle von Verhören, die deshalb zustande kamen, weil Budzislawski mehrmals denunziert worden war. Die Denunzianten und Verhörenden blieben anonym. Die Stolpersteine reproduzieren das gängige Muster des Gedenkens in Deutschland, daß die Opfer individualisiert werden und gleichzeitig die Täter und Mitläufer anonymisiert werden.

Schändung
Gelegentlich konnte ich beobachten, daß Stolpersteine bespuckt oder angerotzt wurden. Wenn ich - die meist jugendlichen - Täter darauf anspreche, stellen sie es als puren Zufall dar, daß die Spucke oder der Rotz auf dem Stolperstein gelandet ist. Was ich aber vorher gehört habe und die non-verbalen begleitenden Reaktionen in Mimik und Gestik sprechen eine andere Sprache. Wenn Günter Demnig damit argumentiert, daß manchmal auch Gedenktafeln und Denkmale entfernt oder beschmiert werden, so ist zu bedenken, daß sich hier die Täter direkt positionieren, sich beim Bespucken jedoch mit dem angeblichen "Zufall" aus der Affäre ziehen können.

Im Herbst 2003 wurden in Schöneberg die beiden Stolpersteine für das Ehepaar Dobrinski einen Tag nach der Verlegung herausgerissen und gestohlen. Die Reaktion der überlebenden Tochter, die dafür aus Israel gekommen war, war eine Erfahrung, die mich sehr mitgenommen hat. Durch einen Artikel von mir hatte sie von der Schändung erfahren und sich dann per eMail an mich gewandt.

Reaktionen ausländischer Berlinbesucher
Ich habe immer wieder mit israelischen Berlinbesuchern sowie mit Nachkommen jüdischer Emigranten aus anderen Ländern. Die günstigste - und seltene - Reaktion ist, daß diese Berlinbesucher nicht so recht wissen, was sie von den Stolpersteinen halten sollen, aber die positive Absicht, die sie dahinter vermuten, loben. Sehr viel häufiger begegnet mir bei diesem Personenkreis Entsetzen, daß so eine Form des Gedenkens überhaupt möglich ist: Die Ermordeten können mit Füßen getreten werden. Die Äußerungen reichen von "schockierend" über "widerlich" bis "ekelhaft".

Demokratieverständnis
Günter Demnig beklagt das mangelnde Demokratieverständnis des Münchener Stadtrates, der ihn nicht eingeladen habe um sein Konzept der Stolpersteine vorzustellen. Allerdings sollte Herr Demnig sein eigenes Demokratieverständnis befragen, denn als er am 4. Juni 2004 in Berlin die letzten Stolpersteine verlegte, prahlte er am Beginn der Zeremonie in seiner Rede in der "Blindenwerkstatt Otto Weidt" damit, daß er vor kurzem in München illegal die beiden ersten Steine verlegt habe. Selbst wenn diese entfernt würden, würden "die in München schon sehen, wer den längeren Atem" habe. Er würde solange weitermachen, bis seine Steine liegen blieben.

Personale Formen des Gedenkens
Gerade in Berlin sind in den letzten Formen einige Formen des Gedenkens entwickelt worden, die den Opfern ihren Namen zurückgeben und im alltäglichen Leben und nicht in Sondersituationen wie dem Besuch einer Gedenkstätte angesiedelt sind.
Bewohner eines Hauses in der Bamberger Straße (Wilmersdorf) haben im Eingangsbereich einen "stummen Portier" aufgehängt, der die Namen derer, die aus diesem Haus deportiert wurden, sichtbar macht. Ein solcher "stummer Portier" hängt in den meisten Berliner Altbauten, um Besuchern zu erschließen, wer in welchem Teil des Hauses zu finden ist.

In einigen Berliner Bibliotheken sowie in einer Buchhandlung liegt das Berliner „Gedenkbuch an die ermordeten Juden" aus, in dem die Namen, Daten und Deportationsorte von fast 59 000 Berliner Juden festgehalten sind. Vor acht Jahren begann der BSJD (Bund jüdischer Studenten) damit, alle Namen am Jom haSchoah an einem öffentlichen Platz, der mit dem jüdischen Leben zu tun hat, vorzulesen. Viele Berliner kommen zu dieser 36 Stunden dauernden Lesung für einige Zeit um zuzuhören oder um selber eine Seite vorzulesen.

Im Bayrischen Viertel von Schöneberg, wo der jüdische Bevölkerungsanteil 14 % betrug, haben vor 10 Jahren die Schüler der sechsten Klasse der Löcknitz-Grundschule im Schulhof die ersten 25 Ziegelsteine aufgeschichtet, die sie mit den Namen von Schöneberger Jüdinnen und Juden beschriftet hatten. Jedes Kind suchte sich einen Menschen aus, mit dem es etwas gemeinsam hat (Geburtstag, Vornamen). Die Mauer ist inzwischen auf über 500 Steine angewachsen, denn jeder sechste Schülerjahrgang wollte das Projekt weiterführen.

Sicher findet man auch in München Formen des Gedenkens, durch die die Individualität der Verfolgten und Ermordeten sichtbar wird.

Zum Weiterlesen:
Stolperstein für Lothar Koppel
Gedenkmauer der Löcknitz-Grundschule
Denkmale in Berlin
Juden und jüdisches Leben in Berlin

hagalil.com 17-06-2004

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