Beratungsstelle in Braunschweig:
"Mein Kind ist rechtsextrem"
In Braunschweig hat sich das erste
Beratungsnetzwerk für Eltern gebildet, deren Kinder den Neonazis
zulaufen. Die rechte Szene wird immer jünger
Von Andreas Speit
Braunschweig taz - "Zuerst trug er nur seine Haare
immer kürzer", erinnert sich Frauke Mayer (Name geändert). Dann zog
ihr Sohn eine Bomberjacke mit "White Power"-Aufdruck und
Doc-Martens-Schuhe mit Stahlkappen an. Aus seinem Zimmer schallte
"Lasst die Messer flutschen in den Judenleib", an der Wand hingen
eine Reichskriegsfahne und ein Plakat "Rudolf Heß - Mord", erzählt
Mayer. Die ersten weniger drastischen Anzeichen der Hinwendung ihres
Sohnes zur Neonazi-Szene hatten die Eltern hingegen nicht gesehen.
"Wir wollten es vielleicht auch nicht sehen", räumen sie ein. "Wir
waren so entsetzt und hilflos."
Eine typische Reaktion von Eltern, die mit der
Entwicklung ihrer Söhne und Töchter in die neonazistische Szene
konfrontiert sind. Und wenn sie den Mut gefunden haben, wegen ihrer
Ängste eine Eltern- und Familienberatung aufzusuchen, werden sie oft
wieder weggeschickt. "Rechtsextremismus, damit kennen wir uns wenig
aus", hörte auch Frau Mayer. "Keine Einzelerfahrung", weiß Reinhard
Koch, Leiter der "Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt" in
Braunschweig. Seit mehreren Monaten bietet die Arbeitsstelle der
"Bildungsvereinigung Arbeit und Leben Niedersachsen" deshalb eine
Beratung für Eltern und Erziehungsberechtigte an.
Die Arbeitsstelle hatte zuvor im Jahr 2003 an über
1.300 Jugendämter oder -hilfen einen Fragebogen verschickt, dessen
Rücklauf offenbarte, dass Betroffene und Berater "unzufrieden" sind.
"Einen generellen Informationsbedarf äußerten die Mitarbeiter der
Institution", hebt Koch hervor. Von "Handreichungen über
Rechtsextremismus" bis hin zu "Adressenlisten von Aussteiger- und
Beratungsstellen".
"Die Notwendigkeit dieses Beratungsangebots", erklärt
Koch, erzwang auch die "fortschreitende Verjüngung der rechten
Szene". Schon lange beobachtet die Arbeitsstelle, dass bereits unter
Vierzehnjährige sich der neonazistischen Bewegung anschließen. Diese
Beobachtung bestätigt das niedersächsische Landesamt für
Verfassungsschutz (VS). "Mit dreizehn haben manche schon Kontakt zu
rechten Kreisen", sagt die VS-Sprecherin Sabine Blankenburger.
Gezielt rekrutierten die Freien Kameradschaften und die
Nationaldemokratische Partei Deutschland, indem sie Schülerzeitungen
verteilten und Rechtsrockkonzerte veranstalteten. Gerade die Gruppe
der Freien Nationalisten und Neonaziskinheads sei für "sehr junge
Jugendliche" spannend, wissen auch die Verfassungsschutzämter in
Hamburg und Bremen, sie schätzen den Zulauf von Kindern aber
geringer ein.
Aus allen sozialen Milieus wenden sich Angehörige an
die Braunschweiger Beratungsstelle, die mit der Jugendbildungsstätte
Lidice-Haus in Bremen zusammenarbeitet.
Den Eltern sei gemein, berichtet Koch, dass sie diese
Entwicklung als Entfremdung wahrnähmen und wenig Vorstellung von der
rechten Szene hätten. "Wir wussten nicht, welcher Gruppe unser Sohn
angehört, welche Symbole welche Bedeutung haben oder wer hinter
welchen Flugblättern steht", sagt Mayer.
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25-06-2004 |