Reinhard Günzel:
Ein General wechselt die Front
Von Barbara Bollwahn
taz vom 24.05.04
Der ehemalige Bundeswehrgeneral Reinhard Günzel
wagt sich knapp sieben Monate nach seiner unehrenhaften Entlassung
aus der Bundeswehr aus dem Schützengraben. Auf Einladung der rechten
Zeitung Junge Freiheit und des "Instituts für Staatspolitik", das
sich als "Reemtsma-Institut" von rechts versteht, hielt er am
Samstag einen Vortrag zum "Ethos des Offiziers". In Anzug, Schlips
und Kragen feuerte er mit voller Kraft gegen die Bundeswehr, ganz
nach dem Geschmack der über 400 Männer und einiger Frauen, die im
Saal des Logenhauses im bürgerlichen Berlin-Wilmersdorf zum Teil
stehen mussten.
Günzel sprach, als hätte in den fast 41 Jahren bei
der Bundeswehr ein anderer in seiner Uniform gesteckt. "Ich bin als
Angehöriger des gegnerischen Lagers geoutet worden", verkündete er
und bekam tosenden Applaus. Frenetisches Klatschen auch für seine
auf die Bundeswehr angewandte Evolutionstheorie. "Von einem Offizier
darf man erwarten, dass er sein Leben an anderen Prinzipien
ausrichtet als an den Maximen einer Amöbe."
Verteidigungsminister Struck hatte Günzel im November
vergangenen Jahres einen "verwirrten General" genannt. Am Samstag im
Logenhaus wurde er als Held gefeiert. Als einer, der rechts von der
Mitte steht, dessen Karriere "im Namen des Krebsgeschwürs Political
Correctness zerstört wurde", wie er es nennt, der sich "historische
Wahrheiten" nicht verbieten lassen will. "Angefangen von dem Zwang,
der Singularität des Holocaust unsere Referenz zu erweisen." Applaus
bekam Günzel auch von Martin Hohmann, der wegen seiner Rede, in der
er über die Juden als Tätervolk schwadronierte, aus der
Unionsbundestagsfraktion ausgeschlossen wurde. Kürzlich teilte die
Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt mit, dass es kein Strafverfahren
gegen Hohmann geben werde. Seine Rede trage zwar antisemitische
Züge, falle aber unter den Schutz der freien Meinungsäußerung. Am
Samstag saß Hohmann in der ersten Reihe und applaudierte Reinhard
Günzel. Dieser leistete ihm erneut Schützenhilfe, indem er vom
Podium herab erklärte, dass die einzige Kritik an Hohmanns Rede
darin bestünde, dass man "bei der herrschenden Klasse rhetorische
Fragen oder den Konjunktiv nicht voraussetzen kann".
Eine Woche vor seinem Auftritt in Berlin erzählt
Reinhard Günzel an der gedeckten Kaffeetafel in seinem Wohnzimmer in
Düppenweiler, einem 3.000 Einwohner zählenden Ort nördlich von
Saarbrücken, dass er in diesem Jahr zehn weitere Vorträge halten
werde. "Vor Publikum, das ich nicht überzeugen muss." Damit will er
"den Eindruck ein bisschen reparieren", der entstanden sei durch die
Bezeichnung "verwirrt". Günzel legt die linke Hand vor die Stirn,
schließt die Augen und sagt, dass die Vorträge ähnlich wie Besuche
am Grab der Mutter seien. "Da gibt es Wehmut, Erinnerung und an
verschiedenen Stellen tut es weh."
Durch eine großzügige Glasfront geht der Blick hinaus
auf einen gepflegten Garten, hinter dem sich der Wald erstreckt.
Heller Fliesenfußboden mit Teppichen, weiße Schrankwände mit
Belletristik, Reiseführern und Politikbüchern, eine verstreute
Sammlung von Glaskugeln - nichts erinnert an die Bundeswehr. Günzel,
der ohne den sonst üblichen "Dank für die dem deutschen Volk
geleisteten treuen Dienste" entlassen wurde, sagt, dass er dieses
Kapitel verarbeitet habe. Dazu wählt er Worte, die passen zu der
ländlichen Idylle des Ortes mit Dorfmuseum und Bienenzüchterverein.
"Es ist wie ein ganz entferntes Maikäfergebrumm."
In seiner schwarzen Hose, dem Wollpullover und ohne
metallische Brille wirkt Günzel etwas lockerer und drahtiger als auf
den Bildern in Uniform. Er läuft jeden morgen, spielt Tennis und
lebt asketisch. Morgens isst er einen Apfel, mittags ein halbes
Brötchen und abends eine Schüssel Salat. Er ist kein Genussmensch.
Während er von seiner Entlassung spricht, wird schnell klar, dass er
sie noch lange nicht verarbeitet hat. "Bis heute hat mir niemand
gesagt, was ich falsch gemacht habe." Günzel nestelt an der
Tischdecke. "Ich habe mir nichts vorzuwerfen. So was muss eine
Demokratie aushalten." Das entfernte Maikäfergebrumm kommt näher.
"Selbst wenn ich einen Fehler gemacht habe, ist das ein Hammer",
sagt Günzel und haut mit der Hand auf den Tisch. Es ist die
Bezeichnung "verwirrt", die den Soldaten getroffen hat.
Einen verwirrten Eindruck macht Günzel keineswegs.
Seine Ansichten sind glasklar. Martin Hohmann, den er auf einer
Soldatenwallfahrt nach Lourdes kennen gelernt hatte, sei "ein
Politiker, der Zeichen setzt und heiße Themen anpackt". Dass er
Hohmann zu dessen als antisemitisch kritisierten Rede mit einem
Brief mit KSK-Kopfbogen gratuliert hat, ist für den Asketen so
selbstverständlich, dass er zum Feinschmecker wird. "Wenn mir jemand
Pralinen schenkt, bedanke ich mich, wenn sie mir schmecken."
Günzel ist ein Mann mit Prinzipien. Prinzipien, die
wenig geeignet scheinen zum Führen der Elitegruppe KSK. "Ein Soldat,
der schwört, sein Vaterland zu verteidigen, muss konservativ sein",
sagt er im Brustton der Überzeugung. In der Bundeswehr, so klagt er,
sei versucht worden, "mit allem zu brechen, was an die Wehrmacht
erinnert". Dabei seien "Tugenden wie Kameradschaft" über Bord
geworfen worden. Ein Vorbild ist ihm Generalmajor Gerd
Schultze-Rhonhof, einst ranghöchster Offizier in Niedersachsen, der
nach seiner Pensionierung mit dem Buch "Wozu noch tapfer sein?" für
Aufsehen sorgte. Darin tragen die Polen eine Mitschuld am Ausbruch
des Zweiten Weltkriegs, hat Hitler die Arbeitslosigkeit beseitigt
und das deutsche Volk von heute seine Werte verloren.
Mit 19 Jahren ist Günzel, dessen Vater im Ersten
Weltkrieg Soldat war und im Zweiten Weltkrieg Schauspieler, zu den
Fallschirmjägern gegangen. Da ist der Direktor des humanistischen
Gymnasiums in Westfalen, das er besuchte. "Der sagte, dass niemand
an seiner Schule Abitur macht, der dann zur Bundeswehr geht." Aus
"jugendlichem Trotz" und aus finanziellen Interessen habe er sich zu
drei Jahren verpflichtet - und ist über 40 geblieben. "Das Hohelied
der Kameradschaft war mein ein und alles".
Zu sechs Kommandeursverwendungen hat es Günzel
gebracht. Statt ins Ministerium oder zur Nato zog es ihn zur Truppe.
"Im Ministerium hätte ich nicht reüssiert", sagt er, es klingt
sarkastisch. "Manchmal geht mir die Zunge durch." Als wolle er eine
Kostprobe liefern, schimpft der Träger des Ehrenkreuzes der
Bundeswehr in Gold über die Innere Führung, die Einbindung der
Soldaten als Staatsbürger in die Gesellschaft und die Anwendung
rechtsstaatlicher Prinzipien. "Das ist keine zeitgemäße
Menschenführung", sagt der ehemalige Kommandeur der "härtesten
Kämpfer Deutschlands". "Wir haben ja nicht mal Staatsbürger."
Soldat sein heißt für Günzel Ordnung, Sauberkeit,
Pünktlichkeit, Gehorsam, Disziplin - "die traditionellen Werte". Ein
Offizier, der 1995 mit ihm eine Gefechtsübung absolviert hat, gab im
November vergangenen Jahres einen Satz wieder, den Günzel zu ihm
gesagt hatte: "Ich erwarte von meiner Truppe Disziplin wie bei den
Spartanern, den Römern oder bei der Waffen-SS." Es ist
verwunderlich, dass der Offizier davon erst nach seiner
Pensionierung berichtete. Und Günzel? Der hat kein Problem mit
diesem Vergleich. "Der Satz kann so gefallen sein." Er wirbelt mit
den Armen. "Es geht um die Disziplin von Eliteverbänden."
Wie konnte es jemand mit solchen Ansichten zum Chef
der Bundeswehr-Elite bringen? Der ehemalige Verteidigungsminister
Rudolf Scharping (SPD), der Günzel zum KSK-Kommandeur ernannte, will
sich nicht äußern. Sein Vorgänger Volker Rühe (CDU) macht ebenfalls
von seinem Privileg Gebrauch, ohne Angaben von Gründen Versetzungen
auszusprechen und schweigt. Sein persönlicher Referent erklärt, dass
Günzel 1997 wegen der Videos in Schneeberg versetzt wurde, weil Rühe
"einen anderen Typ von Soldat" haben wollte. "Einen Truppenführer,
der politisch führen kann." Der Wehrbeauftragte der Bundesregierung,
Wilfried Penner, zeigt sich sehr überrascht über Günzels Haltung zur
Inneren Führung. "Das widerspricht der Vorschriftslage in der
Bundeswehr." Selbst unter dem Siegel der Diskretion gebe es aus den
Reihen der Bundeswehr "keinerlei Kritik" daran. Die Vorsitzende der
Grünen, Angelika Beer, die als verteidigungspolitische Sprecherin
ihrer Partei mehrmals das KSK besuchte, findet es "kaum
vorstellbar", dass Günzels Haltung unbemerkt geblieben sei. "Das
muss einen nachdenklich machen", sagt sie.
Im Februar gab Günzel der Jungen Freiheit ein
Interview. Freimütig erzählte er, dass er seit Anfang des Jahres
regelmäßiger Leser des Blattes sei. Früher sei er "dem Label"
aufgesessen, dass man die Zeitung, die in Bundeswehrkasernen
verboten ist, nicht lesen dürfe. Weil sie so "oh, oh, oh" sei. Jetzt
hat er sich ein eigenes Bild gemacht. "Man liest gerne affirmativ",
sagt er mit feinem Lächeln. "Ich finde keinen Fehl, nichts Böses.
Rechts darf man stehen." Nach vierzig Jahren bei der Bundeswehr hat
Günzel bei der neuen Rechten eine Heimat gefunden.
Vielleicht hätte Günzel doch sein Geschichts- und
Philosophiestudium beenden sollen, das er in seiner Zeit als
Kompaniechef begonnen hatte. Er hat mit dem Gedanken gespielt nach
der Entlassung. Doch er hat es sein lassen. "Soll ich beweisen, dass
ich einen Studiengang beenden kann?" Ein Bekannter wollte ihm einen
Job beim "Deutschen Lottoblock", der Vereinigung der staatlichen
Lottogesellschaften, besorgen. Günzel winkte ebenso ab wie bei der
Trimm-dich-Gruppe aus Düppenweiler, die ihn gern als Trainer hätte.
Stattdessen hat er nach seiner Entlassung Briefe geschrieben.
Antworten auf den Zuspruch, den er bekommen hat und der drei Ordner
fülle. Zeigen will er die Briefe von "Professoren, Ärzten und
Hochschullehrern" nicht. Auch den Namen des "britischen höheren
Offiziers" verschweigt er, der ihm schrieb, "dass die Deutschen eine
Macke haben". Er will seine Unterstützer nicht in die Bredouille
bringen. Günzel weiß, was dann passieren kann.
Kurz nach seiner Entlassung hatte Günzel angekündigt,
gegen die Bezeichnung "verwirrter General" zu klagen.
"Verteidigungsminister Struck hat mich fernmündlich erschossen."
Doch nachdem er sich über Kosten und Aussichten informiert hatte,
ließ er es sein. "Im Moment bin ich der Depp. Der angeblich
Mainstream verurteilt mich. Aber Geschichte wird später
geschrieben." Günzel hat sich nichts vorzuwerfen. "Ich bin mir nicht
untreu geworden."
Treffen in Fulda:
Hohmanns Soligruppe
Der rechte Rand des konservativen Lagers traf sich
in Fulda zu einem Symposium. Denn man fühlt sich unterdrückt...
Abdruck mit freundlicher Genehmigung der taz - die tageszeitung
taz muss sein:
Was ist Ihnen die
Internetausgabe der taz wert?
© Contrapress media GmbH
Vervielfältigung nur mit Genehmigung des taz-Verlags
haGalil onLine
01-06-2004 |