Krise im deutschen Fussball:
EM und "deutsche Tugenden"
Von Max Brym
Bekanntlich ist das deutsche Fußball-National Team bei der
EM in Portugal bereits in der Vorrunde ausgeschieden. Den definitiven K.O.
versetzte dem Team von Rudi Völler die Nationalmannschaft Tschechiens. Mit
2:1 verlor Deutschland gegen Tschechiens B-Elf. Der tschechische Trainer
schonte 9 Stammspieler für das Viertelfinale. Dennoch gewann Tschechien
überzeugend gegen "Rudis Rummpeltruppe" (Bild).
Seit dem "Desaster" läuft die Diskussion über "die Krise des
deutschen Fußballs". Die Debatte wird zunehmend politisiert, sie hat den
Bereich der sportlichen Analyse größtenteils verlassen. Es ist von
"gesellschaftlichen Problemen" die Rede und "deutsche Tugenden" werden
eingeklagt.
Das deutsche Team scheiterte zurecht
Jeder Beobachter der EM ist von den meisten sportlichen
Leistungen angetan. Es wird schneller und moderner Offensivfußball geboten.
Das Spiel England gegen Portugal war, was Spannung, Dramatik, Technik und
sportlichen Einsatzwillen betrifft, ein Höhepunkt. Die EM bietet zudem jede
Menge Überraschungen, Favoriten wie Italien und Frankreich wurden frühzeitig
nach Hause geschickt. Außenseiter wie Schweden und vor allem Griechenland
überraschen die Fußballwelt.
Die deutsche Nationalmannschaft war im kämpferischen Bereich
und in der Defensive auf dem Niveau der anderen Mannschaften. Das Problem
lag im Offensivspiel. Das Mittelfeld der DFB Auswahl hatte keinen
Spielgestalter sowie kein Tempo anzubieten. Selten wurde über die Flügel
gespielt, der gefährlichste Flügelspieler war der Stuttgarter Abwehrspieler
Philipp Lahm, was genug aussagt. Die Stürmer hingen in der Luft und hatten
selbst keine besondere Qualität. Fachleute wie Günter Netzer machten auf
diese Tatsachen aufmerksam. In seinen Kolumnen "Beinhart" (AZ-München)
kritisierte Werner Lorant den Fakt, dass wegen Michael Ballack, "in zwei
Spielen nur mit einer Spitze gespielt wurde". Andere Trainer und Analytiker
kritisierten ebenfalls die mangelnde Kreativität des "deutschen Spiels" und
die taktischen Fehler von Rudi Völler.
Einen Spieler wie Martin Max (erfolgreichster deutscher
Torjäger in der vergangenen Saison) nicht nominiert zu haben, wurde Völler
als Fehler angekreidet, ebenso die zentrale Rolle, die Jens Nowotny im
deutschen Abwehrbereich spielen durfte. Nowotny war nach seiner
Verletzungsserie eindeutig überfordert und zu langsam. Einig waren sich die
"Sachkundigen" in der Aussage: " Das es bei aller Kritik an Rudi Völler, das
Problem tiefer liegt und der "deutsche Fußball" gegenwärtig kein Weltniveau
hat". Mit dieser nüchternen Feststellung bedienten die Analytiker den
"treudeutschen" Kommentator, den deutschen Nationalisten, den "beinharten"
Sozialabbauer.
In unzähligen Berichten wird das Spiel der Nationalmannschaft
mit den Zuständen im Land gleichgesetzt. Mangelnder Einsatz, Arbeitswille,
und patriotische Hingabe wird beklagt. Hierbei geht es nur peripher um
Fußball, dass ist die Sprache der Siemens Geschäftsleitung, die gerade
mittels Erpressung die Arbeitszeit unbezahlt verlängerte. Endlich wieder
unbezahlt schwitzen sollen die Menschen in Deutschland, dafür soll den
Menschen zum Ausgleich ein kämpfendes Nationalteam angeboten werden. Mit
sportlicher Analyse hat das Ganze nichts gemein, denn das deutsche
Fußballteam scheiterte bekanntlich nicht an fehlendem Schweiß, sondern an
mangelndem Talent sowie fehlendem Spielwitz. Statt über diese Realität zu
sprechen, gehen immer mehr Kommentatoren dazu über, "deutsche Tugenden",
sprich Arbeitswahn und Nationalismus, einzufordern. Das ist eine spezifisch
deutsche Debatte über das Abschneiden einer Fußballmannschaft, die so bei
anderen Nationen in Europa nicht zu finden ist. Auch in einigen anderen
Ländern wird das sportliche Desaster bedauert, aber die Diskussion darüber
bleibt eher im sportlichem Rahmen.
Italien: Trap hat fertig
Franz Beckenbauer warnte die italienische Nationalmannschaft
nach dem Ausscheiden davor, umgehend nach Hause zu fahren. In der Tat, die
italienische Sportpresse war nach dem Ausscheiden des Teams (obwohl kein
Spiel verloren wurde) auf hundertachtzig. In bekannter "Zurückhaltung" wurde
das Team und der Trainer attackiert. Begriffe wie Versager, Feiglinge und
Spucker (Totti) waren an der Tagesordnung. Unterhalb der Gürtellinie wurde
das Team und der inzwischen entlassene Trainer Trapattoni angegriffen.
Dennoch wurden in den meisten Zeitungen keine "Reaktivierung italienischer
Tugenden" gefordert. Das Thema war die Mannschaft und das System von
Giovanni Trapattoni. Das es dabei nicht vornehm und wirklich vernünftig
zuging, versteht sich. Dennoch war und ist die Debatte am Fußball dran.
Trapattoni wird vorgeworfen zu defensiv gespielt zu haben. Einige versteigen
sich zur Behauptung, "er hätte den Fußball von Helino Herrera verinnerlicht"
(Hererra war in den sechziger Jahren Trainer von Inter Mailand).
Das Thema in Italien ist die Mannschaft und der Trainer. Auch
in Holland wird über Fußball geschrieben und geredet. Die holländischen
Medien haben den Trainer zum Feind. Böse Schlagzeilen wie "Der dumme Dick"
beherrschen die Presse. Es wird eine andere Mannschaftsaufstellung
gefordert. Die holländischen Medien (trotz aller Gemeinheiten) und die
Fachleute bleiben am Ball. In England ist mal wieder der Schiedsrichter
schuld, er hat angeblich ein Tor gegen Portugal "gestohlen"(was falsch ist).
Dennoch kann festgehalten werden: Die nationalistische Vereinnahmung des
Fußballspieles gelingt am Besten und pseudointellektuell verbrämt in
Deutschland. Dabei findet sich ein Fußballehrer wie Hermann Gerland oder ein
Ehrenspielführer der Nationalmannschaft wie Uwe Seeler als Vorlagengeber.
Uwe Seeler: "Unser Fußball lebt vom Fleiß"
Uwe Seeler diktierte in die Mikrophone: "Die fußballerischen
Probleme sind gesellschaftliche Probleme. Unser Fußball lebt vom Fleiß, den
müssen wir uns insgesamt wieder aneignen". Begierig greifen das bestimmte
Schreiber auf und meinen: "Das gilt für das ganze Land". Mit Logik hat weder
die "Bild" noch Uwe Seeler etwas gemein. Die deutsche Industrie ist
bekanntermaßen zum wiederholten Male Exportweltmeister, was kaum an dem
mangelndem Arbeitseinsatz der Beschäftigten liegen dürfte. Das Problem im
aktuellen Fußball ist eher der Fakt, dass es keine Spielmacher und begnadete
Techniker wie Haller, Overath oder Beckenbauer mehr gibt, die einst Herrn
Seeler die Bälle auflegten. Letzteres hat Uwe Seeler wohl vergessen, denn
sonst würde er kein bedingungsloses Lob des Schweißes singen.
Natürlich gehört zum Fußball Einsatzbereitschaft und
Kondition. Aber gerade am Konditionstraining besteht in deutschen Vereinen
kein Mangel. Das Gegenteil ist der Fall, in den meisten Vereinen wird
Kondition und Kraft schon im Jugend und Schülerbereich gebolzt. Der Ball und
seine Behandlung verkommt zum Randphänomen, was auch der Tatsache geschuldet
ist, dass die meisten Amateurvereine kein Geld haben und der Nachbar oder
der Herr Papa das Training leitet. Wenn in diesen Tagen Kinder einen Ball
gegen eine Hausmauer schießen, kommt spätestens nach 15 Minuten die Polizei.
Das sind gesellschaftliche Probleme neben anderen, die Herr Seeler nicht
anspricht. Statt eine finanzielle Besserstellung des Breitensports Fußball
zu fordern, was den Vereinen die Möglichkeit geben würde schon im Schüler-
und Jugendbereich qualifizierte Fachleute zu beschäftigen, macht z.B. Herr
Gerland in marktradikalen Nationalismus.
Hermann Gerland ist Nachwuchs- Trainer des FC-Bayern (Gerland
hatte in der Vergangenheit einige kurzfristige Jobs als Bundesliga Trainer),
er erklärte: "Wir müssen uns auf deutsche Tugenden besinnen. Einst haben wir
die Ellenbogen rausgeholt, hatten Leidenschaft und Laufbereitschaft. Heute
fehlt das oft, weil an den Tugenden nicht gearbeitet worden ist". Was den
Fußball angeht, mit dem Ellenbogen hat kein deutscher Verteidiger gegen den
Tschechen Jan Koller eine Chance. Mit der deutschen "Tugend" wird kein
trickreicher Stan Libuda zum Leben erweckt, über den die Schalke Fans bis
heute sagen: "An Gott kommt keiner vorbei, außer Libuda." Mit der aktuellen
Fußballproblematik hat Gerland absolut nichts gemein.
Anläßlich der EM zeigt der griechische Nationaltrainer Otto
Rehagel gerade, was mit einer fußballästhetisch bescheidenen Mannschaft
möglich ist. Rehagel läßt einen Fußball spielen, der der Qualität der
Mannschaft entspricht. Der französische Weltstar Zidane wurde von den
Griechen in Manndeckung genommen, zudem agiert ein klassischer Libero (eher
Ausputzer) hinter der Abwehrkette. Otto Rehagel hat Erfolg, weil sein
System, seine Taktik zur Mannschaft passt. Aber statt über das passende
System für das deutsche Team zu reden, machen viele in harten
nationalistischen deutschen Arbeitswahn, was sportlich wie gesellschaftlich
kontraproduktiv ist.
Nebenbei zeigt sich die nationalistische Besonderheit im DFB
(Deutscher Fußballbund) auch in der Trainerfrage. Nachdem Rudi Völler
zurücktrat, kam man sofort auf die Person Ottmar Hitzfeld. Wahrscheinlich
ist Hitzfeld fachlich die beste Lösung. Grundsätzlich schloss der DFB in der
Trainerfrage das Engagement eines "Ausländers" aus. Damit belegt der DFB
neuerlich seine "deutschnationale" Borniertheit. England hat einen Schweden,
Portugal einen Brasilianer und Griechenland einen Deutschen als
Nationaltrainer. In Deutschland ist die Funktionärskaste prinzipiell für
deutsche Trainer und "deutsche Tugenden".
hagalil.com
28-06-2004 |