Klarstellungen, Hinzufügungen, Richtigstellungen; es kommt selten vor,
dass sich eine Redaktion über solche Anliegen oder Forderungen freut. Es
gibt aber auch Ausnahmen. Zum gestrigen Artikel von Max Brym fügen wir
folgenden Zusatz mit großer Feude hinzu, denn - this is absolutely good
news!
Schröder bekommt die Kurve
Am 6.6.04 erklärte Schröder in der Bild am Sonntag: "Die
amerikanischen Soldaten haben ihr Leben riskiert um Europa vom Faschismus zu
befreien" und "der Sieg der Alliierten war kein Sieg über Deutschland
sondern er ermöglichte uns ein Leben in Freiheit und Demokratie". Im letzten
Moment hat sich damit Schröder inhaltlich deutlich von der Union abgesetzt.
...und hier der Artikel in der Fassung vom Vorabend des
D-Day:
Scharfe Kritik aus der Union:
D-Day und "Patriotismus"
Gerhard Schröder nimmt an den Feierlichkeiten
anlässlich des sechzigsten Jahrestages der alliierten Landung in der
Normandie teil. Der Kanzler nennt seine Einladung: “Eine unglaubliche
historische Geste“. Am Sonntag den 6. Juni wird er als erster deutscher
Kanzler die Gedenkfeier in Frankreich mit seiner Anwesenheit beehren.
Schröder wird der Invasion zusammen mit den Präsidenten von Frankreich,
Russland und den USA, Chirac, Putin und Bush gedenken, außerdem mit der
britischen Königin Elizabeth und Premier Blair. Der Kanzler überschlägt sich
geradezu vor Begeisterung, er sagte: “Das kann gar nicht hoch genug
eingeschätzt werden. Es zeigt, dass die Nachkriegszeit endgültig vorbei
ist“.
Der Haken bei Schröder
Der Kanzler nimmt keinen inhaltlichen Bezug zum Anlass der
Feierlichkeiten. Kein Wort von ihm zur historischen Bedeutung der alliierten
Landung in der Normandie vor sechzig Jahren. Die damalige Operation war das
größte Landungsunternehmen in der Militärgeschichte und beschleunigte die
endgültige Niederlage des Hitlerfaschismus. Die Invasion war ein wichtiger
Beitrag zur Befreiung der Völker Europas vom Nazismus. Kanzler Schröder
erwähnt dies alles nicht, sondern er spricht vom “Ende der Nachkriegszeit“
und von “Normalität“. Offensichtlich will der deutsche Kanzler den Gedenktag
nutzen, um der Geschichte und ihren Lehren ade zu sagen. Sein Motto scheint
zu sein, reden wir nicht mehr über die deutsche Schuld in der Vergangenheit
und schon gar nicht über deutsche Großmachtambitionen in der Gegenwart.
Schröder versucht, als gewiefter Taktiker, die Menschen in
Europa durch seine Teilnahme an dem Gedenktag in der Normandie zu beruhigen.
Im Streit um die kommende EU-Verfassung, ist gerade die deutsche
Außenpolitik dabei, der ökonomischen Dominanz Deutschlands die entsprechende
rechtliche Unterlegung zu geben. Das Prinzip der doppelten Mehrheit (
Mehrheit der Staaten und der Einwohnerzahl nach der Formel 50% und
60%) soll die anderen Staaten dem Willen von “Kerneuropa“ (Schäuble)
unterwerfen. Die Bundesrepublik insistiert besonders auf die Schaffung der
Europäische Armee und auf eine gemeinsame EU Verteidigungspolitik. Jedem
Beobachter ist klar, dass dies in Konkurrenz zur USA geschieht. Zudem ist
Deutschland der einzige Staat in Europa, der gegenüber einem anderen Staat
Gebietsansprüche hat. Das Münchner Abkommen von 1938 ist völkerrechtlich bis
heute nicht für null und nichtig erklärt worden. Der bayerische
Ministerpräsident Stoiber attackierte kürzlich Tschechien auf dem
“Sudetendeutschen Tag“ besonders scharf wegen der Benes Dekrete. Der Kanzler
nimmt an der Feier in der Normandie teil, um Geschichte zu entsorgen und
gegebene deutsche Vormachtsbestrebungen hinter freundlichem Normallächeln zu
verbergen.
Diese taktischen Finessen sind der
rechtskonservativen Union entweder zu hoch oder sie hat eine grundsätzlich
andere Herangehensweise.
Schröder der “Antipatriot“
Der Geschäftsführer der CSU Landesgruppe, Peter Ramsauer,
nannte Schröder einen “Anti-Patrioten“. Die Union wie die FDP fordert von
Schröder den expliziten Besuch eines “rein deutschen Soldatenfriedhofes in
der Normandie“. Schröders Besuch eines Soldatenfriedhofes, auf dem auch
deutsche Soldaten begraben sind, reicht der Union nicht aus. Den Vogel
schießen die sattsam bekannten CSU-Abgeordneten
Norbert Geis und
Peter
Gauweiler ab.
Der
Hohmann
Sympathisant Norbert Geis erklärte: “Der Kanzler solle sich ein Beispiel an
Helmut Kohl nehmen, der 1984 mit US Präsident Reagan den Soldatenfriedhof in
Bitburg besucht hat“. In Bitburg sind neben Wehrmachtssoldaten auch
SS-Mitglieder beerdigt, weshalb es seinerzeit große Empörung gab. Peter
Gauweiler (CSU) findet die Teilnahme Schröders am D-Day Gedenken
grundsätzlich falsch. Der CSU- Rechtsaußen fabuliert: “Wo ein Sieg gefeiert
wird, dessen Basis die Tatsache war, dass 40.000 deutsche Soldaten binnen
weniger Tage verstümmelt, zerfetzt oder erschossen wurden, hat ein deutscher
Kanzler nichts zu suchen“. Für Peter Gauweiler war demzufolge die Niederlage
des Faschismus kein Tag der Befreiung, sondern ein Tag der Niederlage. Das
steckt hinter den Worten von Peter Gauweiler, er fordert ernsthaft, den
Festlichkeiten fernzubleiben. Die Union hat die Haltung von Helmut
Kohl, der 1994 mitteilen ließ: “Ich sehe keinen Sinn darin, dass ein
deutscher Kanzler zur Feier der Sieger reist“. Grundsätzlich hat sich die
Union nach der “Affäre Hohmann“ entschieden, wieder stärker ihren
bräunlichen Sumpf zu bedienen. Nicht zufällig wurde der NS-Marinerichter
Filbinger als Wahlmann zur Bundespräsidentenwahl entsandt und jetzt wird im
Stil von rechtsradikalen Gazetten gegen die Veranstaltung in der Normandie
gehetzt.
Schröders Reaktion
Die scharfen Angriffe aus dem Unionslager brachten
Schröder nicht dazu, sauber zu kontern. Im Gegenteil, die Reaktionen aus dem
Kanzleramt sind defensiv, kleinlaut und pseudodiplomatisch.
Regierungssprecher Bela Anda wies die Kritik mit folgenden Worten zurück:
“Schröder besuche zwar nicht den Friedhof in La Cambe, dafür aber den in
Ranville, wo neben Briten, 322 Deutsche begraben sind“. Dem
Regierungssprecher fällt nichts besseres ein, als der Union zu erklären, was
regt ihr euch eigentlich auf, vom Kern her tun wir was ihr wollt, wir
stellen es nur taktisch geschickter an.
Bela Anda will ein “besonderes Zeichen der Versöhnung“ setzen. Der Kanzler
selbst bedauert, “dass selbst diese Geschichte zu kleinlichen Streitereien
benutzt wird“. Gerhard Schröder nennt das Thema “sensibel“, besitzt aber
nicht die Sensibilität, seine Teilnahme an den Feierlichkeiten mit der
Befreiung Deutschlands vom NS-Faschismus zu rechtfertigen. Das Klima in
Deutschland hat sich nachhaltig verändert.
Vor zwanzig Jahren nannte Richard von Weizsäcker den 8. Mai 1945 einen “Tag
der Befreiung vom Faschismus“. Anläßlich der Debatte um Schröders Reise in
die Normandie zeigt sich, dass die Union dies anders sieht und ein
sozialdemokratischer Kanzler der Mitte nur die “deutsche Normalität“ im Kopf
hat.
Max Brym
hagalil.com
06-06-2004 |