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Interview mit Adam Michnik:
"Die Sprache der großen Lüge"

Adam Michnik, Chefredakteur der größten seriösen Tageszeitung Polens Gazeta Wyborcza und einer der einflussreichsten Intellektuellen Polens, über die Geschichtsvergessenheit der Deutschen und das geplante "Zentrum gegen Vertreibungen".

Das Gespräch führte Gabriele Lesser

Frage: In ihrem Kommentar "Die Sklerose der Deutschen" werfen sie einem FAZ-Redakteur Geschichtsvergessenheit vor. Aber nicht nur ihm. Was haben die Deutschen vergessen?

Adam Michnik: Ich beschuldige natürlich nicht alle Deutschen. Der Titel stammt von der Redaktion. Wahr ist aber, dass viele Deutsche vergessen haben, was der Zweite Weltkrieg war und was seine Folgen. Dies gilt auch für viele Publizisten. In Deutschland findet zur Zeit eine gefährliche Sinnverkehrung der Geschichte statt. Im Zweiten Weltkrieg waren die Polen Opfer der Aggression Hitlers. Gemeinsam mit Stalin überfiel er Polen. Die volle Verantwortung für den Krieg und alles seine Folgen tragen also die Deutschen selbst.

Wenn der Bund der Vertriebenen (BdV) über Kriegsfolgen reden will, soll er die Wahrheit sagen. Polen hat in Deutschland auch viele Freunde. Das dürfen wir nicht vergessen. Doch das Spektakel, das die BdV-Vorsitzende Erika Steinbach nun schon seit einigen Jahren anrichtet, - das ist die konsequente Vernichtung der deutsch-polnischen Versöhnung.

Steinbach wird aber von der CDU-Vorsitzenden Angela Merkelvoll unterstützt, Auch Wolfgang Schäuble und Edmund Stoiber stehen hinter ihr.

Ja, das schmerzt mich sehr. Dass die CDU-Vorsitzende Merkel und der Ministerpräsident von Bayern Stoiber sich in so unüberlegter und inkompetenter Weise hinter Steinbach und deren Forderungen stellen, vergiftet die deutsch-tschechische und die deutsch-polnischen Atmosphäre.

Es gibt ein gewisses moralisches Problem für uns Polen: wir müssen den Mut haben, auch das Schicksal eines deutschen Vertriebenen mit dessen Augen zu sehen. Es waren Männer und Frauen, die nur so viel mitnehmen durften, wie sie mit zwei Händen tragen konnten. Sie mussten ihr Haus verlassen, in dem sie seit vielen Generationen gewohnt haben, ihre Urgroßeltern, Großeltern, Eltern.

Steinbach fordert von den Polen, Tschechen und Russen, dass diese die "Wunden der deutschen Vertriebenen heilen".. Sie sollten die Menscherechte anerkennen, darunter auch das Recht der Deutschen zur Rückkehr in die Heimat und das Recht auf Entschädigung für das verlorene Eigentum. Demnach stehen die Polen in der Schuld der Deutschen?

Diese Wunden können nur die Deutschen selbst heilen. Auch jene, die sich mit ihrem Schicksal nicht abfinden können, müssen dies am Ende tun. Ich wohne in Warschau. Das ist einer Stadt, die von den Deutschen total gesprengt wurde. Die Erinnerung an meine Kindheit - das sind Trümmer, Trümmer, Trümmer. Ich erwarte heute von keinem Deutschen, dass er sich dafür entschuldigt, dass ich in Trümmern großgeworden bin. Ich erwarte nicht einmal, dass mich ein Deutscher dafür um Entschuldigung bittet, dass fast meine ganze 100-köpfige Familie im Holocaust umgekommen ist. Ich denke, dass man diese Rechnungen schließen muss. Ich teile den moralische Standpunkt der polnischen Bischöfe, die schon 1965 gesagt haben: "Wir vergeben und bitten um Vergebung".

Erika Steinbach aber kehrt den Sinn der Geschichte um. Der Sinn ist demnach, dass ich Steinbach dafür um Entschuldigung bitten soll, dass sie die polnische Stadt Rumia verlassen musste, wo ihr Vater den Nazi-Besatzern Polens diente. Vielleicht sollten sich auch die Russen noch bei Steinbach entschuldigen, dass sie die Hitlerarmee bei Stalingrad besiegt haben. Oder die Franzosen und die Engländer für die Invasion in der Normandie. Das ist die völlige Umkehr des Sinns dessen, was der Zweite Weltkrieg war.

Ich war immer überzeugt, dass man Deutsche und Nazis unterscheiden muss. Ich habe niemals ein Gleichheitszeichen gemacht. Die Äußerungen Erika Steinbachs haben in Polen eine große Empörung und große Sorge ausgelöst. Wie ist das möglich, dass nach so vielen Jahren, nach eindeutigen Erklärungen, die wir zum Beispiel von Bundeskanzler Helmut Kohl gehört haben, plötzlich Ministerpräsident Stoiber dem tschechischen und dem polnischen Staat diktieren will, welche Gesetze wir abzuschaffen haben und welche nicht. Das ist ganz einfach unfassbar.

In der "Charta der deutschen Heimatvertriebenen", die auch vom BdV als Schlüsseldokument der Versöhnung gesehen wird, heißt es: "Wir Heimatvertriebenen verzichten auf Rache und Vergeltung".

Das ist ein totales Missverständnis. Sicher waren unter den Vertriebenen auch Gegner Hitlers und seiner Vernichtungspolitik. Ihnen ist nach dem Krieg Leid und Unrecht geschehen. Es ist aber völlig klar, dass in solch einer Charta vor allem von der deutschen Schuld gegenüber den Nationen Europas die Rede sein müsste, nicht vom eigenen Leid.

In einem weiteren Schlüsselsatz heißt es: "Die Völker der Welt sollen ihre Mitverantwortung am Schicksal der Heimatvertriebenen als der vom Leid dieser Zeit schwersten Betroffenen empfinden."

Das ist die Sprache der großen Lüge.

Das in Berlin geplante Zentrum gegen Vertreibungen soll aber gerade der Versöhnung dienen.

Die Vertreibung war ein Unglück, das der Krieg mit sich gebracht hat, den das deutsche Dritte Reich entfesselt hat. Aber warum meinen die deutschen Vertriebenen, dass die Vertreibung schlimmer war als die Massenmorde, die Massenerschießungen der Zivilbevölkerung, die konsequente Zerstörung unbewaffneter Städte, wie nach dem Warschauer Aufstand 1944.

Warum schlagt Erika Steinbach kein Zentrum aller Opfer des Nationalsozialismus vor, eine Art Bollwerk gegen den Totalitarismus? Dort könnte das Problem der Vertreibung im richtigen Kontext gezeigt werden.

Wie sollen die deutschen Vertriebenen an ihr Leid erinnern?

Sie sollen vor allem erinnern, wem sie es verdanken, dass sie vertrieben wurden - nicht den Polen, nicht den Russen, nicht den Engländern, nicht den Amerikanern, sondern Hitler, nur Hitler und noch einmal HITLER. Ihm sollen sie danken oder ihn verfluchen.

Eine andere Sache ist, dass wir Polen uns aufs neue die Geschichte der deutschen Gegenwart in Polen und die Geschichte der Nachkriegs-Deportation erzählen müssen, um sie ehrlich sehen zu können. Hier sind schon viele Bücher erschienen über diese Zeit, von deutschen wie von polnischen Autoren, ganze Dokumentationen. Dafür also brauchen wir Erika Steinbach nicht. Sie fordert von uns Polen, dass wir endlich unsere Schuld gegenüber den Deutschen anerkennen. Das ist so, als würde man von den Juden eine Entschuldigung dafür fordern, dass sie die Nazis so geärgert hätten, dass diesen keine andere Wahl mehr blieb, als die Juden zu ermorden und eine Endlösung für sie zu finden. Wo sind eigentlich die Grenzen des Absurden? Man sollte sie nicht leichtfertig überschreiten.

Auf der Internetseite des geplanten Zentrums gegen Vertreibungen sind alle Vertreibungen aufgelistet, an die später in Wechselausstellungen erinnert werden soll. Darunter ist auch der Holocaust - als eine Vertreibung von sechs Millionen Juden.

Sie hat in diesem Sinne Recht, als die Juden tatsächlich zuerst vertrieben wurden, erst in die Ghettos, dann nach Auschwitz oder nach Treblinka. Hier ist etwas sehr Schlechtes passiert. Erika Steinbach sollte sich überhaupt nicht mit der Frage der Vertriebenen beschäftigen. Sie sollte diesen Verband verlassen und einfach nur gehen. Sie zerstört das Bild der Deutschen in Europa, bei den Nachbarn, in der ganzen Welt. Niemand hat so viel zur Zerstörung des Bildes der Deutschen im Ausland beigetragen wie Erika Steinbach. Und die deutschen öffentliche Meinung sollte das endlich verstehen.

Sie meinen also nicht, wie das in Deutschland oft dargestellt wurde, dass die Polen hysterisch auf das Zentrum gegen Vertreibungen reagieren.

Es hat hysterische Reaktionen gegeben. Ja. Fürchterlich hysterische Reaktionen, die ich nicht rechtfertigen möchte. Noch schärfer: Einige Reaktionen waren skandalös. Ich denke an das Titelbild des Nachrichtenmagazins Wprost. Ich habe das mit großer Beschämung gesehen. Wir haben es in der Gazeta Wyborcza scharf kritisiert.

Aber nicht alle polnische Reaktionen waren hysterisch. Die Essays von des Philosophen Leszek Kolakowski und der Historiker Bronislaw Geremek oder Wladyslaw Bartosezwski waren nicht hysterisch. Auch mein offener Brief an Joschka Fischer war nicht hysterisch. Dies alles waren ruhige, rationale Reaktionen, die allen klar gemacht haben, dass es hier ein polnisches "Non possumus" gibt. Hysterie ist nie ein guter Ratgeber. Auch in unserem Land gibt es selbstverständlich Leute wie Erika Steinbach. Sie beginnen nun als Reaktion auf die Vertriebenenforderungen mit dem Zählen der Kriegsverluste. Der deutsche Staat soll Kriegsreparationen für die polnischen Verluste zahlen. Für die Vernichtung der polnischen Hauptstadt Warschau. Diese ganze Zählerei ist absurd und sinnlos. Doch auch das kann sich nun Erika Steinbach "gutschreiben".

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hagalil.com 30-05-2004

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