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Antisemitismus in Ungarn:
Christlicher Mittelstand

In Ungarn gibt es immer wieder antisemitische Ausfälle von Politikern und Intellektuellen

Von Karl Pfeifer, Wien

István Csurka, ehemaliger Schriftsteller und Spitzel des ungarischen Geheimdienstes III/III und Vorsitzender der rechtsextremen Partei Miep, die bei den Wahlen 2002 aus dem Parlament flog, erlaubte sich am 19. April, dem Gedenktag des Holocausts, der an die Deportation der ungarischen Juden vor 60 Jahren erinnert, zu erklären: "Das Judentum will seine Hegemonie über Millionen Ungarn bewahren, es will Ungarn zum Hinterland von Israel machen, es will angesichts der ungarischen Schwäche eine neue europäische Basis aufbauen." Klare Worte.

László Kövér, ehemaliger Minister, Vorsitzender der Staatssicherheitskommission des Parlaments und führender Politiker der konservativen Oppositionspartei Fidesz, fand hingegen in der Versammlung des Verbandes Christlicher Intellektueller, wobei das Wort "christlich" in diesem Zusammenhang nicht Zugehörigkeit zum christlichen Glauben sondern schlicht und einfach "nicht jüdisch" bedeutet, nicht so klare Worte. Laut Kövér fragen sich "die Menschen", welche Geheimdienste hinter der ungarischen Regierung die Fäden ziehen. "Gibt es nur ein Land oder mehrere, die darüber bestimmen, was in Ungarn geschieht?"

Die regierende sozialdemokratische MSZP wandte sich daraufhin mit der Forderung an die Fidesz, Kövér solle seine Behauptung beweisen oder abgesetzt werden. Doch seine Partei stellte sich, wie zu erwarten, vor ihn. Die Fidesz versucht das Kunststück zu vollbringen, in Ungarn mit ungehemmter innenpolitischer Hetze, mit unterschwelligem Antisemitismus, vulgärem Antikommunismus und billiger Sozialdemagogie den Pöbel zu mobilisieren, gleichzeitig aber in der breiten Öffentlichkeit und im Ausland den Anschein zu erwecken, man habe es mit einer normalen konservativen Partei zu tun.

Anlass für die Aktivitäten der Rechten war der unqualifizierte Ausspruch eines betrunkenen Moderators des privaten Radiosenders Tilos Ende Dezember: "Ich würde alle Christen ausrotten." Mitte Januar kam es zu einer Demonstration vor diesem Sender, bei der u.a. eine Teilnehmerin ein gelbes Kreuz auf ihren Mantel genäht hatte, um zu signalisieren, dass in Ungarn eine Christenverfolgung begonnen habe.

Der Hauptredner war der Journalist István Lovas, ein Mann mit zweifelhafter Vergangenheit, dem ebenfalls Kontakte zum Geheimdienst nachgesagt werden. Er hatte während der Zeit der linksliberalen Regierung unter Ministerpräsident Gyula Horn um Einwanderung nach Israel nachgesucht und dies mit dem weit verbreiteten Antisemitismus begründet. Israel lehnte das Gesuch des rechtsradikalen Journalisten allerdings ab. Auf der Demonstration sprach er vom Genozid und der Unterdrückung weltweit und trug auch Beispiele vor. "Die israelische Armee tötet palästinensische Babys", rief er aus und die laut schreiende, pfeifende Masse antwortete "Pfui, pfui". "Eine die ungarische Nation und das Christentum hassende Minderheit quält und verspottet seit fünf Jahrzehnten die Ungarn und presst die Mehrheit aus in ihrem Kampf um die nationalen Kraftquellen." Er behauptete auch: "Die Propagierung von Christen- und Ungarnhass wird staatlich subventioniert." Die größte ungarische Tageszeitung Népszabadság wurde von Lovas als Eigentum der die "Ungarn hassenden" sozialdemokratischen Partei MSZP bezeichnet, und er griff noch eine Reihe weiterer Medien und natürlich auch die liberale Partei SZDSZ an.

Der ungarische Literaturnobelpreisträger Imre Kertész schrieb bereits 1998 von Leuten, die "wegen ihrer plötzlich problematisch gewordenen Abstammung in Raserei geraten, Juden, die in ihrer hilflosen Qual zu antisemitischen Publizisten, zu den Leitschakalen der heruntergekommenen Intelligenz geworden sind und die nun das verödete ungarische Geistesleben vollheulen und schreien".

Auf der Demonstration der Rechten sprach auch Kornél Döbrentei, Mitglied des Vorstandes der ungarischen Schriftstellervereinigung, gegen "den zur Vernichtung unseres Volkes im religiösen Gewand geführten unversöhnlichen Krieg. Gegen den moralischen Holocaust des Ungarntums, der von falschen Propheten hinter einer Maske – nur ihr Bart ist echt – dirigiert wird." Ungefähr 160 Schriftsteller, darunter auch im Ausland sehr bekannte, wie Peter Esterhazy, György Dalos, György Konrád und Péter Nádas, traten daraufhin, weil sich der Vorstand nicht von Döbrentei distanzierte, aus dem Verband aus.

Die Fidesz versteht sich als Partei des "christlichen Mittelstands". Der im Exil gestorbene Schriftsteller Sándor Márai qualifizierte diesen Mittelstand als einen, der in der Zwischenkriegszeit "seine Qualitätsansprüche aufgab, das Diplom durch den Taufschein als Mittel zum Vorwärtskommen ersetzen wollte und mit der Rassenbewertung den Adelsbrief, dieses rissige Pergament, verriet". In der Zeit nach der Wende wurden Zehntausende Menschen, die bis dahin Arbeit und eine billige Unterkunft hatten, buchstäblich auf die Straße geworfen. Die schnelle Privatisierung führte zu einer Religionen und Parteien übergreifenden Korruption. Der "christliche Mittelstand" will nun alle Übel den Juden in die Schuhe schieben.

Die Rechten erinnern sich nicht gerne an den Zivilisationsbruch im Jahr 1944 und möchten vergessen machen, dass die ungarische Administration unter dem Reichsverweser Miklós Horthy binnen weniger Wochen im Frühjahr 1944 hunderttausende Juden nach Auschwitz-Birkenau deportieren ließ. Die meisten Nationalisten haben während des Regimes von János Kádár (1956–1988) nicht aufgemuckt, sondern sich arrangiert. Plötzlich sehen sie im Realsozialismus ein von "fremden Kräften" verursachtes "Unglück", einen nationalen Fluch, Schicksal, ja Verhängnis. Es "lässt sich wohl sagen, dass sie den Antisemitismus brauchen" (Imre Kertész).

Tatsächlich ist es bequem, Juden, die weniger als ein Prozent der Bevölkerung ausmachen, als Sündenböcke zu benutzen. In der Ära Kádár war das Thema Antisemitismus lange Zeit tabuisiert. Die Wende brachte auch die Freiheit zu versuchen, die Verantwortung für die eigenen Irrtümer und Verbrechen der Jahrzehnte nach 1945 allein den aus der Nation wieder auszugrenzenden Juden und Linken in die Schuhe zu schieben. Die konservative Opposition wird sich in den nächsten zwei Jahren entscheiden müssen, ob sie den gegenwärtigen Kurs fortsetzt und zu einer Art Haider-Partei wird oder es schafft, zu einer modernen Volkspartei zu werden nach dem Modell der britischen Konservativen oder der deutschen CDU.

Erschienen in: Jungle World 21 v. 12. Mai 2004

hagalil.com 13-05-2004

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