Rechtsextremismus-Studie:
Differenzierte Ausländerfeindlichkeit?
Anmerkungen zu: Klaus Schroeder,
Rechtsextremismus und Jugendgewalt in Deutschland: Ein
Ost-West-Vergleich, erschienen im Verlag Ferdinand Schoeningh, 2004
Von Susanne Bressan
Es ist nicht ungewöhnlich, dass Mitarbeiter eines
Forschungsprojekts die Ergebnisse ihrer Arbeit in Buchbesprechungen verzerrt
wiederfinden. So titelten im Dezember 2003 die Tageszeitungen Berliner
Morgenpost: "Nur zwei Prozent der Jugend rechtsradikal" und die Welt:
"Höchstens sechs Prozent der Jugendlichen denken (...) umfassend
rechtsradikal", und bezogen sich auf dieselbe Studie. Es handelt sich um die
Studie "Rechtsextremismus und Jugendgewalt in Deutschland: Ein
Ost-West-Vergleich" des Forschungsverbundes SED-Staat an der FU Berlin.
Doch wer denkt, eine der beiden Überschriften habe den Inhalt
des Buches falsch wiedergegeben, der irrt. Denn das Buch lässt beide
Aussagen gelten – und eine dritte noch dazu: Derlei Aussagen sind aus der
Studie gar nicht herzuleiten. Die von der bayerischen Landeszentrale für
politische Bildung mit finanzierte Umfrage des Forschungsverbundes in vier
deutschen Kleinstädten ist weder repräsentativ, noch ist die angewandte
Methode geeignet, ein objektives Niveau von Einstellungen der befragten
Jugendlicher zu beziffern. Letztlich sind daher beide Zahlen, die aus
unterschiedlichen Berechnungsmethoden resultieren, verzerrend. Der
Projektleiter und Autor der Studie, Klaus Schroeder, weiß das auch. Er
schreibt selbst:
"Der Preis für die Anwendung dieser Methode besteht darin,
dass Aussagen über die absolute Verbreitung von Einstellungen (im Sinne
einer Potenzialaussage) eigentlich widersinnig bzw. nur eingeschränkt
möglich sind." (S. 243)
"Die Ergebnisse unserer standardisierten Befragung sind nicht repräsentativ
(1), (...)." (S. 336)
Gleichwohl argumentiert Schroeder im selben Buch ganz
selbstverständlich und auch uneingeschränkt mit absoluten Aussagen,
vergleicht pauschal "den Osten" mit "dem Westen" oder "den Norden" mit "dem
Süden" und kommt zum Schluss: "Es gibt wesentlich weniger Jugendliche mit
einem verfestigten rechtsextremistischen Weltbild als vielfach öffentlich
angenommen und in den meisten Studien ermittelt wird." (S. 500) Derartige
Widersprüche ziehen sich durch das gesamte Buch, sodass die teilweise
durchaus scharfen und tiefgründigen Beobachtungen und Schlüsse Schroeders
durch seine eigenen Argumente und Folgerungen in Frage gestellt werden.
Vielleicht ist es ungewöhnlich, dass sich nicht alle
Mitarbeiter eines Forschungsprojekts gleichermaßen über durchweg positive
Besprechungen ihrer Publikation freuen. Als eine Mitarbeiterin der Studie
ärgerte ich mich über die wohlwollenden Kritiken in der Welt, der Berliner
Morgenpost, im Focus und im Deutschlandradio, weil ich es nicht verstehen
konnte, dass die Rezensenten über die widersprüchlichen Schlussfolgerungen
des Projektleiters und Autors Klaus Schroeder einfach hinweg gingen.
Obgleich Schroeder seine Thesen, auf denen die Schlussfolgerungen beruhen,
nicht eindeutig formuliert, kann man diese leicht dechiffrieren: Indem er
ein Bild von "gewaltbereiten und integrationsunwilligen" Migranten zeichnet,
die selbst Ausländerfeindlichkeit provozieren und so den Rechtsextremisten
Zulauf verschaffen, zählt er Einwanderung zu den Faktoren, die
Rechtsextremismus ermöglichen. Die Bekämpfung von Ausländerfeindlichkeit und
Rechtsextremismus, so Schroeder, müsse daher an einer besseren Integration
der Migranten sowie einer Enttabuisierung der Ausländerkriminalität
ansetzen. Ein geschärfter Blick auf die Devianz von Ausländern erfordere es
seiner Auslegung nach zudem, in der Analyse ausländerfeindlicher
Einstellungen zwischen einer generellen und einer differenzierten und damit
berechtigten Ablehnung von Ausländern zu unterscheiden.
Diese Schlussfolgerungen halte ich nicht nur für falsch und
wissenschaftlich nicht zu belegen. Ich halte sie vor allem für eine
Fehleinschätzung der Aussagen der Schülerinnen und Schüler, Lehrer,
Sozialarbeiter und anderer Gesprächspartner in den vier Städten. An diesen
Gesprächen war ich maßgeblich beteiligt und habe zudem an der
standardisierten Befragung in den Schulklassen vor Ort mitgewirkt. Da jedoch
in dem von mir mit verfassten qualitativen Teil der Studie ("Fallstudien")
Änderungen vorgenommen wurden, denen ich nicht zugestimmt habe, und meine
Positionen innerhalb der Publikation nicht erwünscht waren, möchte ich hier
zu denjenigen Schlussfolgerungen Schroeders Stellung beziehen, die meiner
Ansicht nach aus dem qualitativ wie quantitativ erhobenen Material nicht
hergeleitet werden können und von denen ich mich an anderer Stelle bereits
distanziert habe (2).
Es geht mir hier daher nicht darum, einen internen Konflikt
nach außen zu tragen, sondern lediglich auf Aussagen des Buches hinzuweisen,
die meiner Meinung nach das Material falsch interpretieren, das uns die
Schülerinnen und Schüler sowie zahlreiche andere Gesprächspartner vor Ort
zur Verfügung stellten.
Auf eine Würdigung der gesamten Publikation, wie sie für eine
Rezension üblich wäre, verzichte ich daher. Es kann ja auch nicht Aufgabe
einer Mitarbeiterin an einer Studie sein, das dazu erschienene Buch zu
besprechen. Ich ziehe für meine Argumentation lediglich die vom
Projektleiter verfassten Kapitel heran, die sich auf die vier Städte der
Studie beziehen. Um dem Leser/der Leserin dennoch eine Orientierung zu geben
und die theoretischen Vorannahmen zu erläutern, stelle ich zunächst die
gesamte Studie kurz vor.
Überblick über die einzelnen Kapitel
In der Einleitung formuliert Schroeder die theoretische
Vorannahme des Projekts, nämlich dass "Gewaltakzeptanz und -bereitschaft
nicht unmittelbar konstitutiv für rechtsextremistisch eingestellte
Jugendliche sind, sondern Gewalt eher mit anti-/ nichtzivilen
Einstellungsmustern verknüpft ist" (S. 14) und kündigt die Formulierung
eines eigenen Erklärungsansatzes an. Er gibt einen kurzen Abriss über
unterschiedliche Konnotationen des Begriffs "Rechtsextremismus" durch
Politik, Verfassungsschutz und Wissenschaft und problematisiert insbesondere
die uneinheitliche Verwendung in der Forschung.
Der eigene Arbeitsbegriff unterscheidet nicht klar zwischen Einstellungs-
und Verhaltensdimension des Rechtsextremismus und bezeichnet
"Personen/Gruppen/Parteien, die eine Ungleichwertigkeit von Menschen und
Staaten/Nationen aus biologistischen oder rassistischen bzw. ethnischen
Motiven begründen, die tief verwurzelte Vorurteile gegen Juden hegen,
pauschal Ausländer ablehnen, ein den Nationalsozialismus verharmlosendes
Geschichtsbild vertreten und die parlamentarische und pluralistische
Demokratie durch eine hierarchisierte führerfixierte politische Ordnung
ersetzen wollen" (S. 20) als rechtsextrem.
Explizit ausgenommen werden Autoritarismus und Gewaltbereitschaft aufgrund
der Vorannahme, dass beide Dimensionen wesentlich verbreiteter seien als nur
unter Rechtsextremisten. Auch in der Frage der Gewalt wird eine
Unterscheidung zwischen der Einstellungs- und Verhaltensebene hier versäumt.
(3) Ebenso bleibt im Dunkeln, von welchem
Gewaltbegriff Schroeder ausgeht. Kurz umrissen wird lediglich das
Verständnis von "anti-/nichtzivilen" Einstellungen:
"Als antizivil gelten Personen/Gruppen/Parteien, die jenseits
des staatlichen Gewaltmonopols Gewalt zur Durchsetzung individueller und
persönlicher Interessen befürworten, Recht und Ordnung überhaupt nicht oder
nur wegen der drohenden Sanktionierung akzeptieren, der Individualität
anderer Menschen keinen Respekt zollen sowie strikte Unterordnung unter die
Obrigkeit propagieren." (S. 22)
"Jugendliche, die sich ambivalent und/oder neutral zu den
einzelnen Statements äußern, gelten nach unserer Logik als 'nichtzivil',
d.h. sie lehnen zivile Tugenden nicht ausdrücklich ab, setzen sich für diese
aber auch nicht in besonderer Weise ein bzw. halten sie für erstrebenswert."
(S. 22)
Warum der Schwerpunkt der Studie auf Jugendlichen liegt und
wie Rechtsextremismus unter Erwachsenen und Jugendlichen strukturell
zusammenhängt, wie letztlich jugendlicher Rechtsextremismus innerhalb des
allgemeinen Rechtsextremismus einzuordnen ist, wird nicht erläutert.
Gleiches gilt für die Untersuchung "anti-/nichtziviler" Einstellungen.
Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Geschichte des
Rechtsextremismus im geteilten und vereinigten Deutschland. Im dritten
Kapitel fasst Monika Deutz-Schroeder Erklärungsansätze anderer Autoren zum
Thema Rechtsextremismus und Jugendgewalt zusammen. Darauf folgt das von
Klaus Schroeder verfasste vierte Kapitel, in dem er sich kritisch mit
bisherigen empirischen Studien zum Thema auseinandersetzt. Sein Fazit
lautet:
"Die angesprochenen Defizite, Unzulänglichkeiten und
Missverständlichkeiten bei der Operationalisierung und Ermittlung von
rechtsextremen und/oder fremdenfeindlichen Einstellungen führen in vielen
Untersuchungen zu überzeichnenden und verzerrenden Resultaten, die zumeist
noch undifferenziert repräsentiert werden. Dies resultiert nicht zuletzt aus
der beklagenswerten Situation, dass Wissenschaftler bei Politik und Medien
häufig nur dann Aufmerksamkeit erlangen können, wenn sie mit möglichst
spektakulären Ergebnissen aufwarten. Manche Studie wirkt zudem wie ein
Auftragswerk für diejenigen (in der PDS und anderswo), die schon immer
wussten, dass allein von "Rechts" Gefahr für die bundesdeutsche Politik
drohe." (S. 240)
Ebenfalls aus der Feder des Projektleiters stammt die
Darstellung und Bewertung der eigenen standardisierten Befragung unter 862
Jugendlichen in zwei westdeutschen und zwei ostdeutschen Kleinstädten
(Kapitel 5). Hier verweist er auf die in der Einleitung dargestellten
Vorannahmen, auf deren Basis die beiden Skalen "Rechtsextremismus" und
"anti-/nichtzivile Einstellungen" entworfen wurden. Das Vorverständnis der
einzelnen Dimensionen beider Skalen erläutert er jedoch nicht. Kurz erklärt
er die methodische Vorgehensweise, insbesondere die Innovation gegenüber
anderen Studien, zwei verschiedene Berechnungsmethoden anzuwenden und die
divergierenden Ergebnisse transparent zu machen (4):
"Zur Illustration möglicher Bandbreiten haben wir zwei
Kennziffern gewählt. Bei Befragten, die einen Durchschnittsindex von 1,0 bis
2,0 (auf einer 5-stufigen Skala von "stimme voll zu" bis "stimme überhaupt
nicht zu", S.B.) aufweisen, wird angenommen, dass sie über eine
rechtsextremistische (oder antizivile usw.) Einstellung im engeren Sinne
verfügen, d.h. ein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild ausweisen
("hartes Kriterium"). Eine entsprechende Einstellung im weiteren Sinn lässt
sich bei einem Durchschnittswert bis 2,5 vermuten ("weiches Kriterium").
Diese Personen haben dementsprechend nicht alle, aber wesentliche
Dimensionen rechtsextremistischen Denkens verinnerlicht." (S. 253)
In 22 Punkten fasst Schroeder die Ergebnisse der
standardisierten Befragung zusammen und verweist unter Punkt 10 kurz darauf,
dass die eigene Vorannahme, antizivile Einstellungen seien verbreiteter als
rechtsextreme, nicht belegt werden konnte.
Das Kapitel "Fallstudien" (Uwe Hillmer /Susanne Bressan)
beinhaltet die Darstellung und Bewertung der Interviews und Diskussionen mit
Jugendlichen sowie mit offiziellen Akteuren wie Vertretern aus
Kommunalpolitik, der Polizei, der Sozialarbeit etc. in den vier
Kleinstädten, in denen auch die standardisierte Befragung durchgeführt
wurde. Eben in diesem Kapitel wurden Veränderungen vorgenommen, denen ich
nicht zugestimmt habe.
In der Schlussbetrachtung (Kapitel 7) versucht Klaus
Schroeder die Ergebnisse der einzelnen Kapitel zusammenzuführen. Hier wird
m.E. nicht klar, welche Schlussfolgerungen aus dem Material hergeleitet und
welche von anderen Studien übernommen werden, und was reine Vermutungen
sind. Vor allem wird der in der Einleitung angekündigte "eigenen
Erklärungsansatz" m.E. nicht deutlich herausgestellt. Letztlich wird über
die Widersprüche der eigenen Ergebnisse großzügig hinweggegangen. Einige
dieser Widersprüche möchte ich im Folgenden näher ausführen.
"Integrationsunwillige und gewaltbereite Migranten" als Faktor für
Ausländerfeindlichkeit und Rechtsextremismus?
Wie die meisten zeitgenössischen Sozialwissenschaftler,
favorisiert auch Schroeder ein multifaktorielles Modell zur Erklärung von
Rechtsextremismus, Ausländerfeindlichkeit und Jugendgewalt. Man kann ihm
daher nicht vorwerfen, er verstehe diese Phänomene nur als Reaktion auf
bestimmte gesellschaftliche Prozesse, wenn er fordert, die "jeweilige
Gemengelage zu analysieren, aus der heraus rechtsextremistische Ideologien
und gewaltsames Handeln" sowie Ausländerfeindlichkeit entstehen (S. 499).
Das Ungewöhnliche an seiner Vorgehensweise ist jedoch, dass er Immigration
als einen Faktor dieser Gemengelage ausmacht. So sieht Schroeder zwar
durchaus das "Paradox" in seiner Formulierung, "sowohl die An- als auch die
Abwesenheit von Ausländern kann zur Entstehung von Ausländerfeindlichkeit
führen" (Seite 484), stellt aber außer Frage, dass "im Westen oftmals
gewalttätige Konfrontationen mit Zuwanderern oder Asylbewerbern zur
Entstehung oder zumindest Verstärkung einer entsprechenden Einstellung
(führen)." (Seite 468).
Diese Idee eines kausalen Zusammenhangs von gewalttätigen
Erfahrungen mit Ausländern und der Entstehung von Ausländerfeindlichkeit
versucht der Autor mit Ergebnissen der standardisierten Befragung zu belegen
(S.279/280). Operationalisiert wurde der Faktor der Gewalterfahrung mit der
Frage: "Ich bin schon von Jugendlichen geschlagen, mit Waffen oder durch
Worte massiv bedroht worden" mit den Antwortmöglichkeiten "ja/nein" und
"Wenn ja, von ausländischen Jugendlichen"/"von deutschen Jugendlichen".
Wieder ist es Schroeder selbst, der auf die Zweifelhaftigkeit der eigenen
Vorgehensweise hinweist:
"Offen bleibt freilich, ob Jugendliche, die angaben,
Gewalterfahrungen mit Ausländern zu haben, Täter oder Opfer waren. Waren sie
zuerst ausländerfeindlich (mit eventuell gewalttätigen Folgen) oder waren
sie Opfer von Ausländern und sind erst dann ausländerfeindlich geworden?"
(S.280)
Diese Frage wäre zu ergänzen um drei weitere, nämlich erstens
welche Personen Jugendliche als "ausländisch" wahrnehmen, zweitens warum sie
das tun, und drittens, ob sich Gewaltaffinität nicht generell mit
Ausländerfeindlichkeit gut verträgt. Sind einige Jugendliche vielleicht auch
zuerst und primär gewalttätig und werden dann immer mehr zu
Ausländerfeinden? (5) An zahlreichen Stellen des
Buches wird dies so dargestellt. Unberührt von dieser Überlegung ebenso wie
von der zweifelhaften Aussagekraft der Antworten auf die Frage geht
Schroeder jedoch davon aus, Ausländer könnten selbst ausländerfeindliche
respektive rechtsextreme Einstellungen und Gewalt provozieren, in jedem Fall
aber zur Verstärkung solcher Einstellungen beitragen:
"Im Westen sind es vor allem gewalttätige
Auseinandersetzungen mit Ausländern, die eine ablehnende Haltung
hervorgebracht oder zumindest verstärkt haben (...)" (S. 338)
Während er an dieser Schlussfolgerung durch das gesamte Buch
hindurch festhält, bleibt der Hinweis auf die Unbrauchbarkeit des Faktors
"Gewalterfahrung mit Ausländern" singulär. Erklärungsversuche dazu, warum
bei den Befragten insgesamt die Angst vor Skins (40%) weit vor der Angst vor
Ausländern rangiert (14%), unternimmt Schroeder indes nicht; er begnügt sich
damit, seine "Überraschung" darüber zu äußern, dass Jugendliche, die
angaben, keine Angst vor anderen Jugendlichen zu haben, überdurchschnittlich
ausländerfeindlich seien (S.270f u. 471). Die Überraschung veranlasst den
Autor aber auch hier nicht, darüber nachzudenken, ob Gewaltaffinität mit
geringerer Angst einerseits und höherer Ausländerfeindlichkeit anderseits
korrelieren könnte. Ebenso blendet er an dieser Stelle aus, dass die
befragten Mädchen und jungen Frauen zwar öfter angaben, Angst vor Ausländern
– dreimal häufiger allerdings noch Angst vor Skins – zu haben als die
männlichen Jugendlichen, zugleich aber weniger ausländerfeindlich
eingestellt sind (Tab. 42 u. 44). In der Schlussbetrachtung sieht er
stattdessen erneut die vermeintliche "Gewaltbereitschaft der Migranten" als
wichtigen Faktor und prognostiziert für die zukünftige Entwicklung der
Skinhead-/Neonazi-Szene in Deutschland:
"In Anbetracht der virulenten Probleme mit hoher
Arbeitslosigkeit, einem wachsenden Anteil integrationsunwilliger und
gewaltbereiter (vor allem jugendlicher) Migranten und Spätaussiedler sowie
auch weiterhin unsicheren und prekären Berufsaussichten insbesondere für
Jugendliche mit schlechten Schulabschlüssen sind Konflikte gleichsam
vorprogrammiert." (6) (S. 494)
Die Vorstellung, Ausländer seien mitverantwortlich für die
Entstehung von Ausländerfeindlichkeit, kommt auch in dem Vorwurf an
qualitative Studien zu diesem Thema zum Vorschein:
"Auch die Frage, wie man Ausländern die Notwendigkeit eigener
Anstrengungen zum Abbau entsprechender Vorurteile (d.i.
Ausländerfeindlichkeit, S.B.) und zur besseren Integration in die deutsche
Gesellschaft stärker verdeutlichen könne, wird kaum gestellt." (S. 245)
Woraus diese "Notwendigkeit" erwächst und welcher Art die
"eigenen Anstrengungen" sein könnten, wird nicht erläutert. Ebenso wenig
expliziert bleibt die Art und Weise, wie denn eine "bessere Integration" zu
leisten sei, die der Autor fordert. Einen Hinweis darauf, dass er unter
Integration eine rechtliche und politische Gleichstellung versteht, findet
sich nirgends (7). Wenn er jedoch den "Schlüssel
für die Zurückdrängung oder zumindest Eindämmung von Ausländerfeindlichkeit
(...) in der Konzentration auf Integration und der Entwicklung gemeinsamer
Identifikation als Deutsche bzw. als in Deutschland Lebende" (S. 501) sieht,
heißt das, er verortet das Hauptproblem nicht bei denjenigen, die
ausländerfeindliche Einstellungen aufweisen, sondern bei denen, die
integriert werden müssen bzw. sich integrieren sollen – mithin bei
denjenigen, gegen die sich die Ausländerfeindlichkeit richtet.(8)
Dabei ist für ihn die aufnehmende Gesellschaft nicht gänzlich unbeteiligt an
den "unbefriedigenden Integrationsergebnissen" (S. 278), und zwar ihres
mangelnden Nationalbewusstseins wegen:
"Das eigentliche Problem der Integration, speziell auch der
Einbürgerungen, scheint darin zu liegen, dass viele Ausländer jenseits der
erwarteten rechtlichen und sozialen Sicherheit nicht wissen, warum sie die
deutsche Staatsbürgerschaft erwerben sollen. Die Identifikation mit der
Bundesrepublik wird ihnen zudem dadurch erschwert, dass viele Deutsche
selbst keinen positiven Bezug zu ihrer eigenen Nationalität haben." (S. 499)
Nimmt man diese Thesen Schroeders ernst, dann sind es nicht
die rechtlichen, politischen und sozialen Schranken der
Mehrheitsgesellschaft, die eine "bessere Integration" verhindern, sondern
eher das beschränkte Bekenntnis zur deutschen Nation, sowohl von Seiten der
Deutschen als auch von Seiten der Ausländer. (9)
"Generelle" versus "differenzierte" Ausländerfeindlichkeit
Was Schroeder unter "Ausländerfeindlichkeit" versteht, bleibt
vage – eine Begriffsbestimmung nimmt er nicht vor (10).
Es findet sich jedoch immer wieder die Vorstellung, man könne zwischen einer
"generellen" und einer "differenzierten" Ausländerfeindlichkeit
unterscheiden. So kommentiert Schroeder beispielsweise die Umfrageergebnisse
zum Item, "Es sollen keine Ausländer mehr nach Deutschland kommen"
(Zustimmung gesamt 31,3%) folgendermaßen:
"Falsch wäre die Schlussfolgerung, alle Befürworter des
Statements seien generell ausländerfeindlich eingestellt. Angesichts der
international vergleichsweise hohen Ausländerquote könnten z. B. auch
zweifellos vorhandene Konflikte zwischen (jugendlichen) Ausländern und
Deutschen und zum Teil unbefriedigende Integrationsergebnisse – zumindest in
Westdeutschland – die Bereitschaft zur Zustimmung gefördert haben." (S. 278)
Eine solche Erklärung zeugt von einem merkwürdigen
Verständnis quantitativer Einstellungsforschung einerseits und der
Soziologie des Vorurteils anderseits. Wer die Aussage "Es sollten keine
Ausländer mehr nach Deutschland kommen" ablehnt, der kann zugleich einen
unbegrenztem Zuzug ablehnen (bzw. einen begrenzten Zuzug befürworten); wer
dieser Aussage aber zustimmt, der stimmt eindeutig einem
ausländerfeindlichen Statement zu. Schroeder ist jedoch auf derartige nicht
zu Ende gedachte Differenzierungen angewiesen, um seine These des
Zusammenhangs des Verhaltens von Ausländern und der Entstehung von
Ausländerfeindlichkeit aufrechtzuerhalten. Denn dieser These widersprechen
die eigenen ebenso wie andere Untersuchungsergebnisse zur Verbreitung
ausländerfeindlicher Einstellungen, die zeigen, dass ein höherer Anteil von
Migranten an der Bevölkerung nicht zu einer stärkeren Verbreitung
ausländerfeindlicher Einstellungen führt (11).
Auch ein quantitativer Zusammenhang zwischen dem Anteil ausländischer
Tatverdächtiger in der polizeilichen Kriminalstatistik einer Region und der
Ausländerfeindlichkeit der dortigen Bevölkerung kann aus dem eigenen
Zahlenmaterial nicht hergeleitet werden (12).
Schroeder kann diese Ergebnisse der eigenen Studie nicht
einfach umgehen. Er interpretiert sie daher so, dass er meint, seine These
lediglich einschränken, nicht aber revidieren zu müssen: Er macht in Ost-
und Westdeutschland nicht nur unterschiedliche Motive für die Verbreitung
ausländerfeindlicher Einstellungen aus, sondern auch unterschiedliche
Eigenschaften dieser Einstellungen. Für Ostdeutschland mit einem
durchschnittlich wesentlich niedrigeren ausländischen Bevölkerungsanteil
lässt er gelten, dass dort die "weitaus ausgeprägtere Fremdenfeindlichkeit (13)
eine konstruierte und projizierte ist" (S. 241). Die Merkmale der
Konstruktion und Zuschreibung werden jedoch an anderer Stelle selbst für
Ostdeutschland relativiert, in der Schlussbetrachtung gelten sie nur noch
als "weitgehendes" Kriterium (S. 484). Hier werden zwar auch für die
Ausländerfeindlichkeit in Westdeutschland Stereotype und "diffuse Ängste"
als Faktoren genannt, die jedoch lediglich neben dem Faktor "negative
Alltagserfahrungen mit Ausländern/Aussiedlern" stehen. In einer
dualistischen Gegenüberstellung werden die Hauptkriterien jedoch eindeutig
gewichtet: Den fehlenden Alltagserfahrungen mit Ausländern im "Osten" werden
die "oftmals gewalttätige(n) Konfrontationen mit Zuwanderern oder
Asylbewerbern" (S. 468) im "Westen" entgegengesetzt (14):
"Im Westen sind es vor allem gewalttätige
Auseinandersetzungen mit Ausländern, die eine ablehnende Haltung
hervorgebracht oder zumindest verstärkt haben, während im Osten das
Feindbild eher auf einer Konstruktion beruht." (S. 338)
"...im Osten dagegen handelt es sich – angesichts der nur
sehr wenigen dort lebenden Ausländer – um eine dem 'Antisemitismus ohne
Juden' vergleichbare Feindbildkonstruktion." (S. 468)
Heißt das umgekehrt, dass nur ein "Antisemitismus ohne Juden"
konstruiert und zugeschrieben ist, während sich Antisemitismus in
Gesellschaften, in denen Juden leben, auf "negative Alltagserfahrungen" mit
Juden gründet? Ein grundlegendes Charakteristikum des negativen sozialen
Vorurteils, die pauschalisierende Zuschreibung von abwertenden
Eigenschaften, die ohne jeglichen Kontakt auskommt (15),
wird hier als regionale Besonderheit dargestellt. Dass gerade aus der
Negation des Kontaktes Vorurteile und Feindbilder erwachsen und sich
erhalten (16), scheint Schroeder nicht als
allgemeingültigen Zusammenhang zu sehen. Stattdessen unterscheidet er
zwischen einer unberechtigten, weil konstruierten und projizierten, und
einer quasi berechtigten Ausländerfeindlichkeit, die auf "realen
Zusammenhängen und Erfahrungen" (S. 245) beruht. Obwohl aus der
standardisierten Befragung – wie bereits gezeigt wurde – solche Aussagen
nicht hergeleitet werden können, kommentiert er die eigenen
Untersuchungsergebnisse zum Item Ausländerfeindlichkeit dahingehend:
"Allerdings werden auch berechtigte Vorbehalte gegen
Einwanderer, vor allem gegen gewalttätige ausländische Jugendliche,
fälschlich als Hinweis auf eine generelle Ausländerfeindlichkeit
interpretiert." (S. 281)
Es stellt sich die Frage, mit welchem Instrumentarium eine
solche Differenzierung abzufragen wäre. Eine solche Frage könnte nur
implizit ausländerfeindlich formuliert werden, denn worin unterscheiden sich
Vorbehalte gegenüber ausländischen Gewalttätern von Vorbehalten gegenüber
deutschen Gewalttätern?
Für Schroeder aber scheint eine solche Differenzierung nicht
nur möglich, er vermisst sie in der bisherigen wissenschaftlichen
Beschäftigung mit Ausländerfeindlichkeit. Vor diesem Hintergrund ist m.E.
sein Vorwurf an andere quantitative Studien zu verstehen:
"Quantitative Untersuchungen berücksichtigen meist die
soziale Interaktion insbesondere von Jugendlichen zu wenig, d.h. es werden
Einstellungen erhoben, ohne ihren alltäglichen Hintergrund zu erfragen. So
kann zwar die auf Vorurteile und Stereotypen basierende Ablehnung von
Ausländern/Fremden ermittelt werden, aber reale Prozesse des Zusammenlebens
und spezifische Erfahrungen gehen nur vermittelt ein." (S. 485, Hervorhebung
hinzugefügt)
Das gleiche wirft er im Übrigen qualitativen Sozialforschern
vor:
"Qualitative Studien zur Ausländerfeindlichkeit kranken
häufig an der Vorgehensweise der Forscher, die zumeist nicht die Interaktion
von deutschen und ausländischen (oder fremden) Menschen/Jugendlichen zum
Ausgangspunkt nehmen, sondern nur die Einstellungen und Verhaltensweisen
Einheimischer. So kann zwar die auf Vorurteile und Stereotypen basierende
Ablehnung von Ausländern/Fremden dechiffriert werden, aber reale
Zusammenhänge und Erfahrungen gehen nur vermittelt ein." (S. 244/245,
Hervorhebung hinzugefügt)
Die Forderung nach der besseren Untersuchung der Interaktion
von ausländischen und deutschen Jugendlichen in der Analyse der
Ausländerfeindlichkeit ist berechtigt. Doch in seinem Vorwurf lässt
Schroeder nicht nur erneut das oben genannte Charakteristikum außer acht,
dass Stereotype gerade aus einer Nichtbeziehung entstehen und zugleich eine
Meidung von Beziehungen mit den Stereotypisierten zur Folge haben (17),
sondern er übergeht zudem weitere grundlegende Erkenntnisse der
Vorurteilsforschung. Danach werden abwertende Vorurteile im Falle einer
positiven Interaktion zumeist weder auf diese spezifische Interaktion
übertragen noch wirkt dieses positive Erlebnis automatisch korrigierend
zurück auf das Vorurteil, während ein einzelnes negatives Erlebnis oft als
Bestätigung des Vorurteils dient. (18) Ausdruck
findet dieser Mechanismus in dem Zitat der Comic-Figur Methusalix (19):
"Ich habe nichts gegen Fremde. Einige meiner besten Freunde sind Fremde.
Aber diese Fremden sind nicht von hier".
Falls eigene Erlebnisse Vorurteile generieren, dann gilt das
Prinzip der selektiven Wahrnehmung, das heißt einzelne extreme Ereignisse
mit Personen, die als anders wahrgenommen werden, dominieren die Erinnerung
und werden auf die gesamte Kategorie übertragen, zu der die Person gezählt
wird. (20) Wahrnehmung und Erleben funktionieren
dabei nicht unabhängig von einander.
Im Fall der Ausländerfeindlichkeit sind Vorurteile
Bestandteil von Identitäts- und Abgrenzungsprozessen zwischen Majorität und
Minorität, wobei die Minorität durch rein zugeschriebene Eigenschaften als
Gruppe konstruiert wird. (21) "Ausländer" haben
weiter nichts gemeinsam als "fehlende" Eigenschaften, nämlich die "fehlende"
deutsche Staatsangehörigkeit und damit verbundene Rechte. Die Kategorie, in
der diese Menschen pauschal zu "Ausländern" zusammengefasst werden, ist
somit Objekt eines unidirektionalen Abgrenzungsprozesses von Seiten "der
Deutschen". Interaktion mit als "Ausländern" wahrgenommen Menschen findet in
einem Netz von Diskursen statt, mit denen die Kategorie "Ausländer" bereits
belegt sind. (22) Dass "Ausländerfeindlichkeit"
daher alleine durch eigene Erlebnisse individuell erst generiert wird, ist
unwahrscheinlich, vielmehr handelt es sich um ein übermitteltes Vorurteil,
das jedoch, und dies wieder nach dem Prinzip der selektiven Wahrnehmung,
durch eigene Erlebnisse bestätigt, erweitert oder verändert wird. Bei diesen
Veränderungsprozessen geht aber die Eigenschaft des Vorurteils, nämlich die
verallgemeinernde Zuschreibung von rational nicht überprüften bewertenden
Eigenschaften, nicht verloren. (23)
Richtig hingegen ist die Überlegung an sich, dass
unterschiedliche Motive, Ausprägungen und Zielgruppen ausländerfeindlicher
Einstellungen analysiert werden können. So lassen sich die beschriebenen
Abgrenzungsprozesse keineswegs als homogen darstellen. Entscheidend ist
jedoch, dass diejenigen, gegen die es sich abzugrenzen gilt, immer als
homogen vorgestellt werden. Selbst wenn die Widersprüche den Zuschreibenden
selbst deutlich werden, sehen sie noch immer einzelne Gruppen als
Stellvertreter für die gesamte Kategorie "Ausländer" gegenüber der Gruppe,
der sie sich selbst angehörig fühlen und die sie gleichfalls als homogen
sehen. Um dies an einem Beispiel zu verdeutlichen: Solange die deutsche
Person A aufgrund einer persönlichen Erfahrung Person B als gewalttätig
ablehnt und Person B als nichtdeutsch wahrnimmt, kann diese Einschätzung
noch nicht als Vorurteil gelten. Wird aber Person B abgelehnt, weil sie eine
nichtdeutsche Gewalttäterin ist, dann ist dies Ausdruck eines Vorurteils.
Daran ändert sich auch nichts, wenn Person B von Person A nicht einfach als
Ausländerin bezeichnet wird, sondern ihr eine bestimmte nichtdeutsche
ethnische Herkunft zuschreibt. Es kann sich dabei zwar in erster Linie um
ein Vorurteil gegenüber dieser bestimmten nichtdeutschen Gruppe handeln.
Wird das Vorurteil gegenüber der Gruppe schließlich auf die Kategorie
Nichtdeutsche/"Ausländer" bezogen, dann verweist das Vorurteil auf eine
ausländerfeindliche Einstellung. (24) So gesehen
ist Ausländerfeindlichkeit zugleich nie eine "generelle" Ablehnung von
Ausländern, da mit "Ausländern" sowohl Menschen assoziiert werden, die keine
Ausländer sind, während andere, die nach formellen Kriterien Ausländer sind,
gar nicht als solche wahrgenommen werden.
Man kann daher zwischen manifesten und latenten, offenen und
subtilen ausländerfeindlichen Einstellungen unterscheiden, doch
Ausländerfeindlichkeit gründet sich immer auf Vorurteile, und auch bei einem
latenten Vorurteil handelt es sich noch immer um ein Vorurteil (25).
Die oben zitierte Argumentation Schroeders, "zweifellos vorhandene Konflikte
zwischen (jugendlichen) Ausländern und Deutschen und zum Teil
unbefriedigende Integrationsergebnisse" bzw. "negative Alltagserfahrungen
mit Ausländern/Aussiedlern", würden Jugendliche zu Statements veranlassen,
die sich zwar ausländerfeindlich anhören, in Wirklichkeit aber nur eine
berechtigte Ablehnung ausdrücken, ist daher fatal. Denn das bedeutet,
Schroeder versteht nur die von ihm so genannte "generelle
Ausländerfeindlichkeit" als Ausdruck eines Vorurteils, während er die bloß
"auf bestimmte Ethnien und spezifische Verhaltensweisen bezogen(e)" (S. 245)
Ablehnung von Ausländern als rationales Urteil ansieht.
"Tabuisierung" von "Gewalt und Kriminalität bestimmter Ausländergruppen"
Schroeder zeichnet nicht nur ein pauschalisierendes Bild der
Gewalttätigkeit jugendlicher Migranten, er stellt auch eine Tabuisierung
dieser Gewalt wie überhaupt der "Kriminalität bestimmter Ausländergruppen"
fest. Eine solche Tabuisierung hält er für potenziell mitverantwortlich für
die Verbreitung ausländerfeindlicher Einstellungen und den Erfolg
rechtsextremer Propaganda:
"Auch die hohe Gewaltbereitschaft von jugendlichen Migranten
und Aussiedlern darf nicht weiter tabuisiert werden, da das die Ausbreitung
von Ausländerfeindlichkeit weiter verstärken könnte." (S. 501)
"Auch unliebsame Themen wie Gewalt und Kriminalität
bestimmter Ausländergruppen und Aussiedler sollten öffentlich thematisiert
werden, um zu verhindern, dass Rechtsextremisten diese oftmals tabuisierten
Probleme aufgreifen und für sich instrumentalisieren." (S. 499)
Welche Ausländergruppen und welche Kriminalität hier gemeint
sind, erklärt Schroeder an dieser Stelle nicht. (26)
Vor allem aber fragt man sich, woran der Autor eine "Tabuisierung"
festmacht. Gerade in den Medien sind ausländische Gewalttäter kein
unterbelichtetes Thema. Auch bei Berichten über Eigentums- und Drogendelikte
wird, nicht nur in der Lokalpresse, regelmäßig die ethnische Herkunft der
Täter bzw. der Tatverdächtigen genannt, wenn diese Nichtdeutsche sind. Man
kann hier nur vermuten, dass Schroeders Kritik auf seine Kollegen zielt, die
Sozialwissenschafter (27). Vertreter dieser
Disziplin beschäftigen sich jedoch ebenfalls, wenn auch weitaus seriöser als
viele Journalisten, mit dem Thema der "Ausländerkriminalität". Seit den
70ern gibt es zahlreiche sozialwissenschaftliche Studien, die sich um eine
differenzierte Sicht der "Ausländerkriminalität" bemühen und dabei auch die
Problematik des Begriffs nicht unberücksichtigt lassen.
Was Schroeder vermutlich unter "Tabuisierung" subsumiert,
ohne darauf jedoch eindeutig zu verweisen, ist die in den Fallstudien des
eigenen Projekts von einigen unserer jugendlichen Gesprächspartner
geschilderte Reaktion einiger Lehrer, Eltern oder anderer Erwachsenen des
direkten Lebensumfelds, wenn ihnen Jugendliche von Konflikten mit
Migrantenjugendlichen berichteten oder Fragen zur Einwanderung stellten.
Anstatt Jugendliche mit ihren Erlebnissen oder Fragen ernst zu nehmen,
ihrerseits nachzufragen und sachliche Informationen zu liefern oder auf
sachliche Informationsquellen hinzuweisen, stempelten die erwachsenen
Adressaten sie aufgrund ihrer Anliegen als ausländerfeindlich ab oder
stellten sie in die rechte Ecke. Meines Erachtens ist die geschilderte
Reaktion jedoch eher auf die Bequemlichkeit, sich ernsthaft mit der
Lebenssituation Jugendlicher und mit den eigenen Vorurteilen
auseinanderzusetzen, zurückzuführen als auf eine "Tabuisierung der
Ausländerkriminalität". Diese Bequemlichkeit analysiert Schroeder ganz
ähnlich zwar in einem anderen Zusammenhang, nämlich einer Erosion der
"Geltung zentraler Werte in der Gesellschaft" (S. 496). Dort dient diese
Analyse jedoch in erster Linie als pauschaler Vorwurf an die
"68er-Bewegung", der übrigens Schroeder selbst angehörte.
Hier wäre eine differenziertere Analyse der Nachwirkungen der
68er-Bewegung in Zusammenhang mit dem erhobenen Material wünschenswert
gewesen. Es lässt sich ja nicht leugnen, dass sich in der Auseinandersetzung
mit Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit (in Deutschland
wahrscheinlich überdurchschnittlich) Wissenschaftler, Journalisten und
Sozialpädagogen engagieren, die der 68er-Bewegung angehörten. (28)
Dass hierbei auch ideologische Verzerrungen, nicht explizierte Vorannahmen
und moralisierende Darstellungen ihren Eingang in die Forschung fanden, hat
Schroeder in seiner Kritik - wenn auch m.E. überzogen und seinerseits
verzerrend (29) - gezeigt. In der Bewertung der
Forschungspraxis und nachfolgend auch der Praxis der Lehrer, Sozialpädagogen
und Eltern wird Schroeder jedoch selbst moralisierend und äußert bloße
Vermutungen, die er weder anhand des eigenen Materials klar herleitet, noch
konsequent oder für den Leser nachvollziehbar auf andere Quellen stützt.
Dabei ernten seit den 90ern Erklärungsansätze zu den Themen
Migration wie auch "Ausländerfeindlichkeit", die sich auf idealisierende
Vorstellungen einer multikulturellen Gesellschaft gründen, gerade von Seiten
"linker" Sozialwissenschaftler Kritik (30). Dass
man sich wissenschaftlich differenziert auch mit dem negativen Bezug auf die
deutsche Geschichte vieler ehemaliger "68er" auseinandersetzen kann, ohne
Vorwürfe zu erheben, Schuldzuweisungen zu betreiben oder gar eine Art
Verschwörung Linksintellektueller zu vermuten, auch dafür gibt es Beispiele.
(31) Mit Schroeder allerdings teilen viele
deutsche Autoren, die diesen Erinnerungskonflikt problematisieren, eine
bemerkenswerte Auslassung: Sie blenden aus, wie sich aus der Perspektive
derjenigen Menschen kollektive Erinnerung darstellt, die als Nachkommen der
Opfer der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland leben.
Insgesamt entsteht der Eindruck, Schroeder hat sich nur
deshalb so umfangreich mit dem Thema Rechtsextremismus beschäftigt, um die
Relevanz der bisherigen "linken" Forschung zu diesem Thema zu entkräften und
stattdessen die Einwanderung als dringlicheres Problem der deutschen
Gesellschaft darzustellen. Warum aber hat er dann keine Beiträge aus der
Migrationssoziologie mit einbezogen? Weil diese komplett ideologisch
überformt ist? Der verqueren These, man könne zwischen konstruierter
Ausländerfeindlichkeit als Vorurteil und Ausländerfeindlichkeit als
rationalem Urteil unterscheiden, hätte es aber selbst in diesem Fall nicht
bedurft. Ebensowenig hätte Schroeder die Idee verfolgen müssen, Ausländer
seien – zumindest in Westdeutschland – mitverantwortlich an der Entstehung
von Ausländerfeindlichkeit und rechtsextremistischer Gewalt. Dass eine solch
einseitige Verquickung der Themen Rechtsextremismus, Migration und
Jugendgewalt ein wissenschaftlich fragwürdiges Unternehmen ist, spiegelt
sich meines Erachtens in der von Schroeder versuchten Umsetzung wieder. Die
einzelnen Kapitel des Buches stehen weitgehend unverbunden nebeneinander.
Die Schlussfolgerungen, die sich auf die eigene Untersuchung stützen, werden
nicht eindeutig hergeleitet, widersprechen dem Material und teilweise,
insbesondere hinsichtlich Repräsentativität und Aussagekraft der
standardisierten Befragung, den von Schroeder selbst angestellten
Bemerkungen.
Die nachvollziehbaren Ergebnisse beschränken sich letztlich
auf Banalitäten: 1. Jugendgewalt ist in den wenigsten Fällen
rechtsextremistisch motiviert, 2. ausländerfeindliche Einstellungen sind
verbreiteter als rechtsextreme, 3. nur eine kleine Minderheit von
Jugendlichen verfügt über ein verfestigtes rechtsextremes Weltbild – ein
anderes Ergebnis würde eine Grundannahme der Entwicklungspsychologie in
Frage stellen, dass nämlich in der Adoleszenz sich Weltbilder und
Identitäten erst formen –, und 4. auch jugendliche Migranten sind an
gewalttätigen Auseinandersetzungen aktiv beteiligt.
Hätte Schroeder seine Forderung nach einer besseren
sozialwissenschaftlichen Analyse der Interaktion von Einheimischen und
Migranten selbst eingelöst, hätte er sich möglicherweise mit anderen
Vermutungen, die über diese Banalitäten hinausgehen, zurückgehalten. Vor
allem hätte er sich mit den Realitäten "unbefriedigender
Integrationsergebnisse" ernsthafter auseinandersetzen müssen. Quantitative
wie qualitative Studien deuten darauf hin, dass sich ausländerfeindliche
Einstellungen insbesondere gegen diejenigen richten, deren Integration von
Politik und Mehrheitsgesellschaft gar nicht erwünscht ist. (32)
Man fragt sich, wie Schroeder etwa Asylbewerbern, die in Sammelunterkünften
leben, die von ihm ausgemachte "Notwendigkeit eigener Anstrengungen zur
besseren Integration in die deutsche Gesellschaft" verdeutlichen würde.
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Links:
Anmerkungen:
(1) In voller Länge heißt der Satz: "Die Ergebnisse
unserer standardisierten Befragung sind nicht repräsentativ für Schüler aus
verschiedenen Schultypen im Alter zwischen 16 und 18 Jahren, können aber als
typisch für Auffassungen und Lebenseinstellungen von Jugendlichen in
Kleinstädten gelten. Die im Anschluss an die Befragung durchgeführten
intensiven Gespräche haben diese Einschätzung bestätigt." Da aber diese
Gespräche ebenso wenig repräsentativ waren und m. E. hierfür auch keine
kleinstädtische "Typik" behauptet werden kann, ist der Vorwurf des
Kleinredens der Nicht-Repräsentativität naheliegend. Dafür spricht auch die
großzügige Aufrundung des Samples von 862 auf "knapp 1000" Schülerinnen und
Schüler (S. 14 u. S. 467).
(2) Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass ich
nicht alle Änderungsvorschläge gleichermaßen ablehnte, sondern einige
Kritikpunkte aufnahm und verarbeitete. Die von anderen Mitarbeitern
vorgenommenen Änderungen, die ich ausdrücklich ablehnte, wurden jedoch
schließlich beibehalten. Zu einer Aussprache bzw. Verhandlung hierüber war
der Projektleiter nicht bereit. Die von ihm verfassten Kapitel lagen mir
erst nach dem Ende des Projekts vor, nachdem mir bereits klar signalisiert
worden war, dass eine Stellungnahme meinerseits sowieso nicht erwünscht war.
Es war freilich mein Fehler, dass ich meine Texte ablieferte, ohne auf einer
Einigung auf Begriffsbestimmungen und klar formulierte Thesen zu bestehen.
Eine Woche nach Erscheinen der Besprechungen der Studie in der Welt und der
Berliner Morgenpost distanzierte ich mich in einem an beide Zeitungen
gerichteten Leserbrief von der Studie. Eine Kopie des Leserbriefes, der
nicht gedruckt wurde, schickte ich an den Projektleiter und meine ehemaligen
Kollegen. Außerdem habe ich in einem Schreiben an Gesprächspartnerinnen und
-partner in den vier Städten meine Distanzierung dargelegt und auf meine im
Internet veröffentlichte Stellungnahme verwiesen.
(3) Dabei ist die Entscheidung, Gewaltakzeptanz (von
Schroeder gleichgesetzt mit Gewaltbereitschaft) getrennt zu untersuchen,
durchaus berechtigt - allerdings bezogen auf die eigene Studie aus dem
umgekehrten Grund: Die Ergebnisse der eigenen standardisierte Befragung
weisen auf eine stärkere Verbreitung rechtsextremer als gewaltaffiner
Einstellungen hin (vgl. Tab. 75, S. 342). Dabei korrelieren beide
Dimensionen allerdings stark. Hier muss freilich berücksichtigt werden, dass
die eigene Erhebung nur Jugendliche einbezieht und auch für diese Gruppe
nicht repräsentativ ist. Zudem ist fraglich, inwiefern gerade zu den
"antizivilen" Einstellungen sozial erwünschte Antworten geäußert wurden. Auf
der Verhaltensebene ist zu erwarten, dass Schroeders Annahme zutrifft - in
der eigenen empirischen Studie wurden aber nur Einstellungen abgefragt.
(4) Dass Schroeder selbst um die Problematik der
Vorgehensweise, aus Skalenwerten Einstellungsniveaus abzuleiten, weiß, wurde
bereits zu Beginn des Artikels erwähnt. Der Hinweis auf die nicht gegebene
Repräsentativität fehlt jedoch sowohl in der Einleitung als auch im
Unterkapitel "Methodisches Verständnis der eigenen standardisierten
Befragung". Immerhin findet sich dazu im Unterkapitel "Ergebnisse" ein
Nebensatz (S. 258). Schließlich erklärt Schroeder im Fazit des Kapitels, die
Ergebnisse seien zwar nicht repräsentativ, aber "typisch" - warum, bleibt
allerdings unklar.
Die Ausführung zur Berechnungsmethode habe ich hier wiedergegeben, weil
sonst kaum klar werden dürfte, was unter "hartem" und "weichen" Kriterien
respektive verfestigtem und latentem Rechtsextremismus im Sinne Schroeders
zu verstehen ist.
(5) Die Feststellung, dass Gewalt auch um der Gewalt
willen verübt wird, ist allerdings nicht gleichzusetzen mit der Annahme,
andere Motive spielten dann eine untergeordnete oder gar keine Rolle. Vgl.
Sutterlüty 1998, Wagner 1994.
(6) Dem Zitat geht folgende Passage im Buch voraus:
"Betrachten wir den harten Kern rechtsextremistisch eingestellter Personen
in Deutschland, sollte zwischen organisierten Rechtsextremisten mit
tradierten nationalsozialistischen Vorstellungen – wie sie in
Westdeutschland vorherrschen –, Personen mit einem verfestigten
neonazistischen Welt- und Gesellschaftsbild, die in beiden Teilen
Deutschlands anzutreffen sind, und gewaltbereiten Personen (vornehmlich
Skinheads) mit einer hohen Gewaltbereitschaft und einem diffusen
rechtsextremistischen Weltbild, die in Ostdeutschland überrepräsentiert
sind, unterschieden werden. Während Erstere, vornehmlich Angehörige älterer
Generationen, auch weiterhin politisch randständig und neonazistische
Personen und Gruppen zahlenmäßig marginal sind, stellt die in den letzten
Jahren anwachsende Zahl gewaltbereiter Jugendlicher derzeit das eigentliche
Problem dar. Noch ist diese Szene weitgehend auf Ostdeutschland beschränkt,
was jedoch unter veränderten Rahmenbedingungen nicht o bleiben muss."
(S.494)
(7) Was er anscheinend nicht als "gute" Integration
versteht, ist die "physische Präsenz" von jugendlichen Migranten in der
Öffentlichkeit: "Gerade in Westdeutschland, wo ausländische Jugendliche
insbesondere in Großstädten viele öffentliche Räume dominieren und sich mit
ostentativer, insbesondere physischer Präsenz Anerkennung verschaffen
wollen, gründet ein erheblicher Teil der Vorbehalte gegenüber Ausländern auf
konkreten Erfahrungen mit derart unzivilen Formen der Präsenz." (S. 485)
(8) In voller Länge heißt die Passage: "Nicht die
rechtsextremistische Ideologie und ihre Verbreitung ist das entscheidende
Problem, sondern die (nicht nur) in diesem Milieu sich weiter ausbreitende
Gewaltbereitschaft und die in Teilen der Gesellschaft zunehmende
Ausländerfeindlichkeit. Der Gewaltbereitschaft kann (und muss) mit
Prävention, aber auch mit harten abschreckenden Sanktionen entgegengewirkt
werden. Der Schlüssel für die Zurückdrängung oder zumindest Eindämmung von
Ausländerfeindlichkeit liegt in der Konzentration auf Integration und der
Entwicklung gemeinsamer Identifikation als Deutsche bzw. in Deutschland
Lebende. Auch die hohe Gewaltbereitschaft von jugendlichen Migranten und
Aussiedlern darf nicht weiter tabuisiert werden, da das die Ausbreitung von
Ausländerfeindlichkeit weiter verstärken könnte." (S. 500/501)
Durch Wörter wie "oder", "zumindest", "bzw.", "kann" und "könnte", die
Schroeder immer wieder verwendet, lassen entsprechende Aussagen jeweils
mehrere Interpretationen zu. So ist auch meine Interpretation dieser Passage
nur eine unter mehreren Möglichkeiten. Dass Schroeder seine Forderung nach
"besserer Integration" hier nicht nur auf Migranten sondern auch auf
"Einheimische" bezieht, scheint mir aber unwahrscheinlich, denn damit würde
er Heitmeyers Desintegrationsthese in einem wichtigen Punkt befürworten.
Diese lehnt er jedoch vehement ab (S. 147, S. 489).
(9) Zur Kritik einer solchen Sichtweise vgl. Soysal 2002,
S. 235: "Der erweiterte Diskurs über Integration bezieht sich dann eher auf
die nachdrückliche Aufrechterhaltung der Unversehrtheit der nationalen
Ordnung als darauf, die erfahrenen Ungleichheiten zu beseitigen, die meist
der Andersartigkeit der Migranten zugeordnet und von der sozialen
Tagesordnung der Politik und der Wissenschaft gestrichen werden." Kaum
jemand wird hingegen bestreiten, dass die Integrationspolitik in
Deutschland, insbesondere auch auf der Ebene der Schulen und
Jugendeinrichtungen, einiges nachzuholen hat. Wirksamere
Integrationsangebote sind meinem Verständnis nach primär deshalb
wünschenswert, um die Lebenssituation von Migranten in Deutschland zu
verbessern. Mittelbar zieht eine bessere Integration höchstwahrscheinlich
auch positivere Einstellungen gegenüber Migranten nach sich. Hierin, wie
Schroeder, den "Schlüssel" für das Problem der Ausländerfeindlichkeit zu
sehen, unterstellt jedoch, "schlecht" integrierte Migranten seien für
ablehnenden Einstellungen mitverantwortlich.
(10) Er verweist lediglich auf die Uneinigkeit der
Sozialwissenschaften in der Definition des Begriffs, ohne jedoch deutlich zu
machen, wie er selbst ihn versteht. Tatsächlich ist der Begriff nicht nur
durch seine Unschärfe problematisch, sondern vor allem durch seine Semantik.
(Hierzu vgl. Zick 1997, Steil 1995, Mandel 2002). Aus dem Kontext erschließt
sich, dass sich die zitierten Passagen auf die Einstellungsdimension von
Ausländerfeindlichkeit beziehen. Im Folgenden wird der Begriff
"Ausländerfeindlichkeit" daher als Synonym für ausländerfeindliche
Einstellungen gebraucht. Ferner gehe ich von einem sozialpsychologischen
Verständnis von Ausländerfeindlichkeit im Sinne der "Social Identity Theory"
aus, das ich im Folgenden näher erläutere.
(11) Dass Schroeder die Zahlen aus offiziellen
Statistiken und der eigenen Befragung deshalb nicht zusammengeführt hat,
weil letztere nicht repräsentativ ist, dagegen spricht sein ansonsten laxer
Umgang mit der nicht gegebenen Repräsentativität. Die eigenen
Untersuchungsergebnisse und die Zahlen aus den Einwohnerstatistiken zeigen
jedenfalls für die vier in West- und Ostdeutschland gelegenen Städte jeweils
keine Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen ausländerfeindlichen
Einstellungen und Ausländeranteil an der Wohnbevölkerung. So war der
Ausländeranteil an der Bevölkerung der beiden in Westdeutschland gelegenen
Städte 2002 in etwa gleich hoch (6,0 und 6,4%), in der niedersächsischen
Stadt sind ausländerfeindliche Einstellungen unter den von uns befragten
Schülerinnen und Schülern jedoch deutlich verbreiteter (zwischen 15,4 u.
24,9%) gegenüber der bayerischen Stadt (zwischen 12,2 u. 17, 1%). In den
beiden ostdeutschen Städten ist der Ausländeranteil ebenfalls ungefähr
gleich hoch (bzw. niedrig) bei 2,2%, bzw. 1,8%, die Unterschiede in den
ausländerfeindlichen Einstellungen fallen indes noch gravierender aus als
bei den westdeutschen Städten. (16,2 bzw. 22,7 % in der brandenburgischen
Stadt gegenüber 7,8 bzw. 16,2 % in der thüringischen. (S.460, Tab. 80 u. S.
276, Tab. 44). Da die Befragung nicht repräsentativ ist, lässt sich ein
Zusammenhang damit zwar nicht falsifizieren, aber in Frage stellen.
Sehr detailliert hat Andreas Zick den von anderer Autoren behaupteten
Zusammenhang zwischen Verbreitung ausländerfeindlicher Einstellungen und dem
Anteil von Ausländern an der Wohnbevölkerung widerlegt. (Zick 1997, S. 372
u. 379f)
(12) Auch hier ist unwahrscheinlich, dass Schroeder die
Zahlen aus den Tatverdächtigen-Statisiken aus methodischen Skrupeln nicht
mit den eigenen Untersuchungsergebnissen zusammengeführt hat. Denn er
bestand darauf, die Zahlen aus den Polizeilichen Kriminalstatistiken (PKS)
trotz der darin enthaltenen Verzerrungen im Buch abzudrucken. Da die Zahlen
überhaupt (vgl. Gundlach & Menzel 1992) und insbesondere zu ausländischen
Tatverdächtigen (Steffen 1992, Pfeiffer et al. 1998, Mansel & Albrecht 2003)
nur unter großen Vorbehalt zu verwenden sind, möchte ich hier lediglich
darauf hinweisen, dass auch wenn man die verzerrten Zahlen zu
Gewaltkriminalität ausländischer Tatverdächtiger mit den
ausländerfeindlichen Einstellungen in den jeweiligen Städten
gegenüberstellt, keine Korrelation festgestellt werden kann. So sind z.B. in
der PKS der bayerischen Stadt ausländische Tatverdächtige beim Sektor
Gewaltkriminalität mehr als doppelt so oft aufgeführt wie in der
niedersächsischen Stadt, während ausländerfeindliche Einstellungen unter den
Befragten in der niedersächsischen Stadt deutlich verbreiteter sind. In der
brandenburgischen Stadt ist der Anteil ausländischer Tatverdächtiger etwa
halb so hoch wie in der thüringischen, in der brandenburgischen Stadt sind
aber doppelt so viele Befragte ausländerfeindlich eingestellt (nach "hartem"
Kriterium; 1,4-mal so viele nach "weichem" Kriterium). (Zahlen aus den PKS
sind aus Kapitel 6 entnommen: S. 368, S. 386, S. 409, S. 435.) Ein anderes
Bild ergibt sich auch dann nicht, wenn man jeweils den Anteil der
jugendlichen Tatverdächtigen an der gesamten Gewaltkriminalität mit
einbezieht. Sehr aussagekräftig sind auch diese Daten freilich nicht, da sie
aber in der Studie unkommentiert dargestellt werden und Freiraum für
Suggestionen und Spekulationen lassen, sei der Hinweis erlaubt, dass sie
jedenfalls die von Schroeder angestellten Überlegungen nicht stützen können.
(13) Der Begriff der "Fremdenfeindlichkeit" wird ebenso
wenig erläutert wie derjenige der Ausländerfeindlichkeit. Ich gehe hier
davon aus, dass Schroeder ihn synonym für "Ausländerfeindlichkeit"
gebraucht.
(14) Eine ähnliche Formulierung findet sich im Kapitel
"theoretische Erklärungsansätze für Rechtsextremismus und Jugendgewalt", die
hier als Aussage des Rechtsextremismusforschers Bernd Wagner dargestellt
wird: "Ursächlich für die Ausländerfeindlichkeit in Ostdeutschland sind – so
Wagner – weniger konkrete Erfahrungen mit Ausländern als vielmehr Reaktionen
auf die vielfältigen ökonomischen, sozialen und kulturellen
Umstrukturierungsprozesse (...) In Westdeutschland führten dagegen
ökonomische Ängste und langjährige (negative) Erfahrungen des Zusammenlebens
mit Ausländern zu ausländerfeindlichen Stimmungen, aber auch zu
gewalttätigen Aktionen." (S.146) In der genannten Quellenangabe kommt diese
Argumentation aber nicht vor. Vgl. Wagner 1994
(15) Vgl. Allport 1954, Feagin & Feagin 1993, Heckmann
1992.
(16) Vgl. Zick 1997, Miller & Brewer 1984, Wagner,
Hewstone & Machleit 1989.
(17) Diese wie andere Beobachtungen zu Wirkungsweisen von
Stereotypen und Vorurteilen unterstellen keinen vorgegebenen und
unabänderlichen Mechanismus. Stereotype wirken sich nur dann auf eine
Interaktion aus, wenn sie für die Handelnden als Referenzrahmen relevant
sind (Turner 1978, Zick 1997).
(18) Zu dieser Wirkungsweise von sozialen Vorurteilen
vgl. Simpson & Yinger 1985, Tajfel 1982, Turner 1982, Paranjpe 1986;
übertragen auf Ausländerfeindlichkeit vgl. Bukow & Llaryora 1988.
(19) Aus "Asterix-Band XXI" ("Das Geschenk Cäsars").
(20) Vgl. Simpson & Yinger 1985; Tajfel 1982.
(21) Vgl. Simpson & Yinger 1985; Tajfel 1982.
(22) Vgl, van Dijk 1987, Bukow & Llaryora 1988, Dittrich
& Radtke 1990a u. 1990b.
(23) Vgl. Feagin & Feagin 1993.
(24) Vgl. Steil 1995, Hagendoorn 1993. Der Abruf
ausländerfeindlicher Einstellungen verläuft genauso in umgekehrter Richtung:
Beim Thema "Ausländer" wird dann zwischen verschiedenen Gruppen von
Ausländern differenziert, die einzelnen Gruppen werden jedoch wieder
pauschalisiert, und schließlich bleiben sie als Beispiele für "Ausländer"
stehen.
(25) Dabei ist zu berücksichtigen, dass ethnische
Vorurteile sich wandeln. Nicht zuletzt die Erfahrung der Sanktionierung
offener Vorurteile kann dazu führen, dass ablehnende Einstellungen zwar in
dieser Form nicht mehr geäußert, dafür aber in Gestalt subtilerer Vorurteile
ausgesprochen werden. Einen Überblick zur Forschung über die Modernisierung
von Vorurteilen gibt Zick (1997).
(26) Einige Seiten zuvor verweist Schroeder lediglich auf
eine Quelle, die er im Kapitel 4 ausführlicher vorstellt: Die Studien des
Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, insbesondere den
sogenannten "Dunkelfeldstudien" (das sind Täter- und Opferbefragungen als
Korrektur oder Ergänzung zu Tatverdächtigen- und Verurteilten-Statistiken,
dem sogenannten Hellfeld") In diesen Studien ermitteln Pfeiffer et. al. in
deutschen Städten eine überproportional höhere Gewalttätigkeit von
Jugendlichen bestimmter nichtdeutscher staatlicher Herkunft, insbesondere
der Türkei. (Pfeiffer et al. 1998 u. 1999, Pfeiffer & Wetzels 2000a u.
2000b, Bundesministerium des Inneren & Bundesministerium der Justiz 2001)
Die Ergebnisse von Pfeiffer et al. sind ernst zu nehmen. Bezeichnend ist
aber, dass die Autoren selbst nicht davon ausgehen, dass von Ausländern
verübte Gewalt ausländerfeindliche Einstellungen beeinflussen könne. Dafür
weisen sie auf zahlreiche andere Fragen hin, die sich zu den Ergebnissen
stellen lassen, vor allem für eine nachfolgende kritische Beschäftigung mit
dem Thema. Für eine anerkennungstheoretische, mithin nicht kulturalistische
Interpretation der Ergebnisse plädiert Sutterlüty (1998) in Anlehnung an
Honneth (1992). Die Feldforschungen des Sozialanthropologen Schiffauer in
einem türkischen Dorf und unter Migranten aus diesem Dorf in Deutschland
deuten darauf hin, dass türkische Migranten nicht einfach kollektivistische,
traditionelle Vorstellungen aus ihrer alten Heimat "mitbringen". Vielmehr
gingen der Migration bereits Konflikte mit der Dorftradition voraus, die
Migration ist begleitet von komplexen Ablösungsprozessen und Neudefinitionen
von Identitäten, die auch die nachfolgenden Generationen betreffen.
(Schiffauer 1987 u. 1991, sowie weiterführend 2002 u. 2003). Generell gegen
eine kulturalistische Perspektive auf Migrationsprozesse argumentieren
Soysal 2002 und Mandel 2002.
(27) Dies wird an anderer Stelle deutlich. In einem
Beitrag für das Deutschlandradio Berlin philosophiert Schroeder über
"intellektuelle Zerrbilder", die durch eine Hegemonie linker
Sozialwissenschaftler und Journalisten erzeugt würden. Linksintellektuelle
würden, so Schroeder, den öffentlichen Diskurs in Deutschland mit Themen wie
Rechtsextremismus und Nationalsozialismus besetzen und eine
Auseinandersetzung mit den Problemen der Einwanderung ebenso verhindern, wie
sie angeblich lange Zeit eine "Einbettung" der Auseinandersetzung mit dem
NS-Regime in den historischen Kontext verhindert hätten, i.e. "die im Namen
des Kommunismus verübten Verbrechen, die alliierten Kriegsverbrechen oder
die moralische Einordnung der Vertreibung von Deutschen nach 1945". (siehe
http://www.dradio.de/dlr/sendungen/feuilleton/224691/, Zugriff am
22.04.04)
(28) Vgl. auch Ohlemacher 2001.
(29) So finden sich unter den Fragen und Statements, die
Schroeder in empirischen Studien zu Rechtsextremismus und
Ausländerfeindlichkeit als missverständlich oder ideologisch überformt
herausstellt, auch einige, für die eine solche Kategorisierung oder die
Begründung derselben m.E. fragwürdig ist. So kommentiert er z.B. die
Statements 'Die Deutschen sind nicht besser oder schlechter als die Türken
oder die Vietnamesen' und 'Ein Deutscher ist im Allgemeinen fleißiger und
zuverlässiger als ein Italiener und Franzose': "Selbstverständlich sind
Deutsche nicht fleißiger oder besser als andere. Dennoch kann man Schülern,
die die Meinung vertreten, Fleiß und Zuverlässigkeit spielten als
Eigenschaften in Deutschland eine höhere Rolle als in anderen Ländern,
keineswegs Ethnozentrismus vorwerfen." (S. 237)
Auch die Kritik an der Aussagekraft des folgenden Statements leuchtet m.E.
nicht ein: 'Wenn Arbeitsplätze knapp werden, sollte man die Ausländer wieder
in ihre Heimat zurückschicken.' Dass in der kritisierten Befragung unter
Berufsschülern etwa jeder Zweite dieser Aussage zustimmt, versteht Schoeder
so: "Dies mag der Sorge gerade von Berufsschülern um den eigenen
Arbeitsplatz (...) geschuldet sein, spricht allein für sich genommen noch
nicht für eine prinzipielle Ausländerfeindlichkeit (...)" (S. 230). Wie in
der Befragung "Ausländerfeindlichkeit" definiert ist, darüber sagt Schroeder
hier ebensowenig wie über sein Verständnis von "prinzipieller
Ausländerfeindlichkeit". Wenn er allerdings nicht einmal die Aussage
'Ausländer sollten so schnell wie möglich Deutschland verlassen' als
eindeutig ausländerfeindlich durchgehen lässt (S. 232), was versteht er dann
überhaupt unter Ausländerfeindlichkeit?
Schoeders Kritik an "linken" Sozialforschern geht überdies darüber hinweg,
dass von Wissenschaftlerrn auch Verzerrungen in die andere Richtung
vorgenommen werden. So vermutet er zwar, dass die Sinus-Studie von 1981
"auch und vielleicht in erster Linie politisch motiviert war"(S. 229). Für
die Umfrage des Institus für Demoskopie Allensbach (1984), die von dem
damaligen Innenminister herausgegeben wurde (vgl. Neidhardt 1985), hält er
sich mit einem solchen Verdacht jedoch zurück. Das Ergebnis, in Deutschland
gebe es ein größeres Potenzial gewaltbereiter Linksextremisten als
Rechtsextremisten, zweifelt er nicht an. Dennoch äußert er Kritik auch an
der hier verwendeten Rechtsextremismus-Skala und – wesentlich vorsichtiger –
an der Linksextremismus-Skala (S. 230). Neidhardts fundierte kritische
Analyse dieser Befagung, die eben diese politische Instrumentalisierung von
Meinungsforschung thematisiert, erwähnt er nicht, während er in der Kritik
der Sinus-Studie auf Neidhardt (1981) verweist.
(30) Z.B. Schmid 1998, Radtke, 1998, Steil 1995. Anders
als etwa der nationalistisch gewendete 68er Horst Mahler, stellt jedoch
keiner dieser Autoren den Charakter der zeitgenössischen Bundesrepublik als
Einwanderungsland in Frage.
(31) So problematisiert beispielsweise Armin Steil
(1995), dass Sozialpädagogen und Lehrer, die sich aufgrund der
nationalsozialistischen Geschichte Deutschlands eher mit den Opfern des
Holocausts identifizierten als mit den deutschen Tätern, die einen Bezug zu
Deutschland nur mit dem Verweis auf die durch Auschwitz entstandene Schuld
für sich akzeptierten, diese Sichtweise unbewusst auch von der nachfolgende
Generation einforderten. Dies sei für diejenigen Vertreter ihrer Klientel
unerheblich, die eine nationale Bezugsgröße zur Identifikation selbst
unwichtig fänden. Jugendliche, die diese nationale Bezugsgröße aber für ihre
Identität reklamieren möchten, gerieten mit den Pädagogen in ein Feld
verwobener Konflikte um Themen, die in der Erfahrungswelt der Jugendlichen
mit dem eigentlichen Konflikt gar nicht zusammenhängen. Sie fühlten sich
stigmatisiert und übertrügen die dadurch empfundene Ablehnung und Abwertung
auf andere, vorwiegend auf als privilegiert empfundene Gruppen, die von
Politikern ("die da oben") bis hin zu denjenigen reichten, die objektiv
gesellschaftlich benachteiligt seien (beispielsweise Asylbewerber). Dieser
Mechanismus von Stigmatisierungen funktioniere deshalb, weil der eigentliche
Konflikt unausgesprochen bleibe. Von Pädagogen sei daher nicht zu fordern,
dass sie einen positiven Bezug zu ihrer Nation entwickelten, sondern dass
sie sich ihrer eigenen Prägung bewusst und entsprechend damit umgehen
würden. In dieser Analyse fehlt m.E. allerdings mindestens eine weitere
Gruppe von Akteuren, nämlich diejenigen der Erwachsenengeneration, die in
Opposition zu den "68ern" der Erinnerung an Auschwitz aus dem Weg gehen und
einen "Schlussstrich" ziehen wollen. Den Fehler, verschiedene Generationen
in ihrer Position zur deutschen Geschichte jeweils als kohärent
darzustellen, begeht auch Morshäuser (1992), der jedoch sehr konsequent den
Nachwirkungen der nationalsozialistische Geschichte in einer
schleswig-holsteinischen Kleinstadt auf die Entstehung und vor allem dem
Umgang mit der örtlichen Skinhead-Szene nachgeht und feststellt, dass der
Bezug zur Gegenwart schon deshalb besteht, weil einige der
nationalsozialistischen Akteure im Ort noch leben. Diesen Aspekt blendet
Schroeder, der für seine Argumentation auch Morshäuser zitiert, völlig aus.
Selbst scharfe Kritik an deutschen Intellektuellen hinsichtlich ihres
Umgangs mit deutscher Geschichte und aktueller Politik muss sich nicht
moralisierenden und simplifizierenden Vermutungen bedienen, wie Oevermanns
(1998) Analyse des "kulturnationalen Syndroms" zeigt. Zum Konflikt um die
Perpetuierung der deutschen Vergangenheit in aktuellen gesellschaftlichen
und politischen Themenfeldern sowie einer alternativen Sichtweise vgl.
Borneman 2002.
(32) Vgl. ALLBUS 1990, 1992 und 1996, Steil 1995 sowie
die im kritisierten Buch zusammengefassten Studien.
hagalil.com
23-05-2004 |