Gedenkstättenstreit in Sachsen:
Waagschalen-Mentalität
Kontroverse Positionen zum
Gedenkstättenstreit in Sachsen und zu einem vorläufig zurückgezogenen Antrag
der CDU/CSU im Bundestag
Von Martin Jander
Der Streit um die Relativierung (1)
nationalsozialistischer Verbrechen ist nicht neu. Er begleitet die
Auseinandersetzung um die Aufarbeitung und öffentliche Präsentation des
DDR-Unrechts von Anbeginn an und hat bereits lange vorher (z.B. im so
genannten "Historikerstreit" (2)) eine wichtige
Rolle für die Erinnerungskultur in der - damals noch alten - Bundesrepublik
gespielt. Mit dem bereits vor drei Jahren eingeleiteten Rückzug des
"Zentralrats der Juden in Deutschland" aus der "Stiftung Sächsische
Gedenkstätten" hat sich der Streit jetzt an einem (teilweise) neuen
Gegenstand entzündet.
Die Aufkündigung der Mitarbeit in den Gremien der Stiftung
setzt nicht nur die Landesregierung Sachsens unter Legitimationsdruck. Wie
die vorläufige Rücknahme eines Gesetzantrages der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
("Gesamtkonzept für ein würdiges Gedenken aller Opfer der beiden deutschen
Diktaturen") zeigt, hat er auch Auswirkungen auf die Erinnerungskultur in
der - nunmehr neuen - Bundesrepublik insgesamt. Im Mittelpunkt des Streits
steht die Frage: In welcher Art und Weise soll in der Bundesrepublik an den
Nationalsozialismus und an die DDR erinnert werden? Die am Streit
Beteiligten geben darauf ganz verschiedene Antworten. Darüber hinaus wird
auch um die Organisationsform der Gedenkstättenpolitik gestritten.
Vorstellungen einer eher zentralisierten - deutlich vom Staat dominierten -
Erinnerungspolitik stehen dabei Ideen einer eher dezentralen - vom
Eigenengagement der Bürger getragenen - Arbeitsweise gegenüber. Der folgende
Bericht referiert wesentliche Ereignisse des unabgeschlossenen Streits und
zitiert zentrale Passagen entscheidender Dokumente. (3)
Waagschalen-Mentalität
Am 21. Januar 2004 hat der "Zentralrat der Juden in
Deutschland" seine Mitarbeit in den Gremien der "Stiftung Sächsische
Gedenkstätten" beendet. In der Pressemitteilung des Zentralrats heißt es:
Das im vergangenen Jahr vom sächsischen
Landtag verabschiedete Gesetz zur Errichtung der 'Stiftung Sächsische
Gedenkstätten' hat wichtige Fragen unbeantwortet. gelassen. Angebote der
kritischen und konstruktiven Auseinandersetzung über die sich
abzeichnende Analogisierung und Relativierung von NS-Verbrechen
gegenüber denen des Stalinismus und der Staatssicherheit der DDR wurden
bis zuletzt mit einem durch die Landesregierung verordneten Neubeginn
der Gedenkstättenarbeit vom Tisch gewischt. "Der vorliegende 'Neubeginn'
birgt unter anderem die Gefahr, durch 'Zwangsvereinigung' der
unterschiedlichen Interessenvertreter der Opferverbände im
Stiftungsbeirat fundamentale Unterschiede zwischen den Verbrechen der
Nationalsozialisten mit europäischer Dimension und denen der
Willkürherrschaft des Kommunismus in Ostdeutschland mit nationaler
Dimension einzuebnen", so Korn. (4)
Durch die Konzeption der sächsischen Landesregierung, die auch
bundespolitische Signalwirkung in der Gedenkstättenförderung
hinsichtlich einer Re-Nationalisierung des Gedenkens entfaltet, wird
geschichtspolitisch die Zeit nach 1945 unter dem Stichwort 'doppelte
Vergangenheit' einer 'Waagschalen-Mentalität' ausgesetzt - mit den
nationalsozialistischen Verbrechen in der einen und den kommunistischen
Verbrechen in der anderen Waagschale. In der Konsequenz bedeutet dies
die Aufkündigung des in der zweiten Enquetekommission des Deutschen
Bundestages 1999 mühsam errungenen Konsenses zur Gedenkstättenarbeit in
Deutschland. "Erinnerungskultur in Deutschland muss immer auch
europäisch verfasst sein und auf einem politischen und
wissenschaftlichen Dialog unter Einbeziehung der Opferverbände beruhen",
bekräftigt Korn die Entscheidung des Zentralrats. (5) |
NS-Opferverbände
Neben dem Zentralrat der Juden haben auch andere Gruppen ihre
Mitarbeit in der Stiftung aufgekündigt. Das "Heidelberger Dokumentations-
und Kulturzentrum der Deutschen Sinti und Roma" begründete die Aufkündigung
seiner Mitarbeit in einem Brief an die Stiftung:
Das am 28. Februar 2003 vom Sächsischen Landtag
verabschiedete Gesetz zur Errichtung der Stiftung Sächsische Gedenkstätten
hat sämtliche Bedenken und Forderungen der NS-Verfolgtenverbände
hinsichtlich einer differenzierten Aufarbeitung und Darstellung der
NS-Geschichte sowie deren deutliche inhaltliche Trennung von der Geschichte
nach 1945 ignoriert, anstatt diese als Grundlage für den viel zitierten
"Neubeginn" der sächsischen Gedenkstättenpolitik heranzuziehen. (6) |
Der "Verband der Verfolgten des Naziregimes - Bund der
Antifaschisten e.V." erklärte die Beendigung seiner Mitarbeit mit einem
etwas anderen Zungenschlag:
Das im vergangenen Jahr vom sächsischen Landtag beschlossene
Stiftungsgesetz zu den Gedenkstätten ist eine Beleidigung und
Diskriminierung der Opfer des NS-Regimes. Das Gesetz postuliert einen
Vorrang auf das Gedenken an die Opfer des Stalinismus und die
Delegitimierung der DDR. Es wird ein Übergewicht für die Aufarbeitung von
DDR-Unrecht festgeschrieben. Gedenkstätten, die sich diesem Thema widmeten,
werden finanziell und personell bevorzugt. (7) |
Die "Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz e.V."
stellte ihre Mitarbeit ebenfalls ein und wies dabei gleichzeitig auf ein
nicht eingelöstes Anliegen hin:
An den Opfern der NS-Militärjustiz ist die blutigste
juristische Verfolgung der deutschen Geschichte verbrochen worden - allein
30.000 Todesurteile. Der zentrale Ort unserer Verfolgung war Torgau in
Sachsen, hier wurden über 1.000 Todesurteile gefallt - besonders gegen
Wehrmachtsdeserteure. Ab 1943 war Torgau Sitz des Reichskriegsgerichts.
Mehrere 10.000 unserer Opfer litten und starben in Torgau Fort-Zinna unter
unmenschlichen Haftbedingungen und Folter. Da es in Torgau auch nach 1945
eine Verfolgung gab, haben sich die Bundesregierung und das Land Sachsen
wegen der Schwere unserer Verfolgung darauf festgelegt: "in Torgau den
Schwerpunkt auf das Bewahren der Erinnerung an die Opfer der
NS-Militärjustiz" zu legen. Dennoch haben die nach 1945 Verfolgten am
Fort-Zinna eine Gedenkstätte und unsere Opfer haben weder dort noch sonst wo
in Torgau einen Ort, an dem sie auch nur Blumen niederlegen können. (8) |
Auch der "Dr.-Margarete-Blank-Haus Panitzsch e.V." stellte
seine Mitarbeit ein. Der Verein kümmert sich um das Andenken an die von den
Nazis hingerichtete Ärztin Margarete Blank aus Panitzsch. Ihm ist auch die
Leipziger Gedenkstätte für Zwangsarbeiter zu verdanken. Die Vorsitzende des
Vereins, Charlotte Zeitschel, begründete ihren Schritt mit dem sächsischen
Gedenkstättengesetz:
es stellt Opfer vor und nach 1945 auf die gleiche Stufe. (…)
Unser Austritt erfolgte nach langem Überlegen. Doch die Unterschiede
zwischen zwei Diktaturen dürfen mit einem Gesetz nicht eingeebnet werden.
(…) Es ist in erster Linie eine politische Entscheidung. Wir sind den
Überlebenden verpflichtet. (…) Unser Ziel ist, dass das Gesetz geändert
wird. (9) |
SächsGedenkStG
Im Mittelpunkt der Kritik der Opferverbände von Opfern des
Nationalsozialismus steht das Sächsische Gedenkstättenstiftungsgesetz
(SächsGedenkStG), das der Landtag Sachsens erst am 28. Februar 2003
verabschiedet hatte. Seit 1994 arbeitete die Stiftung auf der Basis eines
Kabinettsbeschlusses und einer Satzung. Im neuen Gesetz wird explizit keine
Unterscheidung zwischen dem Nationalsozialismus und der SBZ/DDR getroffen,
beide Regime werden aber auch nicht explizit gleich gesetzt. Im Gesetz heißt
es:
Zweck der Stiftung ist es, diejenigen Stätten im Freistaat
Sachsen zu erschließen, zu fördern und zu betreuen, die an politische
Gewaltverbrechen von überregionaler Tragweite, von besonderer historischer
Bedeutung, an politische Verfolgung, an Staatsterror und staatlich
organisierte Morde, erinnern. Die Stiftung hat die Opfer politischer
Gewaltherrschaft und den Widerstand gegen die Diktaturen zu würdigen sowie
die Strukturen und Methoden der jeweiligen Herrschaftssysteme für die
Öffentlichkeit zu dokumentieren. (10) |
Durch die Zusammenführung aller Opferverbände in einem Beirat
der Gedenkstättenstiftung [SächsGedenkStG, § 9 und § 10] wird jedoch eine
Analogisierung von Nationalsozialismus und SED-Diktatur nahe gelegt. In
anderen Bundesländern gibt es – trotz gleicher Gesetzeslage mit einem Beirat
- davon abweichende Verfahrensweisen. Das Beispiel Brandenburg, aber auch
Thüringens zeigt, wie Gedenkstättenarbeit in größerem Einvernehmen mit allen
Opfergruppen geschehen kann. Zwar werfen auch Orte wie das KZ Sachsenhausen
das Problem der "zweifachen Vergangenheit" auf. Entsprechend gibt es im
Opferbeirat jedoch auch zwei Arbeitsgruppen. Die Stiftung in Thüringen hat
sogar drei Arbeitsgruppen: je eine für die KZ-Gedenkstätten Mittelbau-Dora
und Buchenwald sowie eine für das dortige sowjetische Speziallager. Die
Einrichtung dieser verschiedenen Gremien erfolgte in diesen Ländern über den
Weg von Satzungen bzw. Geschäftsordnungen. Allerdings enthält das Sächsische
Gedenkstättenstiftungsgesetz ausdrücklich die Möglichkeit der Einrichtung
von Arbeitsgruppen zu unterschiedlichen Themengebieten [SächsGedenkStG, §
10, Abs. 4]. Bislang war eine solche Möglichkeit der Aufteilung des
Stiftungsbeirates jedoch von einer Mehrheit seiner Vertreter abgelehnt
worden.
Die Weigerung eine solche Aufteilung durchzuführen, hat
offenbar verschiedene Gründe. Die Motive reichen von einem ideologisierten
Verständnis der Totalitarismus-Theorie (NS-Opfer und Opfer stalinistischer
Gewaltverbrechen sind gleich zu behandeln) bis hin zu eher taktischen
Argumenten: Man möchte den Vertretern der PDS nicht das Thema des
NS-Gedenkens überlassen. Der Vorsitzende des Stiftungsbeirats in Sachsen,
Tobias Hollitzer, hat seine Argumentation kurz nach dem Auszug des
Zentralrats der Juden und der anderen NS-Opferverbände öffentlich gemacht.
Er verdeutlicht seine Haltung durch rhetorische Fragen:
Worin aber soll nun die Unzumutbarkeit der gemeinsamen Arbeit
in einem Beirat liegen? Gibt es Opfer verschiedener Klassen? Liegt es doch
an den unausgesprochenen Vorwürfen: Wer im Speziallager war, muss doch
irgendetwas mit den Nazis zu tun gehabt haben? Oder geht es um
politisch-ideologisches Kalkül? Alle Beteiligten können nur gewinnen, wenn
Sie in einem Gremium zusammen gegen das Vergessen arbeiten. Die Arbeit muss
vom Respekt vor der individuellen Leidensgeschichte aller Opfer getragen
werden und von wissenschaftlicher Objektivität geprägt sein. (11) |
CDU/CSU-Antrag
Ein weiterer Anlass zur Kritik des Zentralrats war ein Antrag
der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, der ursprünglich am 30. Januar 2004 zur
Abstimmung gebracht werden sollte, nach dem Eklat in Sachsen jedoch
(vorläufig) zurückgezogen wurde (12). Ob
er erneut zur Abstimmung gestellt wird, darüber gibt es widersprüchliche
Aussagen. Der unter Federführung von Günter Nooke entstandene Antrag lehnt
sich explizit an das Sächsische Gedenkstättenstiftungsgesetz an. Er geht in
seinen Formulierungen sogar noch darüber hinaus. Im Antrag heißt es z.B.:
Zu den konstitutiven Elementen des wiedervereinten
Deutschlands gehört das Gedenken an die Opfer der beiden totalitären
Diktaturen des 20. Jahrhunderts: Nationalsozialismus und Kommunismus. Beide
sind Bestandteile der deutschen Geschichte. Sowohl die
nationalsozialistische Herrschaft von 1933 bis 1945 als auch die
kommunistische Diktatur von 1945 bis 1989 sind Kapitel unserer
Nationalgeschichte. Es bedarf eines Konzeptes, das Institutionen und
historische Orte beinhaltet, die an beide Diktaturen erinnern. In diesem
Zusammenhang sei auf eine Reihe historischer Orte und heutiger Gedenkstätten
verwiesen, die von beiden Diktaturen zur Unterdrückung von Opposition und
Widerstand genutzt wurden. Hier ist der Zusammenhang zwischen den Diktaturen
ohnehin evident. Der Umgang mit der "doppelten Vergangenheit" bildet dabei
eine besondere Herausforderung. Zur Umsetzung eines beide Diktaturen in
Deutschland berücksichtigenden, integralen Konzeptes sind inhaltliche,
administrative und finanzielle Fragen und Beteiligungen von Bund und Ländern
zu klären. (13) |
Der Antrag enthält eine vorläufige Liste von Gedenkstätten,
die von der CDU/CSU als "nationale Gedenkstätten" angesehen werden.
Besondere Kritik rief neben der Gleichsetzung von Nationalsozialismus und
DDR die Integration des Gedenkens an Vertriebene, Opfer des alliierten
Luftkrieges und die deutsche Einheit 1989/90 hervor. In der Begründung des
CDU/CSU-Antrages heißt es wörtlich:
In den Kontext der Folgen der Diktaturgeschichte sowie der
Überwindung totalitärer Regime in Deutschland gehört auch das Gedenken an
folgende Opfergruppen, Ereignisse sowie Themenkomplexe: - Opfer von Krieg
und Vertreibung; - zivile Opfer der alliierten Luftangriffe des Zweiten
Weltkrieges; - friedliche Revolution und Wiederherstellung der staatlichen
Einheit. Ziel einer gesellschaftlichen Debatte sollte es sein, auch an diese
Ereignisse in Form von jeweils zentralen Gedenkstätten von nationaler
Bedeutung zu erinnern. (14) |
Unverständnis
Der Protest des Zentralrats der Juden in Sachsen hat
unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen. Die "Stiftung Sächsische
Gedenkstätten" selbst reagierte mit Unverständnis. In der Erklärung des
Geschäftsführers Norbert Haase heißt es:
Der Geschäftsführer der Stiftung Sächsische Gedenkstätten,
Dr. Norbert Haase, bedauerte in einer ersten Stellungnahme die Entscheidung
des Direktoriums des Zentralrates. "Der Zentralrat hat in den Jahren seit
Gründung der Stiftung im Jahre 1994 deren Arbeit immer konstruktiv
begleitet. Ich hoffe, dass diese Entscheidung noch nicht das letzte Wort des
Zentralrates ist." Zugleich erklärte Dr. Haase, dass die Befürchtungen des
Zentralrates vor einer Analogisierung und Relativierung von NS-Verbrechen
gegenüber denen des Stalinismus und der Staatssicherheit der DDR nicht in
der bisherigen Arbeit der Stiftung begründet liegen könnten. "Ich kann nicht
erkennen, dass diese Entwicklung etwas mit unserer Arbeit zu tun hat. Diese
zielte von Anbeginn darauf ab, an die Opfer der nationalsozialistischen
Diktatur, der sowjetischen Besatzung und des SED-Regimes zu erinnern, ohne
das jeweilige Unrecht und das Leid gegeneinander aufzurechnen, zu
bagatellisieren oder zu relativieren." (15) |
Auch das Wissenschaftsministerium Sachsens erklärte sein
Unverständnis über diesen Schritt. (16)
Vorgeschichte in Sachsen
Die Überraschung der Stiftung über den Konflikt ist jedoch
selbst überraschend. Denn nicht nur im Stiftungsbeirat (in dem die
Opferverbände zusammen treffen) sondern auch im Stiftungsrat (in dem
Vertreter des Bundes und der Landesregierung, die Religionsgemeinschaften
Sachsens, die Landeszentrale für politische Bildung, das Hannah Arendt
Institut, der sächsische Landebeauftragte für die Stasi-Unterlagen, u. a.
vertreten sind) wurde die Kritik lange und laut vor dem Eklat 2004
formuliert (17). Der Konflikt zieht sich
bereits mehr als drei Jahre hin.
Den eigentlichen Kern des Konflikts in Sachsen sehen fast
alle Beteiligten in Auseinandersetzungen um die Ausgestaltung des Gedenkens
in Torgau. Mit den beiden Militärgefängnissen "Fort Zinna" und "Brückenkopf"
und dem Reichskriegsgericht, das im August 1943 von Berlin nach Torgau
verlegt wurde, entwickelte sich Torgau während des Zweiten Weltkriegs zur
Zentrale des Wehrmachtstrafsystems. Nach dem Ende des Krieges richtete die
sowjetische Geheimpolizei im "Fort Zinna" und in der benachbarten
"Seydlitz-Kaserne" die Speziallager Nr. 8 und Nr. 10 ein, in denen Deutsche,
aber auch sowjetische Staatsbürger interniert oder als Verurteilte von
Sowjetischen Militärtribunalen gefangen gehalten wurden. Die DDR
Volkspolizei nutzte das Gefängnis "Fort Zinna" von 1950 bis 1990 für den
Strafvollzug, in den fünfziger Jahren saßen hier insbesondere politische
Gefangene. Streit gibt bis heute nicht um die Dokumentation der
unterschiedlichen Schreckensperioden dieses Ortes sondern um die
Ausgestaltung des Gedenkens an die verschiedenen Opfergruppen.
Bereits im September 2000 protestierte die "Bundesvereinigung
der Opfer der NS-Militärjustiz e.V." - sie ist eben mit der Form des
Gedenkens an die Opfer der Militärjustiz in Torgau nicht einverstanden - im
Stiftungsbeirat gegen die Vereinigung aller Opferverbände in einem Beirat.
Der Stiftungsbeirat ließ eine Debatte über den Antrag zwei Beiräte
einzurichten jedoch nicht zu. Darauf hin stellten der Zentralrat der Juden
und der Landesverband der jüdischen Gemeinden in Sachsen ihre Mitarbeit im
Stiftungsbeirat ein. Im November 2000 desselben Jahres forderten sie
zusätzlich im Stiftungsrat die Einrichtung von zwei getrennten Beiräten für
die unterschiedlichen Opfergruppen und kündigten die Beendigung ihrer
Mitarbeit in allen Stiftungsgremien an, falls ihrem Antrag nicht entsprochen
werde. Das Sitzungsprotokoll der Sitzung vom 8. November referiert den
Redebeitrag des Vertreters des Zentralrats im Stiftungsrat:
Herr Dr. Fischer (…) weist zunächst darauf hin, dass die
Ablehnung einer künftigen Mitwirkung im Rahmen der bisherigen Struktur des
Beirates, sowohl mit dem Beiratsmitglied und Gedenkstättenbeauftragten des
Zentralrates der Juden in Deutschland, Dr. Salomon Korn, als auch mit dem
Vertreter des Landesverbandes der jüdischen Gemeinden Sachsens im Beirat,
Herrn Joachim Aris, nach der vergangenen Beiratssitzung besprochen wurde,
und falls eine Meinungsäußerung hierzu erwünscht werde (Dr. Fischer erinnert
an seinen Beobachterstatus in diesem Gremium), er auch beauftragt worden
sei, diese Position zu begründen. Im Wesentlichen beruhe diese Entscheidung
auf den Tatsachen, dass schon seit anderthalb bis zwei Jahren die Arbeit des
Beirates geradezu paralysiert erscheine. Insbesondere leide die Diskussion
wichtiger Sachfragen unter persönlichen Angriffen. So sei sogar ein
Beschluss des Beirates, mit Herrn Baumann [er vertritt die Bundesvereinigung
Opfer der NS-Militärjustiz e.V. – der. Verf.] ein Gespräch über dessen
Probleme bei der Mitwirkung im Beirat zu führen, vom seinerzeitig
kommissarischen Vorsitzenden, Herrn Bergmann, ignoriert worden. Die
Tatsache, dass Herr Baumann wieder an den Tisch zurückgekehrt war, ist
einzig und allein im Resultat von Bemühungen des Geschäftsführers Dr. Haase
und eigenen Anstrengungen zustande gekommen. Dr. Fischer übt eingedenk
dessen scharfe Kritik am Ablauf der letzten Sitzung des Beirates, auf der
die Mehrheit der Mitglieder eine Diskussion der Anträge Baumanns per
Beschluss abgelehnt habe. (…) Der Zentralrat und der Landesverband seien zu
einer konstruktiven Mitarbeit in getrennten Gremien bereit. Solange der
Beirat jedoch in seiner jetzigen Form bestehe, würden sie die Mitarbeit
einstellen. Herr Dr. Fischer verlässt nach dieser Stellungnahme die Sitzung.
(18) |
Die Mehrheit der Vertreter im Stiftungsrat hatte sich nach
dieser Intervention ausdrücklich gegen eine Veränderung der Arbeit im
Stiftungsbeirat ausgesprochen.
Auch bei der Beratung des Sächsischen
Gedenkstättenstiftungsgesetzes (SächsGedenkStG) hatte es über die Frage der
starken Vertretung der Landesregierung in der Stiftung und eine mögliche
Benachteiligung der NS-Opferverbände im Stiftungsbeirat Auseinandersetzungen
gegeben (19). Insbesondere der Gutachter
Professor Peter Steinbach (Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin) hatte
starke Zweifel am Gesetz geäußert (20).
Der Konflikt um das sächsische Gedenkstättenstiftungsgesetz, insbesondere um
die Arbeitsweise des Stiftungsbeirates, ist so keineswegs neu.
PDS-Sachsen
Die PDS in Sachsen hat auf den Konflikt mit dem Einbringen
einer Gesetzesnovelle im Landtag reagiert. Kernpunkte der Novelle sind: (1)
zwei unabhängige Stiftungsbeiräte, die Interessen von Verfolgten des
Nationalsozialismus sowie von Opfern der DDR gesondert wahrnehmen, (2) eine
Neuformulierung des Stiftungszwecks und außerdem (3) auch die Einbeziehung
der ehemaligen Konzentrationslager Hohenstein und Sachsenburg sowie der (4)
Zwangsarbeitergedenkstätte Leipzig in die Stiftungsaufgaben. Der – im
bisherigen Gesetz - umstrittene Absatz zur Zweckbestimmung des Gesetzes
lautete in der Fassung der PDS so:
Der Zweck der Stiftung ist es, diejenigen Stätten im
Freistaat Sachsen zu bewahren, wissenschaftlich begründet auszugestalten und
der Öffentlichkeit in geeigneter Weise zugänglich zu machen, die an Krieg,
Völkermord, Kriegsverbrechen, Staatsterror, Verbrechen gegen die
Menschlichkeit und andere Gewaltverbrechen, politische Unterdrückung und an
den Widerstand dagegen während der Zeit des Nationalsozialismus und zum
anderen an staatlich zu verantwortendes Unrecht, Repressionen und den
Widerstand hiergegen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der DDR
erinnern. Voraussetzung für die Förderung durch die Stiftung ist die
überregionale Bedeutung der Stätte des Gedenkens. (21) |
Der Gesetzentwurf wurde von Peter Porsch im Landtag
eingebracht und mit einer Mehrheit der Abgeordnetenstimmen in den "Ausschuss
für Wissenschaft und Hochschule, Kultur und Medien" – federführend – und an
den "Verfassungs- und Rechtsausschuss" überweisen.
Sächsische Bürgerrechtler
Tobias Hollitzer (Bürgerkomitee Leipzig), Andreas Schönfelder
(Umweltbibliothek Großhennersdorf) und Uwe Schwabe (Archiv Bürgerbewegung
Leipzig) - alle Mitglieder im Stiftungsrat bzw. Stiftungsbeirat der
Gedenkstättenstiftung Sachsens - haben einen offenen Brief an Salomon Korn
gerichtet, in dem sie ihr Unverständnis über den Schritt des Zentralrats
äußern:
Es besteht absolut kein Dissens darüber, dass die Geschichte
der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Sachsen nicht darzustellen
und zu vermitteln ist, ohne ihre europäische und Weltdimension zu
berücksichtigen. Es gibt aus unserer Sicht auch keine Tendenz, die beiden
verheerenden Diktaturformen des 20. Jahrhunderts mit dem Ziel zu
vergleichen, den Nationalsozialismus zu bagatellisieren oder gar dem
Holocaust seine Singularität abzusprechen. Es geht uns vielmehr darum,
Zeitgeschichte zu erhellen, die nachhaltige Auseinandersetzung zu initiieren
und vor allem Jugendliche zu interessieren und zu sensibilisieren. Wir haben
ein Interesse daran, Differenzen wie Parallelen aufzuzeigen und den Focus
auf zu unrecht vernachlässigte Themen zu lenken. Sehr schmerzlich ist für
uns deshalb der Umstand, dass Sie dem Umfeld der Stiftung Sächsische
Gedenkstätten Geschichts-Revisionismus unterstellen. Es gibt keinen Grund
anzunehmen, dass die Ergebnisse unserer Arbeit dazu dienen sollen oder
könnten, den Holocaust oder die Geschichte des Nationalsozialismus zu
verharmlosen. Auch im Sächsischen Gedenkstätten-Stiftungsgesetz können wir
eine solche Tendenz nicht feststellen. Lassen Sie uns noch einmal
versichern, dass wir NS-Unrecht gegenüber DDR-Unrecht nicht relativieren
wollen. Unser Bemühen, die Aufarbeitung der SED-Diktatur in der
gesamtdeutschen Erinnerungskultur zu etablieren, ist ausdrücklich nicht mit
der Absicht einer "Analogisierung und Relativierung von NS-Verbrechen
gegenüber denen des Stalinismus und der Staatssicherheit in der DDR"
verbunden. Wir würden gern mit Ihnen ins Gespräch kommen, um einen
notwendigen Beitrag dazu zu leisten, aus dieser schwierigen Situation heraus
zu einem kooperativen Diskurs zu finden. Selbst für den Fall, dass wir -
ohne es zu ahnen - Teil des Problems geworden sein sollten, liegt uns sehr
daran, nun auch Teil der Lösung zu werden. (22) |
SBZ/DDR-Gedenkstätten
Die "Arbeitsgemeinschaft Gedenkstätten zur Diktatur in SBZ
und DDR" äußert sich zum vorläufig zurückgezogenen Antrag der CDU. Sie
möchte ihn modifiziert erhalten. In einer am 30. Januar 2004 herausgegebenen
Pressemeldung erklären Tobias Hollitzer (Vorsitzender des Stiftungsbeirates
der Stiftung sächsischer Gedenkstätten), Silke Klewin (Gedenkstätte Bautzen)
und Joachim Scherrieble (Gedenkstätte deutsche Teilung Marienborn):
Die Arbeitsgemeinschaft Gedenkstätten zur Diktatur in SBZ und
DDR hält es für wichtig, die entfachte Diskussion auf einer sachlichen
Grundlage weiterzuführen. Im Jahr 15 nach der Friedlichen Revolution, die
Mauerfall und deutsche Einheit herbeiführte, erscheint es sinnvoll,
systematisch über die Topographie der bundesdeutschen Gedenk- und
Erinnerungskultur zu diskutieren, die in Teilen gewachsen, ererbt, bewusst
aufgebaut und auch von Zufällen geprägt ist. Für den antitotalitären Konsens
in der Gesellschaft ist es unabdingbar, sich mit beiden deutschen Diktaturen
auseinanderzusetzen und sie in ihren historischen wie internationalen
Kontext einzuordnen. Wir halten es für selbstverständlich, dass diese dabei
nicht gleichgesetzt werden. Jedem Versuch, den Holocaust und die monströsen
NS-Verbrechen in ihrer historischen Einzigartigkeit zu verharmlosen, werden
wir entschieden entgegentreten. Gleiches gilt auch für Bestrebungen, die
Verbrechen und das Unrecht der kommunistischen Diktatur in Deutschland mit
Hinweis auf den Nationalsozialismus zu bagatellisieren. Die "Konzeption der
künftigen Gedenkstättenförderung des Bundes", die auf den Empfehlungen der
"Enquetekommission zur Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozess
der deutschen Einheit" basiert, ist unserer Ansicht nach ein großer
Fortschritt. Bei den darin genannten Erinnerungsorten von "herausragender
gesamtstaatlicher Bedeutung" handelt es sich sowohl um Stätten des Gedenkens
an die Opfer der NS-Terrorherrschaft als auch der SED-Diktatur. Wir halten
es für grundlegend nötig, in Ruhe und Sachlichkeit klare und transparente
Maßstäbe für die Konzeption der künftigen Gedenkstättenlandschaft zu
entwickeln. Deren dezentrale Struktur sollte dabei unangetastet bleiben, da
sie sowohl Ausdruck der verschiedenen Verfolgungsperioden als auch Grundlage
für eine regional verortete historisch-politische Bildungsarbeit ist. Es
wäre folgerichtig und wünschenswert, dass die Bundesrepublik ein größeres
finanzielles Engagement für Stätten von herausragender gesamtstaatlicher
Bedeutung, die an nationalsozialistische Verbrechen und an die SED-Diktatur
erinnern, übernimmt. Vorschläge dazu sollten nicht mit dem Versuch im Keim
erstickt werden, die jeweiligen Verfolgungsperioden gegeneinander
aufzurechnen, zu verharmlosen oder zu bagatellisieren. (23)
|
Stiftung Aufarbeitung
Auch die Bundestagsabgeordneten Markus Meckel (SPD) und
Rainer Eppelmann (CDU) haben sich im Namen der "Stiftung Aufarbeitung" zum
Konflikt und die sächsische Gedenkstättenpolitik zu Wort gemeldet. Sie
befürchten vor allem eine Instrumentalisierung der Diktaturaufarbeitung im
politischen Tageskampf:
Mit Bestürzung verfolgen wir den Konflikt um die Stiftung
Sächsische Gedenkstätten. Im Kern geht es dabei um den jeweils angemessenen
Umgang mit den beiden Diktaturen in Deutschland. In den neunziger Jahren
schien nach intensiver und kontroverser Diskussion hier ein Konsens erzielt
worden zu sein: "NS-Verbrechen dürfen nicht durch die Auseinandersetzung mit
dem Geschehen der Nachkriegszeit relativiert werden, das Unrecht der
Nachkriegszeit darf aber nicht mit dem Hinweis auf die NS-Verbrechen
bagatellisiert werden". Dieser Leitsatz kennzeichnete die Empfehlungen der
von uns geleiteten Enquete-Kommission "Überwindung der Folgen der
SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit", die u. a. in die derzeit
gültige Gedenkstättenkonzeption des Bundes mündeten. (…) Wir sind der
Überzeugung, dass insbesondere die gravierenden Unterschiede zwischen den -
aber auch die Gemeinsamkeiten der - beiden Diktaturen in Deutschland in der
historisch-politischen Bildungsarbeit den heranwachsenden Generationen
langfristig nur dann vermittelt werden können, wenn der
Vergangenheitsdiskurs zu einer ausreichenden Schnittmenge findet, Wir
wünschen uns, dass jene, die selbst oder im Familienkreis auf höchst
unterschiedliche Weise erleben mussten, wie totalitäre Regime in Deutschland
zum Völkermord oder zur jahrzehntelangen, Unterdrückung der Menschen im
Stande waren und die Menschenwürde missachteten, die Kraft zum Dialog
finden; sei es in gemeinsamen Gremien oder in der öffentlichen Debatte. Und
so appellieren wir, die derzeitige Kontroverse als Chance zu nutzen, um den
Erinnerungskonsens zu bekräftigen, weder den Nationalsozialismus zu
relativieren, noch die Geschichte der Diktatur in der SBZ und DDR zu
bagatellisieren. (24) |
KZ-Gedenkstätten
Hingegen hat die "Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in
der Bundesrepublik Deutschland" am 26 Januar erklärt, dass sie den Protest
des Zentralrats der Juden gut versteht. Die von Volkhard Knigge
(Gedenkstätte Buchenwald) verfasste Erklärung beschäftigt sich zunächst mit
dem Gedenkstättengesetz Sachsens und fährt dann fort:
Obwohl die Arbeit der Gremien der sächsischen Stiftung seit
Jahren von NS-Opferverbänden kritisiert wird, soll das sächsische
Gedenkstättengesetz zur Grundlage eines Bundesgedenkstättengesetzes werden,
das - von einer Gruppe CDU-Abgeordneter unter Federführung des Berliner
Abgeordneten Günter Nooke ausgearbeitet - am 30. Januar im Bundestag beraten
werden soll. Dieser Gesetzentwurf kündigt Grundlagen für die
Gedenkstättenarbeit auf, die im Rahmen der noch in der Regierungszeit
Bundeskanzler Kohls eingesetzten "Enquetekommission zur Überwindung der
Folgen der SED-Diktatur im Prozess der deutschen Einheit" 1995 – 1998 in
einem breiten, pluralen Diskussionsprozess unter Anhörung aller
Opferverbände und zahlreicher Sachverständiger gefunden wurden. Entsprechend
dem sächsischen Stiftungsgesetz sollen weniger die konkreten Geschichten der
zwei deutschen Diktaturen in ihren Unterschieden und Gemeinsamkeiten als
vielmehr pauschal totalitäre Gewaltherrschaft erinnert werden. Trennschärfe
und Exaktheit geschichtlicher Darstellung als unabdingbare Voraussetzungen
des antitotalitären Konsenses gehen auf diese Weise verloren. Es fällt
beispielsweise nicht mehr ins Gewicht, dass der Nationalsozialismus ganz und
gar hausgemacht war, die SED-Diktatur dagegen hauptsächlich auf den
Bajonetten der Roten Armee beruhte. (25) |
IC MEMO
Eine ähnliche Position vertritt auch das "International
Commitee for Memorial Museums for the Remembrance of Victims of Public
Crimes"(IC MEMO) (26). Es hält den
inzwischen vorläufig zurückgezogenen CDU-Antrag für problematisch. Im Namen
der Organisation erklärt Wulff E. Brebeck (Kreismuseum Wewelsburg) im Januar
2004:
Die geplante Kanonisierung einiger der vielen
Erinnerungsmuseen zu nationalen Museen hat zwei große Mängel: Das Engagement
von Bürgerbewegungen zur Einrichtung von Erinnerungsstätten verbietet eine
Politik des "closed shop". Außerdem sind einige der im Antrag [der CDU/CSU –
der Verf.] nicht genannten Museen von großer nationaler und internationaler
Bedeutung, zum Beispiel das "Dokumentationszentrum der deutschen Sinti und
Roma" in Heidelberg oder das STALAG-Erinnerungsmuseum im Schloss
Holte-Stukenbrock, das sehr schreckliche Erinnerungen von Menschen aus
Russland dokumentiert. Die vom Antrag geforderte Politik scheint ein Versuch
zu sein, Erinnerung unter die Kontrolle der Zentralregierung zu stellen.
Dies erinnert an die Erinnerungs-Politik, die man in der DDR und anderen
osteuropäischen Ländern während der sozialistischen Epoche machte. Ihr
Fehlschlag ist allgemein bekannt. Ihr Ergebnis war eine scharfe Trennung
zwischen einer staatlich erzwungenen Erinnerung und der persönlichen
Erfahrung von Geschichte. In dieser Hinsicht scheint die Politik, die vom
Antrag gefordert wird, einen Rückfall in die Zeit vor der zweiten
Enquetekommission des Deutschen Bundestages (…) zu sein. (27) |
Erste Sondierungsgespräche
Der Konflikt ist bislang ungelöst. Der vorerst letzte Akt war
ein "Sondierungsgespräch" zwischen dem Ministerpräsidenten Sachsens und dem
Zentralrat der Juden in Deutschland. Am 25. Februar 2004 kam man in Berlin
zusammen. Nach Angaben des Wissenschaftsministers Rößler wird es auch mit
den anderen NS-Opferverbänden Gespräche geben, die ihre Mitarbeit in der
Gedenkstättenstiftung aufgekündigt haben. Genaue Termine hierfür gibt es
aber noch nicht. Das Gespräch endete ergebnislos. Die Landesregierung
Sachsens hatte bereits vorher erklärt, dass sie die Einrichtung von zwei
getrennten Stiftungsbeiräten ablehnt. In einer Meldung der
Nachrichtenagentur DDP heißt es lapidar:
Der Zentralrat der Juden in Deutschland und der Freistaat
Sachsen sind weiter uneins über das Gesetz zur Gedenkstättenstiftung. Ein
einstündiges Sondierungsgespräch von Ministerpräsident Georg Milbradt und
Wissenschaftsminister Matthias Rößler (beide CDU) mit Zentralratspräsident
Paul Spiegel und dessen Stellvertreter Salomon Korn am Mittwoch in Berlin
blieb ohne konkretes Ergebnis. Die Staatskanzlei sprach lediglich von einem
offenen Meinungsaustausch. Zudem hätten sich beide Seiten auf eine
Fortsetzung der Gespräche verständigt. (28) |
Wie außerdem aus einer Meldung des Evangelischen
Pressedienstes epd (29) zu erfahren ist,
führt der Zentralrat der Juden auch Gespräche mit der CDU-Chefin Angela
Merkel. In diesen Gesprächen soll es um den vorläufig zurückgezogenen
CDU-Antrag im Bundestag gehen. Eine offizielle Bestätigung für diesen
Gesprächskontakt gibt es jedoch nicht.
Der Artikel erscheint demnächst in der Zeitschrift "Horch und
Guck",
www.buergerkomitee.org
Aktualisierte Version:
Gedenkstätten-Konzept der Union
Dr. Martin Jander, geb. 21.1.1955, Historiker,
studierte Geschichte, Germanistik und Politikwissenschaften an der
Freien Universität Berlin. Nach seinem Studium arbeitete er zunächst als
Erwachsenenbildner bei den Gewerkschaften, später als Forscher am
Otto-Suhr-Institut der Freien Universität. Heute arbeitet er als freier
Autor, forscht, lehrt und publiziert zu den Themen Politische Theorien,
Nationalsozialismus, Shoah und Deutsche Nachkriegsgeschichte. Darüber
hinaus ist er Mitarbeiter der Redaktion der Zeitschrift Horch und Guck
und betreibt in Berlin die Stadtführungsagentur Unwrapping History, die
Besucher Berlins und Potsdams mit den Hinterlassenschaften der
wesentlichen Epochen der verworrenen deutschen Geschichte bekannt macht.
Veröffentlichungen: Martin Jander, Theo Pirker über 'Pirker',
Marburg 1988; M.J., Formierung und Krise der DDR-Opposition, Berlin
1996; M.J., Vorläufige Chronologie - Verfolgung, Opposition, Dissidenz
und Verweigerung in der DDR 1945 - 1990, Berlin 1997; M.J., Berlin
(DDR). Ein politischer Stadtspaziergang, Berlin 2003 |
Anmerkungen:
(1) Der Begriff "Relativierung" bedeutet, dass jemand
durch Gleichsetzung verharmlost. Wer z.B. den Nationalsozialismus mit der
DDR gleichsetzt, verharmlost den Nationalsozialismus. Man könnte auch sagen,
er "relativiert" ihn. Der bessere Begriff ist "Analogisierung". Er sagt
direkt worum es geht: Gleichsetzung. Relativieren heißt eigentlich "in
Beziehung setzen" oder "vergleichen". Die deutsche Sprache hat hier ein
Problem. Man sagt: "Das kann man nicht vergleichen!" Damit ist jedoch
gemeint, dass man etwas nicht gleichsetzen kann.
(2) Mit "Historikerstreit" bezeichnet man eine intensive Auseinandersetzung
in der alten Bundesrepublik der 80er Jahre, die von einem Streit zwischen
Ernst Nolte und Jürgen Habermas ausgelöst wurde. Der Hauptstreitpunkt dieser
Kontroverse, an der sich die führenden Intellektuellen des Landes über
mehrere Monate hin beteiligten, war die Frage, ob die
nationalsozialistischen Verbrechen tatsächlich einzigartig ("singulär")
sind, oder ob sie mit den stalinistischen Massenverbrechen gleich zu setzten
sind.
(3) Ich habe den Artikel am 23.03.04 abgeschlossen. Siehe auch meinen
Artikel im Internet:
www.hagalil.com/archiv/2004/02/ddr-unrecht.htm
(4) Dr. Salomon Korn ist der Vizevorsitzende des Zentralrats der Juden in
Deutschland
(5) Presseerklärung, Zentralrat der Juden in Deutschland, 21. Januar 2004
(siehe: www.zentralratdjuden.de)
(6) Brief des "Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma"
an die "Stiftung Sächsische Gedenkstätten", 22. Januar 2004 (Kopie im Archiv
des Verfassers)
(7) Erklärung, VVN-BdA Sachsen, Januar 2004 (Kopie im Archiv des Verfassers)
(8) Presseerklärung, "Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz e.V.",
22. Januar 2004 (Kopie im Archiv des Verfassers)
(9) Ingrid Hildebrandt, Vorsitzende: Wir sind den Überlebenden verpflichtet,
in: Leipziger Volkszeitung, 5. März 2004
(10) SächsGedenkStG, § 2 (Abs. 1). (siehe:
www.stsg.de/main/stsg/ueberblick/rechtliche/gedenkstaettengesetz.pdf)
(11) Tobias Hollitzer, Opfer nicht trennen, in: Der Stacheldraht
(herausgegeben von der Union der Opferverbände Kommunistischer
Gewaltherrschaft e. V. und dem Bund der Stalinistisch Verfolgten e. V.,
Landesverband Berlin-Brandenburg ) 2/2004, S. 5
(12) Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion macht den Versuch, die
Gedenkstättenkonzeption der Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 14/1569),
die sie – auf Anregung der letzten Enquetekommission - im Juli 1999
formuliert hat, zu verändern. (Bundestagsdrucksachen im Internet:
www.bundestag.de).
Nachtrag: Nach der Fertigstellung des Manuskripts veröffentlichte die
CDU/CSU eine überarbeitete Fassung ihres Gesetzentwurfs
(Bundestagsdrucksache 15/3048).
(13) CDU-Antrag, Bundestagsdrucksache 15/1874.
(14) Ebenda.
(15) Presseerklärung, Stiftung Sächsische Gedenkstätten, 22. Januar 2004
(siehe: www.stsg.de)
(16) Pressemitteilung, Sächsisches Staatsministerium für Wissenschaft und
Kunst, 21. Januar 2004 (Kopie im Archiv des Verfassers)
(17) Die Informationen dieses Abschnitts beziehe ich aus einigen Telefonaten
mit Konfliktbeteiligten.
(18) Protokoll der 16. Sitzung des Stiftungsrats, 8. November 2000 (Kopie im
Archiv des Verfassers)
(19) Stenographisches Protokoll der Beratungen im Ausschuss für Wissenschaft
und Hochschule, Kultur und Medien (16.Januar 2003) des Sächsischen Landtags
(Kopie im Archiv des Verfassers)
(20) Stellungnahme Prof. Dr. Peter Steinbach zum Entwurf der Staatsregierung
des Freistaates Sachsen zum Gesetz zur Errichtung der Stiftung Sächsische
Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Gewaltherrschaft
(StSGG), 15.01.03 (Kopie im Archiv des Verfassers)
(21) Gesetzentwurf der PDS im Landtag Sachsens, Drucksache 3/10185 (www.landtag.sachsen.de).
(22) Offener Brief Tobias Hollitzer u.a., 30. 1. 2004 (Kopie im Archiv des
Verfassers)
(23) Erklärung, "Arbeitsgemeinschaft Gedenkstätten zur Diktatur in SBZ und
DDR", 30. Januar 2004. In einer Selbstdarstellung der Arbeitsgemeinschaft,
die mit der Presseerklärung zusammen verbreitet wurde, heißt es: "In der
Arbeitsgemeinschaft haben sich Gedenkstätten zusammen geschlossen, die sich
der Aufarbeitung, Dokumentation und Erinnerung an politisches Unrecht in der
SBZ/DDR und an die Folgen der Deutschen Teilung verpflichtet fühlen.
Gegründet wurde die AG am 23.11.2001 in der Gedenkstätte Deutsche Teilung
Marienborn. Die Kooperation ermöglicht einen intensiven Ideenaustausch und
gemeinsame Projekte." (Kopie im Archiv des Verfassers)
(24) Presseerklärung der Stiftung Aufarbeitung, 30.1.2004 (Kopie im Archiv
des Verfassers)
(25) Erklärung, „Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in der
Bundesrepublik Deutschland“, 26.1.04. Zur Arbeitsgemeinschaft gehören:
Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora, KZ-Gedenkstätte Dachau,
Gedenkstätte Ravensbrück, KZ-Gedenkstätte Neuengamme, Stiftung Topographie
des Terrors, Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Gedenkstätte und das
Museum Sachsenhausen, Gedenkstätte Flossenbürg und die Gedenkstätte
Bergen-Belsen. (Kopie im Archiv des Verfassers)
(26) Übersetzung: Internationales Komitee von Erinnerungsmuseen für Opfer
von Staatsverbrechen. (M.J.)
(27) Erklärung, die Wulff E. Brebeck im Namen des IC MEMO im Januar 2004
abgegeben hat. (Übersetzung: Martin Jander) Über seine Aufgaben schreibt das
Komitee: "IC MEMO is one of 28 international committees of the
"International Council of Museums" (ICOM), which has formal links with
UNESCO. It was launched in 2001 to intensify the international cooperation
on a professional base. The members of the committee represent memorial
museums of different types for victims of National Socialism, communist
dictatorships, Apartheid, military dictatorships e.g. in Latin America,
civil wars in Africa etc." Das Komitee ist über Wulff E. Brebeck erreichbar:
kreismuseum.wewelsburg@t-online.de
(Kopie im Archiv des Verfassers)
(28) Meldung des DDP, 25.02.04 (Kopie im Archiv des Verfassers)
(29) Meldung des epd, 17.03.04 (Kopie im Archiv des Verfassers)
hagalil.com 11-05-2004 |