Frankreich / Ruanda:
Erinnerung an einen Genozid im späten 20. Jahrhundert
Auch eine Form des Geschichtsrevisionismus
Von Bernard Schmid, Paris
Eine solche Kopfwäsche kommt im diplomatischen Umgang
zwischen Staaten wohl selten vor: Unter den Ländern, die angesichts des
begonnenen Genozids in seinem Land "nicht gehandelt" hätten, sei eines, das
er explizit erwähnen möchte und das "bis heute verweigert, um Entschuldigung
zu bitten". Gemeint war Frankreich. Und, fuhr Ruandas Staatspräsident Paul
Kagamé in seiner Rede aus Anlass des zehnten Jahrestags jenes 7. April 1994,
an dem der 100 Tage währende Genozid begann, fort: "Sie (die Franzosen)
haben die Soldaten und die Milizionäre trainiert und bewaffnet, die den
Genozid verüben würden, und sie wussten, dass sie den Genozid verüben
würden."
Mit Blick auf die Opération Turquoise (Operation Türkis), die
Frankreichs Armee im Juni 1994 im Südwesten Ruandas durchführte, fügte er
hinzu: "Die Franzosen haben bewusst die Mörder gerettet, ohne die Opfer zu
schützen." Zu guter letzt merkte er an: "Sie besitzen die Kühnheit, hier zu
bleiben, ohne sich zu entschuldigen!" In kaltem Zorn packte die Delegation,
die vom französischen Staatssekretär im Außenministerium Renaud Muselier
der sich vor kurzem, ohne Glück, um die Regionalpräsidentschaft in Marseille
beworben hatte geleitet wurde, ihre Koffer und reiste umgehend ab.
In Paris verwahrte sich das Außenministerium in einem
Kommuniqué gegen die "gravierenden und wahrheitswidrigen Anschuldigungen".
Und die Verteidigungsministerin Michèle Alliot-Marie sprach davon, dass
Frankreich glücklicherweise mit der Opération Turquoise eingegriffen,
und so "einen totalen Genozid verhindert" habe. Es starben ja auch nur
durchschnittlich 10.000 Personen pro Tag, und das drei Monate lang. Nach
jüngsten Angaben konnten bisher 937.000 Opfer namentlich identifiziert
werden, und die Gesamtzahl der Getöteten überschreitet wahrscheinlich eine
Million. Ruanda hatte damals insgesamt sieben Million Bewohner, davon knapp
ein Fünftel Tutsi.
Dabei war die Gedenkveranstaltung in Kigali, anlässlich derer
die sterblichen Überreste von neu identifizierten Opfern des Völkermords im
Frühjahr 1994 beigesetzt wurde, ansonsten durchaus nicht von rachsüchtigem
Tonfall geprägt. Präsident Kagamé nahm das Ersuchen Belgiens, der USA und
der Vereinten Nationen die damals keine Anstalten unternahmen, um die
Opfer der massenmordenden Milizen zu retten um Entschuldigung entgegen und
erwähnte diese Länder in seiner Rede. Als einziges westliches Land hatte
Belgien, das von 1918 bis 1959/60 in Ruanda Kolonialmacht gewesen war,
dessen Einfluss aber im Anschluss schnell durch jenen Frankreichs verdrängt
worden war, einen Spitzenpolitiker nach Kigali entsandt: Premierminiser Guy
Verhofstadt nahm persönlich an der Veranstaltung teil.
Auch wurden bei der Gedenkfeier im Nationalstadion "Amahoro"
(Frieden) erstmals "Gerechte" geehrt, die unter Einsatz ihres eigenen Lebens
bedrohte Tutsi gerettet hatten. Die allermeisten unter ihnen sind selbst
Angehörige des Mehrheitsvolkes der Hutu. Das widerlegt einmal mehr die
nach 1994 in Paris gängigen Behauptungen, die im Anschluss an den Sturz des
genozidären Regimes gebildete neue Regierung repräsentiere lediglich "die
ethnisch begründete Macht der Tutsi". Tatsächlich hat die Regierung unter
Paul Kagamé, die aus der ehemaligen Rebellenarmee der RPF (Ruandische
Patriotische Front) hervorgegangen ist, die Erwähnung der "ethnischen
Zugehörigkeit" Tutsi, Hutu oder "Sonstige" auf den ruandischen
Ausweispapieren abgeschafft.
Dieser Passeintrag hatte es seinerzeit den Exekutoren des
Genozids ungemein erleichtert, ihre blutige Aufgabe durchzuführen, und etwa
an den zahlreichen Straßensperren Menschen nach ihrer "ethnischen
Zugehörigkeit" zu selektieren. Paul Kagamé ist übrigens selbst Hutu. Zwar
stimmt es, dass die RPF ursprünglich von nach Uganda geflüchteten oder dort
aufgewachsenen Tutsi gegründet wurde, nachdem es bereits kurz nach der
Unabhängigkeit zu ersten Massakern durch eine Hutu-Regierung mit
rassistischem Nationsverständnis gekommen war. Dennoch ist das jetzige
Regime, auch wenn es von einer militärisch geprägten Elite dominiert wird,
zumindest darum bemüht, die aufgerissenen Gräben zwischen
Bevölkerungsgruppen allmählich zuzuschütten.
Auch in Frankreichs Hauptstadt Paris kam es in der zweiten
Aprilwoche zu Gedenkveranstaltungen; allerdings waren sie teilweise anders
orientiert als im vom Völkermord betroffenen Ruanda. Eine Vereinigung von
Überlebenden des Genozids, Ibuka, die in beiden Ländern aktiv ist, hatte
eine Kundgebung auf dem "Platz der Menschenrechte" am Pariser Trocadéro
gegenüber dem Eiffelturm angemeldet. Doch ihr Antrag wurde abgelehnt.
Stattdessen durften am Dienstag, 6. April Woche Hutu-Politiker unter Führung
von Léon Habyarimana demonstrieren. Es handelt sich um einen der Söhne des
früheren ruandischen Präsidenten, unter dessen Führung sich die
Ethno-Milizen herausgebildet hatten. Die Ermordung von Staatschef Juvénile
Habyarimana am 6. April 1994, wahrscheinlich durch Extremisten aus den
eigenen Reihen, hatte den Startschuss zu dem seit längerem vorgeplanten
Völkermord an den Tutsi gegeben, der am folgenden Morgen anfing.
Zum zehnten Jahrestag des Abschusses des
Präsidenten-Flugzeugs durften also die Anhänger und Angehörigen des
ehemaligen Chefs des Regimes, in dessen Inneren der Genozid geplant und
vorbereitet worden war, auf dem "Platz der Menschenrechte" demonstrieren.
Ferner wurden ihnen Räumlichkeiten in der altehrwürdigen Sorbonne, der
historisch ältesten Hochschule im Zentrum von Paris, zur Verfügung gestellt.
Dort durften sie geschichtsrevionistische Thesen verbreiten, denen zufolge
wenn überhaupt ein Genozid, und nicht ein irgendwie ungeordnetes Töten
stattgefunden habe die Rebellen des RPF wesentlichen Anteil an dessen
Auslösung tragen.
Die mehreren hundert Personen, die am folgenden Tag an den
Beginn des Genozids am 7. April 1994 erinnern wollten unter ihnen etwa ein
Drittel Ruander, und eine gute Hälfte Franzosen oder andere Immigranten
dagegen mussten fernab demonstrieren. Ihnen wurde eine kurze Route zwischen
dem Montparnasse-Bahnhof und dem Platz von Denfert-Rochereau genehmigt, die,
wie die Tageszeitung Libération sarkastisch anmerkte, "geschmackvoller Weise
an einem Friedhof vorbei führt". Tatsächlich führt ein größerer Teil der
kurzen Wegstrecke dem Montparnasse-Friedhof entlang.
Die TeilnehmerInnen ließen violette Luftballons, das ist die
in Ruanda verbreitete Trauerfarbe, steigen und hörten mehreren
Kundgebungsreden zu. Nacheinander wechselten sich eine damals 16jährige, die
1994 den Genozid überlebte, der französische Intellektuelle André Glucksmann
und François-Xavier Verschave der Sprecher von Survie (Überleben), seit
den Achtziger Jahren eine der wichtigsten Afrika-Solidaritätsvereinigungen
in Frankreich am Mikrophon ab. Am frühen Abend führte Survie noch eine
weitere Kundgebung im Les Halles-Viertel, im Zentrum von Paris durch, unter
dem Motto La France, complice d'un génocide. Sie endete mit einem
symbolischen Die-in auf einem Platz mit starkem Publikumsverkehr.
Zusammen mit Partnerorganisationen hat Survie in den letzten
Wochen auch mehrere, gut besuchte Informationsveranstaltungen durchgeführt.
Dabei wurde etwa erstmals auf französischem Boden der bereits 1995
ausgestrahlte Film der britischen BBC The bloody tricolour (Die blutige
Tricolore) gezeigt, der eindeutige Hinweise auf die Mitwisserschaft
Frankreichs vor und nach dem Beginn des Genozids enthält. Zwar mag die
französisch-britische Rivalität in der Außenpolitik den kritischen Ton des
Films und seine Abnahme bei dem öffentlichen Sender begünstigt haben.
Dennoch sind es französische Politiker, die durch die BBC interviewt wurden,
die sich dort aus freien Stücken von ihrer peinlichsten Seite geben. So das
damalige Präsidentensöhnchen Jean-Christophe Mitterrand - ein windiger
Geschäftsmann, der von François Mitterrand 1982 zum Leiter der "Zelle für
afrikanische Angelegenheiten" befördert worden war und den afrikanische
Gesprächspartner Papamadit (Papa-hat-mir-gesagt) tauften.
Auf die Nachfrage, ob der Völkermord Ruandas nächtlich
manchmal seinen Schlaf trübe, antwortet Mitterrand junior in dem Film
stoisch lächelnd "Nein", um sich dann auf eine diplomatische Antwort
natürlich sei es tragisch, was vorgefallen sei, aber er fühle sich in
keinerlei Weise verantwortlich zu besinnen. Jean-Christophe Mitterrand
verband Anfang der Neunziger Jahre eine persönliche Freundschaft mit dem
Sohn von Präsident Habyarimana. Auf die Frage nach Frankreichs Verwicklung
antwortet er lediglich: Bullshit. Nicht viel besser auf das Publikum wirkt
der damalige Gendarmerieoffizier und Präsidentenberater Paul Barril. Mit
starrem Blick malt er in düsteren Farben sein Bild des damaligen
Rebellenführers Paul Kagamé aus: "Er spricht nicht einmal Französisch, kein
Wort! Er versteht nur Englisch!"
Auf diese Weise zeigt der damals in der Umgebung Mitterrands
einflussreiche Herr, welche Triebkräfte die Männer an den Schalthebeln der
französischen Republik damals dazu anhielten, jenes Regime bis zum bitteren
Ende zu unterstützen, dessen extremistischer Flügel den Genozid planmäßig
durchführte. Eingeweihte sprechen vom so genannten "Faschoda-Komplex",
benannt nach einer Kleinstadt im Sudan. Dort waren 1898 die französische und
die britische Kolonialarmee aufeinander getroffen, die beide versuchten, ihr
Kolonialreich nach einer Achse zu ordnen: "Von Kairo nach Kapstadt" für die
Briten, von Dakar bis Djibouti für die Franzosen. Damals zog Frankreich den
Kürzeren, deswegen der "Komplex" in einem Teil seiner Eliten.
Koloniale Schnittmuster lebten zu späterer Zeit in der
Bewahrung sprachlicher Einflusszonen in Afrika fort. Das ruandische Regime
bekannte sich zur Francophonie, während die im anglophonen Nachbarstaat
Uganda aufgewachsenen Tutsi-Flüchtlinge und die von ihnen gestellten
Rebellen der RPF (Ruandische Patriotische Front) vorwiegend Englisch
sprachen. Das reichte aus, um hohe Staatsbeamte in französischen Ministerien
beim Gedanken an einen Sieg der RPF über das Regime in Kigali in Panik
ausbrechen zu lassen. Bereits 1992 hörte Paul Kagamé, als damaliger
Vertreter der Rebellenarmee, bei einer Unterredung im Quai d'Orsay, dem
französischen Außenministerium, die Drohung: "Wenn Sie versuchen sollten,
nach Kigali durchzubrechen, dann werden Sie bei Ihrer Ankunft niemand von
ihren Familien", gemeint waren die Tutsi, "mehr lebend antreffen." Das
deutet daraufhin hin, dass die Kagamé gegenüber sitzenden Staatsbeamten
wussten oder ahnten, wozu die im Inneren des Regimes herausbildeten
Hutu-Milizen fähig waren.
Einen weiteren Beweggrund hat der Journalist Patrick de
Saint-Exupéry in seinem soeben in Paris veröffentlichten Buch L'inavouable
(Das Uneingestehbare) benannt. Erstaunlicherweise arbeitet der Reporter, der
bereits durch eine längere Artikelserie im Januar und April 1998 in seiner
Zeitung ein äußerst kritisches Licht auf die französische Rolle in Ruanda
warf bei der konservativen Tageszeitung Le Figaro. Infolge seiner
Hintergrundartikel von 1998 musste das französische Parlament eine
Untersuchungskommission einsetzen, in der sowohl einige sozialistische wie
auch manche bürgerlichen Abgeordneten äußerst kritische Nachfragen stellten
(die im schriftlichen Bericht der Kommission auch dokumentiert sind). Der
offizielle Abschlussbericht des sozialistischen Ex-Verteidigungsminister
Paul Quilès - auf den sich die ersten Presseberichte bei Veröffentlichung
der Dokumentation 1999 überwiegend stützten - versucht dagegen vor allem,
offenkundigen Verantwortlichkeiten zu verschleiern und zu vertuschen.
Doch de Saint-Exupéry, der auch heute noch für den Figaro
arbeitet, hat im Juni 1994 aus eigener Erfahrung den Genozid, vor allem aber
die Ankunft der französischen Militärs im Rahmen der Opération Turquise mit
erlebt. Mit eigenen Augen musste er mit ansehen, wie die französische Armee
mit ihren Elitetruppen Fallschirmjäger, die Anti-Terror-Einheit GIGN...
am 27. Juni 1994 am Hügel von Bicérero eintraf, dem einzigen Ort in Ruanda,
wo sich wochenlang ein bewaffneter Widerstand gegen die Milizen des
Völkermords aufrecht erhalten konnte. Die Franzosen vertrösteten die
Überlebenden, sie würden bald wiederkommen, bevor sie abrückten - und ließen
in den folgenden drei Tagen nochmals 2.000 von ihnen massakrieren. Ab diesem
Zeitpunkt konnte nichts mehr de Saint-Exupérys Ansicht erschüttern: Die
Franzosen waren in Ruanda eingerückt, um die RPF zu bekämpfen, aber nicht,
um Überlebende zu retten. Oder allenfalls überlebende Mörder. Nicht
unbedingt gebessert wurde seine Ansicht über die französische Politik, als
Präsident Mitterrand ihm im "Off" erklärt haben soll: "Ein Genozid in diesen
Ländern ist nicht so bedeutend". (Bereits der konservative,
nationalpopulistische Innenminister der Jahre 1993/95, Charles Pasqua, einer
der führenden Köpfe der verdeckten französischen Außenpolitik auf dem
afrikanischen Kontinent, hatte in ähnlichem Sinne erklärt: "Die Leute in
diesen Ländern haben nicht denselben Begriff wie wir vom Tod.") Vielleicht
war François Mitterrand sich zu jener Zeit, 1994, nicht mehr vollkommen der
Tragweite seiner Worte bewusst, da er bereits in fortgeschrittenem Stadium
an Krebs erkrankt war; er sollte anderthalb Jahre später daran sterben, doch
nach Angaben seines Arztes Doktor Gubler soll die Krankheit Mitterrands
bereits in den frühen Achtziger Jahren aufgetreten sein. Dennoch hat dieser
persönliche Zustand bestimmt nichts am Denken Mitterrands, der ein
ausgewiesener Zyniker der Macht war, verändert, sondern allenfalls sonst
bestehende Hemmungen beim Ausdrücken dieses Haltung beseitigt.
In seinem jetzt erschienen Buch vertritt Patrick de
Saint-Exupéry die Ansicht, neben dem "Faschoda-Komplex" spiele noch ein
weiterer Faktor die Rolle, möchte man die französische Haltung erklären. Es
handelt sich um die so genannte "Theorie des revolutionären Krieges". Diese,
in Wirklichkeit konterrevolutionäre Technik wurde durch französische
Militärs während ihrer Kolonialkriege in Vietnam und Algerien entwickelt.
Sie trägt diesen Namen, weil sie sich angeblich von Lenin und Mao
inspirieren ließ, welche erkannt hätten, dass ein militärischer Sieg eine
Unterstützung durch die Bevölkerung in der die Guerilla "wie ein Fisch im
Wasser schwimmen muss" voraussetze. In Konsequenz daraus predigten die
Militärs, im Kontext der Aufstandsbekämpfung müsse die Bevölkerung
kontrolliert, in soziale Organisationsformen unter Aufsicht wie die
Zwangsumsiedlungslager im Algerienkrieg - oder durchmilitarisierte
Milizsysteme gepresst werden. In den Sechziger Jahren, nach dem Ende des
Algerienkriegs, unterrichteten französische Offiziere diese Theorie in der
US-Militärschule von Fort Bragg, später gaben sie ihr Wissen an
argentinische Foltergeneräle weiter.
Ruanda, folgt man de Saint-Exupéry, wo das frühere Regime die
Hutu-Bevölkerung in Milizen zu organisieren versuchte, bildete ein Testfeld
für die Anwendung solcher Theorien. Deswegen hätten manchte französische
Militärs dem Regime in Kigali nicht nur aus Pflichterfüllung als Berater
gedient, sondern sich wirklich mit dessen "Sache" identifiziert. Und die
Tatsache, dass manche RPF-Offiziere Militärschulen in den USA darunter
jene in Fort Bragg durchlaufen hatten, habe ihre Angst beflügelt: Und was,
wenn die Gegenseite so viel weiß wie wir?
Dank der Rolle de Saint-Exupérys hat der konservative Figaro
(erstaunlicherweise, angesichts seines sonstigen Profils) eine wichtige
Rolle bei der Aufdeckung der französischen Verantwortung in Ruanda gespielt.
Auch die linksliberale Libération hat in den letzten Wochen sehr kritisch
über die Rolle des Landes 1994 berichtet, mit Ausnahme eines Gastbeitrag des
Journalisten und Fernsehkritikers Daniel Schneidermann vom Freitag, 9.
April. Der Autor, der jahrelang für Le Monde arbeitete (aber derzeit im
Konflikt mit der Redaktion liegt), mokiert sich darüber, dass die
französischen Medien eine exzessive nationale Selbstgeißelung betrieben, und
meint, die Ruander sollten nicht versuchen, die Schuld am Genozid nach
außerhalb ihrer Landesgrenzen zu verschieben.
Dagegen spielt Le Monde, die ansonsten als wichtigste
französische Qualitätszeitung gilt, in dieser Frage mit Abstand die übelste
Rolle. Diese Pariser Abendzeitung, die bereits im Frühjahr 1994 die RPF
stets als "schwarze Khmer" unter Anspielung auf Pol Pot verunglimpfte
und während des Genozids mitunter Opfer- und Tätergruppen in einem wirren
Gemälde zu verwischen suchte, ziellt in ihrer Berichterstattung im
Wesentlichen auf eine Rechtfertigung der französischen Außenpolitik ab.
Diese Rolle übernimmt bei Le Monde heute vor allem ihr Afrikaspezialist
Stephen Smith, der in den Wochen vor dem und um den 7. April u.a; den
Präsidentensohn Léon Habyarimana zu Wort kommen ließ und auf die jüngsten
Vorwürfe von Paul Kagamé sofort mit einem Artikel antwortete, dessen
Überschriften bereits alles aussagte: "Es gibt keinerlei Beweis für den
Paris vorgeworfenen 'Blutpakt'". Dabei müsste Stephen Smith es tatsächlich
besser wissen: Er hatte 1994, als damaliger Korrespondent von Libération,
sehr viel kritischer über die manifeste Verwicklung Frankreichs berichtet.
Die Rolle von Le Monde gegenüber Frankreichs Verwicklung in
den ruandischen Genozid ist bereits 1999 zum Gegenstand eines kleinen, aber
informativen Büchleins geworden, das für nur 3 Euro im
Anarcho-Taschenbuchverlag L'Esprit frappeur zu erstehen ist. Jean-Paul
Gouteux untersuchte darin kritisch die Frage: Le Monde, un contre-pouvoir?
(Le Monde, eine Gegenmacht?) In demselben Verlag erschien übrigens auch,
bereits 1997, der Titel Rouanda 1994, un génocide français von Mehdi Ba, der
nur 1,50 Euro kostet. Und im Jahr 2002 brachte Jean-Paul Gouteux dort das
dicke Taschenbuch La nuit rwandaise (Die ruandische Nacht) heraus, mit dem
Untertitel "Die französische Verwicklung in den letzten Genozid des 20.
Jahrhunderts" (637 Seiten, 10 Euro). Darin hat er nochmals den gesamten
verfügbaren Stand des kritischen Wissens resümiert.
In den letzten Jahren hat die französische Rolle beim
Völkermord in Ruanda die Aufmerksamkeit eines Teils des linken, aber auch
des bildungsbürgerlichen Publikums gefunden. Im November 2001 wurde im
Pariser Parc de la Villette, einem städtischen Veranstaltungsgelände, vor
einem randvollen Saal der über 2.000 Personen fasst eine sieben Stunden
dauernde Theater-, Musik- und Dokumentar-Veranstaltung mit Überlebenden und
Filmausschnitten vom damaligen Geschehen nach einem Auftritt in Brüssel zum
zweiten Mal uraufgeführt. Trotz Eintrittspreisen von mindestens 20 Euro war
ein breites interessiertes Publikum gekommen, das sich auch an Frankreichs
Rolle bei der Unterstützung der Genozidäre sehr interessiert zeigte.
Dieselbe Theatergruppe konnte ihr Stück jetzt, zum Gedenktag am 7. April,
erstmals auch in Kigali aufführen.
Eine gekürzte Version erschien in:
Jungle World 17,
14.04.2004
hagalil.com
15-04-2004 |