DocAviv 2004:
Hitlers Hitparade
Von Andrea Livnat
Die
Ankündigung versprach eine "Komposition von Archivfilmsequenzen aus den
Bereichen Spielfilm, Amateurfilm, Lehrfilm, Trickfilm, Werbung, Propaganda -
unterlegt mit zeitgenössischer Tanz- und Unterhaltungsmusik des Dritten
Reiches." Der Film "analysiert auf subtile Art die verführerische Komponente
der nationalsozialistischen Zeit in Deutschland. Und zeigt dabei, wie sich
ein Kulturvolk und eines der modernsten Länder der damaligen Zeit durch den
Naziwahn in einen moralischen und substantiellen Trümmerhaufen
verwandelten."
Dem Film von Oliver Axe und Susanne Benze fehlt es jedoch
offensichtlich an deutlichen Aussagen, hinterließ er doch einen Großteil der
Zuschauer nach 76 Minuten Spiellänge relativ ratlos. Was sei denn nun die
Absicht hinter dem Film, war dann auch die erste Frage an den anwesenden
Produzenten C. Cay Wesnigk. Dem fiel nichts anderes ein als zu sagen, dass
der Film entstanden sei, "because we Germans feel so sorry about what
happened then". Die Ratlosigkeit hat
sich damit für mein Gefühl nur noch gesteigert. Ohne die Betroffenheit der
Filmcrew über die Verbrechen des Nationalsozialismus im geringsten in
Zweifel ziehen zu wollen, als Ausgangslage für einen Film mag dies ja
dienen, über die Qualität des Ergebnisses sagt sie jedoch nichts aus.
"Hitlers Hitparade" führt den Zuschauer durch verschiedene
Aspekte des Alltags im "Dritten Reich", anhand von Szenen aus Filmen,
Werbung, Tanzrevues, Amateuraufnahmen und Propaganda mit populärer Musik der
Zeit unterlegt zu sehen. Beabsichtigt war wohl eine Gegenüberstellung der
"heilen Welt" Deutschlands zur Nazizeit, der scheinbaren Banalität einer
Idylle, die in Wahrheit auf Blut-und-Boden-Ideologie und mörderischem
Judenhass baute. In jeder Szene gibt es
einen kurzen geglückten Moment, in dem es den Regisseuren tatsächlich
gelungen ist, diese Polarität einzufangen. Es sind jedoch die "harmlos"
scheinenden Bilder, die den Effekt erzielen, die blonde "arische"
Passo-Doble Tänzerin kann die Ästhetik der Nazi-Ideologie gut vermitteln.
Szenen, wie der Schwenk auf tote Soldaten zu einem fröhlichen
Liebesliedchen, übertönen leider die feinen Nuancen des Films.
Natürlich fehlen auch die Juden nicht, mit dem gelben Stern
ausgestattet, sieht man sie zu fröhlichen Melodien und Schlagern der Zeit.
Für einige der Zuschauer in Tel Aviv war das "Hardcore", wie sich ein junger
Mann nach dem Film äußerte. Nur gut, dass sich das Tel Aviver Publikum von
Produzent C. Cay Wesnigk immer wieder anhören durfte, dass die Szenen des
Films, die Unbeschwertheit und Banalität des "Dritten Reiches" auch für ihn,
für die Deutschen überhaupt unerträglich zu sehen seien.
Nur um es deutlich zu sagen, Dokumentarfilmkunst darf
"Grenzen" überschreiten, sie darf Juden im Ghetto und Schlager
zusammenbringen, daran störe ich mich nicht. Mehr noch, "Hitlers Hitparade"
überschreitet eine Grenze, die überschritten werden muss, um die Realität
des "Dritten Reiches" zu verstehen. Leider mangelt es trotzdem an der
Umsetzung, die den Film zu einem großen schwammigen Konstrukt werden lässt,
das einen eben mit jener Frage nach der Absicht hinterlässt. Schade, denn
die Regisseure haben, wie C. Cay Wesnigk erzählt, über zehn Jahre an ihrem
Projekt gearbeitet.
DocAviv 2004
hagalil.com
04-04-2004 |