Google-Bombing:
Über den Nutzen von Blogger-Initiativen
Von Andrea Livnat
Eine "weltweite" Blogger-Initiative hat eine
antisemitische Website von Platz eins in den Google-Suchergebnissen
verdrängt. Diese "Sensation" wurde gestern verbreitet, gespickt mit soviel
Unwissen, falschen Darstellungen und offensichtlichem Dilettantismus, dass
ich nicht weiß, ob ich lachen oder weinen soll.
Was ist passiert? Ein New Yorker namens Steven Weinstock hat
die phänomenale Entdeckung gemacht, dass bei der Suche nach dem Wort "Jew"
in Google, auf Platz eins die antisemitische Website "Jew Watch" aufgelistet
wird. Nachdem sich die Betreiber von Google nicht bereit erklärten, dies zu
ändern und darauf verwiesen, dass die Suchergebnisse "ausschließlich von
unserem Computeralgorithmen" bestimmt werden, wie ein Sprecher sagte, suchte
Weinstock nach einer anderen Lösung. Er initiierte eine sog.
"Blogger"-Aktion, oder auch "Google-Bombing" genannt, d.h. er sorgte dafür,
dass möglichst viele Webmaster den Begriff "Jew" auf ihren eigenen Seiten
mit einer neutralen Website verlinken. Die Rechnung ging auf, mittlerweile
steht auf Platz eins der Eintrag "Jew" in der Internetuser-Enzykolpädie
Wikipedia. Ein Sieg über die Naziseite und die "ignoranten"
Google-Betreiber, wie gestern einige Zeitungen berichteten.
Keiner der Beteiligten hat offensichtlich mehr zustande
gebracht als von A nach B zu denken, denn sonst hätte ihnen bewußt sein
müssen, dass die mit viel Tam-Tam organisierte "Initiative" mehr schadet als
nutzt.
Es ist richtig, dass zu Suchbegriffen wie "Jude", "jüdisch",
"Talmud" in allen Fremdsprachen antisemitische, rassistische und
rechtsextremistische Websites in den Suchmaschinen auftreten, natürlich
nicht nur in Google, aber bleiben wir der Einfachheit halber bei dieser
Suchmaschine. Das ist so, seitdem es das Internet gibt und es ist sehr
erfreulich, dass auch der New Yorker Steven Weinstock diese Entdeckung
gemacht hat.
Die Rechten waren etwas schneller auf Trab und haben
mittlerweile ein breites Netz an Nazi-Propaganda im Internet aufgebaut. Über
die Gefahren dieser Seiten wurde bei haGalil onLine schon oft geschrieben,
doch es sei nochmal betont: Antisemitische Propaganda im Internet ist viel
gefährlicher, als die bisher "üblichen" Propagandamittel (Zeitungen,
Flugblätter, Infostände auf Demos). Das Internet ermöglicht es über
relevante Stichwörter (wie beispielsweise "Jew") völlig "unbedarfte Leser"
zu erreichen, zum Beispiel einen Schüler, der ein Referat zum Thema
"jüdische Feiertage" schreiben muss.
Insofern ist der Gedanke, eine rechte Seite vom Platz eins
der Suchergebnisse zu schubsen, zwar nicht falsch, nur eben ganz einfach
nicht zu Ende gedacht.
Erstens haben die Initiatoren der Aktion selbst auf Mittel
zurückgegriffen, die im Internetbereich im besten Falle "verpönt" sind, oder
man könnte auch sagen, immer noch nett ausgedrückt, sie haben das
Suchergebnis durch Getrickse beeinflusst. Geändert hat sich dadurch nur sehr
wenig, denn noch immer lesen sehr viele Leute "Jew Watch" und "Jew Watch"
ist auch auf immer noch genau so vielen anderen Seiten verlinkt.
Zweitens haben sie eine geradezu winzig kleine, verschwindend
unwichtige Veränderung erwirken können, die nur bei der exakten Eingabe
dieses speziellen Suchbegriffes funktioniert und voraussetzt, dass der
Suchende sich mit dem ersten Ergebnis zufrieden gibt. Sucht er nach "Jews",
nach Wörterkombinationen oder nach anderen relevanten Stichwörtern wie
"Talmud" oder "Auschwitz" geht das "Konzept" schon nicht mehr auf. Traut er
sich gar die übrigen Suchergebnisse zu sichten, könnte der Wikipedia Eintrag
bald vergessen sein.
Denn, das ist drittens, der Wikipedia Eintrag ist gut und
schön, mit vielen Links versehen und überhaupt ganz sachlich und neutral,
dennoch kann er doch nur ein erster Überblick sein und wird viele Fragen
offen lassen, die den Internetnutzer wiederum auf die Suche gehen lassen.
Diesmal wird er seine Suche evtl. abändern und so erneut mit den Tücken der
rechten Propaganda im Netz konfrontiert werden.
Und viertens meinen jetzt alle wieder, was für eine tolle
Sache sie da gemacht haben, klopfen sich gegenseitig auf die Schultern und
denken, sie hätten es den Nazis ordentlich gezeigt. Anderen Initiativen wird
dadurch oft eine Chance verbaut, heißt es doch dann: "Aber wir haben doch
schon..."
Völlig unverständlich sind mir auch die Anschuldigungen gegen
die Betreiber von Google, die sich weigerten die Ergebnisseite zu verändern.
Offenbar wünschen sich die frisch gebackenen Aktivisten also Zensur durch
Google, also genau das, was eine Suchmaschine eben nicht tun sollte. Im
Forum von haGalil hat sich mittlerweile eine
Diskussion zu diesem Thema entwickelt.
haGalil onLine setzt seit vielen Jahren auf drei Schwerpunkte
bei der Strategie gegen Nazi-Seiten. Am wichtigsten ist uns die Schaffung
eines massiven Gegengewichts durch aufklärende Inhalte. Wenn wir einhundert
unserer Seiten gegen eine rechte Seiten setzen - zum Beispiel zum harmlos
erscheinenden Thema "jüdische Feiertage", dann liegen die Chancen eines
Schülers, auf der Suche nach Informationen zu seinem Referat bei haGalil
onLine anstatt auf den Nazi-Seiten zu landen bei 100:1. Information und
Aufklärung darf aber nicht Gegenpropaganda sein, die mit stumpfen, halb
illegalen Mitteln betrieben wird. Sie muss das Denken anregen, nicht
vorschreiben. Widersprüche und Diskussionen, Facetten und Pluralismus sind
nicht Mittel zum Zweck, sondern Weg und Ziel. Der zweite Ansatz nutzt die
kommunikativen Möglichkeiten eines lebendigen Onlinedienstes, denn die beste
Vorraussetzung für Verständigung sind Begegnung und authentische
Information. Und schließlich kann auch mit juristischen Mitteln gegen rechte
Websites vorgegangen werden.
Antisemitismus, Rassismus, Hass und Demokratiefeindlichkeit
im Internet lassen sich nur im Internet mit den Möglichkeiten des Internets
bekämpfen, und zwar nur mit nachhaltig effektivem und legalem Einsatz.
Aktionen wie das "Google-Bombing" werden der Sache nachhaltig schaden.
Mehr über
Antisemitismus im Internet
hagalil.com
08-04-2004 |