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     Erich Mendelsohn: 
    Bauen für ein neues Land 
    
    Eine Ausstellung in Berlin würdigt den 
	Architekten Erich Mendelsohn 
    Von Doris 
	Kleilein und Martina Priessner 
    Jungle World, 3. März 2004 
    Als Erich 
	Mendelsohn 1934 nach Palästina reist, ist er wenig begeistert über die neu 
	entstandenen Wohn- und Geschäftshäuser seiner Kollegen. "Ich und Le 
	Corbusier", so kommentiert er abschätzig deren Bauten. Die Aussage zeugt von 
	Mendelsohns Egozentrik und trifft doch genau ins Schwarze. Ob auf dem 
	Rothschild-Boulevard in Tel Aviv oder an den Hängen des Carmel in Haifa – 
	das von Mendelsohn in den zwanziger Jahren in Berlin entwickelte 
	Formenvokabular ziert nahezu jeden Neubau. Balkone über Eck, mit 
	Lichtbändern betonte Treppenhäuser, dynamisch gerundete Terrassen sind im 
	Palästina der dreißiger Jahre zur "Mendelsohn-Masche" geworden. 
    Eine ganze 
	Generation junger Architekten, in Europa ausgebildet, war vor den 
	Nationalsozialisten geflohen und hatte die gängigen Architekturjournale im 
	Koffer mitgebracht. Zu den gerne kopierten Ikonen der Moderne zählte gleich 
	eine ganze Reihe Mendelsohnscher Bauten, die derzeit als Modelle in einer 
	großen Retrospektive zu Leben und Werk des Architekten in der Berliner 
	Akademie der Künste zu sehen sind: das Verlagshaus Rudolf Mosse in der 
	Berliner Schützenstraße, der Woga-Komplex am Kurfürstendamm (die heutige 
	Schaubühne), die Schocken-Kaufhäuser in Stuttgart, Chemnitz und Nürnberg. 
    Mendelsohn ist 
	durch die zahlreichen "Bastardgebäude", wie er sie selbst nannte, nicht etwa 
	geschmeichelt. Der "Prophet des Betons" reagiert gekränkt und fordert, "man 
	soll zunächst einmal zehn Jahre lang dergleichen nicht mehr entwerfen", wie 
	der Architekturhistoriker Julius Posener berichtet. Mendelsohn lehnt im 
	Gegensatz zu vielen Architekten der Moderne jede Reproduktion ab. Ein 
	Gebäude ist für ihn immer ein Unikat. "Funktion ohne sinnlichen Beistrom 
	bleibt Konstruktion", schreibt er 1923 und kritisiert damit das Neue Bauen, 
	das sich seiner Meinung nach bereits in einer Alltagstauglichkeit 
	verselbstständigte, in der nur mehr das Serielle, das Praktische zählte. 
    Er will keine 
	Nachahmer; er spricht sich zugleich vehement gegen einen unreflektierten 
	Import der westlichen Moderne nach Palästina aus. Zwar passten die Kollegen 
	die Moderne an das Wüstenklima an – der Tel Aviver "Bauhausstil" 
	unterscheidet sich vom europäischen sehr wohl durch kleinere Fenster und 
	verstärkten Sonnenschutz. Doch das ging Mendelsohn nicht weit genug. Ihm 
	schwebte eine "Ost-West-Synthese" vor, eine Verbindung von europäischer 
	Moderne und arabischer Architektur. Wie er 1940 schreibt, zeige der 
	Wohnungsbau "die Tendenz einer viel zu starken Orientierung an europäischen 
	Mustern, während doch das Klima Palästinas eine Lösung vom üblichen 
	Grundriss fordert, um mehr Raum und bessere Ventilation zu erreichen. Diese 
	beiden Bedingungen werden von der Halle erfüllt, um die arabische 
	Stadthäuser herumgebaut sind und von den Einraumhäusern – beinahe Steinzelte 
	– der sesshaften Beduinen in Es-Salt." 
    Bereits 1923 
	hatte Mendelsohn mit seiner Frau Luise Palästina bereist, als Tel Aviv noch 
	ein "kleiner, von Sand umgebener Ort war, in dem sich einige orthodoxe Juden 
	niedergelassen hatten und ihre paar Häuschen ohne Plan errichtet hatten", 
	wie Luise Mendelsohn in ihren nun in Auszügen veröffentlichten Memoiren "My 
	Life in a Changing World" schreibt. Mendelsohn war tief beeindruckt von den 
	Bauten der arabischen Dörfer, immer wieder betonte er, dass die 
	"architecture without architects" einen Baustil hervorgebracht hatte, in dem 
	der Geist des Landes atme. 
    Vor diesem 
	Hintergrund gerät sein erster Bauauftrag in Palästina, für den er 1934 
	anreist, zu einem architektonischen Manifest. Während viele seiner Kollegen 
	schnell und billig Wohnraum für die zahlreich ins Land kommenden Einwanderer 
	entwerfen, baut Mendelsohn in der Nähe von Tel Aviv eine Villa für Chaim 
	Weizmann, den Präsidenten der Zionistischen Weltorganisation und späteren 
	Präsidenten Israels. Mitten in einen Orangenhain setzt er vier in sich 
	ruhende Baukörper rund um einen schattigen Innenhof mit Pool. Nach außen 
	zeigt das Haus eine geschlossene Wand mit winzigen Fenstern. Ein 
	Mendelsohn-Bau, der auf den ersten Blick als solcher nicht unbedingt zu 
	erkennen ist: Vergessen scheint das expressionistische Frühwerk – der 
	Einsteinturm in Potsdam – ebenso wie die bewegte Horizontalität seiner 
	Bauten aus den zwanziger Jahren. 
    Hatte er die 
	Villa Weizmann noch weiß getüncht, zeigt sich sein nächster Bau in Palästina 
	bereits in Erdfarben. Die Schocken-Villa, die er für seinen ebenfalls aus 
	Deutschland emigrierten Bauherrn Salmann Schocken realisiert, ist ganz mit 
	sandfarbenem Naturstein, dem so genannten Jerusalemstein, verkleidet. Nach 
	den beiden Privathäusern folgen mehr und größere Aufträge, in denen er seine 
	Suche nach einem orientalisch-jüdischen Baustil fortsetzen kann: der 
	Masterplan für die Hebräische Universität Mount Scopus, die Anglo-Palestine 
	Bank in Jerusalem und der steinerne Medizin-Komplex der 
	Hadassah-Universität. Deren Eingang ist durch ein Tor markiert, das wie ein 
	Lehrbeispiel der Mendelsohnschen Ost-West-Synthese dasteht. Getragen von 
	zwei schlanken Pilotis, den in der Moderne gerne verwendeten Betonstützen, 
	schwebt in der Höhe ein flaches Dach, auf das Mendelsohn provokant drei 
	arabische Kuppeln gesetzt hat.  
    
      
    Hadassah University Medical Centre Jerusalem  
    Eingangsbereich, Photo: Alfred Bernheim 
    Gegen Ende der 
	dreißiger Jahre hat Mendelsohn den Großteil seines Auftragsvolumens in 
	Palästina. Doch noch immer pendelt er zwischen Jerusalem und London, wohin 
	er 1933 aus Berlin mit seiner Frau, der Cellistin Luise Maas, emigriert war. 
	Weshalb er an seinem Wohnsitz in London festhält, verrät Mendelsohn in einem 
	Brief 1933 an Kurt Blumenfeld, einer wichtigen Figur in der zionistischen 
	Bewegung: "Alle Jahre sah ich Palästina von meiner Hand aufgebaut, sein 
	ganzes Bauwesen von meiner Aktivität in einheitliche Form gebracht, seine 
	geistige Struktur von meiner Organisationsfähigkeit geordnet und einem Ziel 
	zustrebend. Aber Palästina hat mich nicht gerufen." 
    Mendelsohn hatte 
	sich nicht nur einzelne Aufträge, sondern eine führende Rolle beim Aufbau 
	des Landes erträumt. Seine zögerliche Haltung, ganz nach Palästina zu 
	kommen, bringt ihm dort den Ruf einer "Primadonna" ein. Die jüdischen 
	Pioniere nehmen mehr und mehr Anstoß an seiner "Gastrolle", die er in 
	Palästina gibt. Als er 1939 dann schließlich doch übersiedelt, kommt er, wie 
	die Mendelsohn-Forscherin Ita Heinze-Greenberg betont, "als Individualist, 
	nicht als Zionist". 
    Zudem sind die 
	Mendelsohns seit den Zeiten der Weimarer Republik ein reges kulturelles 
	Leben gewohnt und pflegen Kontakte zu Briten, Arabern und Juden 
	gleichermaßen. Mendelsohns freundschaftliche Beziehung zu dem High 
	Commissioner der Britischen Mandatsregierung, Sir Arthur Wauchope, brachte 
	ihm unter anderem 1936/37 den Direktauftrag für das Regierungskrankenhaus in 
	Haifa ein; unter Umgehung eines öffentlichen Wettbewerbes, wie Kollegen 
	anprangern. 
    Als 1941 im Zuge 
	des Zweiten Weltkrieges die Bautätigkeit in Palästina zum Erliegen kommt und 
	das Land selbst zum Kriegsschauplatz zu werden droht – Hitler steht mit 
	seiner Armee vor Ägypten –, packen die Mendelsohns erneut ihre Koffer und 
	emigrieren in die USA. Wie Ita Heinze-Greenberg erklärt, führt diese zweite 
	Emigration dazu, dass Mendelsohn in Israel lange missachtet wurde. Er galt 
	als "Deserteur", als einer, der das Land in der Aufbauphase verlassen hat. 
    Doch seit 
	einigen Jahren wächst das Interesse an moderner Architektur in Israel. Die 
	Unesco erklärte im Jahr 2003 das Zentrum Tel Avivs mit seinen über 4 000 
	Gebäuden im Bauhausstil zum Weltkulturerbe. Auch Mendelsohn rückt wieder ins 
	Blickfeld. Er gilt heute in Israel als einer der Architekten, über die am 
	meisten publiziert wird. Derzeit läuft zudem eine viel beachtete Kampagne 
	gegen den Abriss der Schocken-Villa. 
    Während man in 
	Israel lange Zeit über Mendelsohn schwieg, hätte die deutsche 
	Architektenschaft sein Erbe am liebsten schon in der Nachkriegszeit 
	vereinnahmt. Bereits kurz vor seinem Tod im Jahr 1953 in San Francisco wurde 
	er nach Darmstadt zu der seinerzeit berühmten Tagung "Mensch und Raum" 
	eingeladen. Doch Mendelsohn lehnte Einladungen aus Deutschland konsequent 
	ab, wie der Architektursoziologe Werner Durth ausführt. Er habe nicht mit 
	Kollegen zusammentreffen wollen, die die Vertreibung der Juden aus 
	Deutschland und den Völkermord billigend in Kauf genommen hatten. Seine 
	"Verweigerung, sich noch mal einzumischen in die Nachkriegsdebatten und 
	durch die eigene Präsenz ein Stück weit an der Entlastung des neuen Staates 
	der Bundesrepublik mitzuarbeiten, hat sicher nicht dazu beigetragen, dass 
	man ihn als einen der ganz großen Beweger der Moderne entsprechend gewürdigt 
	hat". 
    Erich 
	Mendelsohn. Dynamik und Funktion. Akademie der Künste in Berlin. Bis 2. Mai. 
	Katalog bei Hatje Cantz, Ostfildern-Ruit, 2004, 35 Euro 
    Ita 
	Heinze-Greenberg und Regina Stephan: 
    
    Louise und Erich Mendelsohn. Eine Partnerschaft für die Kunst. Hatje 
	Cantz, Ostfildern-Ruit 2004, 176 Seiten, 25 Euro 
    Günther Förgs 
	Fotografien: 
    
    Bauhaus Tel 
	Aviv - Jerusalem 
    Klare Gebäudeformen, Fensterbänder, Flachdächer und 
	Loggien charakterisieren zahlreiche Häuser in Jerusalem und Tel Aviv. Dort 
	entstanden im Verlauf der 30er- und 40er-Jahre rund 1.500 Bauten, die sich 
	an den sozialen, technischen und ästhetischen Vorstellungen der 
	Bauhausbewegung orientierten... 
    hagalil.com 
    08-03-2004  |