Zum Kopftuchstreit:
Islam und "deutsche Leitkultur"
Von Max Brym
In Deutschland tobt der
Kopftuchstreit, Rechtskonservative sowie Grünalternative haben sich zu einer
heiligen Allianz gegen das Kopftuch zusammengeschlossen. Dieser Allianz sind
mittlerweile auch einige selbst erklärte Linke beigetreten.
Zweifellos ist das
Kopftuch ein Symbol für die Unterdrückung der Frau, in jedem Falle für die
Ungleichbehandlung der Frau. Die Bedeckung des weiblichen Kopfes oder gar
die Burka ist Ausdruck einer rückständigen Ideologie, die Frauen nicht als
gleichberechtigte Menschen akzeptiert. Dagegen rebellieren Frauen in
Gebieten mit stark fundamentalistisch-islamistischen Strukturen. Auch in den
Metropolen lehnen Frauen ihre Verhüllung entschieden ab. Es gibt aber auch
Frauen, die sich der männlich patriarchalen Gewalt beugen oder das Kopftuch
aus Überzeugung tragen. Der Kampf gegen Frauenunterdrückung ist
international und hat die Frauen als Subjekt ihrer eigenen Befreiung zu
betrachten.
In Europa findet
gegenwärtig statt einer zivilgesellschaftlichen Solidarisierung mit Frauen
und Mädchen, die gegen den fanatischen Fundamentalismus Widerstand leisten,
eine mehr als seltsame Debatte statt. Der Islam wird metaphysisch als
geschlossene Einheit an den Pranger gestellt, da er angeblich rückständiger
sei als die "christlich-abendländisch-jüdische" Kultur. Diese
Herangehensweise ist grundverkehrt. Jede der genannten Religionen hat
patriarchale und reaktionäre Bestandteile in ihrem System. Gleichzeitig
erfüllt die Religion die Funktion, "der Seufzer der bedrängten Kreatur" zu
sein, Trost zu spenden und Hoffnung zu geben. Es steht niemandem an, die
Religion als Privatsache des einzelnen Menschen militant zu attackieren.
Überhaupt nicht akzeptabel
ist es, eine Religion verbunden mit der Phrase von einer geschlossenen
"Nationalkultur" gegen die andere "Kultur" zu privilegieren. Das Christentum
hat in seiner jahrhundertelangen Geschichte die größten Massaker zu
verantworten, sowohl gegen Menschen mit islamischer als auch jüdischer
Religion. Das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte, die Schoa, fand
im letzten Jahrhundert durch den deutschen Faschismus in Europa statt. Von
einer christlich-jüdischen Symbiose sprechen und schreiben nur historische
Traumtänzer. Das Judentum lieferte die ideologische Basis für das
Christentum wie für den Islam. Jeder Alleinvertretungsanspruch, jede
Arroganz, jede Unterdrückung der jeweils anderen religiösen Richtung ist
abzulehnen und kontraproduktiv. Religiöser Wahn und Intoleranz sind keine
historischen Phänomene sondern aktuelle Erscheinungen.
Im Sinne der Aufklärung
gilt es, die Ideale der jungen Bourgeoisie gegen das alt gewordene Bürgertum
in den Metropolen zu behaupten. Die französische Revolution erklärte, "alle
Menschen sind frei und gleich geboren", im Code Civil von Napoleon sind
sämtliche religiösen Freiheiten garantiert, die Menschen einander rechtlich
gleichgestellt. Die bürgerliche Aufklärung trennte konsequent Kirche und
Staat, um dem jungbürgerlichen Liberalismus im Gegensatz zur
aristokratischen Machtbesessenheit zum Durchbruch zu verhelfen. Der
Aristokrat wollte seine Herrschaft unter Berufung auf Gott abgesichert
wissen, denn mit Gott wird bekanntermaßen nicht diskutiert. Die in die Jahre
gekommene Moderne und ihre Vertreter haben neben sozialen Grausamkeiten
keinerlei Zukunftsperspektive mehr zu bieten. Die gegebene Welt der extremen
sozialen Ungleichheit ist für sie das Ende der Geschichte. In diesem Sumpf
rücksichtsloser wirtschaftlicher Konkurrenz, sozialer Ausbeutung und rapiden
Verelendungsprozessen im Trikont suchen die Menschen nach Halt und
Orientierung.
Durch das Scheitern der
Systemalternative, die sich "Kommunismus" nannte, sind Plätze frei geworden
für jede Menge falscher Propheten. Die Welt wird heimgesucht von
fanatischen, religiösen Fundamentalisten unterschiedlichster Couleur. Zu
nennen sind christliche Fundamentalisten, die man massenhaft im sogenannten
"Bibelgürtel" der USA beobachten kann. Nicht umsonst hat der
antisemitische
Film von Mel Gibson den größten Starterfolg in der Filmgeschichte zu
verzeichnen. In Israel ist eine fanatisch-fundamentalistisch-jüdische
Richtung zu beobachten, wie sie sich daran macht, die bürgerlich
demokratisch laizistischen Grundlagen der Gesellschaft in Frage zu stellen.
Der Millionär Bin Laden gibt sich als wahrer Interpret des Islam aus und
versteht geschickt mit modernen Managementmethoden, seine brutal
kapitalistische Version des Islam als einzig gültige auf den Markt zu
bringen.
Die Marketingstrategie
jeder fundamentalistischen Richtung geht davon aus, das eigene Produkt als
Original Religionsartikel abzusetzen. Die Vorgehensweise entspricht der
Selbstpräsentation jedes x-beliebigen Autohändlers. Dem "Händler" Bin Laden
kommt die Islamophobie in vielen westlichen Staaten entgegen. Der Islam wird
als grundsätzliche Bedrohung aufgefaßt, der "Kampf der Kulturen" propagiert.
Die Gleichung Islam = Fundamentalismus = Terrorismus kommt der
Marketingstrategie islamischer Fundamentalisten zu Gute. So auch die in
Deutschland geführte Kopftuchdebatte kombiniert mit der Forderung nach der
deutschen "Leitkultur".
Keine Diskriminierung
des Islam
Die Landesregierung von
Niedersachsen legte am 13. Januar 2004 einen Entwurf zur Novellierung des
Niedersächsischen Schulgesetzes vor. Den muslimischen Lehrerinnen soll nicht
nur das Tragen von Kopftüchern untersagt werden, sondern den Lehrkräften und
pädagogischen MitarbeiterInnen soll jede Meinungsbekundung zur Religion
verboten werden. Das Land Niedersachsen begründet dies "mit der
Neutralitätspflicht des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern".
Außerdem soll von unerwünschten äußeren Bekundungen, "verbale Äußerungen,
Kleidungsstücke, Plaketten" Abstand genommen werden. In dem Entwurf werden
ausdrücklich die abendländisch-christlich-jüdischen Symbole als positiv
hervorgehoben, dass stellt eine absolute Diskriminierung des Islam dar und
ist somit inakzeptabel.
Gebürtige Moslems werden
auf solche Vorgänge reagieren, moslemische Fanatiker werden das Ganze
dankbar als Gottesgeschenk aufnehmen. Der Zulauf zu den Predigten diverser
Hoxhas wird zunehmen. Menschen werden durch den "Kampf der Kulturen" in die
Hände der jeweiligen Fanatiker getrieben. Bei vielen Deutschen wächst
kulturelle und nationalistische Arroganz, der deutsche Staat setzt seine
Machtinstrumente gegen "Nichtdeutsche" ein, was jeden Chauvinisten nur
befriedigen kann. Weltanschauliche und nationalistische Überheblichkeit
unterlegen damit auf praktische Weise die Politik der sozialen Grausamkeit
im Lande.
"Feministische
Initiative" für mehr Abschiebungen
Es paßt zum Zeitgeist,
wenn unter dem Namen "Backlash" deutsche "Feministen" und "Feministinnen"
den Krieg gegen den Islam mit verstärkten Abschiebungen verbinden wollen.
Die "Backlash"-Initiative sammelt gegenwärtig Unterschriften für einen Brief
an die Integrationsbeauftragte Frau Marieluise Beck, Frauenministerin Frau
Renate Schmidt und Justizministerin Frau Brigitte Zypries, in dem sie noch
einige Gesetze mehr gegen Ausländer und Ausländerinnen in Deutschland
fordern. In den Katalog der Abschiebegründe soll laut "Backlash" folgendes
aufgenommen werden: "Alle Frauen und Männer, die aus Ländern kommen, in
denen Männer gegenüber den Frauen rechtlich privilegiert sind und die ein
Aufenthaltsrecht in Deutschland beantragen unterschreiben ab sofort, dass
sie Art. 3 Abs. 2 GG anerkennen. Damit anerkennen sie gleichzeitig, dass sie
bei Verstößen ihr Aufenthaltsrecht verwirken."
Die "deutsch-nationalen"
Feministinnen wie Helke Sander und Halina Bentkowski, sowie der aktive
Gewerkschafter Günter Langer, rufen unter dem Vorwand der Frauenemanzipation
nach Abschiebungen. Ihr Konzept geht davon aus, daß es in Deutschland nur
noch peripher Frauenunterdrückung gibt, denn ihr "Feminismus" bezieht sich
ausschließlich auf Frauen und Männer, die aus anderen Ländern kommen. Der
deutsche Macho, Schläger und Frauenfeind kann beruhigt seine Bierflasche
öffnen. Für den alt SDS-ler Langer ist er eine randständige Figur. Das
Briefchen der Initiativler soll auch die illegale Prostitution ausländischer
Frauen bekämpfen. Statt für einen legalen Status sämtlicher Prostituierter
einzutreten, fällt "Backlash" objektiv nur die sinnige Parole "Ausländer
raus" ein.
Natürlich steht es außer
Zweifel, dass viele Frauen und Mädchen ohne deutschen Paß einer besonderen
Unterdrückung ausgesetzt sind. Sie werden rassistisch diskriminiert, von
vielen Deutschen nationalistisch angemacht und sind zu Hause oft strengen
patriarchalen Regeln unterworfen. Dagegen etwas zu tun ist notwendig, aber
statt an multinationale Frauengruppen zu appellieren, gemeinsame soziale
Kämpfe zu planen, fällt der genannten Initiative nur die staatliche Drohung
mit der Abschiebung ein. Dabei bedenken sie nicht, wenn extreme Machos in
ihre "Herkunftsländer" mit Frauen und Kindern (dafür wird der Staat sorgen)
verfrachtet werden, haben die Leute in den betroffenen Ländern eine Unmenge
davon. Für diese Typen werden sich die "Herkunftsländer" bedanken. An den
Frauen, wird sich die Wut der abgeschobenen Männer dann erst richtig
austoben.
Aber die "Backlash"-Leute
wird das aufgrund ihres nationalistischen Konzeptes nicht anfechten. Für sie
gibt es Länder mit geschlossener Nationalkultur, die natürlich rückständiger
als Deutschland sind. Um welchen politischen Charakter es sich bei Herrn
Langer und Konsorten handelt, zeigt ihre Aktion gegen das Partisan.net am 1.
März 04. Nachdem Herr Langer feststellen mußte, daß er in der linken
Projektgruppe Partisan.net mit seiner SDS-Website nicht mehr geduldet wird,
langte er richtig hin. Er versuchte die gesamte Domain zu zerstören und
damit linke Öffentlichkeit zu schädigen.
Fundamentalisten
bekämpfen
Der islamische
Fundamentalismus, wie jeder andere religiöse Fanatismus, ist die
pervertierte Antwort auf eine unsoziale, ausbeuterische und Elend
produzierende Weltordnung. Den verschiedenen Fundamentalismen geht es nicht
darum, Demokratie, soziale Sicherheit und Frauenrechte nach vorne zu
bringen. Im Gegenteil, die gegebenen Zustände wollen sie zementieren und
verabsolutieren. Ihre Parole ist der "Kampf der Kulturen", dabei setzt jede
fundamentalistische Richtung darauf, dass die von ihr vertretene fanatische
Sicht der Dinge als, religiöses non plus ultra weltweit anerkannt wird.
Dagegen sind mehrere
Mittel anzuwenden. Entscheidend ist es, Vereinfachungen abzulehnen. Der
Islam ist nicht die Hamas und Bin Laden, das Christentum ist nicht Mel
Gibson und das Judentum ist nicht Baruch Goldstein. Es gilt eine weltlich-
laizistische Perspektive in Richtung Toleranz und sozialer Gleichheit zu
entwickeln. Was Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit und
Atheisten miteinander verbindet ist der Kampf dafür, dass die Erde nicht zur
Hölle wird. Die Definition der Hölle hat von konkreten Fakten und nicht von
metaphysischen Spekulationen auszugehen. Die Befreiung der Arbeit kann nur
das Werk der Arbeiter selbst sein, genauso wie die Befreiung vom Kopftuch
nur das Werk der Frauen im Bündnis mit anderen fortschrittlichen Strömungen
sein kann.
Die Frauen müssen Subjekt
und nicht Objekt sein. Das Ablegen des Kopftuches, genauso wie das Tragen
des Kopftuches, darf keinesfalls mit Zwang verbunden sein. Freiheit kann
nicht den zu befreienden Subjekten mittels staatlicher Gesetze vorgegeben
werden. Schon Napoleon mußte die Erfahrung machen, dass sich sowohl die
russischen als auch die spanischen Bauern gegen ihn erhoben, obwohl gerade
in Spanien das Programm von Joseph Bonaparte objektiv den Bauern mehr gab,
als die Herrschaft der spanischen Feudalaristokratie.
Jede Zwangsmaßnahme gegen
das Kopftuch ist negativ, sie bestärkt tradierte politische Reaktion,
schaltet die Frauen als Entscheidungsträger aus und ist daher vergleichbar
mit der islamistischen Männergewalt, die vielen Frauen den Schleier
aufzwingt. Verbots- und Zwangsmaßnahmen gegen das Kopftuch im "christlichen
Abendland" nützen der Hamas und Bin Laden. Jener "Kulturkampf" wird auf dem
Rücken der Frauen ausgetragen, denn die herrschende Kultur auf dem Globus
ist patriachal geprägt. Daneben gilt es in Sachen Kopftuchstreit noch einige
zusätzliche Aspekte zu berücksichtigen. Viele junge Mädchen tragen das
Kopftuch freiwillig, um auf diese Art nicht nur ihre Identität, sondern auch
ihre Ablehnung des metropolitanen Rassismus zu demonstrieren. Wie in der
Farbenlehre gilt es in der Politik festzuhalten: Es gibt nicht nur schwarz
und weiß, Grautöne sind verbreiteter und es stellt sich die Frage, ob es ein
chemisch reines Schwarz und Weiß überhaupt gibt.
hagalil.com
08-03-2004 |