Der "Jüdische Kulturverein Berlin" fordert:
Keine Änderung in der Praxis jüdischer Einwanderungen!
Offener Brief an Parteien, Verbände, Medien - Berlin,
29-03-2004 Wir haben erfahren,
dass im Rahmen des neuen Zuwanderungsgesetzes die Frage der Einwanderung im
jüdischen Kontingentverfahren einschneidend verändert werden soll. Demnach
bestehe also die Absicht, jene von der Regelung auszunehmen, die dem
jüdischen Religionsgesetz (Halacha) zufolge keine Jüdinnen oder Juden sind.
Nach diesem Gesetz gibt nur die Mutter die Zugehörigkeit zum Volk weiter.
Eine religiöse Konversion ist jedoch möglich. Eine weltweite Bewegung
liberaler Juden akzeptiert dieses Gesetz nicht. Sie anerkennt auch die
väterliche Abstammung.
Der säkulare Jüdische Kulturverein Berlin e.V. hatte am 6. Februar 1990 alle
am Zentralen Runden Tisch der DDR vertretenen Parteien und
gesellschaftlichen Initiativen aufgerufen, Jüdinnen und Juden sowie Personen
jüdischer Herkunft in die noch bestehende DDR einwandern zu lassen, die dies
wegen der politischen Instabilität und damit verbundener antisemitischer
Gefahren wollten.
Die Zustimmung war einstimmig, die Einwanderung begann Ende Mai 1990. Daraus
wurde die im Januar 1991 durch die Bundesinnenministerkonferenz beschlossene
und bis heute geltende Kontingent-Regelung, wonach jene mit jüdischer Mutter
(halachische Juden) oder jüdischen Vater (jüdische Herkunft)
antragsberechtigt sind. Verwandte 1. Grades (Ehepartner, minderjährige
Kinder) jeglicher Nationalität sind in das Kontingent integriert.. Seit 1990
reisten etwa 170 000 Menschen in diesem Verfahren ein, um in Deutschland
dauerhaft zu leben.
Wir alle wissen, dass die jahrhundertealten festgefügten antisemitischen
Vorurteile nicht verschwunden sind, sondern weiterwuchern und teilweise auch
gewaltsam ausbrechen. Der jüngste Skandal bei der Leipziger Buchmesse ist
ein erneuter Hinweis. Die Erinnerung an den Holocaust wird von der EU in
allen östlichen Beitrittsländern als unzulänglich beschrieben.
Anders als in Deutschland ist das Judentum im russischsprachigen Raum nicht
nur Religion, sondern vor allem Nationalität, die in der Regel vom Vater auf
den Sohn kommt und in den Personaldokumenten registriert wird. Das heißt:
Der Sohn von David Abramowitsch Feldstein ist XY Davidowitsch Feldstein -
und er ist damit für alle erkennbare ein Jude, was ohnedies seinen
Personalunterlagen zu entnehmen ist. Nur das jüdische Religionsgesetz sieht
es anders - natürlich nur, wenn die Mutter keine Jüdin ist.
Die Einwanderung nach Deutschland darf auf keinen Fall nach religiöser Logik
kodifiziert werden. Nicht nur für deutsche Nazis, auch für heutige
Antisemiten sind die religiösen Gesetze des Judentums irrelevant.
Israel gestattet aus diesem Grund all jenen die Einwanderung, die als Kinder
von jüdischen Müttern oder Vätern verfolgt werden könnten. Das ist die Lehre
aus der Geschichte. Nur so darf die Richtschnur beschaffen sein.
Für uns ist unerträglich, dass einerseits ein Kopftuchverbot gegenüber
streng religiösen Muslima durchgepresst werden soll, andererseits nur noch
halachische Jüdinnen und Juden nach Deutschland einwandern sollen. Auch
diese werden, falls sie strikt religiös sind, niemals ihre Kopfbedeckung
absetzen. Orthodoxe jüdische Frauen gehen wie Muslima nicht ohne Kopftuch,
Hut oder Perücke unter Menschen. Wir erwähnen dies, um späteren Irritationen
vorzubeugen.
Das Verfassungsgebot der Trennung von Staat und Religion muss in jedem Fall
und für alle ernst genommen werden.
Es ist längst an der Zeit, jüdischerseits eine Integration in die jüdische
Vielfalt und staatlicherseits eine in die deutsche Realität nachhaltig zu
fördern, anstatt Einwanderung zu bremsen und zu konfessionalisieren.
Deutschland verfügt übrigens nur durch diese über die am schnellsten
wachsende jüdische Gemeinschaft Europas. Wir jedenfalls sind auf die
eingewanderten russischsprachigen Intellektuellen, auf Künstler, Akademiker,
Ingenieure, Ärzte, Schriftsteller, auf lebenserfahrene Persönlichkeiten
stolz, die, bzw. deren Kinder im Bunde mit anderen Migranten die Zukunft
dieses Landes aktiv mitgestalten werden. Einwanderung ist ein Gewinn. Das
sollte in der quälenden Zuwanderungsdebatte nicht vorsätzlich übersehen
werden.
Für den
Jüdischen Kulturverein Berlin e.V.
Dr. Irene Runge 1. Vorsitzende
Johann Colden 2. Vorsitzender
Andreas Poetke Schatzmeister
Ralf Bachmann Vorstandsmitglied
Igor Chalmiev Integrationsbeauftragter
hagalil.com
29-03-2004 |