Entzaubern!
Wie man den Selbstmordterrorismus besiegt
Eine überragende Studie sollte dazu
beitragen, dass mit dem weit verbreiteten Eindruck aufgeräumt wird, dass
Selbstmordanschläge weder verstanden werden können, noch dass es irgendeine
Art von Abhilfe gegen sie gibt.
Adam Wolfson
Mit den Selbstmordattentätern haben wir einen
gleichwertigen Gegner gefunden. Sagt man uns zumindest. Die Abschreckung hat
die Sowjets 40 Jahre in Schach gehalten und sie davon abgehalten, unsere
Städte anzugreifen. Aber, so sagt man, Abschreckung gegenüber religiösen
Eiferern ist unmöglich. Wie erstaunlich und unerklärlich ihr Verhalten nur
ist! Was für eine unergründliche Überzeugung sie nur an den Tag legen! Es
muss als sicher gelten, dass ein solcher Fanatismus nicht abgeschreckt
werden kann.
“Die religiöse Orientierung der
Islamisten macht Abschreckung sinnlos. Wie soll man jemanden
abschrecken, der nicht nur willens, sondern sogar begierig darauf ist,
zu sterben? ... Man kann islamistische Fundamentalisten nicht
abschrecken.”
(Fareed Zakaria) |
Das ist die gängige Interpretation, aber, wie es
häufig mit gängigen Interpretationen der Fall ist, ist sie zum größten Teil
falsch. In einem sehr genau recherchierten Artikel für den "American
Political Science Review", hat Robert Pape jeden einzelnen
Selbstmordanschlag, der sich von 1980 bis 2001 irgendwo auf der Welt
ereignet hat, untersucht. Es hat weltweit 188 solche Selbstmordanschläge
gegeben, und zwar vom Libanon über die West Bank, Sri Lanka, Tschetschenien,
Indien bis zur Türkei. Auf der Grundlage seiner Forschungsarbeiten kann
Pape, der an der Universität von Chicago Politische Wissenschaften
unterrichtet, viel Aufschlussreiches über diese barbarische Praktik
darlegen: Er zeigt, wie der Selbstmordterrorismus operiert und warum er in
den letzten Jahrzehnten zu einer Wachstumsindustrie geworden ist. Seine
überragende Studie sollte dazu beitragen, dass mit dem weit verbreiteten
Eindruck aufgeräumt wird, dass Selbstmordanschläge weder verstanden werden
können, noch dass es irgendeine Art von Abhilfe gegen sie gibt.
Eines von Papes wichtigsten Ergebnissen ist, dass der Selbstmordterrorismus
von klar erkennbaren strategischen Zielen geleitet wird. Ein
Selbstmordanschlag geschieht nicht aus dem Grund heraus, Gewalt um ihrer
selbst willen zu verüben, obwohl auch dieses Motiv immer mit im Spiel ist.
Er ist auch kein Verzweiflungsakt von Entrechteten. Vielmehr werden
Selbstmordanschläge fast immer sorgfältig vorbereitet und verübt, um die
politischen Ziele nationalistischer Gruppen zu erreichen. Von den 188
Selbstmordanschlägen der Jahre 1980 bis 2001 sind überwältigende 95 % als
Teil einer organisierten politischen Strategie verübt worden, d.h., dass nur
9 dieser Anschläge nicht geplant waren.
Diese statistischen Daten geben uns ein klareres Bild davon, womit wir es zu
tun haben. Die überwiegende Mehrheit dieser Angriffe ist nicht das Werk von
Psychotikern; sie sind nicht das ziellose und unvorhersehbare Werk von
Fanatikern. Wir müssen uns nicht in die dunklen Abgründe der Psychologie von
Dylan Klebold und Eric Harris hinab begeben. Selbstmordanschläge treten
vielmehr, wie Pape zeigt, in inhaltlich zusammenhängenden Häufungen auf und
werden fast immer als Teil einer größeren politisch-militärischen Strategie
eingesetzt. Die Psychologie des einzelnen Selbstmordattentäters mag in der
Tat unverständlich sein, aber dies gilt nicht für die, die ihn rekrutieren,
ausbilden und für seinen Auftrag ausstatten. Seine Hintermänner sind nicht
so begierig darauf zu sterben, und es gibt kaum einen Grund zu glauben, dass
Abschreckung, wenn sie mit Härte und Entschlossenheit praktiziert wird,
gegen diese Hintermänner ohne Wirkung bleiben wird.
Pape legt ein weiteres überraschendes und hochwichtiges Muster offen: Jeder
Selbstmordanschlag während seines Untersuchungszeitraums richtete sich gegen
einen demokratischen Staat. Die Hezbollah hat mit dieser Waffe 1983 die
Vereinigten Staaten und Frankreich 1983 aus dem Libanon vertrieben, zusammen
mit dem Hamas hat sie wiederholt zu diesem Mittel gegriffen, um von Israel
Konzessionen zu erzwingen. Tamilische Terroristen haben mit
Selbstmordattentaten Krieg gegen die Regierung von Sri Lanka geführt, Kurden
gegen die Türkei, Tschetschenen gegen Russland und die kaschmirischen
Rebellen gegen Indien. Am niederträchtigsten waren jedoch die
Selbstmordanschläge, die am 11. September von Al-Qaeda gegen die USA verübt
wurden.
Dies ist ein äußerst wichtiges Forschungsergebnis. Offensichtlich sind die
Terroristen zu gewissen Schlussfolgerungen über unsere Regierungssysteme
gekommen. Sie glauben, dass wir "weich" sind, und nehmen an, dass
demokratische Staaten eine besondere Anfälligkeit für nihilistischen Terror
aufweisen.
Es ist traurig, zugeben zu müssen, dass die Terroristen in diesem Punkt
nicht völlig falsch liegen. Pape zeigt, dass sich Selbstmordattentate gegen
demokratische Staaten lohnen. Diese Spielart ist zerstörerischer als der
normale Terrorismus – von 1980 bis 2001 betrug der Anteil der
Selbstmordanschläge an der Gesamtzahl der Terrorangriffe nur 3 %, machte
aber 45 % der Opfer aus, eine Zahl, die den immensen Blutzoll vom 11.
September noch nicht einmal mit einbezieht. Weiterhin erreicht der
Selbstmordterrorismus in der überwiegenden Zahl der Fälle auch seine
strategischen Ziele. Pape weist nach, dass von den elf unterschiedlichen
Kampagnen mit Selbstmordattentaten von 1988 bis 2001 sechs "wesentliche
Änderungen in der Politik des angegriffenen Staates in Bezug auf die
Hauptziele der Terroristen" bewirkten. Dies lässt für die Zukunft Übles
befürchten, wie Pape darlegt:
Der Hauptgrund, warum der Selbstmordterrorismus wächst, ist der, dass die
Terroristen gelernt haben, dass sie auf diese Weise ihre Ziele erreichen
können. Noch beunruhigender ist allerdings, dass die ermutigenden Lehren,
die die Terroristen aus ihrer Erfahrung in den 80ern und 90ern gezogen
haben, größtenteils keine Produkte von weithergeholten Interpretationen oder
Wunschdenken sind. Sie beruhen vielmehr auf ganz rationalen Einschätzungen
der Ergebnisse der einzelnen Terrorkampagnen dieser Jahre.
Wie sollten sich nun die demokratischen Staaten diesem neuen Fluch gegenüber
verhalten? Pape tritt für eine Verstärkung der Instrumente der Inneren
Sicherheit ein. Dies ist zwar ein guter Ratschlag, aber es kann und sollte
auch viel mehr als nur dies allein getan werden.
Wir müssen den Selbstmordterrorismus als das erkennen, was er ist; wir
müssen ihn entmystifizieren. Selbstmordattentäter sind nicht irgendeine
exotische Sorte Mensch, bei denen die Mittel der Politik nicht greifen.
Thomas Hobbes sagte einmal das Folgende über Grausamkeit: "Es ist
unvorstellbar, dass irgendein Mensch anderen Menschen Gewalt antut, ohne ein
über die reine Gewaltanwendung hinausreichendes Ziel zu verfolgen." Die
Terroristen haben ihre Ziele. Verweigern wir ihnen die Möglichkeit, sie zu
erreichen - stellen wir sicher, dass sich Terrorismus nicht lohnt - und der
Terror wird viel von seinem Glanz verlieren.
National Review Online NRO, 16.September 2003
Adam Wolfson ist der Herausgeber von "The Public Interest". (Ü: ChRa)
hagalil.com
23-02-2004 |