Die
Dieudonné-Affäre
Konflikt zwischen französischen Schwarzen und Juden Oder antisemitischer
Kulturskandal?
Von Bernard
Schmid, Paris
Dieudonné,
der Gottgeschenkte, ist vielleicht ein ungewöhnlich klingender Vorname. Bei
katholischen und französischsprachigen Afrikanern ist er jedoch sehr
verbreitet. Fällt der Name in Frankreich, weiß dagegen fast jeder, wer
gemeint ist: Dieudonné M'bala M'bala, der 1966 in einem Pariser Vorort als
Kind einer Soziologiestudentin aus der Bretagne und eines Kameruners das
Licht der Welt erblickte, hat sich in den letzten zehn Jahren als
erfolgreicher Schauspieler und Komiker einen (Vor-)Namen gemacht. Heute
gehört ihm das Main d'Or-Theater im 11. Pariser Bezirk, das er begründet
hat. Und jetzt steht er im Mittelpunkt einer Polemik, die sich vorige Woche
heftig zuspitzte.
Der umstrittene
Fernseh-Sketch von Dieudonné
Am 1. Dezember
03 war Dieudonné, von seinen Fans auch "Dieudo" genannt, Studiogast in der
Sendung "Man kann's nicht jedem Recht machen" (On ne peut pas plaire à tout
le monde) von Marc-Olivier Fogiel auf dem dritten Fernsehkanal. Dort sollte
er gemeinsam mit dem Schauspieler Fernsehkasper Djamel (deutsch Dschamel)
Debbouze herumulken. Beide sind auf ihre Weise Vorzeigefiguren von
Minderheiten der französischen Gesellschaft: Dieudonné ist einer der
wenigen, regelmäßig in den Medien präsenten Schwarzen. Djamel Debbouze, ein
kleinwüchsiger und leicht körperbehinderter junger Mann, seinerseits ist in
gewisser Weise der "Vorzeigearaber" der französischen Massenmedien. In
jüngerer Zeit hat er sich zum Publikumsliebling, allerdings auch zu einer
Art Pausenclown des Showbetriebs entwickelt.
Dabei hatte der
Komiker einen Einfall, den nicht alle lustig fanden: Dieudonné trat als
orthodoxer Jude verkleidet auf, fuchelte mit einer Waffe herum und forderte
die Zuschauer dazu auf, "der Achse des Guten, der amerikanisch-zionistischen
Achse" beizutreten. Das mochte noch irgendwie als konfuse Kritik an der
Nahostpolitik der USA durchgehen. Doch die rote Linie war für viele
Beobachter spätestens überschritten, als Dieudonné damit endete, "Isra-Heil"
auszurufen und dabei den rechten Arm in die Höhe zu recken, womit er die
israelische Politik mit der NS-Herrschaft assoziierte. Auf den Ausfall waren
offensichtlich weder Showmaster Fogiel noch Djamel Debbouze gefasst.
Reaktionen und Proteste
Der Auftritt
führte zu Protesten: Mehrere tausend SMS mit Protestinhalt trafen im Laufe
der Sendung bei der die Zuschauer, per SMS, direkt reagieren können - ein.
Aus technischen Gründen, wie es seitens der Fernsehstation hieß, wurden sie
allerdings nicht mehr in derselben Sendung präsentiert, sondern erst in der
darauffolgenden Ausgabe eine Woche später. Marc-Oliver Fogiel, der selbst
französischer Jude ist, hatte im Angesicht von Dieudonnés missratenem Sketch
nicht direkt reagiert, sondern war einen Moment lang perplex geblieben.
Jetzt aber entschuldigte er sich bei den Zuschauern.
Gleichzeitig
sprach der Oberste Medienrat CSA, der die Einhaltung von inhaltlichen
Mindeststandards in Radio- und Fernsehsendungen überwacht, eine Rüge gegen
den Sender France 3 aus. Die KP-nahe Antirassismusorganisation MRAP
erstattete Strafanzeige gegen Dieudonné wegen "seiner nicht hinzunehmenden
antisemitischen Entgleisung" (so MRAP-Anwalt Pierre Mairat). Der MRAP klagte
gleichzeitig auch gegen den unbekannten Autor einer SMS, in welcher dem
Komiker dazu geraten wurde, doch mal einen Sketch "über den Geruch der
Schwarzen" zu machen. Nachdem Dieudonné eine öffentliche Entschuldigung
ausgesprochen hatte (er entschuldigte sich bei all jenen, "die sich
angegriffen hätten fühlen können"), zog die antirassistische Organisation
ihre Anzeige dann zurück, um die Wogen zu glätten.
Doch damit war
die Angelegenheit nicht erledigt, denn im Januar 04 wurden Auftritte des
Komikers in einer Reihe französischer Städte annulliert, "aus
Sicherheitsgründen". Jüdische Organisationen, wie die UEJF (der Jüdische
Studentenverband Frankreichs), drückten friedlich ihren Protest aus. Aber
gleichzeitig wurden auch Morddrohungen aus den Kreisen um die rechtsextreme
"Jüdische Verteidigungsliga" (LDJ) es handelt sich um die Anhänger des
rassistischen Predigers Rabbi Kahane; ihre Pendants in den USA und Israel
sind nach Gewalttaten verboten worden und auf ihr nahe stehenden Webseiten
ausgesprochen.
In einem Dutzend
französischer Städte wurden im Januar und Februar Auftritte Dieudonnés
abgesagt. Dagegen konnte das Gastspiel in Lyon am 5. Februar stattfinden,
nachdem ein Verwaltungsgericht die Entscheidung des sozialdemokratischen
Bürgermeisters Gérard Collomb der das Spektakel im Vorfeld verboten hatte
aufhob. Unter rund 900 Zuschauern im Saal befanden sich auch 100 bis 150
Protestierende und Störer, von denen einige ihre Ablehnung verbal
begründeten, andere dagegen zu eher zweifelhaften Mitteln griffen. Nachdem
das Licht im Saal ausgegangen war, warf ein Mann eine qualmende Flasche mit
einer bisher nicht näher identifizierten chemischen Substanz nach vorn in
Richtung Bühne; daraufhin mussten zwei andere Zuschauer ambulant behandelt
werden, die den Rauch eingeatmet hatten. Der Inhalt der "Chemieflasche" wird
derzeit durch die Kriminalpolizei näher identifiziert.
Die Methoden
mancher seiner Kritiker brachten Dieudonné wiederum dazu, sich als
verfolgtes Opfer zu gerieren. Nun wählte er allerdings selbst die Flucht
nach vorn in die Eskalation und erklärte etwa auf Radio Monte Carlo: "Ich
wische mir den Hintern mit der israelischen Fahne ab." Damit schüttete
Dieudonné noch Öl in's Feuer, und aus Sicht vieler Kritiker waren keine
Gesprächsgrundlagen mehr gegeben.
Höhepunkt der Eskalation am
vorigen Freitag
Ein Höhe- bzw.
Tiefpunkt wurde am Freitag voriger Woche (20. Februar) erreicht. Dieudonné
sollte im legendären Pariser Saal L'Olympia sein bekanntes Stück "Patrick
lässt sich scheiden" (Le divorce de Patrick) aufführen. Nach wüsten
Drohungen einer Angestellten des Theatersaals schlug ein Anrufer vor, sie
"in eine lebende Fackel zu verwandeln" sagten die Besitzer den
Komikerabend ab. Das rief auch bei Beobachtern, die Dieudonnés voran
gegangene Äußerungen kritisiert hatten, Bauchschmerzen hervor. So bei der
Liga für Menschenrechte (LDH). Sie missbilligte explizit Dieudonnés Sketch
und sein darauf folgendes Verhalten, doch sie kritisierte die Absage seines
Olympia-Abends bei dem von Juden und Israel nirgendwo die Rede gewesen
wäre und der somit nichts mit den Vorwürfen zu tun hatte als "Zensurakt,
der Dieudonné nur unnütz zum Märtyrer stilisiert".
Doch gut 1.000,
vielleicht auch 1.500 Protestierende, viele von ihnen hatten eine
Eintrittskarte im Vorverkauf gelöst, hielten eine Kundgebung vor dem Saal
ab. Dieudonné gab sich dabei als Wortführer einer unterdrückten Minderheit:
"Verbietet nicht dem einzigen Schwarzen, der in der französischen
Komikerszene präsent ist, den Mund!" Und: "400 Jahre Sklaverei, und man darf
nicht darüber reden!"
Damit benannte
Dieudonné zwar nicht die wirklichen Gründe, die zur Absage seines Spektakels
führten, rührte aber sehr wohl an eine sensible Ader. Die objektive oder
subjektive Benachteiligung der Schwarzen vermischt sich dabei mit einem
Gefühl, das den Juden vorwirft, den Status als "legitime" Opfergruppe zu
monopolisieren.
Eine so
begründete Form von Rivalität ist in den USA bereits weit verbreitet,
beginnt sich aber auch in Frankreich Bahn zu brechen. Legitime Forderungen
wie die, dass endlich auch die Sklaverei als Verbrechen gegen die
Menschlichkeit anerkannt und ihre Geschichte stärker auch im Schulunterricht
behandelt werde, bilden den Anfang. Aber sie verkehren sich vor dem
Hintergrund einer gesellschaftlichen Krise, die immer mehr Menschen auf ihre
angebliche "natürliche Gemeinschaft" zurückwirft, angesichts des sich
ausbreitenden Elends und des Mangels an allgemeiner Solidarität in eine
Waffe gegen eine andere Minderheit. Dieser, der jüdischen Bevölkerung, wird
vorgeworfen, dass ihre Verfolgungsgeschichte einen überproportionalen Raum
in Schul- und Geschichtsbüchern, Medien usw. einnehme.
Dabei wird aber
nur die im Prinzip mögliche Abwehrfront der Benachteiligten und
Diskriminierten (in den USA nannte man das in den Siebzigern die
"Regenbogenkoalition") auseinander gehauen. Der Rassismus der
Mehrheitsgesellschaft braucht dabei nur zuzugucken und sich in's Fäustchen
zu lachen. So berichtete die rechtsextreme Wochenzeitung "Minute", mit
versteckter Häme, wohlwollend-positiv über die jüngsten Umtriebe Dieudonnés.
Vor kurzem war er in der rechtsextremen Presse noch in kaum verhüllten
Worten - "der Neger, der den Front National herausfordert" gewesen.
Dieudonné hatte bei der Parlamentswahl 1997 in einer Hochburg der
rechtsextremen Partei kandidiert, in Dreux. Dort hatten die Le Pen-Anhänger
ihren historisch ersten Wahlsieg gefeiert (bei einer Kommunalwahl im
September 1983), und dort hatte die FN-Abgeordnete Marie-France Stirbois
Ende der Achtziger Jahre die absolute Mehrheit für einen Parlamentssitz
erobert, was selten vorkommt. (Bei einer Nachwahl für einen freigewordenen
Parlamentssitz, die während der laufenden Legislaturperiode stattfand, holte
die "schreckliche Witwe" Stirbois im Dezember 1989 in Dreux 61,3 Prozent der
Stimmen. Ein solches Wahlergebnis hat der FN nie davor und nie danach
irgendwo erhalten.)
Als
"Herausforderer" des rechtsextremen Drachens Marie-France Stirbois, die
damals in Dreux noch zwischen 30 und 40 Prozent der Stimmen erhielt, hatte
Dieudonné 1997 in der Industriestadt 80 Killometer von Paris 7,7 Prozent der
Stimmen erzielt. Inzwischen ist der rechtsextreme Stimmenanteil in der
40.000-Einwohner-Stadt deutlich zurückgegangen, und es hat eine gewisse
politische "Normalisierung" in Dreux stattgefunden. Damals aber hatte
Dieudonnés Einzelkandidatur noch einen gewissen politischen Mut erfordert.
Dabei war der heute 43jährige aber nie ein politischer Intellektueller,
sondern stets jemand, der zum Teil aus dem Bauch heraus handelte im Falle
der Bekämpfung des FN sicherlich richtig, in anderen Fällen kann er dagegen
weit daneben liegen.
Was aber treibt
ihn jetzt dazu, auf eine Weise zu handeln, deren Ergebnisse absolut nicht im
Einklang mit seinen proklamierten Idealen zu stehen scheinen?
Welche Motivation treibt
Dieudonné (und seine Unterstützer)?
Man kann bei
Dieudonné nicht im klassischen Sinne von Antisemitismus sprechen; er
empfindet sicherlich keinen Hass auf "den" individuellen Juden.
Dieudonnés
Bühnenpartner war sieben Jahre lang der sich selbst als "atheistischen Juden
" bezeichnende Elie Semoun, und ihr gemeinsamer Sketch "Cohen & Bokassa"
der sich über Ressentiments und Identitätspolitik lustig macht hatte
keinerlei Beanstandung gefunden. Allerdings hat Elie Semoun, der sich jüngst
in "Le Monde" zu Wort meldete, jetzt auch scharfe Kritik an dem missratenen
Sketch Dieudonnés vom 1. Dezember und seinem nachfolgenden Verhalten geübt.
Nach Ansicht Elie Semouns ist Dieudonné auf seine Art "größenwahnsinnig"
geworden, da er sich einbilde, fertige Antworten zu komplexen politischen
Problemen formulieren und diese auch noch künstlerisch übermitteln zu
können. Das würde eine weitaus größere Sensibilität als Dieudonnés jetzigen
hemdsärmeligen Haudrauf-Humor erfordern.
Dennoch
formuliert Dieudonné in der jetzigen Auseinandersetzung auch Vorwürfe, die
uralte antijüdische Klischées einbeziehen. Etwa wenn er (in der
Sonntagszeitung JDD) den "jüdischen Ligen", die gegen ihn mobilisierten,
vorwirft: "Das sind alles am Sklavenhandel reich Gewordene, die ihre
berufliche Neuorientierung im Bankenwesen, im Kulturbereich und jetzt in der
terroristischen Aktion gefunden haben." Damit bedient er auf jeden Fall das
Klischee von den Juden, die angeblich den Finanzsektor und die Medien
kontrollieren würden. Und: Zwar hat Dieudonné mit dem Satz Recht, wonach
im historischen Zusammenhang betrachtet - heutige "Vermögen auf der traite
des noirs (dem Geschäft mit Sklaven gegen Rohstoffe aus dem damaligen Nord-
und Südamerika) und der Sklaverei" beruhen, denkt man an die Ursachen des
Aufstiegs von Städten wie Bordeaux. Unrecht dagegen hat Dieudonné, wenn er
diese Vorwürfe (direkt) auf "jene, die mich angreifen", und (indirekt) damit
auf die französischen Juden bezieht. Die katholische, protestantische oder
jüdische Konfession der Reeder und Kapitäne von Saint-Nazaire oder Bordeaux
und der Bourgeois, die am Sklavenhandel reich wurden, war in Wirklichkeit
vollkommen unerheblich.
Der in seiner
politischen Reflexion wohl nur begrenzt ernst zu nehmende Komiker macht es
sich gleichzeitig einfach, indem er davon ausgeht, er könne doch per
definitionem gar kein Rassist sein, da er zur Hälfte afrikanischer Herkunft
und "métis" ist. (Auf Deutsch müsste man das mit "Mischling" übersetzen;
doch der französische Begriff der "métissage" Mischung ist keineswegs
von vornherein negativ belastet. So plakatieren antirassistische
Organisationen derzeit offensiv ihre Forderungen nach einer "Republique
métissée" an die Pariser Wände. Im Munde deutscher Politiker würde das eher
wie ein Albtraum klingen, sprach doch Edmund Stoiber einst mit Ekel von der
"durchrassten und durchmischten Gesellschaft". Gemeint ist mit der SOS
Racisme-Parole allerdings ungefähr das, was man im Deutschen als
multikulturelle Gesellschaft bezeichnen würde.)
Als "métis", so
erklärte Dieudonné kürzlich, könne er doch gar nicht rassistisch eingestellt
sein, denn "die Grenze geht doch mitten durch mit hindurch". Nun gibt es
allerdings keine von Geburt aus "besseren Menschen", so dass man bis zum
Beweis des Gegenteils auch einen Dieudonné des Ressentiments gegen
bestimmte Menschengruppen für fähig halten muss. (Strukturell ähnlich ist
das Argument mancher arabischer Immigranten, die angeben, sie könnten doch
unmöglich antisemitische Ideen haben, da sie "ja selbst Semiten" seien.)
Dieudonné
erklärte in seiner Rede am Freitag vor dem Olympia, er mache sich über alle
kommunitaristischen Borniertheiten und deswegen auch über fanatische
jüdische Siedler lustig. Doch er selbst bedient auch eifrig
kommunitaristische Mechanismen etwa, wenn er die Dinge so hinstellt, als
sei er in seiner Eigenschaft als Nachfahre von Schwarzen zum Ziel der Kritik
geworden. Das war jedoch nicht der auslösende Faktor. Eine andere Sache ist
es, eine Ungleichbehandlung zu beklagen: Dass ein Maurice Papon, der unter
anderem während des Zweiten Weltkriegs 1.700 Juden aus Bordeaux deportieren
ließ und in späteren Jahrzehnten als Minister und Polizeipräsident von Paris
amtiert, noch in seinem jetzigen Gefängnis als konservativer Ehrenmann
behandelt wird, ist schockierend. Vorige Woche erschien ein ganzseitiges
Interview mit ihm in der konservativ-liberalen Wochenzeitschrift "Le Point",
an dem kaum jemand Anstoß nahm. Dass antisemitische oder als solche zu
interpretierende Äußerungen derzeit in den bürgerlichen Medien weit mehr
Aufmerksamkeit finden, wenn sie von arabischen Immigranten oder auch einem
""Mischling" wie Dieudonné ausgehen und zugleich die in den
gesellschaftlichen Eliten verbreiteten Rassismen weniger Aufmerksamkeit
finden, das ist sicherlich zutreffend. Es ist richtig, das zu kritisieren,
aber ohne dass dadurch alles andere entschuldigt würde.
Dieudonné, Vorkämpfer der
"Sache" der Schwarzen?
Kommunitaristische Mechanismen bedient Dieudonné auch, wenn er seine "Sache"
jetzt zur Angelegenheit der französischen Schwarzen im Kampf gegen ihre
Mundtotmachung und Unterdrückung hochzustilisieren versucht. So sprachen
auf der Olympia-Kundgebung mehrere aus Kamerun stammende Persönlichkeiten,
wie die Schriftstellerin Calixthe Beyala oder der, als äußerst integre
politische Persönlichkeit bekannte, Saxophonist Manu Dibango. Sie
solidarisierten sich wohl nicht zuvörderst mit Dieudonnés umstrittenen
Äußerungen, sondern mit dem, was er "ist" bzw. verkörpert (etwa den einzigen
erfolgreichen Schwarzen im französischen Theater, den man mundtot machen
wolle). Ein "Kollektiv von Söhnen und Töchtern afrikanischer Deportierter"
(Cofad), das in seiner Namensgebung der Vereinigung von Söhnen und Töchter
jüdischer Deportierter nachgebildet ist, erklärte am selben Ort: "Die
Schwarzen sind nicht antisemitisch, und haben von niemandem Lektionen über
den Rassismus zu erhalten." Und an Präsident Jacques Chirac gewandt, "der
Sie alle mit Ihrem ganzen Gewicht gegen den Antisemitismus kämpfen", erging
die Aufforderung, "den Rassismus gegen die Schwarzen zu bekämpfen".
Wahrscheinlich
ist zugleich, dass die Betreffenden Dieudonnés Äußerungen die sie als,
vielleicht ungeschickte, Kritik der israelischen Politik einstufen würden
nicht sonderlich problematisch finden dürften. Wie in den meisten Ländern
der so genannten Dritten Welt, dürfte Israel bei ihnen kein sonderlich gutes
Ansehen genießen. Nicht nur aufgrund seines engen Bündnisses mit den USA,
sondern auch aufgrund der Präsenz israelischer Militärberater vor allem
bis zum Ende des Kalten Krieges 1989 in zahlreichen pro-westlichen
Diktaturen der Dritten Welt (so in der Vergangenheit auch in Kamerun). Und
die enge geostrategische Kooperation Israels mit Südafrika vor dem Ende des
Apartheid-Systems, wie sie etwa in den 70er und 80er Jahren auf
militärischem und nuklearem Gebiet bestand, trug nicht dazu bei, Israels
Isolation in der "Dritten Welt" und in Afrika aufzubrechen.
Auch zahlreiche
schwarze Antillenfranzosen haben sich dem Unterstützungskomitee für
Dieudonné angeschlossen, das sich im Théâtre de la Main d'Or (das dem
Komiker selbst gehört) niedergelassen hat. Dessen Vorsitzender ist Guy
Guioublou, der von der Antilleninsel La Martinique stammt und nach eigenen
Angaben "als erster Schwarzer in (der Pariser Trabantenstadt) Sarcelles ein
Abgeordnetenmandat erhielt". Vizepräsident ist der vom benachbarten La
Guadeloupe stammende Antillenfranzose Joss Rovélas, der sich seit langen
Jahren für die Rechte der Schwarzen in Frankreich einsetzt. Er begründete
sein Engagement im Unterstützerkomitee gegenüber "Libération" damit, dass
die schwarzen Antillenfranzosen "ebenso wie die Maghrebiner an einem
Integrationsdefizit leiden. (...) Dieudonné hat die Heuchelei der Mächtigen
dieser Welt angeklagt, wie nur ein Hofnarr es tun kann. Dieudo hat die
Politik von Ariel Sharon kritisiert und gesagt, auf welcher Seite (Anm.: im
Nahostkonflikt) die Hubschrauber sind und auf welchem (Anm.: nur) Steine.
Deswegen will man ihn zum Antisemiten erklären!"
Ein Teil der
maghrebinischen und afrikanischen Bevölkerung in Frankreich dürfte sich
derzeit in Dieudonné wieder erkennen. Er drückt vermeintlich, als ihr
Sprachrohr, die Wut gegen ihre grundsätzlich sehr realen Beleidigungen
und Benachteiligungen aus. (Als Vertreter vieler maghrebinischstämmiger
Franzosen nahm etwa der frühere französische Judo-Weltmeister Djamel Bouras
an der Kundgebung vor L'Olympia teil.)
Die große
Befürchtung ist unterdessen, dass das immer mehr in einer Frontstellung
gegen eine andere Community, nämlich die jüdische, geschehen könnte.
Französische Araber aus dem Umfeld der radikalen Linken dagegen lancierten
am Montag die Idee, sich in einem kritischen "Offenen Brief" an Dieudonné zu
wenden, um ihn vor einer weiteren Konflikteskalation zwischen
unterschiedlichen Minderheiten der französischen Gesellschaft zu warnen.
Abzuwarten bleibt, wieviel zerschlagenes Porzellan die bisherigen
Geschehnisse bereits hinterlassen haben.
hagalil.com
24-02-2004 |